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Corona I: Aufenthaltsverbot, oder: OLG Stuttgart meint: Bußgeldbewehrung verfassungswidrig?

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Wer gedacht hat, dass Corona „vorbei ist“, der hat sich geirrt. Ebenso wie das Pandemiegeschehen nicht „vorbei ist“, gibt es auch immer wieder Entscheidungen zu Corona-Fragen. Zwei stelle ich heute vor.

An der Spitze der OLG Stuttgart, Beschl. v. 14.05.2021 – 1 Rb 24 Ss 95/21 – mit folgendem Sachverhalt:

Das AG Stuttgart hat den Betroffenen wegen „eines Verstoßes gegen ein Aufenthaltsverbot, das wegen der Corona-Pandemie den Aufenthalt mit mehr als 2 Personen, die nicht dem eige­nen Hausstand angehören, verbot“, zu einer Geldbuße verurteilt.  Der Betroffene hielt sich am 13.04.2020 an einem See in Stuttgart in einer „5-er Gruppe“ auf. Die Gruppe ging „mehrere hundert Meter“ spazieren. Die Gruppenmit­glieder hielten „dabei den Abstand von 1 Meter untereinander“ nicht ein. Die fünf Personen gehörten drei verschiede­nen Haushalten an. Das AG hat eine Geldbuße von 200 EUR festgesetzt.

Dagegen die Rechtsbeschwerde, die das OLG zugelassen hat. Auf die Rechtsbeschwerde ist dann das AG-Urteil aufgehoben und der Betroffen freigesprochen worden.

Hier die – nicht amtlichen – Leitsätze der Entscheidung, die wir schon im nächsten Monat im StRR vorstellen werden:

1. Die in § 32 Satz 1, § 28 Abs. 1 IfSG normierte Ermächtigung zum Erlass von Rechts­verordnungen, auf der die tatbestandliche Ausgestaltung der Bußgeldbestimmung in § 9 Nr. 1, § 3 Abs. 1 CoronaVO Baden-Württemberg beruht, ist mit verfassungs­rechtlichen Vorgaben nicht vereinbar.

2. Die der Verurteilung des Betroffenen zugrundeliegenden Bußgeldvorschriften in § 9 Nr. 1, § 3 Abs. 1 CoronaVO Baden-Württemberg sind mit verfassungsrechtli­chen Vorgaben unvereinbar; sie erweisen sich als Sanktionsvorschriften ohne jede Härtefallregelung als unverhältnismäßig und sind damit ungültig.

Das OLG sieht die anstehenden Fragen also anders als einige andere OLG:

„3. Der Senat ist an einer Divergenzvorlage (§ 121 Abs. 2 GVG) der landesrechtlichen Verordnungsvorschriften mit Blick auf die Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte außerhalb Baden-Württembergs gehindert (OLG Frankfurt a.M., Be-schluss vom 22. November 2011 – 3 Ws 836/11 -, juris, BeckRS 9998, 26155). In Bezug auf Entscheidungen des Oberlandesgerichts Karlsruhe (Beschlüsse vom 30. März 2021 – 2 Rb 34 Ss 1/21 und 2 Rb 34 Ss 2/21 -, juris) fehlt es vorliegend an der von § 121 Abs. 2 GVG vorausgesetzten (Entscheidungs-)Erheblichkeit (vgl. Kissel/Mayer/Mayer, a.a.O., GVG § 121 Rn. 22; KK-StPO/Feilcke, 8. Aufl., GVG § 121 Rn. 37 f. und 49; vgl. zur Entscheidungserheblichkeit auch BGH, Beschluss vom 27. September 2002 – 5 StR 117/02 -, juris, NStZ-RR 2003, 12). Hinsichtlich der abweichenden Meinung des 4. Bußgeldsenats des OLG Stuttgart im Beschluss vom 21. April 2021 — 4 Rb 24 Ss 7/21 —, juris, liegt eine Innendivergenz vor, aufgrund der eine Vorlage gleichfalls ausgeschlossen ist (Kissel/Mayer/Mayer, 10. Aufl., GVG § 121 Rn. 10, m.w.N.).“

Das OLG folgt mit seiner Entscheidung dem Ansatz des ThürVerfGH, der zwischenzeitlich die einschlägigen Fragen dem BVerfG vorgelegt hat (s. Beschl. v. 19.05.2021 – 110/20). Man darf gespannt sein.

„Viele Richter kungeln am Strafrecht vorbei“

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so war ein Artikel in der gestrigen SZ überschrieben, den ich auf der Rückfahrt von einer Veranstaltung gelesen habe. (vgl. hier in der SZ).

Der Artikel befasste sich mit dem Ergebnis einer Umfrage des Düsseldorfer Prof. Altenhain, die dieser für das BVerfG zur Vorbereitung der Verhandlung über den Deal/die Absprache/die Verständigung (§ 257c StPO) in der nächsten Woche erstellt hat. Befragt worden sind 330 Richter, Rechtsanwälte und Staatsanwälte. Die Studie kommt zu m.E. ganz interessanten Ergebnissen – die man auf der Grundlage der Berichts in der SZ wohl so zusammen fassen kann:

  • Bei Absprachen im Strafprozess halten sich Deutschlands Richter überwiegend nicht ans Gesetz.
  • Die seit August 2009 geltenden Regeln werden häufig umgangen.
  • Mehr als die Hälfte der Richter greift bevorzugt zum informellen „Deal“.
  • 28 Prozent der Richter räumen ein, dass sie allenfalls teilweise Geständnisse überprüfen.
  • Zwei Drittel geben an, dem Angeklagten grundsätzlich nicht mit einer „Sanktionsschere“ zu drohen.
  • Und „Das Verbot, einen Verzicht auf Rechtsmittel zu akzeptieren, wird offensiv umgangen.

Fazit der Richter nach der SZ: „Die Hälfte hält den Deal für unverzichtbar – aber zwei Drittel bezeichnen das neue Recht als untauglich.“

Ich bin gespannt, was das BVerfG in der nächsten Woche davon hält. Verhandelt wird am 07.11.2012 (vgl. u.a. hier und hier) – das Urteil gibt es dann später. Hoffentlich müssen nicht Kommentare und Handbücher umgeschrieben werden :-).