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„Verständigungsreue“, oder: „Der Angeklagte hat nicht geliefert….“

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Heute dann mal ein paar Entscheidungen aus der BGH-Rechtsprechung. Beginnen will ich mit dem BGH, Beschl. v. 01.12.2016 – 3 StR 331/16 – zu einer  Abspracheproblematik, mit der man immer mal wieder zu tun hat. Nämlich die „Verständigungsreue“ der StA, die sich von einer getroffenen Absprache lösen will. Der BGH sagt: Geht so (einfach) nicht:

„2. Mit der Stoßrichtung, die Strafkammer habe verkannt, dass sich die Staatsanwaltschaft „in zulässiger Weise (…) durch Widerruf von der Verständigung gelöst“ habe, hat die Rüge einer Verletzung von § 257c Abs. 3 Satz 4, Abs. 4 StPO ebenfalls keinen Erfolg. Insoweit gilt:

a) Nach Zustandekommen einer Verständigung durch Zustimmung des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft zu dem Vorschlag des Gerichts (§ 257c Abs. 3 Satz 4 StPO) kann die Staatsanwaltschaft diese nachträglich nicht wieder einseitig zu Fall bringen, auch dann nicht, wenn sie die Voraussetzungen von § 257c Abs. 4 Satz 1 oder 2 StPO als gegeben ansieht (BGH, Urteil vom 21. Juni 2012 – 4 StR 623/11, BGHSt 57, 273, 278 mwN; El-Ghazi, JR 2012, 406, 409; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 257c Rn. 25; zweifelnd KK-Moldenhauer/Wenske, StPO, 7. Aufl., § 257c Rn. 34). Aus der von der Staatsanwaltschaft zitierten verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung (BVerfG, Beschluss vom 21. April 2016 – 2 BvR 1422/15, NStZ 2016, 422) ergibt sich nichts anderes. In der zitierten Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht zwar ausgeführt, dem gesetzlichen Regelungskonzept der Verständigung sei die Annahme des Erfordernisses eines Rechtsbindungswillens in dem Sinne, dass sich die Beteiligten unwiderruflich und endgültig zu einer Handlung oder Entscheidung verpflichten müssten, jedenfalls fremd (BVerfG aaO, S. 424). Dabei hat es sich indes nur mit der Frage befasst, ob auch solche Prozesshandlungen, die ihrerseits wieder rückgängig gemacht werden können, wie etwa die Erklärung der Staatsanwaltschaft, Anträge auf Einstellung des Verfahrens gemäß § 154 Abs. 2 StPO zu stellen, oder der Verzicht auf oder die Rücknahme von bereits gestellten Beweisanträgen Gegenstand einer Verfahrensabsprache im Sinne von § 257c Abs. 2 Satz 1 StPO sein können, und dies bejaht (BVerfG aaO, S. 423 f.). Eine Aussage dazu, dass die Staatsanwaltschaft – wie hier – etwa durch den Widerruf ihrer Zustimmung zu der Verständigung deren Wirkungen zu Fall bringen bzw. das Gericht dazu zwingen kann, von der Absprache Abstand zu nehmen, lässt sich der Entscheidung hingegen nicht entnehmen.

Vielmehr hat auch das Bundesverfassungsgericht hervorgehoben, dass das Gesetz in § 257c Abs. 4 StPO (nur) für das Gericht grundsätzlich eine ausdrückliche Bindungswirkung vorsieht (BVerfG aaO, S. 424). Die durch eine zu-stande gekommene Verständigung eingetretene Bindungswirkung entfällt weder durch den „Widerruf“ der Staatsanwaltschaft noch kraft Gesetzes, vielmehr bedarf es dazu einer Entscheidung durch das Tatgericht, wenn und soweit es die Voraussetzungen des § 257c Abs. 4 Satz 1 oder 2 StPO bejaht (BGH, Urteil vom 21. Juni 2012 – 4 StR 623/11, BGHSt 57, 273, 278 f. mwN).

Danach trat durch den „Widerruf“ der Staatsanwaltschaft bzw. durch ihre Erklärung am letzten Tag der Hauptverhandlung, dass der Verständigungsvorschlag betreffend die Angeklagten K. , H. und B. „hinfällig“ sei, für sich genommen keine Rechtswirkung ein, die ein Festhalten des Gerichts an der Verständigung ausschloss oder in sonstiger Weise aus sich heraus zu einer Verfahrensfehlerhaftigkeit der Absprache führte.

b) Ungeachtet dessen konnte die Staatsanwaltschaft – wie geschehen – ihre Auffassung zu Gehör bringen, die von den Angeklagten abgegebenen Einlassungen hätten nicht dem bei dem Verständigungsvorschlag prognostizierten Prozessverhalten entsprochen. Die Prüfung und Entscheidung darüber, ob deshalb die Bindungswirkung der Verständigung zu entfallen hatte, oblag indes allein dem Landgericht (vgl. BGH aaO), das jedoch zu der Annahme gelangt war, das Einlassungsverhalten der Angeklagten entspräche seiner Prognose im Zeitpunkt des Verständigungsvorschlags, weil es sich jeweils um eine „noch – geständige Einlassung im Sinne der Verständigung“ gehandelt habe.“

„Verständigungsreue“ passt also nicht so ganz. War eher: Der Angeklagte hat nicht geliefert….

Telefonieren in der U-Haft, oder: Keine Gespräche mehr mit „Mutti“

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Untersuchungshaftgefangene benötigen für Telefonate eine Telefonerlaubnis. Die wird vom Gericht „erteilt/ausgesprochen, wenn keine Bedenken gegen das Telefonat bestehen. Frage: Was ist, wenn sich nach Erteilung einer Telefonerlaubnis herausstellt, dass die Voraussetzungen für die Zustimmung weggefallen sind. Nun, dann kann die erteilte Zustimmung widerrufen werden. So der OLG Celle, Beschl. v. 08.09.2016 – 1 Ws 434/16:

„c) Der Vorsitzende des Schwurgerichts hat zu Recht seine Zustimmung zur Erteilung einer Erlaubnis für Telefonate des Angeschuldigten mit seiner Mutter unter deren Festnetznummer versagt und eine vor Anklageerhebung von der Staatsanwaltschaft Hildesheim – auf der Basis einer Zuständigkeitsübertragung nach § 134 Abs. 3 Satz 1 NJVollzG – erteilte Zustimmung für Telefonate des Angeschuldigten mit seiner Mutter unter deren Mobiltelefonnummer widerrufen. Denn es sind neue Umstände zu Tage getreten, die befürchten lassen, dass der Angeschuldigte Telefongespräche unter Verwendung der Telefonanschlüsse seiner Mutter zu Verdunkelungshandlungen nutzen wird.

Die Lebensgefährtin des Angeschuldigten, die Zeugin S. V., die bei der mutmaßlichen Tat des Angeschuldigten zugegen war und damit als unmittelbare Tatzeugin in Betracht kommt, hat in einem Brief an dem Angeschuldigten verklausuliert vorgeschlagen, sie und der Angeschuldigte sollten sich nach außen hin als Verlobte gerieren. Sie hat damit implizit vorgeschlagen, der Angeschuldigte möge dazu beitragen, dass sie unter Berufung auf ein ihr zuzubilligendes Zeugnisverweigerungsrecht eine Aussage vor Gericht vermeiden und eine Unverwertbarkeit ihrer gegenüber der Polizei gemachten Angaben erreichen könne. Der Inhalt eines Briefes des Angeschuldigten an S. V. mit der Formulierung, „… aber es war nicht so und du warst dabei und hast es gesehen,“ belegt jedenfalls eine Einflussnahme auf die Zeugin und begründet den Verdacht einer versuchten Anstiftung zu einer Falschaussage. Damit besteht die tatsachenfundierte Besorgnis, dass die Zeugin V. und der Angeschuldigte Kontakte zu verdunkelnden Absprachen nutzen werden.

Zwar bezieht sich die erteilte Telefonerlaubnis auf Gespräche des Angeschuldigten mit seiner Mutter und soll sich auch die neu erstrebte weitere Telefonerlaubnis auf Gespräche des Angeschuldigten mit seiner Mutter erstrecken. Jedoch hat die Zeugin V. in einem weiteren Brief an den Angeschuldigten vom 12. August 2016 erklärt, sie werde das nächste Mal hoffentlich einen Anruf des Angeschuldigten mitbekommen, weil sie am nächsten Tag zu seiner Mutter gehen werde. Diese Angabe der Zeugin V. begründet – wie der Vorsitzende des Schwurgerichts zu Recht angenommen hat – die weitere Besorgnis, dass die Zeugin V. bei Telefonaten des Angeschuldigten mit seiner Mutter anwesend ist beziehungsweise selbst mit dem Angeschuldigten unter Nutzung von Telefonanschlüssen der Mutter des Angeschuldigten telefoniert. Damit besteht die Befürchtung, dass die Telefonerlaubnisse, um die es vorliegend geht, für Verdunkelungsabsprachen zwischen dem Angeschuldigten und der Zeugin V. genutzt werden. Dabei ist naheliegend, dass solche Gespräche in Kenntnis und mit Billigung der Mutter des Angeschuldigten geführt werden. Vor diesem Hintergrund sind ungeachtet des Umstandes, dass Kontakte zwischen dem Angeschuldigten und seiner Mutter unter dem besonderen Schutz von Art. 6 Grundgesetz stehen, die Versagung und der Widerruf der Zustimmung zu Telefonerlaubnissen nicht nur rechtlich statthaft, sondern auch in der Sache geboten.

Durch eine akustische Gesprächsüberwachung könnte die begründete Befürchtung von Verdunkelungsaktivitäten nicht hinreichend abgewendet werden, weil bei einer akustischen Gesprächsüberwachung in der Regel erst im Anschluss an eine bereits erfolgte Absprache und damit erst zu spät reagiert werden könnte (vgl. insofern OLG Celle, Beschluss vom 24. November 2009 – 2 Ws 276/09, NStZ-RR 2010, 159).

Ohne Bedeutung ist im vorliegenden Zusammenhang, dass der Haftbefehl nicht auf Verdunkelungsgefahr gestützt ist; Maßnahmen zur Vermeidung von konkret zu befürchtenden Verdunkelungshandlungen können auch in einem solchen Fall ergriffen werden (OLG Celle, Beschluss vom 24. November 2009 – 2 Ws 276/09, NStZ-RR 2010, 159; OLG Celle, Beschluss vom 24. März 2016 – 1 Ws 28/16; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl. 2015, § 119 Rn. 5).“

 

Für den Fachanwalt: Es wird Zeit für die Fortbildung, sonst droht Widerruf

entnommen wikimedia.org Urheber Photo: Andreas Praefcke

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Was bringt man am Tag der Deutschen Einheit bzw., welche Entscheidungen bieten sich für die Berichterstattung an? Dass an einem Feiertag nur zwei Postings kommen, liegt auf der Hand. Am Besten wäre natürlich etwas Staatstragendes, nur ist das nicht so einfach, dazu etwas zu finden. Und da bin ich dann auf eine (weitere) „Fortbildungsentscheidung“ des BGH gestoßen. Im Moment haben die m.E. beim BGH einen Lauf; ich erinnere da nur an das BGH, Urt. v. 18.07.2016 – AnwZ (BrfG) 46/13 und dazu Qualitätssicherung beim Fachanwalt, oder: Was kann/darf/muss in der Fortbildung drin sein?.

Heute geht es um den BGH, Beschl. v. 09.08.2016 – AnwZ (Brfg) 13/16. Der passt zeitlich ganz gut, denn er behandelt die Folgen einer verspäteten Erfüllung der Fortbildungsverpflichtung des Fachanwaltes. Und immerhin schreiben wir ja schon Anfang Oktober.Da wird es für 2016 allmählich Zeit mit Fortbildung.

Im entschiedenen Fall ging es um einen Fachanwalt für Strafrecht, bei dem die Erlaubnis zur Führung des Fachanwaltstitels widerrufen worden war, weil er keine Fortbildung für das Jahr 2014 nachgewiesen hatte. Dagegen hatte der Fachanwalt geklagt und beim AGH NRW verloren. Die Berufung dagegen hatte beim BGH keinen Erfolg:

„2. Der Kläger beruft sich weiter auf den Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Er behauptet, die Fortbildungspflicht erfüllt, nämlich im Jahre 2015 zehn Fortbildungsstunden nachgewiesen zu haben.

Dieser Vortrag ist nicht geeignet, die Richtigkeit des anzufechtenden Urteils in Zweifel zu ziehen. Der Anwaltsgerichtshof ist von fünf Fortbildungsstunden ausgegangen, welche der Kläger nach Zustellung des Widerrufsbescheids im Oktober 2015 absolviert hatte. Auf die Rechtmäßigkeit des zuvor ergangenen, die Fortbildungspflicht im Jahre 2014 betreffenden Bescheides hatten sich diese fünf Stunden nicht ausgewirkt. Gleiches gilt, soweit der Kläger später noch weitere Fortbildungsveranstaltungen besucht haben sollte. Der Tatbestand der Nichterfüllung der Fortbildungspflicht stand mit Ablauf des Jahres 2014 fest (vgl. BGH, Urteil vom 8. April 2013 – AnwZ (Brfg) 16/12, NJW 2013, 2364 Rn. 10; Beschluss vom 5. Mai 2014 2014 – AnwZ (Brfg) 76/13, AnwBl. 2014, 755 Rn. 10). Für Ereignisse, die erst nach Erlass des Bescheides eingetreten sind, kann dies jedoch nicht gelten.

Soweit der Kläger meint, die Beklagte sei verpflichtet gewesen, eine ausreichende Zahl von Fortbildungsveranstaltungen anzubieten, trifft dies nicht zu. Weder die Bundesrechtsanwaltsordnung noch die Fachanwaltsordnung sehen eine entsprechende Pflicht der Kammern vor.“

Der Kläger/Fachanwalt hat im Übrigen inzwischen auf die Führung der Bezeichnung „Fachanwalt für Strafrecht“ verzichtet. Damit erledigt sich für ihn die Fortbildungsverpflichtung.

Wer lügt, bekommt keine PKH

HammerWer lügt, bekommt keine PKH. So lässt sich der OLG Hamm, Beschl. v. 14.11.2014 – 9 U 165/13 – kurz und knapp zusammenfassen. Ergangen ist er in einem Verfahren, in dem der Kläger eine Schadensersatzklage gegen einen Unfallgegner anhängig gemacht hatte, der ihm angeblich auf seinen Pkw aufgefahren sein sollte. Also ein „manipulierter Unfall“. Für das Verfahren war dem Kläger PKH gewährt worden. Die ist vom OLG jetzt widerrufen worden, nachdem sich im Verfahren herausgestellt hatte, dass der Kläger den Unfall selbst provoziert hat. Die Klageabweisung ist rechtskräftig. Zum Widerruf der PK, der für die 1. und die Berufungsinstanz erfolgte, führt das OLG aus:

„Das Gericht kann die Bewilligung von Prozesskostenhilfe gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 1 ZPO aufheben, wenn die Partei durch unrichtige Darstellung des Streitverhältnisses die für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe maßgebenden Voraussetzungen vorgetäuscht hat. Als Gericht der Hauptsache kann der Senat auch über die Aufhebung der Bewilligung der in erster Instanz gewährten Prozesskostenhilfe entscheiden.

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Der unzulässige doppelte Bewährungswiderruf

© M. Schuppich - Fotolia.com

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Liegt an sich auf der Hand: Einen doppelten Bewährungswiderruf gibt es nicht, so das KG im KG, Beschl. v. 31.07.2014 – 2 Ws 279/14. In dem Verfahren hatte – was in der Praxis nicht selten ist – ein unzuständiges Gericht die Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen. Das war dann aufgefallen und die Sache war dann an das zuständige Gericht abgegeben worden. Das hatte die Bewährung dann gleich noch einmal widerrufen. Nun – so das KG – das geht nicht:

„Die angefochtene Entscheidung leidet unter einem Verfahrensmangel, der zu ihrer Aufhebung zwingt.

Zwar ist die Strafvollstreckungskammer grundsätzlich gemäß §§ 462a Abs. 1 Satz 1, 453 StPO für die Entscheidung über den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung zuständig, wenn – wie hier – gegen den Verurteilten zum Zeitpunkt der zu treffenden Entscheidung eine Freiheitsstrafe vollstreckt wird (vgl. Senat NStZ 2007, 422). Dies gilt jedoch nicht, wenn das Gericht des ersten Rechtszugs – wenn auch nur in irrtümlicher Annahme seiner Zuständigkeit – bereits eine entsprechende Entscheidung erlassen hat, mag diese auch noch nicht zugestellt oder rechtskräftig sein. In diesem Fall ist es der Strafvollstreckungskammer solange verwehrt, erneut in der Sache zu entscheiden, wie die vorangegangene (fehlerhafte) Entscheidung existent ist. Es gilt insoweit nichts anderes als für die doppelte Anhängigkeit ein und derselben Sache bei verschiedenen Gerichten, die ein von Amts wegen zu beachtendes Prozesshindernis begründet.

Vorliegend wird das Amtsgericht seinen Widerrufsbeschluss nun noch einmal ordnungsgemäß zuzustellen haben. Erst wenn der Verurteilte gegen diese Entscheidung Rechtsmittel einlegt und das Beschwerdegericht sie aufhebt, ist der Weg für eine Beschlussfassung durch die Strafvollstreckungskammer frei.“