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Freibrief/Freilos – Erstaunliches zur U-Haft-Fortdauer aus Sachsen – II

HaftIch hatte am 06.01.2015 über den OLG Dresden, Beschl. v. 23.12.2014 – 2 Ws 542/14 berichtet (vgl. hier Freibrief/Freilos – Erstaunliches zur U-Haft-Fortdauer vom OLG Dresden). Nun liegt dazu inzwischen die Entscheidung des VerfGH Sachsen vor, der im VerfGH Sachsen, Beschl. v. 26.02.2015 – Vf. 7-IV-15 (EIS)  – die Verfassungsbeschwerde gegen die Haftentscheidung des OLG Dresden verworfen hat.

Nun, es ist ein ziemlich umfangreicher Beschluss – wie das eben bei Verfassungsgerichten manchmal so ist. Aber mich überzeugen die vielen Worten aus Leipzig nicht. Ich will – und kann aus Platzgründen – das hier nun nicht im Einzelnen ausbreiten, das mag jeder Leser nach Lesen des Beschlusses auch für sich entscheiden. Und so ganz toll ist der Beschluss für das OLG nicht. Mir wären da als OLG-Senat und/oder Berichterstatter zu viele „noch“ enthalten:

„Die Entscheidung lässt die gerichtliche Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Beschuldigten und dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit sowie die gerichtlichen Erwägungen zur Frage der Verhältnismäßigkeit allgemein in derzeit noch hinreichendem Maße erkennen….“

Soweit der Senat davon ausgeht, dass die Erstellung des Sachverständigengutachtens den Anforderungen des Beschleunigungsgrundsatzes genügt, lässt die Entscheidungsbegründung gleichfalls in noch hinreichendem Maße eine Überprüfung des Abwägungsergebnisses für den Betroffenen selbst und für die Fachgerichte zu.

Denn der Senat stellt ausdrücklich und in der Sache nach dem oben Gesagten noch hinreichend schlüssig und nachvollziehbar fest, …..“

Und schon gar nicht lesen wollte ich:

„Diese Erwägungen führen insbesondere nicht dazu, dass insoweit schon jetzt hinreichend deutlich absehbare Verfahrensverzögerungen im gerichtlichen Zwischenverfahren bevorstünden, die bereits eingetretenen Verfahrensverzögerungen gleichzustellen wären (vgl. SächsVerfGH, Beschluss vom 22. Januar 2015 — Vf. 112-IV-14 [HSI/Vf, 1134V-14 [e.A.}). Denn die verfassungsrechtlich bedenkliche pauschale Betrachtungsweise des Senats ändert nichts daran, dass die Strafkammer grundrechtlich gehalten sein wird, ihre Verfahrensbehandlung auch im Zwischenverfahren an der im Einzelfall gebotenen Beschleunigung auszurichten. Sie wird hierbei zu berücksichtigen haben, dass an den zügigen Fortgang des Verfahrens umso strengere Anforderungen zu stellen sind, je länger die Untersuchungshaft schon andauert.“

In meinen Augen ist das, was der VerfGH dem OLG Dresden da bescheinigt sicherlich kein „sehr gut“, auch kein „gut“ und m.E. auch kein „befriedigend“, sondern allenfalls eine „4 -„. Man könnte auch sagen: (Gerade) noch einmal gut gegangen. Und wenn in der Sache von der StA dann endlich Anklage erhoben worden ist – auch der VerfGH macht dazu in meinen Augen keinen bzw. zu wenig Druck nach einer U-Haft-Dauer von jetzt weit über einem Jahr: Das LG wird sich nicht ausruhen dürfen. Denn die vom OLG Dresden vorgebene/angedeutete Argumentationsschiene: Ihr dürft so lange, wie die StA gebraucht hat, die sieht der VerfGH als „verfassungsrechtlich bedenkliche pauschale Betrachtungsweise“ an.

Und: Ceterum censeo: Hier geht es zur Abstimmung Beste Jurablogs Strafrecht 2015 – wir sind dabei, die Abstimmung läuft…

Peinlich, wenn der VerfGH dem OLG Dresden u.a. sagt: „offensichtlich unhaltbar“..

Gesicht ärgerlichPeinlich, peinlich – zumindest unschön – was der 3. Strafsenat des OLG Dresden da im im VerfGH Sachsen, Beschl. v. 30.09.2014 – Vf. 19-IV-13 zu einer eigenen Entscheidung lesen muss. Seine Bewertung sei „nicht mehr verständlich“ bzw. „offensichtlich unhaltbar“  bzw. das OLG habe „nicht in den Blick genommen“. Liest man als Revisionsgericht nun gar nicht gern, vor allem weil man das ja lieber selbst den Tatrichtern schreibt.

Ergangen ist der VerfGH-Beschluss zu einer Aufhebungsentscheidung des OLG. Dieses hatte ein Urteil des LG Leipzig nur im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben. Grund: In einem Fall der notwendigen Verteidigung (§ 140 StPO) war der Verteidiger während der Vernehmung des Angeklagten zu seinen persönlichen Verhältnissen nicht anwesend. Das OLG sagt: § 338 Nr. 5 StPO, aber davon ist der Schuldspruch nicht betroffen, obwohl der Angeklagte einen Umstand vorgetragen hatte, der auch insoweit Auswirkungen haben konnte. Und das gefällt dem VerfGH nun gar nicht:

Das Oberlandesgericht geht davon aus, dass der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO gegeben sei, weil während der Vernehmung des Beschwerdeführers über seine persönlichen Verhältnisse als einem wesentlichen Teil der Hauptverhandlung kein Verteidiger anwesend gewesen sei, obwohl ein Fall der notwendigen Verteidigung (§ 140 Abs. 2 StPO) vorgelegen habe. Die hieran anknüpfende Bewertung des Oberlandesgerichts, der Schuldspruch als Urteilsteil sei von diesem Verfahrensverstoß nicht betroffen, erscheint gemessen am Inhalt des § 338 Nr. 5 StPO offensichtlich unhaltbar.

 aa) Während im Allgemeinen eine Revision nur gerechtfertigt ist, soweit ein Gesetzesverstoß für das Urteil kausal ist (§ 337 Abs. 1 StPO), stellt das Gesetz für die in § 338 StPO enthaltene Aufzählung schwerwiegender Verfahrensmängel die grundsätzlich unwiderlegbare Vermutung der Entscheidungserheblichkeit auf (BGH, Beschluss vom 5. Januar 1977, BGHSt 27, 96, [98]; Gericke in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 7. Auflage, § 338 Rn. 1 m.w.N.). Danach führt das Vorliegen eines absoluten Revisionsgrundes regelmäßig zur Aufhebung des gesamten Urteils im angefochtenen Umfang, ohne dass es darauf ankommt, ob das Urteil tatsächlich auf dem Verfahrensfehler beruhen kann (BGH, Urteil vom 23. Oktober 2002, NStZ 2003, 218; Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., § 338 Rn. 2). Hiervon darf nur abgesehen werden, sofern ein Einfluss des Verfahrensfehlers auf das Urteil denkgesetzlich ausgeschlossen ist (BGH, Beschluss vom 25. Juli 1995, NStZ 1996, 49; Urteil vom 28. Juli 2010, NStZ 2011, 233 [234]; Gericke, a.a.O., § 338 Rn. 5).

Eine Beschränkung des Umfangs der Aufhebung kann erfolgen, soweit sich der Verfahrensmangel nur in einem abtrennbaren Teil des Urteils auswirkt (BGH, Urteil vom 23. Oktober 2002, NStZ 2003, 218; Meyer-Goßner, a.a.O., § 338 Rn. 2).

 bb) Vor dem Hintergrund der in dieser Weise ausgeformten gesetzlichen Beruhensvermutung des § 338 StPO erscheint die Bewertung des Oberlandesgerichts nicht mehr verständlich, der Schuldspruch bleibe hier von dem festgestellten, einen absoluten Revisionsgrund begründenden Verfahrensverstoß wegen des Inhalts des betroffenen Verfahrensabschnitts unberührt.

Allerdings kommt bei Verfahrensfehlern i.S.v. § 338 StPO, die nur die Erörterung von allein den Rechtsfolgenausspruch berührenden Fragen betreffen, eine Beschränkung des Umfangs der Aufhebung auf den Strafausspruch grundsätzlich in Betracht (BGH, Urteil vom 30. März 1983, NStZ 1983, 375). Dies mag im Regelfall auf die Vernehmung eines Angeklagten zu seinen persönlichen Verhältnissen zutreffen. Das Oberlandesgericht nimmt jedoch nicht in den Blick, dass hier im Rahmen seiner Vernehmung mit der zur Tatzeit bestehenden Hirntumorerkrankung des Beschwerdeführers auch ein Umstand erörtert wurde, für den offensichtlich nicht schon denkgesetzlich ausgeschlossen werden kann, dass er nicht allein für eine den Rechtsfolgenausspruch betreffende verminderte Schuldfähigkeit des Beschwerdeführers, sondern auch für dessen Schuld(un)fähigkeit und damit für den Schuldspruch Bedeutung erlangt (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Januar 1990 – 1 StR 643/89 – juris). Sachliche Gründe für die gegenteilige Auffassung des Gerichts lassen sich der Entscheidung nicht entnehmen und sind auch sonst nicht erkennbar.

Insbesondere verwehrt es die gesetzliche Beruhensvermutung des § 338 StPO zu erwägen, ob – jenseits bereits denkgesetzlich ausschließbarer Erheblichkeit – auch ein rechtsfehlerfreies Verfahren nach den konkreten Umständen dieses Falles hinsichtlich des Schuldspruchs zu demselben Ergebnis geführt hätte.“

Jetzt darf es der Senat noch einmal machen.

 

U-Haft – Verhältnismäßigkeit und Begründung

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Nach längerer Zeit mal wieder ein Posting betreffend U-Haft-Fragen, und zwar zum VerfGH Sachsen, Beschl. v. 14.08.2012 – Vf 60-IV-12 (HS) (3). Es geht/ging mal wieder um Fragen der Verhältnismäßigkeit der Fortdauer von U-Haft und des Umfangs der Begründung von Haftfortdauerentscheidungen. Hinsichtlich beider Punkte hatte der VerfGH Sachsen Probleme mit einem Beschluss des OLG Dresden.

b) Angesichts der zum Zeitpunkt der angegriffenen Entscheidung bereits seit mehr als zwei Jahren andauernden Untersuchungshaft und der aufgrund der teilweisen Aufhebung des Urteils des Landgerichts Leipzig durch den Bundesgerichtshof bestehenden Anhaltspunkte für eine Verfahrensverzögerung, wird der Beschluss des Oberlandesgerichts vom 4. Juni 2012 den Anforderungen an die Begründungstiefe nicht gerecht.

aa) Zwar macht der Beschwerdeführer im Zusammenhang mit der angenommenen Fluchtgefahr erfolglos geltend, dass das Oberlandesgericht wegen der regelmäßigen Besuche in der Haft der Beziehung zu seiner Lebensgefährtin nicht die erforderliche Stabilität habe absprechen dürfen. Gleiches gilt, soweit er ausführt, der Umstand, dass er zivilrechtlichen Ansprüchen in erheblicher Höhe ausgesetzt sei, könne wegen seiner Mittellosigkeit zur Begründung der Fluchtgefahr nicht herangezogen werden; der Annahme einer solchen stünde auch seine Augenleiden und der Umstand entgegen, dass er die Ausführungen zum Arzt und die Außervollzugsetzungen des Haftbefehls nicht zur Flucht genutzt habe. Denn insoweit greift der Beschwerdeführer lediglich die nur begrenzter verfassungsgerichtlicher Überprüfung unterliegende tatrichterliche Würdigung an. Willkür oder die Verkennung von Tragweite und Bedeutung des Freiheitsgrundrechts sind insoweit weder dargetan noch ersichtlich. Im Übrigen können Umstände, die erst nach dem angegriffenen Beschluss eingetreten sind – wie etwa die Hochzeit -, eine in diesem Beschluss liegende Grundrechtsverletzung nicht begründen.

bb) Der Beschluss des Oberlandesgerichts wird den dargestellten Anforderungen jedoch deshalb nicht gerecht, weil er im Zusammenhang mit der prognostizierten Straferwartung nicht das hypothetische Ende und die Ausgestaltung einer möglicherweise zu verhängenden Freiheitsstrafe in den Blick nimmt (vgl. zur Maßgeblichkeit des tatsächlich zu erwartenden Freiheitsentzugs: BVerfG, Beschluss vom 4. Juni 2012 – 2 BvR 644/12 – […] Rn. 35, 37; KG Berlin, Beschluss vom 3. November 2011, StV 2012, 350; Krauß in BeckOK, StPO, Stand: 1. Juni 2012, § 112 Rn. 17) und keine hierauf bezogene Verhältnismäßigkeitsprüfung vornimmt.

Denn der Beschluss enthält weder Ausführungen zu der nach § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB regelmäßig vorzunehmenden Anrechnung der Untersuchungshaft noch geht er auf eine Aussetzung der Vollstreckung des Strafrestes nach § 57 StGB ein, obwohl der Beschwerdeführer nicht vorbestraft ist und nach rechtskräftiger Verurteilung erstmalig eine Freiheitsstrafe verbüßen würde (vgl. BVerfG, a.a.O.).

cc) Darüber hinaus verlangt die Feststellung des Oberlandesgerichts, eine erhebliche Verfahrensverzögerung liege nicht vor, eine auf den Einzelfall bezogene Prüfung des bisherigen Verfahrensablaufs. Eine solche ist dem angegriffenen Beschluss jedoch nicht zu entnehmen. Dieser beschränkt sich vielmehr auf die Aussage, dass angesichts der nach wie vor bestehenden teilweisen Nichtgeständigkeit des Beschwerdeführers das Landgericht bei rechtmäßigem Vorgehen eine umfangreiche Beweisaufnahme hätte durchführen müssen, weshalb zweifelhaft sei, ob das erstinstanzliche Verfahren überhaupt schon hätte beendet werden können. Dadurch relativiere sich die durch das Revisionsverfahren eingetretene Verfahrensverzögerung.

Unabhängig davon, ob eine solche Betrachtungsweise überhaupt zulässig ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. Mai 1995, NStZ 1995, 459, 460]), hat das Oberlandesgericht jedoch weder die Dauer der angenommenen Verzögerung – auch im Revisionsverfahren – bestimmt noch im Einzelnen ausgeführt, auf welche Tatsachen diese hypothetische Feststellung gründet. Insbesondere hat sich das Gericht nicht hinreichend damit auseinandergesetzt, dass durch die teilweise Aufhebung des Urteils des Landgerichts Leipzig die erstinstanzliche Hauptverhandlung – zumindest teilweise – durch das Landgericht Dresden wiederholt und zusätzlich nunmehr von diesem die vom Oberlandesgericht angesprochene umfangreiche Beweisaufnahme durchgeführt werden muss. Zwar greift der Einwand des Beschwerdeführers nicht durch, auf das fehlende Geständnis zu den Untreuevorwürfen vor dem Landgericht Leipzig könne deshalb nicht abgestellt werden, weil das Landgericht das Verfahren wegen dieser Vorwürfe nicht eröffnet habe, so dass kein Anlass bestanden habe, sich hierzu geständig einzulassen. Jedenfalls lag auch zum Zeitpunkt der angegriffenen Entscheidung des Oberlandesgerichts ein Geständnis des Beschwerdeführers zu den streitgegenständlichen Untreuevorwürfen nicht vor. Zu diesem Zeitpunkt war ihm aufgrund des Urteils des Bundesgerichtshofs bekannt, dass diese Gegenstand des neuen erstinstanzlichen Verfahrens sein werden.

Mit dem Verweis auf den besonderen Umfang und die Komplexität des Verfahrens beschränkt sich das Oberlandesgericht jedoch auf eine unzureichende pauschale Argumentation. Ohne eine konkrete Feststellung der Länge der Verfahrensverzögerung kann weder deren Gewicht bewertet werden noch eine Abwägung zwischen dem Freiheitsanspruch und dem Strafverfolgungsinteresse erfolgen. Eine solche Abwägung ist dem angegriffenen Beschluss nicht zu entnehmen.“

Nichts wesentlich Neues, aber eine ganz schöne Zusammenfassung der Rechtsprechung.