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Im Strafverfahren frei gesprochen – im Zivilverfahren verurteilt, das geht

© Corgarashu – Fotolia.com

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Mit einem Geständnis ist das häufig so eine Sache. Sicherlich bringt es im Strafverfahren i.d.R. Pluspunkte, aber von einem Geständnis kommt man m.E. nicht mehr runter. Und die „Fernwirkungen“ eines Geständnisses sollte man auch nicht übersehen und vor allem nicht unterschätzen. Und zwar selbst dann nicht, wenn das Geständnis widerrufen worden ist. Denn auch das ist keine Garantie, dass nach dem Widerruf „alles wieder gut ist“. Das zeigt noch einmal sehr deutlich das OLG Koblenz, Urt. v. 04.11.2013 – 12 U 467/13. Geltend gemacht wurde mit der Klage Schadensersatz aus unerlaubter Handlung gegen den Beklagten, de, Brandstiftung vorgeworfen wurde. In einer Vernehmung im Strafverfahren hatte der Beklagte die Brandlegung eingeräumt, war dann später aber frei gesprochen worden. Im Zivilverfahren hatte er behauptet, die von ihm abgegebene geständige Einlassung entspreche nicht der Wahrheit, da sie ausschließlich auf der durch die Vernehmung eingetretenen Stresssituation beruht habe. Tatsächlich habe er den Brand nicht gelegt.

Das hat ihm nichts genutzt. Die Zivilgerichte haben ihn an seinem „Geständnis“ festgehalten. Denn:

„Geständnisse in anderen Verfahren wie z. B. einem Strafverfahren sind im Rahmen der freien Beweiswürdigung als Indiz für die Wahrheit der zugestandenen Tatsachen zu berücksichtigen. Dabei kann ein Geständnis eine so große Beweiskraft entfalten, dass es zur richterlichen Überzeugungsbildung auch dann ausreicht, wenn es widerrufen worden ist.“

Und von großer Beweiskraft ist das OLG u.a. deshalb ausgegangen, weil der Beklagte „Täterwissen“ offenbart habe. Nun möchte man ja gern noch wissen, warum er im Strafverfahren frei gesprochen worden ist

 

Realismus des Verteidigers hilft gegen den Widerruf einer Haftverschonung

© Andy Dean - Fotolia.com

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Immer wieder problematisch und immer wieder zur Aufhebung führen in der Praxis Haftentscheidungen, in denen im Laufe des Verfahrens gewährte Haftverschonungen widerrufen werden. Die Zulässigkeit richtet sich nach § 116 Abs. 4 StPO. Danach müssen neue Umstände vorliegen, welche im Sinne von § 116 Abs. 4 Nr. 3 StPO die Verhaftung erforderlich gemacht hätten. Zu der Frage, was „neu“ ist, gibt es eine umfangreiche Rechtsprechung des BVerfG (vgl.  u.a. Beschl. v. 01.02.2006 – 2 BvR 2056/05, StV 2006, 139 ff.). Danach sind u.a. nachträglich eingetretene oder nach Erlass des Aussetzungsbeschlusses bekannt gewordene Umstände nur dann „neu“ im Sinne des § 116 Abs. 4 Nr. 3 StPO, wenn sie die Gründe des Haftverschonungsbeschlusses in einem so wesentlichen Punkt erschüttern, dass keine Aussetzung bewilligt worden wäre, wenn sie bei der Entscheidung bereits bekannt gewesen wären. Das spielt vor allem eine Rolle, wenn der Widerruf der Haftverschonung damit begründet wird, dass der Angeklagte nun zu einer – hohen – Freiheitsstrafe verurteilt worden ist.

Dazu noch einmal der OLG Düsseldorf, Beschl. v.  06.12.2013 – 2 Ws 584/13. Da war vom LG die Widerrufsentscheidung mit einer inzwischen erfolgten Verurteilung des Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten begründet worden. „Gerettet“ hat die Haftverschonung u.a. die realistische Einschätzung des Verteidigers, auf die er auch im Beschwerdeverfahren hingewiesen hatte:

Dies zugrunde gelegt können nach Erlass des Haftverschonungsbeschlusses neu hervorgetretene Umstände nicht angenommen werden. Ein solcher Umstand liegt nicht in der (nicht rechtskräftigen) Verurteilung des Angeklagten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten. Es ist nicht ersichtlich, dass der Rechtsfolgenausspruch von der Straferwartung, die den Haftverschonungsentscheidungen zugrunde liegt, erheblich zum Nachteil des Angeklagten abwiche. Der Haftbefehl des Amtsgerichts Kleve vom 29. Juni 2013 beinhaltete 35 Fälle des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nach § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG zugrunde. Er stellt ausdrücklich auf den für alle Tatvorwürfe geltenden gesetzlichen Normalstrafrahmen von mindestens fünf Jahren Freiheitsstrafe ab. Die Außervollzugsetzung ist sodann beschlossen worden, nachdem der Angeklagte Aufklärungshilfe geleistet hat. Dass jedenfalls die Kammer damit keine drastische Reduktion der Straferwartung verbunden hat, ist durch den Eröffnungsbeschluss vom 6. November 2013 inklusive seiner Haftentscheidung dokumentiert. Während die Anklage neben drei Vorwürfen nach § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG nur einen Vorwurf des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG beinhaltete, wies die Kammer u. a. auf die Möglichkeit hin, dass der Angeklagte wegen einer alle Betäubungsmittel und Waffen umfassenden Tat des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt werden könnte. Damit ist aber eine Straferwartung verbunden, die trotz der Aufklärungshilfe des Angeklagten nicht unter der ausgeurteilten Strafhöhe liegt. Gleichwohl hat die Kammer nach § 207 Abs. 4 StPO den Außervollzugsetzungsbeschluss aufrecht erhalten und hierdurch den Vertrauenstatbestand zugunsten des Angeklagten vertieft. Die Ausführungen unter Ziffern 1.-4. sowie 7. des Nichtabhilfebeschlusses der Kammer vermögen demnach die Verhaftung des Beschwerde-führers nicht zu rechtfertigen.

Es ist auch nicht festzustellen, dass der Angeklagte gleichwohl hinreichend sicher von einer deutlich niedrigeren Strafe ausgegangen wäre. Sein Verteidiger hatte ihn ausweislich der mit der Beschwerde vorgelegten E-Mail vom 13. November 2013 auf eine denkbare Strafe von sieben oder acht Jahren hingewiesen, sofern die rechtliche Würdigung der Kammer im Eröffnungsbeschluss zuträfe. Unter Berücksichtigung des gesamten Verfahrensganges spricht somit alles dafür, dass dem Angeklagten die Möglichkeit einer Strafe wie verhängt durchaus vor Augen stand. Die gegenteilige Annahme, die sicherlich nicht auf den Schlussantrag des Verteidigers gestützt werden kann, müsste eine bloße Mutmaßung bleiben. Eine solche wäre unzureichend (vgl. BVerfGK 19, 439 ff. Rn. 51). Dass durch das Urteil der Kammer gewiss die Hoffnung des Angeklagten auf eine geringere Strafe enttäuscht worden ist, genügt für seine Verhaftung nach dem oben Ausgeführten nicht.

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Widerruf von Strafaussetzung wegen Fahrlässigkeitstat, geht das?

© AllebaziB - Fotolia.com

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Der Verurteilte steht u.a. wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis und eines Verstoßes gegen das BtM-Gesetz unter (Reststrafen)Bewährung. Es kommt zu einer neuen Verurteilung wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis, allerdings wegen einer Fahrlässigkeitstat. Es wird widerrufen und das KG sagt auf die Beschwerde des Veurteilten im KG, Beschl. v. 14. 10.20013 – 2 Ws 494-495/13: Das geht:

b) Die neue Tat ist als Widerrufsgrund geeignet. Nach der ständigen Rechtsprechung des Kammergerichts genügt dafür jede in der Bewährungszeit begangene Tat von einigem Gewicht (vgl. Senat, Beschlüsse vom 10. Oktober 2008 – 2 Ws 494/08 – und vom 15. Juni 2005 – 5 Ws 285/05 – juris – jeweils mit weit. Nachweisen). Die verhängte Freiheitsstrafe von sechs Monaten bringt die Erheblichkeit des abgeurteilten Sachverhalts hinreichend zum Ausdruck. Somit kann die neue Tat auch nicht als eine für die Sozialprognose bedeutungslose Bagatelltat gewertet werden. Allerdings schließen Fahrlässigkeitstaten eine günstige Prognose regelmäßig dann nicht aus, wenn sie in keinem inneren Zusammenhang mit den Taten stehen, die der Strafaussetzung zugrunde lagen (vgl. Senat, Beschluss vom 20. März 2002 – 5 Ws 46/02 – mit weit. Nachweisen). Zur Feststellung eines etwaigen inneren Zusammenhangs bedarf es einer eingehenden Würdigung aller Umstände der abgeurteilten Taten sowie der neuen Tat. (vgl. Senat a.a.O.). Hier tritt der innere Zusammenhang – trotz der abweichenden subjektiven Tatseite – schon in der Gleichartigkeit der Taten hervor. Der Beschwerdeführer ist seit seinem 18. Lebensjahr bereits vielfach wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis und anderer Verkehrsdelikte in Erscheinung getreten und musste deshalb auch bereits eine Freiheitsstrafe – zumindest teilweise – verbüßen. Gegen ihn wurden wiederholt Sperrfristen für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis angeordnet. Gegenüber dem Bewährungshelfer hatte er im Übernahmegespräch im Januar 2010 erklärt, nunmehr eine Fahrerlaubnis erlangt zu haben. Aus welchem Grund ihm diese vor Begehung der Anlasstat wieder entzogen worden ist, lässt sich den Akten nicht entnehmen. Insgesamt betrachtet, zeugt sein Verhalten von einer eingeschliffenen Neigung, die zum Schutz des Straßenverkehrs erlassenen Rechtsvorschriften zu missachten. Diese Neigung ist – auch unter Berücksichtigung der diesbezüglichen Einlassung des Beschwerdeführers – in der Anlasstat erneut zum Ausdruck gekommen und begründet dadurch den inneren Zusammenhang zumindest mit den Taten aus dem Urteil vom 14. September 2005.“

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Automatismusverfahren?

© froxx - Fotolia.com

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In Verfahren betreffend den Widerruf von Strafaussetzung zur Bewährung wird häufig nach einem „Automatismusverfahren“ verfahren, nämlich nach dem Motto: Neue Straftat = Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung. Dass das so nicht richtig ist, zeigt der LG Duisburg, Beschl. v. v. 10.09.2013 – 3A Qs-936 Js 39262/08-20/13 – auf. Da war der Angeklagte in laufender Bewährung erneut straffällig geworden. Die dafür verhängte Strafe hatte er zu 2/3 verbüsst, der Rest war zur Bewährung ausgesetzt worden. Dennoch hat das AG die Bewährung aus der ersten Verurteilung widerrufen. Dazu das LG:

Die Notwendigkeit eines Widerrufs ist jedoch nicht isoliert nach der neuen Straftat zu beurteilen, sondern es ist bei der nunmehr zu treffenden Sozialprognose auch die weitere Entwicklung des Verurteilten nach diesen Taten zu berücksichtigen, weshalb neue Straftaten nicht zwingend zum Widerruf der Strafaussetzung führen und einer günstigen Prognose nicht durchweg entgegen stehen (vgl. BGH, NStZ 2010, 83). Vorliegend war zu berücksichtigen, dass gegen den Verurteilten zwischenzeitlich die Strafe aus dem Urteil des Landgerichts Duisburg vom 08.11.2012 zu zwei Dritteln vollstreckt worden ist, was die Erwartung begründet, dass der Verurteilte unter dem Eindruck einer vollstreckten Freiheitsstrafe und der zusätzlichen Strafaussetzung zur Bewährung hinsichtlich des Strafrests keine weiteren Straftaten mehr begehen wird. Die Kammer schließt sich insoweit der Prognose an, die die 1. große Strafkammer des Landgerichts Duisburg in ihrem Beschluss vom 16.11.2012 hinsichtlich der Aussetzung der Vollstreckung des Rests der Strafe aus ihrem Urteil vom 08.11.2012 getroffen hat. Neben der Teilvollstreckung der gegen ihn verhängten Freiheitsstrafe war zudem zu berücksichtigen, dass alle Taten bereits lange Zeit zurückliegen und der Verurteilte seit fast 2 Jahren strafrechtlich nicht wieder in Erscheinung getreten ist.

 

Bewährungswiderruf? Jein!, oder: Nicht mit der einen Hand genommen, was mit der anderen Hand bekommen.

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Eine in meinen Augen „weise Entscheidung“, die der OLG Hamm, Beschl. v. 24.07.2012  1 Ws 322/12 – betreffend einen Widerruf von Strafaussetzung zur Bewährung getroffen hat.

Nach dem Sachverhalt ist der Verurteilte  zu einer Freiheitsstrafe zur Bewährung verurteilt worden, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird. Es kommt in laufender Bewährungszeit zu einer neuen Straftat, die zu einer neuen Verurteilung führt. Es wird das Vorliegen der Voraussetzungen des § 35 BtMG bejaht. Die Vollstreckung dieser Freiheitsstrafe wird dann auch gem. § 35 BtMG zurückgestellt. Die Strafvollstreckungskammer widerruft aber dennoch die Bewährung aus der ersten Verurteilung. Die Zurückstellung der Strafe aus dem zweiten Urteil gem. § 35 BtMG spreche nicht gegen den Widerruf, da der Verurteilte die zunächst begonnene Therapie abgebrochen und der Erfolg der -seinerzeit noch geplanten- Therapie in der Therapieeinrichtung ungewiss sei. Im Fall des rechtskräftigen Widerrufs der Reststrafe stehe es dem Verurteilten indes frei, auch auf Zurückstellung der Strafe aus dem ersten Urteil gem. § 35 BtMG anzutragen.

Das OLG Hamm kommt zur Zurückstellung des Widerrufs der Strafe aus der ersten Verurteilung für die Dauer der Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 BtMG betreffend die zweite Verurteilung.

Zwar liegen die Voraussetzungen für einen Widerruf der Strafaussetzung gem. § 56f Abs. 1 Nr. 1 StGB aufgrund der unmittelbar in Anschluss an die Strafaussetzung begangenen einschlägigen Straftaten des Verurteilten unzweifelhaft vor, wie die Strafvollstreckungskammer zutreffend erkannt hat. Der Widerruf der Strafaussetzung kommt jedoch nicht in Betracht, wenn mildere Mittel gem. § 56f Abs. 2 StGB ausreichend sind. Hiermit setzt sich die Strafvollstreckungskammer nicht hinreichend auseinander. Das wäre aber vorliegend erforderlich gewesen, weil es nahe lag, dem Verurteilten entweder eine Therapieweisung zur Fortsetzung der begonnenen Langzeitentwöhnungsbehandlung zu erteilen oder aber jedenfalls vom Widerruf zum jetzigen Zeitpunkt abzusehen.

 Nach allgemeiner Ansicht müssen einschlägige Rückfalltaten Drogen- oder Alkoholabhängiger einer günstigen Sozialprognose nicht zwingend entgegen stehen, wenn neue tatsächliche Umstände vorliegen, die geeignet sind, die Möglichkeit der Wiedereingliederung im Einzelfall günstig zu beeinflussen (OLG Hamm, B. v. 20.05.2008, 5 Ws 172 und 173/08; OLG Schleswig B. v. 25.04.2008, 2 Ws 164/08, StraFo 2008, 344; OLG Celle, B. v. 14.02.2012, 1 Ws 54/12, zit. bei JURIS Rdnr 5ff, Fischer, 59. Aufl. § 56f Rdnr 14, jew. m.w.N.). Eine stationäre Drogenlangzeittherapie gemäß § 35 BtMG ist in der Regel als günstige Möglichkeit der Wiedereingliederung Drogenabhängiger in die Gesellschaft anzusehen (KG Berlin, B. v. 02.04.2001, 5 Ws 167/01; OLG Düsseldorf, B. v. 09.12.1996, 1 Ws 1061/96, StV 1998, 215, jew. zit. nach JURIS). Dies gilt insbesondere dann, wenn die Drogenabhängigkeit des Verurteilten noch nicht lange andauert, die Verbüßung von Freiheitsstrafe erstmalig bevorsteht und stationäre Langzeittherapiemaßnahmen bislang noch nicht stattgefunden haben (KG a.a.O.; OLG Düsseldorf a.a.O.).

Und die günstige Sozialprognose hat das OLG aufgrund der Umstände des Einzelfalls bejaht. M.E. zutreffend: Denn sonst würde mit der einen Hand genommen, was der Verurteilte mit der anderen Hand bekommen hat. Die Chance der Wiedereingliederung.