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Wiedereinsetzung III: Verspätetes Erscheinen in der HV, oder: Wann bist du losgefahren?

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Urheber Ulfbastel

Und zum Tagesschluss dann noch der KG, Beschl. v. 15.01.2021 – 3 Ws 5/21 – zur Frage des ausreichenden Vortrags zur Begründung eines Wiedereinsetzungsantrags.

Das LG hatte die Berufung des Angeklagten worfen, nachdem zwar der Verteidiger, nicht aber der Angeklagte zu um 9.00 Uhr anberaumten Hauptverhandlung erschienen war. Ausweislich eines Vermerks der Richterin von diesem Tag erschien der Angeklagte jedoch um 9.25 Uhr im Saal mit dem Bemerken, er habe den Saal nicht gefunden und die Mobilfunknummer des Verteidigers sei ihm nicht bekannt gewesen.

Der Angeklagte hat dann beantragt, ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung des Berufungshauptverhandlungstermins zu gewähren. Zur Begründung hat er ausführen lassen, er sei bereits um 8.20 Uhr von seinem Wohnort mit der U-Bahn losgefahren. Es sei aber sowohl beim Umsteigen als auch später im Eingangsbereich des Kriminalgerichts, wo er gegen 8.50 Uhr angekommen sei, zu längeren Wartezeiten gekommen. Beim Einlass um 9.10 Uhr habe er erfahren, dass die Verhandlung in einem anderen Gebäude stattfinden würde. Auf dem Weg dorthin habe er sich verlaufen, sodass er erst um ca. 9.25 Uhr am Saal eingetroffen sei.

Das LG hat den Antrag auf Wiedereinsetzung als unzulässig verworfen und ausgeführt, dass es an der erforderlichen Glaubhaftmachung der zur Begründung des Antrages vorgebrachten Tatsachen fehle. Dagegen die sofortige Beschwerde, die keinen Erfolg hatte:

„Die Zulässigkeit eines Wiedereinsetzungsantrages nach den §§ 329 Abs. 7, 45 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 StPO erfordert, dass der Angeklagte umfassend einen Sachverhalt vorträgt und glaubhaft macht, der ein Verschulden an seiner Säumnis ausschließen soll (vgl. Senat, Beschlüsse vom 30. September 2020 – 3 Ws 219/20 –, 18. November 2019 – 3 Ws 352/19 – und 26. Februar 2019 – 3 Ws (B) 75/19 –, beide juris m.w.N.; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 63. Aufl., § 45 Rn. 5 m.w.N.). Zwar dürfen die Anforderungen an ein Wiedereinsetzungsvorbringen nicht überspannt werden (vgl. BerlVerfGH NJW 2004, 1158). Jedoch ist erforderlich, dass der Angeklagte dem Gericht die für die Frage der Entschuldigung maßgeblichen Tatsachen so vollständig mitteilt, dass es allein aufgrund dieser Ausführungen beurteilen kann, wie und gegebenenfalls durch welche Umstände es zu der Versäumung der Hauptverhandlung gekommen ist (vgl. Senat, Beschluss vom 30. September, a.a.O.; KG, Beschluss vom 8. Oktober 2018 – 4 Ws 135/18 –).

Diesen Anforderungen genügt der Vortrag nicht.

1. Der Angeklagte hat mitgeteilt, er habe um 8.20 Uhr seine Wohnung in der X-Straße verlassen. Er sei mit der U-Bahn gefahren, einmal umgestiegen und habe dabei 8 Minuten auf den Anschlusszug warten müssen. Nach dem Verlassen der U-Bahn und einem Fußweg von etwa 800m sei er um 8.50 Uhr in der Y- Straße eingetroffen. Hinsichtlich des folgenden Geschehens sind die eigenen Erklärungen des Angeklagten vom 28. Oktober 2020 und 3. November 2020 und der anwaltliche Vortrag vom 3. November 2020 teilweise widersprüchlich. Während einerseits mitgeteilt wird, dass der Angeklagte um 9.10 Uhr „an der Reihe gewesen“ sei, wird andererseits angegeben, der Angeklagte habe „etwa 15 bis 20 Minuten“ an der Einlasskontrolle gewartet. Für die Suche nach dem Saal habe der Angeklagte sodann weitere „10 bis 15 Minuten“ benötigt. Er sei sodann „um etwa 9.22 Uhr“, nach Vortrag des Verteidigers um 9.25 Uhr am Saal gewesen.

2. Nicht vorgetragen wird, mit welcher Fahrtdauer inklusive Zeit zum Umsteigen der Angeklagte plangemäß gerechnet hat und wie lang die Fahrt im Unterschied dazu tatsächlich gedauert hat. Es wird auch nicht mitgeteilt, welchen Zeitraum er sodann für die Einlasskontrolle in das Gericht bzw. die Suche nach dem Verhandlungssaal eingeplant und ob er eine vorsorgliche Zeitreserve eingestellt hat. Dementsprechend ist nicht nachvollziehbar, ob der Zeitraum von 10 Minuten, der ihm bei Ankunft an der Einlasskontrolle bis 9.00 Uhr noch zur Verfügung stand, seiner Planung (in etwa) entsprach. Nicht ersichtlich ist auch, ob der Angeklagte zu irgendeinem Zeitpunkt die alternative Beförderung durch ein Taxi erwogen hat, das ihn möglicherweise mit entsprechendem Zeitgewinn vor dem Gerichtseingang abgesetzt hätte.

3. Im Übrigen vermag der vorgetragene Sachverhalt den Angeklagten nicht zu entschuldigen.

Die Generalstaatsanwaltschaft führt unter Hinweis auf die VBB-Fahrinfo zutreffend an, dass bei einem Verlassen der Wohnung um 8.20 Uhr auch die reguläre Ankunft in der Y- Straße (erst) um 8.46 Uhr zu erwarten gewesen wäre, demnach nur vier Minuten vor der vorgetragenen tatsächlichen Ankunft.

Ungeachtet des Umstands, dass ein Verschulden des Angeklagten an der Verspätung bereits darin zu sehen ist, dass er die allgemein bekannten und nicht seltenen Verzögerungen im öffentlichen Nahverkehr insbesondere in Zeiten des Berufsverkehrs bei seiner Planung nicht ausreichend berücksichtigt hat (Senat, Beschluss vom 10. März 2003 – 3 Ws 70/03 –; KG, Beschluss vom 8. Oktober 2018 a.a.O.; Beschluss vom 26. April 1999 – 5 Ws 238/99 –, juris), ist auch die Zeit von nur 14 Minuten, die ihm nach seiner Planung verblieb, um den Weg vom Eingang des Kriminalgerichts bis zum Saal zurückzulegen, nicht ausreichend bemessen. Der Angeklagte ist, wie aus dem Bundeszentralregisterauszug ersichtlich, gerichtserfahren. Zuletzt wurde er ausweislich der Akten im Februar 2019 aufgrund einer Hauptverhandlung durch das Amtsgericht Tiergarten verurteilt. Dementsprechend wusste er – was im Übrigen auch allgemeinkundig ist –, dass am Eingang zum Gericht Sicherheitskontrollen durchgeführt werden (vgl. Senat, Beschluss vom 18. März 1998 – 3 Ws 138/98 –, juris; KG, Beschluss vom 2. Mai 2005 – 5 Ws 216/95 –, juris). Zudem musste er damit rechnen, dass der Andrang dort gerade um 9.00 Uhr erheblich sein und dies zu entsprechenden Verzögerungen führen würde (vgl. KG, Beschluss vom 2. Mai 2005 a.a.O. m.w.N.). Schließlich hätte er bei seiner Planung auch einstellen können und müssen, dass das Kriminalgericht nicht nur aus einem übersichtlichen Gebäudeteil besteht und daher die Suche nach dem (möglicherweise verlegten) Sitzungssaal weitere Zeit erfordern würde (vgl. Senat, Beschluss vom 27. Mai 2002 – 3 Ws 143/02 –; KG, Beschluss vom 1. Juli 2016 – 2 Ws 172/16 –).

Ein weiteres Verschulden des Angeklagten liegt darin, dass er trotz seines mitgeführten Mobiltelefons keine Anstrengungen unternommen hat, um, z.B. über das Büro seines Verteidigers, diesen oder die Geschäftsstelle der Strafkammer über seine verspätete Ankunft zu informieren.“