Nebenklage II: Nebenklagebeistand, oder: (Geringe) Bestellungsvoraussetzungen

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In der zweiten Entscheidung zur Nebenklage, dem OLG Hamm, Beschl. v. 09.03.2021 – 4 Ws 35/21 – wird die Frage der Bestellung eines Nebenklagebeistandes (§ 397a StPO) behandelt.

Die Anklage wirft den Angeklagten (u. a.) vor, „gemeinschaftlich und tateinheitlich handelnd, a) in zwei tateinheitlich begangenen Fällen versucht zu haben, einen Menschen zu töten, ohne Mörder zu sein, b) in zwei tateinheitlich begangenen Fällen andere Personen mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich und mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung körperlich misshandelt und an der Gesundheit geschädigt zu haben, wobei in einem Fall die verletzte Person in Siechtum, Lähmung und geistige Krankheit oder Behinderung verfiel“. Hintergrund des Tatvorwurfes ist, dass der Nebenkläger zusammen mit seinem Bruder am pp. in U gegen Mitternacht den Angeklagten F überfallen und ihm Marihuana mit einem Nettogewicht von 360,91 Gr und einem THC-Gehalt von 60,2 Gr entwendet haben soll. Den auf der Flucht befindlichen Brüdern sollen die Angeklagten nachgesetzt haben. Der Bruder des Nebenklägers soll auf der Flucht zu Fall gekommen sein. Nach dem Anklagevorwurf soll er von dem Angeklagten P sodann mehr als 30 mal mit Fäusten und Tritten gegen Kopf und Oberkörper traktiert worden sein, während der Angeklagte F im einverständlichen Zusammenwirken mit P auf den Kopf des zu seinem Bruder geeilten Nebenklägers eingeschlagen und eingetreten haben soll. Anschließend soll auch der Angeklagte P dem Nebenkläger einen wuchtigen Schlag mit einem Gegenstand gegen den Kopf versetzt haben, hernach soll der Angeklagte F diesem kraftvoll gegen den Kopf getreten haben. Die Angeklagten sollen hierbei den Tod des Nebenklägers und seines Bruders zumindest billigend in Kauf genommen haben.

Während der Bruder des Nebenklägers nach mehrfacher Notoperation mit schwersten Hirnverletzungen immer noch im Koma liegt, soll der Nebenkläger u.a. multiple Mittelgesichtsfrakturen (beidseitiger Bruch des Jochbeins, der Kieferhöhlen und der Augenhöhlenböden) erlitten haben. Das Schwurgericht, zu dem Anklage erhoben worden war, hat das Hauptverfahren vor der großen Strafkammer eröffnet, weil es einen hinreichenden Tatverdacht für ein versuchtes Tötungsdelikt verneint hat. Mit Beschluss vom 21.01.2021 hat das LG antragsgemäß (u.a.) die Berechtigung des Nebenklägers zum Anschluss gem. §§ 395 Abs. 1 Nr. 3, 396 StPO festgestellt. Mit Beschluss vom selben Tag hat der Vorsitzende der Strafkammer die beantragte Beiordnung von Rechtsanwältin O als Beistand des Nebenklägers abgelehnt, weil er nicht Verletzter einer Tat nach § 397a Abs. 1 StPO sei.

Dagegen die Beschwerde, die Erfolg hatte:

„1. Die Voraussetzungen für eine Beiordnung von Rechtsanwältin O als Beistand des Nebenklägers liegen vor.

Einen entsprechenden Antrag hat er gestellt. Er ist auch Verletzter einer versuchten rechtswidrigen Tat nach §§ 212, 22, 23 StGB i.S.v. § 397a Abs. 1 Nr. 2 StPO.

Der Anspruch auf Bestellung eines anwaltlichen Beistands besteht bereits dann, wenn auch nur die geringe Möglichkeit besteht, dass der Angeklagte ein Delikt i.S.v. § 397a Abs. 1 StPO begangen hat und seine Verurteilung deswegen in Betracht kommt bzw. die Verurteilung wegen einer Nebenklagestraftat rechtlich möglich erscheint (BGH NJW 1999, 2380: Dort wurde eine solche Möglichkeit in einem Fall bejaht, in dem das Tatgericht bereits einen Rücktritt vom Versuch des Totschlags angenommen und der Nebenkläger die Beistandsbeiordnung für die Revisionsinstanz beantragt hatte; BGH NStZ 2000, 552; BGH NStZ-RR 2008, 352, 353). Nicht relevant ist hingegen, ob die vorgeworfene Tat in der Anklage oder im Eröffnungsbeschluss als Nebenklagedelikt gewertet wurde. Nicht erforderlich ist ein dringender oder hinreichender Tatverdacht (OLG Celle StraFo 2017, 195, 196). Dies ergibt sich daraus, dass § 397a Abs. 1 StPO – anders als etwa § 112 StPO oder § 170 StPO – nicht auf einen bestimmten Verdachtsgrad abstellt, sondern auf ein Verletztsein durch bestimmte Straftaten. Dabei kommt es aber nach dem Willen des Gesetzgebers nicht darauf an, dass bereits die Verletzteneigenschaft feststeht oder für sie bereits ein bestimmter Verdachtsgrad besteht. Vielmehr soll dem Verletzten durch seine Stellung als Nebenkläger die Möglichkeit eingeräumt werden, aktiv auf das Verfahrensergebnis einzuwirken (BT-Drs. 10/5305 S. 11). Diese Möglichkeit würde geschmälert, wenn man ihm einen rechtlichen Beistand in scheinbar aussichtslosen Fällen verweigert. Er wäre dann eventuell gar nicht in der Lage, in seinem Sinne auf das Verfahrensergebnis einzuwirken. Dementsprechend kann es auf irgendwie geartete Erfolgsaussichten für Beistandsbeiordnung ebenso wenig ankommen, wie dies bei der Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 397a Abs. 2 StPO der Fall ist. Bei dieser hat der Gesetzgeber bewusst von dem Erfordernis der Prüfung einer hinreichenden Erfolgsaussicht Abstand genommen (BT-Drs. 10/5305 S. 14; vgl. auch Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 397 Rdn. 9). In Anlehnung an die Verletzteneigenschaft i. S. v. § 172 StPO (vgl. zu dieser Parallele OLG Koblenz, Beschl. v. 30.05.1988 – 2 VAs 3/88 – juris LS; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., Vor § 406d Rdn. 1) kann daher eine Beistandsbestellung nur dann ausscheiden, wenn bereits nach der Darstellung des Nebenklägers seine unmittelbare Rechtsbeeinträchtigung ausscheidet oder – nach allgemeinen Grundsätzen – die Wahrnehmung des Rechts der Beistandsbestellung rechtsmissbräuchlich ist.

Daran gemessen liegen die Voraussetzungen des § 397a Abs. 1 Nr. 2 StPO in Bezug auf den Nebenkläger vor. Angesichts der massiven Gewalteinwirkung auf den Kopf des Nebenklägers durch die Angeklagten mit einem Gegenstand und womöglich auch mit dem beschuhten Fuß (vgl. Bl. 1571 d.A.) besteht – wie auch in dem angefochtenen Beschluss ausgeführt – jedenfalls die Möglichkeit, dass die Angeklagten die Tötung des Nebenklägers zumindest billigend in Kauf genommen haben. Anders als in dem angefochtenen Beschluss ausgeführt, erscheint dem Senat auch das Vorliegen eines strafbefreienden Rücktritts vom Versuch des Totschlags nicht so evident, dass eine Verfolgung des Ziels einer entsprechenden Verurteilung der Angeklagten als schlechthin ausgeschlossen und damit als rechtsmissbräuchlich erscheint. So hat der Zeuge C in seiner Vernehmung vom 30.08.2020 (Bl. 213) angegeben: „Die Blutrünstigkeit und der Klärungsbedarf unter den Beteiligten war so intensiv, dass die Lage sich erst beruhigte, als die Blaulichter den Q [Straße des Tatortes, Anm. d. Senats] herunterfuhren.“ Insoweit käme es auf in der Hauptverhandlung zu klärende Details an, etwa wie nah die Polizei bereits war, als die Angeklagten sie bemerkten, welche Möglichkeiten sie noch sahen, bis zu deren Einschreiten den Nebenkläger tatsächlich zu Tode bringen zu können oder ob sich das Nahen der Polizei für die Angeklagten als unvertretbare Risikoerhöhung (vgl. BGH NStZ-RR 2014, 9, 10) darstellte und sie nur deswegen auf eine Fortsetzung ihres Tuns verzichteten.“

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