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Auslieferung in die Türkei, oder: Da sind wir ganz, ganz vorsichtig…

entnommen wikimedia.org
Author David Benbennick

Bei der zweiten Auslieferungsentscheidung, die ich heute vorstelle, handelt es sich um den OLG Celle, Beschl. v. 02.06.2017 – 2 AR (Ausl) 44/17. In dem Verfahren ging es um eine Auslieferung in die Türkei, die derzeit ja – vorsichtig ausgedrückt – eine gewisse Brisanz. Und dementsprechend vorsichtig ist das OLG auch, obwohl es sich nach den Beschlussgründen wohl nicht um die Auslieferung wegen eines „politisch motivierten“ Delikts gehandelt hat. Das OLG befürchtet aufgrund der in der Türkei „überfüllten Gefängnis“, dass die „Haftraumbedingungen“ nicht erfüllt sind und lehnt ab. Folgende Leitsätze:e

  1. Die Auslieferung eines Verfolgten zum Zwecke der Strafverfolgung oder Strafvollstreckung in die Türkei ist trotz der dortigen aktuellen politischen Lage nicht grundsätzlich unzulässig.
  2. Angesichts der aktuellen politischen Lage in der Türkei nach dem Putschversuch im Juli 2016 kann derzeit nicht ausgeschlossen werden, dass die dortigen Haftbedingungen den in Art. 3 EMRK verankerten menschenrechtlichen Mindestanforderungen widersprechen.
  3. Solange im Einzelfall keine völkerrechtlich verbindliche Zusicherung vorliegt, dass die den Verfolgten konkret erwartenden Haftbedingungen den europäischen Mindestanforderungen entsprechen, steht der Auslieferung ein Hindernis nach § 73 S. 1 IRG entgegen (Anschluss an KG Berlin, Beschluss vom 17. Januar 2017, – (4) 151 AuslA 11/16 (10/17)-).
  4. Es ist angesichts der Erfahrungen anderer Gerichte im Auslieferungsverkehr mit der Türkei derzeit nicht zu erwarten, dass dieses Auslieferungshindernis zeitnah ausgeräumt werden kann, weshalb bereits die Anordnung der förmlichen Auslieferungshaft nicht in Betracht kommt, solange eine entsprechende völkerrechtlich verbindliche Zusicherung fehlt (Anschluss an KG Berlin, Beschluss vom 17. Januar 2017, – (4) 151 AuslA 11/16 (10/17)-).

Begründung:

„Der Senat vermag die Voraussetzungen für die Anordnung der Auslieferungshaft derzeit angesichts der aktuellen politischen Lage in der Türkei dennoch nicht anzunehmen. Zwar hält der Senat eine Auslieferung an die türkische Republik anders als das OLG Schleswig (Beschluss vom 22. September 2016 – 1 Ausl (A) 45/15 (41/15) -, juris) nicht für grundsätzlich unzulässig. Jedoch geht der Senat davon aus, dass ein der Auslieferung entgegenstehendes Hindernis derzeit nicht ausgeräumt werden kann (in einem vergleichbaren Fall auch KG, B. v. 17.01.2017, (4) 151 AuslA 11/16 (10/17), juris). Angesichts der aktuellen politischen und justiziellen Entwicklungen in der Türkei seit dem Putschversuch vom 15. Juli 2016 und der Verhängung des Ausnahmezustandes ist anzunehmen, dass sich aufgrund der aus der Presse und aus Berichten von nichtstaatlichen Organisationen wie A. I. zu entnehmenden massenhaften Inhaftierungen die Haftbedingungen vor Ort jedenfalls teilweise erheblich verschlechtert haben (OLG München, B. v. 16.08.2016, 1 AR 252/16). Auch wenn dem Senat insoweit keine konkreten Zahlen bekannt sind, ist davon auszugehen, dass eine Vielzahl von Personen innerhalb eines kurzen Zeitraumes inhaftiert worden ist und somit jedenfalls erhebliche Bedenken bestehen, ob die vom Europäischen Menschengerichtshof für erforderlich gehaltenen Haftbedingungen tatsächlich in allen Justizvollzugsanstalten der Türkei derzeit eingehalten werden. Aufgrund der zu vermutenden Haftbedingungen vor Ort könnte der Auslieferung daher langfristig ein Hindernis nach § 73 Satz 1 IRG in Verbindung mit Art. 3 EMRK entgegenstehen (KG a. a. O.). Hinzu kommt, dass die Türkei mit Datum vom 21. Juli 2016 gemäß Art. 15 EMRK eine Deklaration beim Europarat hinterlegt hat und auf diese Weise die in der Europäischen Menschenrechtskonvention niedergeschriebenen Rechte eines Beschuldigten weitestgehend außer Kraft gesetzt hat. Zwar darf ein Vertragsstaat auch in diesem Fall nicht von dem in Art. 3 EMRK niedergelegten Verbot der Folter und unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung abweichen. Jedoch kann der Senat angesichts der geschilderten politischen Lage vor Ort derzeit nicht ausschließen, dass die europäischen Mindeststandards für die Haftbedingungen in der Türkei zurzeit immer eingehalten werden können.“