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Verfahrensgebühr für das vorbereitende Verfahren, oder: Rücknahme des Strafbefehlsantrages

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Die zweite Entscheidung kommt mit dem LG Bamberg, Beschl. v. 08.11.2023 – 13 Qs 79/23 – auch aus Bayern. Und sie ist ebenfalls richtig 🙂 .

Gestritten worden ist um die Festsetzung der Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV RVG für das vorbereitende Verfahren. Der Verteidiger der Beschuldigten war erst erstmals tätig geworden, nachdem die Staatsanwaltschaft ihren Antrag auf Erlass eines Strafbefehls zurückgenommen hatte. Das AG hat die Gebühr nicht festgesetzt. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Beschuldigten hatte Erfolg. Das LG hat eine (weitere) Vorverfahrensgebühr Nr. 4104 VV RVG nebst Umsatzsteuer sowie eine Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG festgesetzt:

„Im Ermittlungsverfahren erhält der Verteidiger neben der Grundgebühr zusätzlich eine Verfahrensgebühr, Nr. 4104 VV RVG. Abgegolten werden soll seine Tätigkeit im Verfahren bis zum Eingang der Anklageschrift, des Antrags auf Erlass eines Strafbefehls bei Gericht oder im beschleunigten Verfahren bis zum Vortrag der Anklage, wenn diese nur mündlich erhoben wird. Nimmt die Staatsanwaltschaft die Anklage zurück, versetzt sie damit das Verfahren in den Stand des Ermittlungsverfahrens zurück, mit der Folge, dass der Anwalt, der vom Beschuldigten erst nach der Anklageerhebung beauftragt worden ist, die Verfahrensgebühr nach Nr. 4104 VV RVG verdient (vgl. HK-RVG/Ludwig Kroiß, 8. Aufl. 2021, RVG VV 4104 Rn. 3 m. w. N.).

Entsprechendes gilt, wenn – wie vorliegend – der Antrag vom 01.04.2022 auf Erlass eines Strafbefehls seitens der Staatsanwaltschaft mit weiterer Verfügung vom 17.10.2022 zurückgenommen und der Verteidiger nicht – ohnehin – bereits zuvor tätig wurde. Die Zurücknahme der Klage durch die Staatsanwaltschaft hat zur Folge, dass das Ermittlungsverfahren in den Stand des Ermittlungsverfahrens zurückversetzt wird (vgl. Meyer/Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 411 Rn. 8).

Vorliegend hat der Verteidiger RA pp. erstmals mit Schriftsatz vom 19.05.2022, mithin nach ursprünglichem Antrag auf Erlass eines Strafbefehls und vor Rücknahme nämlichen Antrags durch die Staatsanwaltschaft, seine Verteidigung angezeigt und eine entsprechende Vollmacht vorgelegt. Der Verteidiger der Beschwerdeführerin kann daher die Vorverfahrensgebühr Nr. 4104 VV RVG in nicht zu beanstandender Höhe von 181,50 € (Mittelgebühr) nebst Umsatzsteuer vom 19 °/0, somit 38,29 €, geltend machen.

Demgemäß ist dem Verteidiger der Beschwerdeführerin auch die Auslagenpauschale nach Nr. 7002 VV RVG für das vorbereitende Verfahren in Höhe von 20 € entstanden.“

Die Entscheidung ist zutreffend. Sie entspricht der Auffassung in der Rechtsprechung. Die Entscheidungen u.a. des LG Nürnberg-Fürth und des AG Gießen stehen auf meiner Homepage. Voraussetzung ist natürlich, dass der Rechtsanwalt dann nach Rücknahme des Strafbefehlsantrags eine Tätigkeit für seinen Mandanten erbracht hat. Aber die liegt allein schon in der Entgegennahme der Mitteilung über die Rücknahme des Strafbefehlsantrags.

Rücknahme der Anklage und vorgerichtliche Verfahrensgebühr, oder: Rückgrat

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Heute am Gebührenfreitag dann zunächst eine Entscheidung des AG Passau. Zwar nur ein Kostenfestsetzungsbeschluss, der AG Passau, Beschl. v. 13.08.2019 – 5 Ds 25 Js 1540/17 jug. – ist aber insofern interessant, weil der Rechtspflger „Rückgrat gezeigt“ und trotz der Einwände des Bezirksrevisors die vom Kollegen beantragten Gebühren festgesetzt hat.

Der Kollege Wamser aus Passau, der mir den Beschluss geschicht hat, teilt zum Sachverhalt – der ergibt sich nicht so umfassend aus dem Beschluss – mit:

Die Staatsanwaltschaft hatte Anklage zum Jugendrichter wegen gefährlicher Körperverletzung erhoben, der Kollege wurde nach Zustellung der Anklage mandatiert, die Akteneinsicht bestätigte die Version des Mandanten, dass er eigentlich der Zeuge war und nicht der Täter. Das wurde im Zwischenverfahren so mitgeteilt, dann passierte erst einmal nichts mehr. Eine spätere erneute Akteneinsicht ergab, dass die Staatsanwaltschaft die Anklage nach Beratung durch das Gericht zurückgenommen und das Verfahren gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt hatte, worüber niemand eine Mitteilung erhielt.

Der Kollege hat dann Antrag gemäß § 467a Abs. 1 StPO, sodann Kostenfestsetzungsantrag mit den jeweiligen Mittelgebühren gestellt. Im Kostenfestsettzungsverfahren wurde dann vom Bezirksrevisor u.a. eingewandt, dass die geltend gemachte Nr. 4104 VV RVG überhaupt nicht angefallen wäre, weil unmittelbar nach Rücknahme der Anklage eingestellt wurde. Der Rechtspfleger hat diese nun, was zutreffend ist, festgesetzt:

Auch die infrage gestellte Gebühr Nr. 4104 VV RVG, mit ihr folglich auch die Aufwandspauschale Nr. 7002 VV RVG, ist entstanden.

Zwar wurde die Anklage zurückgenommen und das Ermittlungsverfahren damit auch eingestellt, sodass in der Zeit zwischen Rücknahme und Einstellung keine Tätigkeit des Verteidigers entwickelt werden konnte, die das Entstehen der Gebühr auslösen würde, aber auch Tätigkeiten nach der Einstellung sind dazu geeignet, die betreffende Gebühr entstehen zu lassen, vgl. Gerold/Schmidt, RVG, 22. Aufl., Rn. 7 zu Nr. 4104 VV RVG. Hier war das mit der Vornahme einer Akteneinsicht und der dann folgenden Beantragung einer entsprechenden Kostengrundentscheidung jedenfalls gegeben.“

Lösung zu: Ich habe da mal eine Frage: Verfahrensgebühr nach Rücknahme der Anklage?

© haru_natsu_kobo Fotolia.com

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Die Lösung zu der Frage vom vergangenen Freitag: Ich habe da mal eine Frage: Verfahrensgebühr nach Rücknahme der Anklage?, ist/war ganz einfach. Ich verweise dazu nämlich nur auf den AG Gießen, Beschl. v. 29.06.2016 – 507 Ds — 604 Js 35439/13. Aus der – mir vom Kollegenm Hauer aus Gießen – übersandten Entscheidung stammt der Sachverhalt und dann auch die Lösung: Die Kostenbeamtin hatte natürlich nicht Recht. Und demgemäß hat das AG sowohl die Nr. 4104 VV RVG und die Nr. 4141 VV RVG festgesetzt. Dazu aus dem Beschluss:

Zur Nr. 4104 VV RVG:

„Das gerichtliche Hauptverfahren wurde vorliegend noch nicht eröffnet, so dass die Staatsanwaltschaft die Anklage noch jederzeit zurücknehmen konnte, vgl. § 156 StPO. Als sie dies schlussendlich tat, versetzte sie damit das Verfahren in den Stand des Ermittlungsverfahrens / vorbereitendes Verfahrens zurück (vgl. Meyer-Goßner StPO, 57. Aufl. § 156 Rn. 2), weshalb die Verfahrensgebühr Ermittlungsverfahren (gem. Nr. 4104 VV RVG) in Höhe von 165,00 EUR zusätzlich angefallen ist. Das Legalitätsprinzip (§ 152 Abs. 2 StPO) wird durch die Rücknahme jedoch nicht berührt. Die Rücknahme kann darauf beruhen, dass die Klage nachträglich als unbegründet erscheint. In diesem Fall kann die Staatsanwaltschaft das Verfahren nach der Rücknahme der Klage einstellen, was vorliegend schließlich auch am 11.03.2016 erfolgte. Dass eine Rücknahme der Anklage automatisch eine Einstellungsentscheidung nach § 170 Abs. 2 StPO nach sich zieht, ist hingegen nicht zwingend der Fall. Ebenso hätte die Klage erneut oder in abgeänderter Form eingereicht werden können. Auch kann die Rücknahme den Zweck verfolgen, das Verfahren nach den Opportunitätsbestimmungen der §§ 153 ff. StPO einzustellen. Durch die erfolgte Rücknahme der Klage ist vorliegend weder partielle, noch vollständige materielle Rechtskraft in dem Strafverfahren gegen die ehemals Angeklagte eingetreten.“

Dazu ist nur anzumerken: Das gilt natürlich nur, wenn der Rechtsanwalt im Verfahren bis dahin die Nr. 4104 VV RVG noch nicht verdient hatte, was hier der Fall war, „da hier dem Prozessbevollmächtigten erst nach Eingang der Anklageschrift bei Gericht Strafprozessvollmacht durch die ehemals Angeklagte erteilt wurde und er erst ab diesem Zeitpunkt seine Tätigkeit mit der Anforderung der Akten zur Einsichtnahme begann.“ Denn war er bereits im Ermittlungsverfahren tätig ist die Nr. 4104 VV RVG bereits entstanden und sie entsteht, da es sich um dieselbe Angelegenheit handelt, dann nach Rücknhame der Anklage nicht noch einmal (§ 15 RVG).

Zur Nr. 4141 VV RVG:

Auch die Gebühr für die entbehrliche Hauptverhandlung (gem. Nr. 4141 VV RVG) in Höhe von 165,00 EUR ist angefallen. In Nr. 4141 Anm. 1 Satz 1 Nr. 1 VV RVG ist der Fall der Einstellung des Strafverfahrens geregelt. In welchem Verfahrensstadium die Einstellung erfolgt, ist ohne Bedeutung. Anm. 1 Satz 1 Nr. 1 enthält keine zeitliche Beschränkung mit Ausnahme des Umstandes, dass durch die Einstellung eine Hauptverhandlung entbehrlich geworden sein muss. Die Einstellung kann also sowohl im vorbereitenden als auch noch im gerichtlichen Verfahren erfolgen (vgl. Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 4. Aufl., Nr. 4141 W RVG Rn. 19). Unerheblich ist auch, ob die Staatsanwaltschaft oder das Gericht das Verfahren einstellt. Nr. 4141 Anm. 1 Satz 1 Nr. 1 VV RVG setzt jedoch eine nicht nur vorläufige Einstellung des Strafverfahrens voraus. Mit diesem Begriff ist nicht der prozessuale Begriff der „vorläufigen Einstellung“, wie er z.B. in § 154 Abs. 1 StPO verwandt wird, im Gegensatz zur endgültigen Einstellung gemeint. Der prozessuale und der gebührenrechtliche Begriff der vorläufigen Einstellung unterscheiden sich vielmehr. Gemeint ist mit „nicht nur vorläufig“ im Sinne des RVG, dass Staatsanwaltschaft und/oder Gericht subjektiv von einer endgültigen Einstellung ausgegangen sind, sie also das Ziel einer endgültigen Einstellung hatten (AnwKomm-RVG/N. Schneider, W 4141 Rn. 33 ff.; Gerold/Schmidt/Burhoff, W 4141 Rn. 16; Burhoff, a.a.O., Nr. 4141 VV RVG Rn. 20). Eine wie vorliegend ergangene Einstellungsentscheidung nach § 170 Abs. 2 Satz 1 StPO ist auch nach Rücknahme der Anklage ein solcher Anwendungsfall der Nr. 4141 Anm. 1 Satz 1 Nr. 1 VV RVG (vgl. LG Köln StV 2004, 34 = AGS 2003, 544). Auch hat der hiesige Prozessbevollmächtigte an der Entbehrlichkeit der Hauptverhandlung mitgewirkt. Als Mitwirkung reicht jede Tätigkeit des Verteidigers aus, die geeignet ist, das Verfahren im Hinblick auf eine Erledigung durch Einstellung zu fördern (vgl. u.a. BGH RVGreport 2008, 431 AGS 2008, 491; OLG Stuttgart AGS 2010, 202). Es ist unerheblich, in welchem Verfahrensabschnitt die Mitwirkung erbracht wird (vgl. auch Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 4. Aufl., Nr. 4141 VV Rn. 14 ff.). Ausreichend ist, dass ein in einem früheren Verfahrensabschnitt erbrachter Beitrag des Verteidigers bei der Einstellung in einem späteren Verfahrensabschnitt, in dem es dann zur Erledigung des Verfahrens kommt, noch fortwirkt. Bereits nach Anklagezustellung riet vorliegend der Prozessbevollmächtigte der ehemals Angeklagten den Abschluss des Verfahrens gegen den gesondert Verfolgten pp. abzuwarten, da dessen Ausgang für vorliegendes Verfahren von Relevanz sei. Nach fernmündlicher Mitteilung der Anklagerücknahme im hiesigen Verfahren und Übersendung des freisprechenden Urteils gegen den gesondert Verfolgten pp., stellte der Prozessbevollmächtigte Hauer vor dem Hintergrund der oben bereits ausgeführten weiteren Handlungsmöglichkeiten der Staatsanwaltschaft nach einer Klagerücknahme nach Prüfung der weiteren Vorgehensmöglichkeiten mit Schriftsatz vom 03.03.2016 bei der Staatsanwaltschaft den Antrag auf Einstellung des Verfahrens nach § 170 Abs. 2 StPO. Diesem Antrag wurde mit der Einstellungsentscheidung vom 11.03.2016 entsprochen.“

Also: Alles richtig gemacht….