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StGB I: Ein „Knast für Quarantäne-Verweigerer“, oder: Verharmlosen von NS-Verbrechen?

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Ich mache heute dann mal wieder einen StGB-Tag. Also Entscheidungen zum StGB, und zwar alles sog. Äußerungsdelikte.

Ich beginne mit dem BayObLG, Beschl. v. 21.03.2023 – 203 StRR 562/22. AG und LGhaben den Angeklagten wegen Volksverhetzung verurteilt. Das BayObLG hebt wegen nicht ausreichender Feststellungen für Verurteilung des Angeklagten wegen Volksverhetzung nach § 130 Abs. 3 StGB auf:

„Nach § 130 Abs. 3 StGB macht sich strafbar, wer eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung der in § 6 Abs. 1 des Völkerstrafgesetzbuches bezeichneten Art in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich oder in einer Versammlung billigt, leugnet oder verharmlost. Das Merkmal des Verharmlosens ist erfüllt, wenn der Äußernde die Anknüpfungstatsachen für die Tatsächlichkeit der NS-Gewalttaten herunterspielt, beschönigt, in ihrem wahren Gewicht verschleiert oder in ihrem Unwertgehalt bagatellisiert oder relativiert (BGH, Urteil vom 22. Dezember 2004 – 2 StR 365/04 –, juris Rn. 24; Krauß in Laufhütte u.a., StGB Leipziger Kommentar, 12. Aufl. 2009, § 130 Volksverhetzung Rn. 107). Der Täter muss in qualitativer oder quantitativer Hinsicht Art, Ausmaß, Folgen oder Unrechtsgehalt einzelner oder die Gesamtheit nationalsozialistischer Gewaltmaßnahmen herunterspielen (vgl. Krauß a.a.O.).

Ein solches Relativieren und Bagatellisieren ist durch die Feststellungen des Landgerichts nicht belegt. Danach postete der Angeklagte am 15. Januar 2021 in die Telegram-Gruppe „dd2_Plz91“, zugänglich für 148 Teilnehmer der Gruppe, zu angeblichen Plänen des Freistaates Sachsen, einen „Knast für Quarantäne-Verweigerer“ einzurichten, als Reaktion auf den Kommentar einer Nutzerin, dass dies gar nicht schlimm sei, folgenden Beitrag: „Ja, evtll gibt es dort auch Duschräume und Impfzentren. Wahrscheinlich auch gestreifte Einheitskleidung. Wenn ich der Staat wäre würde ich solche Lager mit Bahnanbindung bauen“. Das Landgericht hat in dieser Äußerung eine vergleichende Gegenüberstellung der Judenverfolgung und -vernichtung in den Konzentrationslagern unter der Herrschaft des Nationalsozialismus einerseits und möglichen politischen Maßnahmen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie gesehen, wodurch der Angeklagte die Judenvernichtung gröblich herabgesetzt und verharmlost hätte.

Auf der Grundlage der Feststellungen zum Wortlaut der Äußerungen konnte das Landgericht hier nach der verfassungsmäßig gebotenen Auslegung der vom Angeklagten verwendeten Formulierungen jedoch nicht ohne weiteres von einer Verharmlosung der Judenverfolgung und Judenvernichtung ausgehen. Zwar hat das Bayerische Oberste Landesgericht einen Vergleich der Stimmung gegen die AfD und ihre Mitglieder mit dem nationalsozialistischen Völkermord von bis zu 6 Millionen Juden als Volksverhetzung angesehen, weil durch die Gleichsetzung von bloßen Befindlichkeiten und Belästigungen mit dem Holocaust den Verbrechen des nationalsozialistischen Unrechtsstaates deren Dimension abgesprochen und ihr Unrechtsgehalt beschönigt wurde (vgl. BayObLG, Beschluss vom 25. Juni 2020 – 205 StRR 240/20 –, juris; ähnlich Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Entscheidung vom 5. Juli 2022 – 1854/22 –, juris Rn. 12). Ob dies indes der Zielsetzung des Angeklagten entsprach, ist den bislang getroffenen Feststellungen nicht hinreichend zu entnehmen. Vielmehr kann es auch das Ziel der Anspielungen auf Duschräume, Einheitskleidung und Bahnanbindung gewesen sein, den Freistaat Sachsen zu bezichtigen, im Zusammenhang mit der pandemischen Lage Internierungslager einzurichten, in denen Ungeimpfte und erkrankte Personen entrechtet, entmenschlicht und eventuell auch getötet würden, also das Bundesland mit dem Verdacht eines schimpflichen faschistischen Verhaltens zu überziehen. Dies würde nicht den Tatbestand von § 130 Abs. 3 StGB erfüllen. In der Darstellung eines Bundeslandes als Unrechtsstaat, der sogar die Ermordung ihm unliebsamer Personen organisiert, könnte indes – auch unter Berücksichtigung der Reichweite von Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG – eine nach § 90a StGB tatbestandsmäßige Verunglimpfung eines Staatswesens in der Gesamtheit zu sehen sein (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Februar 2002 – 3 StR 446/01 –, juris Rn. 7; BayObLG, Beschluss vom 23. Oktober 1995 – 3 St 3/95 –, juris, unter 2b aa; BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 28. November 2011 – 1 BvR 917/09-, juris Rn. 24; Steinsiek in Laufhütte u.a., StGB Leipziger Kommentar, 13. Aufl. 2021, § 90a Rn. 10; Steinmetz in Münchener Kommentar, StGB, 4. Aufl., § 90a Rn. 11). Denn es ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, dass in der Gleichsetzung der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihr angehörenden Landes mit einem faschistischen Staat eine Beschimpfung im Sinn von § 90a Abs. 1 Nr. 1 StGB gesehen wird (BVerfG, Kammerbeschluss vom 29. Juli 1998 – 1 BvR 287/93 –, juris Rn. 43).

Aufgrund der festgestellten Mängel war das Urteil des Landgerichts mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben (§ 349 Abs. 4, § 353 StPO). Da nicht auszuschließen ist, dass weitergehende Feststellungen getroffen werden können, die eine Verurteilung des Angeklagten nach § 130 Abs. 3 StGB oder nach § 90a Abs. 1 und 3 StGB tragen, ist die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen (354 Abs. 2 StPO). Dem neuen Tatrichter obliegt es dabei, nicht nur den Wortlaut, sondern auch den Sinn und den politischen Hintergrund der potentiell strafrechtlich erheblichen Äußerung festzustellen.

Die Rückverweisung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth erfolgt trotz des Umstandes, dass hier auch eine Verurteilung nach § 90a Abs. 3 StGB im Raum steht und damit eine Zuständigkeit der Staatsschutzkammer nach § 74a Abs. 1 Nr. 2 GVG in Betracht kommen könnte. Denn für die Zuständigkeit im Berufungsverfahren ist nach § 74 Abs. 3 GVG ausschließlich ausschlaggebend, welches Gericht in erster Instanz entschieden hat (BayObLG, Urteil vom 8. Dezember 2022 – 206 StRR 220/22 –, juris Rn. 12; Gericke in KK-StPO, 8. Aufl., § 355 Rn. 6). Eine zulässige Verfahrensrüge der Verletzung von § 328 Abs. 2 StPO hat der Angeklagte nicht erhoben.

StGB I: Angriffe auf Gendern und Homosexualität, oder: Auch ein Pastor darf nicht alles sagen

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Ich mache heute dann einen StGB-Tag, und zwar mit drei ein wenig ungewöhnlichen Entscheidungen, zumindest nichts, was man so täglich liest.

Die Berichterstattung eröffne ich mit dem OLG Bremen, Urt. v. 23.02.2023 – 1 Ss 48/22. Das OLG hat in der Entscheidung umfangreich zur Volksverhetzung (§ 130 StGB) Stellung genommen.Vorgworfen worden ist dem Angeklagten, einem Pastor, ein Eheseminar vor etwa 30 Ehepaaren in seiner Gemeinde gehalten und die Audio-Datei des Eheseminars auf einer Internetplattform online eingestellt habe, wobei er sich wie folgt über Gender und Homosexuelle geäußert habe:

„Der ganze Genderdreck ist ein Angriff auf Gottes Schöpfungsordnung, ist zutiefst teuflisch und satanisch.“

„Ich komme nochmal später drauf, Homosexualität, dass das alles Degenerationsformen von Gesellschaft sind, die ihre Ursache darin haben, in der Gottlosigkeit.“

„Diese Homo-Lobby, dieses teuflische, kommt immer stärker, immer massiver, drängt immer mehr hinein. Das ist so sukzessive, die fressen immer ein Ding, immer mehr weg.“

„Echt, überall laufen diese Verbrecher rum, von diesem Christopher-Street-Day.“

Das AG hat den Pastor zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Das LG hat das Urteil aufgehoben und den Angeklagten aus rechtlichen Gründen freigesprochen.Wegen weiterer tatsächlicher Feststellungen verweise ich auf den verlinkten Volltext.

Das LG hat seine Entscheidung, dass der Angeklagte aus rechtlichen Gründen freizusprechen war, auf den Grundsatz der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung gestützt, dass in Bezug auf Äußerungsdelikte eine Strafbarkeit bei mehrdeutigen Äußerungen nur angenommen werden kann, wenn andere straflose Deutungsmöglichkeiten mit nachvollziehbaren und tragfähigen Gründen auszuschließen sind. Unter Berücksichtigung des Schutzes des Grundrechts der Religionsfreiheit aus Art. 4 GG hat das LG hinsichtlich sämtlicher der dem Angeklagten vorgeworfenen Äußerungen angenommen, dass bei einer umfassenden Gesamtwürdigung ihres Inhalts und des inhaltlichen und situativen Kontextes der Tatbestand einer Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2 StGB nicht erfüllt sei, da solche naheliegenden straflosen Auslegungsvarianten bestünden und jedenfalls nicht mit einer tragfähigen Begründung auszuschließen seien. Bezüglich der Äußerung „Verbrecher von diesem Christopher Street Day“ hat das LG zudem bereits verneint, dass damit ein abgrenzbarer Bevölkerungsteil im Sinne des § 130 Abs. 1 StGB bezeichnet würde.

Das sieht das OLG anders und hat den Freispruch aufgehoben und zurückverwiesen. Ich stelle hier jetzt nicht die gesamte Begründung des OLG ein, sondern beschränke mich auf die (amtlichen) Leitsätze, nämlich:

    1. Auch bei religiös motivierten Äußerungen muss der Schutz aus den Grundrechten der Religionsfreiheit und der Meinungsäußerungsfreiheit zwingend zurücktreten, wenn durch diese Äußerungen die Menschenwürde anderer angegriffen wird, da die Menschenwürde als Wurzel aller Grundrechte mit keinem Einzelgrundrecht abwägungsfähig ist (Anschluss an BVerfGE 93, 266).
    2. Die aktiven Teilnehmer der Christopher Street Day-Umzüge können als abgrenzbarer Teil der Bevölkerung im Sinne des § 130 Abs. 1 StGB Angriffsobjekt einer Volksverhetzung sein.
    3. Bei Meinungsäußerungsdelikten müssen die Urteilsgründe, um dem Revisionsgericht eine Nachprüfung der Entscheidung des Tatgerichts zu ermöglichen, den festgestellten konkreten Wortlaut der vorgeworfenen Äußerung wiedergeben, da dieser den Ausgangspunkt für deren Auslegung darstellt. Dieses Erfordernis der Wiedergabe des konkreten Wortlauts gilt auch für Äußerungen im Kontext der vorgeworfenen Äußerung, wenn das Tatgericht diese Kontextpassagen für die Auslegung der vorgeworfenen Äußerung heranzieht oder wenn es nach dem vom Tatgericht wiedergegebenen Gehalt dieser Passagen nahegelegen hätte, auch diese Passagen hierzu heranzuziehen.

Corona I: „Judenstern“ mit „Ungeimpft“ bei FB, oder: (Keine) Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens?

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So, und heute dann seit längerem mal wieder „Corona-Entscheidungen“ bzw. Entscheidungen zu Fragen, die sich aus der Corona-Pandemie ergeben haben.

Zunächst das KG, Urt. v. 11.05.2023 – (4) 121 Ss 124/22 (164/22) – mit einem Sachverhalt, den man kennt. Das AG Tiergarten hat den  wegen Volksverhetzung (§ 130 Abs. 3 StGB) zu einer Geldstrafe verurteilt. Auf die hiergegen eingelegte Berufung des Angeklagten hin hat das LG das Urteil aufgehoben und den Angeklagten freigesprochen. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision. Die hatte keinen Erfolg.

Das KG geht von folgenden amtsgerichtlichen Feststellungen aus:

2. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:

„Am 12. März 2021 um 12.18 Uhr teilte der Angeklagte in B. auf seinem öffentlich einsehbaren Profil der Internet-Plattform Facebook den Post eines Bekannten. Dieser Post beinhaltete das Bild eines gelben Sterns, der in dieser Art in der Zeit des Nationalsozialismus zur Kennzeichnung von Juden verwendet wurde, mit der Inschrift „Nicht geimpft“ und der unmittelbar darüber plazierten Überschrift „Die Jagd auf Menschen kann nun wieder beginnen“. Den Post versah der Angeklagte zusätzlich mit dem Kommentar: „Ich bin dabei, einen Judenstern zu basteln und an meine Jacke zu stecken, wenn die indirekte Impfpflicht kommt!“

Der Beitrag wurde bei Facebock von Nutzern sowohl positiv als auch – überwiegend – negativ kommentiert, wobei die negativen Kommentare unter anderem auf die Unverhältnismäßigkeit des Vergleichs mit dem Holocaust und die damit verbundene Verharmlosung desselben hinwiesen.

Der Angeklagte, der jüdische Vorfahren hat, seit 2017 Mitglied der Deutsch-Israelischen Gesellschaft e.V. ist und im Jahr 2015 versuchte, zum Judentum zu konvertieren, wollte mit dem Post auf die Diskriminierung von Ungeimpften und Impfgegnern – wie ihm selbst – hinweisen und sich als Opfer der Coronapolitik der deutschen Bundesregierung darstellen.“

Hier der Leitsatz zu der KG-Entscheidung:

Die für jedermann zugängliche Veröffentlichung eines sogenannten „Judensterns“ mit dem Zusatz „Ungeimpft“ auf der Plattform Facebook ist zur Störung des öffentlichen Friedens jedenfalls dann nicht geeignet, wenn sie auf ein kritisches persönliches Umfeld trifft und sich aus ihrem übrigen Inhalt – hier der Ankündigung, sich einen „Judenstern“ zu „basteln“ – ergibt, dass sie nicht auf die Provokation unfriedlicher Reaktionen oder die Herabsetzung von Hemmschwellen gegen rechtsgutgefährdende Handlungen angelegt ist.

Volksverhetzung II: Feststellungen beim Freispruch, oder: Auslegung einer mehrdeutigen Äußerung

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Bei der zweiten Entscheidung, die ich vorstelle, handelt es sich um das OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 30.11.2023 – 3 Ss 123/22. Das AG hatte vom Vorwurf der Volksverhetzung (§ 130 StGB) aus rechtlichen Gründen frei gesprochen.

Das OLG hat aufgehoben. Ihm haben die amtsgerichtlichen Feststellungen nicht gereicht. Dazu hier nur der Leitsatz:

Bei einem Freispruch aus rechtlichen Gründen müssen sich die Urteilsgründe dazu verhalten, warum das Gericht die für erwiesen erachtete Tat in rechtlicher Hinsicht als nicht strafbar erachtet. Um dies zu ermöglichen, muss die in der Anklageschrift vorgeworfene Tat (§ 264 StPO) hinreichend konkret dargestellt werden. Denn weird den Adressaten der Urteilsgründe schon der Tatvorwurf nicht hinreichend verständlich gemacht, kann auch nicht nachvollziehbar werden, warum von diesem Vorwurf von Rechts wegen freigesprochen wurde.

Außerdem hat das OLG aber für die neue Hauptverhandlung eine „Segelanweisung“ gegeben, und zwar:

„Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen, soweit sie sich aus dem (freisprechenden) Urteil zu erschließen vermögen, die Verwirklichung einer Tat nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 StGB noch nicht ohne Weiteres erkennbar ist.

Die Äußerungen des Angeklagten richten sich, soweit sie für den Senat angesichts der Urteilsgründe einer Entscheidung mit dem in § 267 Abs. 5 S. 1 StPO genannten Tenor greifbar sind, nach den bisherigen Feststellungen jedenfalls nicht eindeutig gegen eine klar abgrenzbare religiöse Gruppe. Dies können neben den in § 6 VStGB genannten Personenmehrheiten zwar auch Bevölkerungsteile sein, die durch ihre politische oder weltanschauliche Überzeugung als besondere Gruppe erkennbar sind (Fischer, StGB, 69. Aufl. 2022, § 130 Rn. 4).

Da sich die Äußerungen des Angeklagten ihrem Wortlaut nach nicht gegen Menschen jüdischen Glaubens oder jüdischer Kultur schlechthin richten, sondern gegen eine Gruppe von von ihm als „Zionisten“ bezeichneter Menschen, deren Abgrenzung ihm selbst ersichtlich schwerfällt, wird ein Schwergewicht der erneuten tatrichterlichen Feststellung und Erörterung auch darauf liegen müssen, ob sich die Äußerungen ihrem objektiven Sinngehalt nach gegen Juden im Allgemeinen richten. Insoweit darf sich die Kammer einerseits nicht mit dem bloßen Wortlaut der Äußerungen zufriedengeben. Denn entscheidend ist der objektive Sinngehalt. Wenn die Auslegung einer Erklärung aus der objektiven Sicht eines unvoreingenommenen Dritten und Berücksichtigung des Adressatenkreises der Aussage ergibt, dass der Erklärende den Begriff „Juden“ nur deshalb vermeidet, weil er Strafbarkeit befürchtet, seinen Zuhörern aber unmissverständlich vermittelt, dass er nicht nur eine nicht abgrenzbare Teilmenge, sondern „die“ Juden meint, ist er auch an diesem Sinngehalt festzuhalten. Denn auch im Rahmen des § 130 StGB können nicht nur ausdrückliche, sondern auch konkludente Äußerungen strafbar sein.

Bei der Auslegung und Anwendung von § 130 StGB sind zudem die aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG abzuleitenden verfassungsrechtlichen Anforderungen zu beachten, damit die besondere wertsetzende Bedeutung des Grundrechts auf der Normanwendungsebene des einfachen Rechts zur Geltung kommt. Ist eine Äußerung mehrdeutig, so müssen, soll die zur Anwendung sanktionierender Normen führende Deutung der rechtlichen Würdigung zu Grunde gelegt werden, andere Auslegungsvarianten mit nachvollziehbaren und tragfähigen Gründen ausgeschlossen werden (BVerfGE 82, 43 50 ff.; vgl. auch OLG Karlsruhe NStZ-RR 2020, 310 [311] – Wahlkampfplakat „Zionismus stoppen – Israel ist unser Unglück!“ neben einer Synagoge; AG Essen, Urt. v. 30.1.2015 – 57 Cs 631/14, juris Tz. 17 – Aufruf „Tod und Hass den Zionisten“).

Volksverhetzung I: Auslegung einer Äußerung auf FB, oder: Recht auf freie Meinungsäußerung beachten

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Urheber Munhuu94 – Own work

In die neue Woche starte ich heute mit zwei Entscheidungen zum StGB-Entscheidungen. Es handelt sich um Verstöße gegen § 130 StGB – „Straftaten gegen die öffentliche Ordnung“.

Ich beginne mit dem OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 30.11.2022- 3 Ss 131/22. Das hatte etwa betreffend den Vorwurf „Volksverhetzung“ folgenden Sachverhalt:

Angeklagt war ein hessischer Kommunalpolitiker. Dem ist das Teilen einer Bild-Text-Collage auf Facebook vorgeworfen worden. Auf dem einen Bild waren mehrere Männer schwarzer Hautfarbe, die mit Unterhemden oder T-Shirts bekleidet waren, zu sehen, die freudig Papiere in die Kamera zu halten schienen, versehen mit der Textzeile „Wir sind EU-Bürger“. Darunter waren mehrere Löwen abgebildet mit der Textzeile „und wir sind Vegetarier“.

Das AG hat den Angeklagten vom Vorwurf der Volksverhetzung frei gesprochen. Das LG hat die Berufung der Staatsanwaltschaft verworfen. Die Revision hatte beim OLG keinen Erfolg:

„1. Soweit die Revision mit der Darstellungsrüge Beweiswürdigungsfehler bei der Verneinung der Voraussetzungen eines den öffentlichen Frieden zu stören geeigneten Angriffs auf die Menschenwürde einer durch ihre ethnische Herkunft bestimmten Gruppe durch Beschimpfen sowie eines der Öffentlichkeit zugänglich gemachten Inhaltes (§ 11 Abs. 3 StGB), der die Menschenwürde von diesen genannten Personen oder Personenmehrheiten dadurch angreift, dass diese beschimpft werden, gem. § 130 Abs. 1 Nr. 2 Var. 1, Abs. 2 Nr. 1 lit. c StGB rügt, zeigt sie keine revisiblen Rechtsfehler auf.

a) Die Ermittlung des tatsächlichen Sinngehalts einer beanstandeten Äußerung ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts (st. Rspr., vgl. nur BGHSt 40, 97, 101; BGHSt 54, 15, 18 Tz. 8 f.; BGHSt 64, 252, 259 Tz. 23).

Kommt der Tatrichter zu einem vertretbaren Ergebnis, so hat das Revisionsgericht dessen Auslegung hinzunehmen, sofern sie sich nicht als rechtsfehlerhaft erweist, mag auch ein anderes Ergebnis durchaus vertretbar sein oder aus Sicht der Rechtsmittelinstanz sogar näherliegen. Anders ist dies insbesondere dann, wenn die Erwägungen des Tatgerichts lückenhaft sind oder gegen Sprach- und Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen; die rechtliche Prüfung erstreckt sich insbesondere auch darauf, ob allgemeine Auslegungsregeln verletzt worden sind.

Kriterien der Auslegung sind neben dem Wortlaut der Äußerungen und ihrem sprachlichen Kontext auch sämtliche nach außen hervortretende Begleitumstände, namentlich etwa die erkennbare politische Grundhaltung der Zuhörer und ihr Vorverständnis, aber auch die nach dem objektiven Empfängerhorizont deutlich werdende Einstellung des sich Äußernden. Bei mehrdeutigen Äußerungen gebietet es das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gemäß Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG jedoch nur dann, die dem Angeklagten günstigere Deutung zugrunde zu legen, wenn diese nicht ausgeschlossen ist (zu diesen Prüfungsmaßstäben der st. Rspr. vgl. BVerfGE 82, 236, 267; BVerfG, NJW 1994, 2943; BGH, NStZ 2017, 146).

b) Nach diesen Maßstäben unter Berücksichtigung des revisionsrechtlich eingeschränkten Zugriffs auf die Darstellung in den Urteilsgründen verstoßen die getroffenen Feststellungen im Ergebnis nicht gegen Erfahrungssätze oder sind lückenhaft.

aa) Das Berufungsgericht hat mit – noch – tragfähigen Gründen eine von mehreren alternativen Deutungen der Text-Bild-Kombination dergestalt dargelegt, dass ein Zusammenhang zu Einreisen, Grenzübertritten und dem Passwesen, allgemein also eine polemisch-kritische Betrachtungsweise der Migrationspolitik besteht, da drei der abgebildeten Männer ein gelbes Dokument vorzeigen, welches mutmaßlich ein Ausweisdokument darstellen soll. Auf dieser Grundlage kommt es zu der noch vertretbaren Deutung, dass allein nach Flucht, Vertreibung, Verfolgung oder aus sonstigem Grund eingereiste, nichteuropäische dunkelhäutige Menschen, nicht zugleich oder ausschließlich auch dunkelhäutige Menschen, die bereits die Staatsangehörigkeit eines Staates der EU innehaben, gemeint sind. Dies wird damit begründet, dass hier lebende dunkelhäutige Personen mit einer Staatsbürgerschaft eines EU-Mitgliedstaates keine Veranlassung haben, irgendwelche Ausweispapiere kollektiv für ein Foto zu präsentieren.

Das ist tragfähig, mag auch eine andere Deutung aus der Sicht eines Tatrichters vertretbar sein. Denn die Bildunterschrift „Wir sind EU-Bürger“ stellt die Abbildung in einen gesamteuropäischen Kontext unter Hervorhebung der Freizügigkeit, die nach dem objektiven Empfängerhorizont Raum für nicht strafbare Interpretationen zulässt, während dies beispielsweise bei einer Formulierung wie „Wir sind Deutsche“ möglicherweise anders wäre. Hinzu kommt, dass es nicht Aufgabe des Revisionsgerichts ist, eigene, möglicherweise auch politisch gefärbte Deutungen an die Stelle der dem Tatgericht obliegenden rational begründeten tatsachengestützten Beweisführung zu stellen (vgl. BGH NStZ 2007, 720; BGH NStZ 2009, 468 Rn. 12). Die tatrichterlichen Schlussfolgerungen müssen nur möglich, nicht aber zwingend sein.

bb) Ein Rechtsfehler kann zwar darin liegen, dass das Tatgericht nach den Feststellungen naheliegende Schlussfolgerungen nicht gezogen hat, ohne tragfähige Gründe anzuführen (vgl. BGH StV 2012, 711, 713 Rn. 4) oder aber andere naheliegende Möglichkeiten erst gar nicht erörtert. Das Tatgericht muss sich daher mit allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinandersetzen, wenn sie geeignet sind, das Beweisergebnis zu beeinflussen bzw. wenn sich ihre Erörterung aufdrängt (vgl. BGH NStZ-RR 2019, 57, 58; BGH, Urt. v. 08.03.2018 – 3 StR 571/17 Rn. 6, juris).

Diese Voraussetzungen erfüllt das angegriffene Urteil jedoch, da es auf mehrere naheliegende Deutungsmöglichkeiten eingeht. So verschweigt das Urteil unter anderem nicht, dass die Abbildung vordergründig in als rassistisch interpretierbarer Weise auszudrücken vermag, dass genauso wenig wie Löwen Vegetarier seien, Männer, wie sie dort – jeder mit dunkler Hautfarbe – beispielhaft abgebildet, „EU-Bürger“ sein könnten oder dürften. Gleichwohl kommt es in vom Senat revisionsrechtlich noch hinzunehmender Weise zu der nicht völlig auszuschließenden Deutungsmöglichkeit einer kritischen Betrachtungsweise der Migrationspolitik.

2. Ohne Erfolg rügt die Staatsanwaltschaft deshalb auch das Vorhandensein revisionsrechtlich rechtsfehlerhafter Spekulationen zugunsten des Angeklagten und auch, dass die Feststellung von Äußerungsinhalten mit dem objektiven Sinngehalt und Kontext der Äußerung nicht in Übereinstimmung zu bringen seien.

3. Die Revision vermag zuletzt auch mit der Rüge fehlender Feststellungen zur subjektiven Seite nicht durchzudringen.

Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts und es obliegt ihm, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen (vgl. BGHSt 21, 149 [151]). Dem Tatgericht kann nicht vorgegeben werden, unter welchen Voraussetzungen es zu einer bestimmten Folgerung kommen muss (BGHSt 29, 18 [20]). Ein beachtlicher Rechtsfehler liegt lediglich dann vor, wenn die Beweiswürdigung lückenhaft, weil nicht erschöpfend ist (BGHSt 29, 18 (20); BGH, Urt. v. 21.11.2006 – 1 StR 392/06 Rn. 13, juris). Spricht das Gericht einen Angeklagten frei, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, ist auch dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen (KK-StPO/Ott, 8. Aufl. 2019, § 261 Rn. 189).

Angesichts dieses eingeschränkten Maßstabes sind entgegen der Auffassung der Revisionsführerin die Feststellungen zur subjektiven Seite tragfähig begründet. Denn ausweislich der Feststellungen hat der Angeklagte den Beitrag im ersten Impuls, ohne ihn weitergehend zu reflektieren, im Sinne „satirischer Zuspitzung“ als „witzig“ empfunden und sich gedacht, „irgendwie trifft es das“, was er mit dem von ihm kritisierten „gegenwärtigen“ Zustand der EU und der „zu Grunde liegenden deutschen Migrationspolitik“ verbunden hat. Dass das Tatgericht diese Feststellungen mit der Einlassung des Angeklagten begründet, der es Glauben schenkt, ist vom Revisionsgericht hinzunehmen, und zwar auch dann, wenn Feststellungen zu der Frage, welchen Sinngehalt der Angeklagte der von ihm geteilten Text-Bild-Kombination konkret beimaß, unterblieben sind. Denn dem Senat ist es aus Gründen der Arbeitsteilung mit der Tatsacheninstanz in der Ordnung des Revisionsverfahrens verwehrt, die Beweiswürdigung durch seine eigene zu ersetzen (BGHSt 10, 208 [210]).

Soweit gerügt wird, die Kammer habe auf eine abwägende und kritische Würdigung des Wahrheitsgehaltes der Einlassung des Angeklagten verzichtet und sich im Ergebnis auf fernliegende Behauptungen des Angeklagten gestützt, so vermag dies im Ergebnis genauso wenig einen Rechtsfehler aufzudecken wie das Vorbringen, bei dem Angeklagten handele es sich um einen versierten, (parlaments-)erfahrenen und langjährigen Partei1-Politiker, bei dem sich das Tatgericht hätte gedrängt sehen müssen, zumindest kritisch zu hinterfragen, ob das von ihm behauptete völlige Verkennen des volksverhetzenden Sinngehalts der Text-Bild-Abbildung tatsächlich zutrifft.

Denn das Berufungsgericht hat sich auch mit dem politischen Engagement des Angeklagten und dessen Nachtatverhalten in vertretbarer Weise auseinandergesetzt. Letzteres wird insbesondere durch die Feststellungen deutlich, wonach der Angeklagte erst durch einen Anruf eines Journalisten auf die Kritikwürdigkeit aufmerksam gemacht wurde, er den Beitrag aus seiner Facebook-Chronik entfernt, sich öffentlich entschuldigt und versucht hat, klarzustellen, dass das Teilen des Beitrags weder rassistisch gemeint noch gegen Personen, Menschen oder Ethnien gerichtet gewesen ist, sondern die von ihm kritisierte Einwanderungspolitik mit der satirisch überzeichneten Abbildung habe darstellen sollen. Angesichts dieses Nachtatverhaltens und des dem Tatgerichts zustehenden Spielraums bei der Würdigung der Beweise rechtfertigt allein die Tatsache, dass der Angeklagte politisch langjährig erfahren ist, nicht die Annahme lückenhafter Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite. Insoweit erfolgte eine abwägende, kritische Würdigung der Vorstellungen des Angeklagten. So ist neben dem Tatzeitpunkt, – es handelte sich ausweislich der Feststellungen um den …abend des XX.XX.2019, bei dem der Angeklagte seinen Sohn im Kleinkindalter zu Bett brachte und versuchte ihn zum Schlafen zu bringen – der aus Sicht der Rechtsmittelinstanz nachvollziehbar indiziell für eine situative Unreflektiertheit spricht, zu berücksichtigen, dass das Tatgericht den Aussagegehalt kritisch gewürdigt hat, indem es u.a. zu dem Ergebnis gelangt ist, der Angeklagte habe unter dem Einfluss seiner kritischen Einstellung zur Flüchtlingspolitik kurzentschlossen und bedenkenlos einen Post mit geschmackloser Pointe, deren rassistischer Gehalt augenfällig sei, geteilt.“