Im Gespräch: Entkriminalisierung der Unfallflucht, oder: Der Bundesjustizminister überlegt mal wieder

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Ich stoße gerade auf die Nachricht in der SZ: Buschmann erwägt, Unfallflucht teilweise zu entkriminalisieren

Und da lese ich:

„Das Bundesjustizministerium erwägt nun, die Rechtslage teilweise zu ändern und Unfallflucht in vielen Fällen zu entkriminalisieren. Wer keinen Personen- sondern nur einen Sachschaden verursacht, würde demnach bei einer Unfallflucht künftig keine Straftat mehr begehen, sondern lediglich eine Ordnungswidrigkeit.“

Und bei der Tagesschau lese ich dann noch:

„Durch diese Herabstufung „würde einer undifferenzierten Kriminalisierung des Unfallverursachers entgegengewirkt“, hieß es dem RND zufolge in dem Ministeriumspapier. „

Und beim RND heißt es dann noch:

„…. Sprich: Wer künftig alkoholisiert einen Unfall mit Blechschaden verursacht, soll rechtlich nicht mehr gezwungen sein, am Unfallort zu bleiben und auch eine Anzeige wegen Trunkenheit am Steuer zu riskieren.“

Ich bin doch – gelinde ausgedrückt – sehr erstaunt – und wahscheinlich nicht nur ich, sondern auch andere. Für mich stellt sich die Frage: Was soll das? Und muss man an der Stelle „entkriminaliisieren“. Ist das wirklich eine „Erwägung“, sondern blinder Aktionismus unserer „hoch verehrten“ (??) BMJ. Denn:

1. M.E. gibt es genügend andere Baustellen, an denen man im BMJ mal voran machen sollte. Wie ist es z.B. mit der Abschaffung = Herunterstufung des § 265a StGB (Erschleichen von Leistungsen; Stichwort: Schwarzfahren). Da will man offenbar nicht ran; jedenfalls habe ich dazu bisher noch nichts gelesen. Das kriminalisiert man doch auch, ohne zu differenzieren. Im Übrigen: Man „entkriminalisiert“ die Trunkenheitsfahrten (teilweise) gleich mit.

2. Hat man sich mal Gedanken gemacht, wie das mit der Entkriminalisierung des § 142 StGB gehen soll? Soll jede Unfallflucht mit nur einem Sachschaden eine OWi sein/werden, also auch Sachschäden im hohen Bereich?

3. Hat man sich mal Gedanken gemacht, was da an (schwierigen) Bußgeldverfahren auf die AG zukommt? Die ganzen Probleme, die es bei der Anwendung des § 142 StGB gibt, wie z.B. Bemerkbarkeit des Unfalls usw., werden dann demnächst beim Bußgeldrichter ausgefochten. Die werden sich freuen. Und ich höre schon den Richterbund nach mehr Stellen rufen.

4. Hat man sich mal Gedanken gemacht, wie das „Vorhaben“ dann mit § 315c Abs. 1 Nr. 1 StGB in Einklang gebracht wird? Da habe ich es doch ggf. auch mit einem reinen Sachschaden zu tun, oder?

4. Hat man sich mal Gedanken gemacht, dass ein weiteres Problem auf die Rechtsprechung zukommt, nämlich die Bemerkbarkeit des Personenschadens. Das entscheidet dann ja demnächst über die Frage „OWi oder Straftat“?

5. Warum geht man nicht einen anderen Weg, um die Luft aus dem § 142 StGB zumindest teilweise herauszunehmen? Warum definiert/konkretisiert man nicht, was eine „nicht unerhebliche Verletzung“ oder ein „bedeutender Schaden“ i.S. des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB ist, ggf. mit eine „Inflationsklausel“. Das würde zwar nicht „entkriminalisieren“, aber sicherlich in einer ganzen Reihe von Fällen die Verfahren vereinfachen.

Also Fragen über Fragen, auf die das BMJ eine Antwort wird geben müssen. Da sitzen ja Experten. Hoffentlicht. Ich meine übrigens nicht den Chef des Hauses.

11 Gedanken zu „Im Gespräch: Entkriminalisierung der Unfallflucht, oder: Der Bundesjustizminister überlegt mal wieder

  1. RichterimOLGBezirkMuenchen

    Meines Erachtens könnte man das Problem des 142 jedenfalls für Sachschaden komplett anderweitig lösen. Strafrecht (-), OWi (-), aber wer abhaut haftet zivilrechtlich einfach zu 100% und die Haftpflicht kommt regressieren. Dann hört das ganz schnell auf mit dem Abhauen 🙂

    Und bei Personenschäden genügt mE 222, 229 StGB plus 44, 69, 69a auch ohne weiteres. Abhauen wäre dort dann einfach ein Zumessungskriterium und ein Indiz für Ungeeignetheit zum Führen von Kfz.

    Man darf doch nicht vergessen, dass 142 StGB allen voran ein zivilrechtliches Haftungsaufklärungsunstrument ist und keinen Selbstzweck hat. Die Integrität des Straßenverkehrs kann die Norm nicht schützen, weil der Unfall ja schon passiert ist. Und 323c StGB gibt es bei erkannten Personenschäden ja auch noch…

    „Ist das zeitgemäß, oder kann das weg?“

    Kann weg. Zusammen mit 265a StGB – ebenfalls reiner Zivilrechtsforderungsschutz,jedenfalls im Personenverkehr…

    Und jetzt einfach alles von der Straftat zur OWi umzumodeln, löst das Personalproblem nicht. Ob ich jetzt als Strafrichter oder als Bußgeldrichter den Vorgang prüfen muss. Kostet ungefähr gleich viel Zeit…

  2. ITler_der_mal_in_ner_Großkanzlei_IT-gemacht_hat

    Wenn es keine Straftat mehr ist, sinkt dann nicht auch das Verfolgungsinteresse bei der Polizei ganz enorm? Wenn man weiß, dass man sich nicht strafbar macht, senkt das nicht ganz gewaltig die Hemmschwelle?

    Das Argument mit der Haftpflicht verstehe ich nicht wirklich. Beim Parkrempler ist man doch ohnehin auf der 100%-Schiene.

  3. Bernd

    Ein Regressanspruch der Haftpflicht läuft in den meisten Fällen doch auch ins Leere, weil es ohnehin günstiger ist, den Schaden selbst zu regulieren.

  4. meine5cent

    @RiOLG:
    Das Problem mit dem Haftpflichtregress gibt es ja ohnehin schon bei einem uE. Und die Regressquote der Versicherer wird kaum zunehmen, wenn es gar keine Ermittlungen zum Verursacher gibt. Der wird einfach nicht gefunden. Also löst eine reine zivilrechtliche Schiene eigentlich nichts.

    @Burhoff
    Zusätzliches Personal wird es bei Verlagerung zum Bußgeldrichter kaum geben, denn das korrespondiert ja dann mit der Entlastung der Strafrichter. Bringt wohl eher Einsparung, immerhin wird der Instanzenzug kürzer, keine Berufung zum LG mehr und am OLG entscheidet idR der Einzelrichter

  5. RA Leif Hermann Kroll

    Lieber Herr Kollege,

    ich halte den Ansatz eines OWi-Verfahren für nicht verkehrt. Es geht hier m.E. nicht um Gerichtsentlastung, sondern Bürgerentlastung, denn wir alle wissen doch, dass bei VU-Flucht oft mit Kanonen auf Spatzen geschossen wird, was aber fatale Folgen hat. Mir stellen sich jedes Mal alle Nackenhaare auf, wenn ich erlebe, wie teilweise gewollte rechtstreue, aber aus Unwissenheit strafbar handelnde Zettel-an-der-Windschutzscheibe-Hinterlasser angeklagt und teilweise bestraft werden, mit Fahrerlaubnisentziehungen, Regress der Rechtsschutzversicherung usw. Für einen Kleinstschaden, der bei aktuellen Werkstattpreisen aber die längst überholte Entziehungsgrenze überschreitet, geht dann der Schaden für die Verurteilten in die Tausende.
    Die StA bietet am Ende trotz fast sicherer Nichtbeweisbarkeit ganz schmutzige und teure 153a-Deals an, weil man keinen Freispruch verantworten möchte. Und vor dem Risiko einer Verurteilung müssen es die Angeklagten eingehen.
    Und nach den Geschäftsverteilungsplänen sind es doch ohnehin dieselben Gerichte, ob OWi oder Strafsache.
    Und der Vergleich mit den Schwarzfahrern hinkt: Wie soll denn die Anarchie verhindert werden, denn der Hartzer einfach gar keinen Fahrschein mehr kauft, weil Geld kann man ihm nicht nehmen und wenn es nicht mehr strafbar ist, dann lebt es sich also völlig ungeniert. Und wenn das eine OWi sein soll, sind es, siehe oben, wieder diesselben Richter und auch wegen einer nicht bezahlten Geldbuße gehts am Ende in den Knast.

  6. RA Leif Hermann Kroll

    inwiefern erledigt? fragen Sie doch mal bitte die Kollegen in Bayern. Da höre ich nach wie vor von Strafbefehlen trotz hinterlassener Zettel. Was ja objektiv auch natürlich strafbar ist, aber den Sinn von 153ff. missachtet.

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