Der Kollege Bäumer aus Ibbenbüren hat mir in der vergangenen Woche den OLG Oldenburg, Beschl. v. 13.03.2017 – 2 Ss(OWi) 40/17 – übersandt, der sich (mal wieder) mit der Frage der Akteneinsicht im Bußgeldverfahren befasst. Der Kollege war dann über die Entscheidung, wie er mir in der Übersendungsmail schreibt, dann doch sehr überrascht (gelinde ausgedrückt). Und nicht nur er, sondern ich nach Lesen des Beschlusses auch. Denn das OLG weicht in diesem Beschluss von seiner Rechtsansicht im OLG Oldenburg, Beschl. v. 06.05.2015 – 2 Ss (OWi) 65/15 (dazu „Messdatei bei PoliscanSpeed nicht bekommen“ – Verletzung des rechtlichen Gehörs) ab. Eigene Begründung: M.E. keine, es sei denn man sieht den Verweis auf die (falsche) Rechtsprechung des OLG Bamberg als Begründung an (vgl. OLG Bamberg, Beschl. v. 04.04.2016 – 3 Ss OWi 1444/15 und dazu: „Logik ist Ansichtssache“, oder: Zirkelschluss beim OLG Bamberg zur Einsichtnahme in die Messdatei bei ESO 3.0):
Der Senat hatte vielmehr in seinem Beschluss vom 6.5.2015 (DAR 2015, 406) ausgeführt, dass dem Betroffenen die Messdatei, da sie Grundlage und originäres, unveränderliches Beweismittel der Geschwindigkeitsmessung sei, zugänglich gemacht werden müsse. Dem Senatsbeschluss vom 6.5.2015 lag allerdings die – auch als solche bezeichnete Ausnahmesituation – zugrunde, dass sich auch das Amtsgericht erfolglos um Herausgabe der Messdatei bemüht, den Betroffenen aber gleichwohl verurteilt hatte.
Soweit es um die Frage geht, ob ein in der Hauptverhandlung durch Beschluss abschlägig beschiedener Antrag auf Herausgabe einer Kopie der Messdatei im Rahmen der Rechtsbeschwerde mit Erfolg gerügt werden kann, hält der Senat an dem im Beschluss vom 6.5.2015 genannten Grundsatz eines Anspruchs auf Zugänglichmachung der Messdatei nicht fest.
Der Senat folgt vielmehr dem ausführlich begründeten Beschluss des OLG Bamberg (DAR 2016, 337 ff.; zustimmend: König DAR 2016, 362, 371) wonach die Ablehnung eines Antrages der Verteidigung auf Einsichtnahme in die digitale Messdatei und deren Überlassung einschließlich etwaiger so genannter Rohmessdaten nicht gegen die Grundsätze des fairen Verfahrens verstößt.
Der Senat verkennt dabei nicht, dass es den Betroffenen und ihren Verteidigern durch diese Entscheidung erschwert wird, Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Messung aufzuzeigen. Dies ist allerdings die Konsequenz aus der Anerkennung des standardisierten Messverfahrens. Der Betroffene hat keinen Anspruch darauf, dass die Sachaufklärung mit bestimmten Beweismitteln erfolgt, etwa einem Gutachten. Ansonsten wäre das standardisierte Messverfahren unbrauchbar (Krenberger, Anmerkung zu OLG Bamberg a.a.O.,juris PR-VerkR 19/ 2016). Das Bußgeldverfahrän ist als Massenverfahren des täglichen Lebens vielmehr auf eine Vereinfachung des Verfahrensganges ausgerichtet, zumal es „nur“ der verwaltungsrechtlichen Pflichtenmahnung und nicht der Ahndung kriminellen Unrechts dient (BGHSt 39, 291 ff).
Fazit: (Auch) das OLG Oldenburg geht (bei standardisierten Messverfahren) nunmehr anders als zuvor nicht mehr davon aus, dass der Betroffene nach dem Grundsatz des fairen Verfahrens ein Recht auf Übersendung der Messdatei hat. Ein solches Recht bestehe ausnahmsweise nur dann, wenn nicht nur der Betroffene bzw. sein Verteidiger sondern auch das verurteilende Gericht erfolglos die Überlassung der Messdatei verlangt haben. Und damit sind wir m.E. beim Teufelskreis II. Denn, wenn die Akten nur dann beigezogen werden müssen, wenn das Gericht die Überlassung der Messdatei selbst auch für erforderlich hält, stellt sich die Frage, wie ich als Verteidiger das Gericht dazu bewegen soll, die Akten beizuziehen. Dazu bedarf es konkreten Vortrags, den ich aber nur nach Einsicht in die Akten vortragen kann. Dafür benötige ich die Akten(die Messdate, die ich aber ….. Ja, Teufelskreis II.
Was mir an der Entscheidung besonders sauer aufstößt: Sie kommt vom Einzelrichter des Senats. Die Entscheidung vom 06.05.2015, an der man nicht mehr festhält, war hingegen eine Senatsentscheidung. Der Einzelrichter bestimmt in Oldenburg also die Rechtsprechung des (Gesamt)Senats. M.E. hätte er an den Senat abgeben und es hätte in Dreierbesetzung entschieden werden müssen.
Eine Divergenzvorlage zu anders lautender Rechtsprechung des OLG Celle (vgl. Beschl. v. 16.06.2016 – 1 Ss (OWi) 96/16) (vgl. den OLG Celle, Beschl. v. 16.06.2016 – 1 Ss (OWi) 96/16 und dazu OLG Celle: Messdaten und Token sind herauszugeben, oder: Sie – die OLG Rechtsprechung – bewegt sich doch) gibt es nicht. Die braucht man aus den „zutreffenden Gründen des Beschlusses des OLG Bamberg vom 5.9.2016 (3 Ss OWi 1050/16)“ nicht (vgl. den OLG Bamberg, Beschl. v. 05.09.2016 – 3 Ss OWi 1050/16 und Zement aus Bamberg, oder: Mia san mia). Das OLG Oldenburg drückt sich also mit derselben Begründung vor der Vorlage an den BGH. Vor wem hat man da eigentlich Angst? Befürchtet man, dass es nach der Entscheidung des 4. Strafsenats nur noch einen Scherbenhaufen „standardisiertes Messverfahren“ gibt?
Allerdings: Im Ergebnis hat das OLG zu Recht nicht vorgelegt, warum dann aber die überflüssigen Ausführungen? Denn es hat das amtsgerichtliche Urteil aus einem anderen Grund aufgehoben. Und der/das ist das einzig Erfreuliche an der Entscheidung. Das OLG sieht nämlich wenigstens ein Recht auf Einsicht in die Aufzeichnungen gemäß § 31 Abs. 2 Nr. 4 MessEG, da nur so beurteilt werden könne, ob ein geeichtes Messgerät und also ein standardisiertes Messverfahren im Einzelfall überhaupt vorliegt.
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