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Fahren ohne ausländische Fahrerlaubnis, oder: Erforderliche Urteilsfeststellungen

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Bei der zweiten Entscheidung des Tages handelt es sich um den KG, Beschl. v. 10.09.2018 – (3) 121 Ss 145/18 (21/18). Auch er hat Fahren ohne Fahrerlaubnis (§ 21 StGV)  zum Gegenstand. Es geht nämlich um eine ausländische – polnische – Fahrerlaubnis. Die Problematik der Entscheidung liegt aber nicht bei dem Dauerbrenner „Erwerb einer ausländischen Fahrerlaubnis“ und deren Nutzung hier in der Bundesrepublik. Sondern es geht um ein „normales“ Fahren ohne die (ausländische) Fahrerlaubnis und die insoweit erforderlichen Feststellungen,

Das AG hat den Angeklagten wegen fahrlässigen Fahrens ohne Fahrerlaubnis und vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in drei Fällen verurteilt. Nach den vom AG getroffenen Feststellungen führte der polnische Angeklagte, der in Polen lebt, dort als selbständiger Maler arbeitet und über eine polnische Fahrerlaubnis der Klasse B verfügt, am 12.11.2016, 08.12.2016 und 10.08.2017 in insgesamt vier Fällen jeweils ein Kraftfahrzeug in Berlin, obwohl er durch seit dem 08.05.2015 rechtskräftigen Strafbefehl des AG Tiergarten vom 01.04.2015 wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe verurteilt, ihm das Recht, von seiner polnischen Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen, entzogen und eine Sperrfrist (Ergänzung durch den Senat verhängt worden war. Die Revision des Angeklagten hatte Erfolg:

„Sie hat in der Sache (vorläufigen) Erfolg, weil der Schuldspruch sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht standhält.

1. Zwar ist das Amtsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass der Angeklagte keine Berechtigung besaß, von seiner polnischen Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen. Denn nach § 29 Abs. 1. FeV ist der Inhaber einer ausländischen Fahrerlaubnis, der keinen Ordentlichen Wohnsitz im Inland besitzt, nur dann befugt, von seiner ausländischen Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen, wenn keiner der in § 29 Abs. 3 Satz 1 FeV erfassten Ausschlussgründe vorliegt. Auf der Grundlage der vorn Amtsgericht getroffenen Feststellungen ist ein Ausschlussgrund nach § 29 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 FeV gegeben , weil es sich bei der durch Strafbefehl des Amtsgerichts Tiergarten vom 1. April 2015 angeordneten Sperrfrist nach § 69a StGB um eine gerichtliche Entscheidung im Sinne von § 29 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 StGB handelt (vgl. Senat, Beschluss vom 25. August 2014 – (3) 121 Ss 71/14 (84/14) – juris; OLG Hamm, Urteil vom 8. Dezember 2012 – 3 Ss 382/09 — juris Rdn. 10; OLG Köln WW 2010, 2817).

Rechtlich zutreffend ist weiter, dass der Angeklagte auch nach. Ablauf der Sperrfrist gemäß § 69a StGB aus seiner polnischen Fahrerlaubnis keine Erlaubnis zum Führen eines fahrerlaubnispflichtigen Kraftfahrzeugs im ‚Inland ableiten konnte, weil diese Berechtigung vorausgesetzt hätte, dass dem Angeklagten gemäß § 29 Abs. 4 FeV auf seinen Antrag durch die zuständige Fahrerlaubnisbehörde eine entsprechende Erlaubnis erteilt worden wäre. Dass dies geschehen ist, ist den getroffenen Feststellungen nicht zu entnehmen.

2. Die Wirkung des § 29 Abs. .3 Satz 1 Nr. 4 FeV setzt gemäß § 29 Abs. 3 Satz 3 FeV voraus, dass die rechtskräftige gerichtliche Entscheidung, der zufolge keine Fahrerlaubnis erteilt werden darf, im Fahreignungsregister eingetragen und nicht nach § 29 StVG getilgt ist (vgl. Senat NStZ-RR 2015, 25; OLG Oldenburg NZV 2011, 207; OLG Bamberg DAR 2013, 277; alle zum insoweit identischen § 28 Abs. 4 Satz 2 FeV). Feststellungen dazu enthält das angefochtene Urteil nicht; es erweist sich daher als lückenhaft. Die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen zu den Eintragungen im Bundeszentralregister vermögen diese Darstellungslücke nicht zu schließen. Denn dass die Sperrfrist im Bundeszentralregister eingetragen ist, lässt noch keine zwingenden Schlüsse darauf zu, dass die Sperrfrist zu den Tatzeiten auch im Fahreignungsregister des Kraftfahrtbundesamtes tatsächlich eingetragen war (vgl. dazu im Einzelnen Senat a.a.O.).

3. Soweit das Amtsgericht die Tat vorn 12. November 2016 als fahrlässig und die nachfolgenden Taten als vorsätzlich begangen eingeordnet hat, ist das Urteil eben-falls durchgreifenden rechtlichen Bedenken ausgesetzt. Die Urteilsgründe sind insoweit lückenhaft, denn das Amtsgericht teilt nicht mit, auf welchen festgestellten Tat-sachen die rechtliche Einordnung der Taten hinsichtlich der erfüllten Schuldformen beruht. Zwar handelt es sich dann um keinen durchgreifenden Darstellungsmangel, wenn sich die verwirklichte Schuldform aufgrund der mitgeteilten Gesamtumstände der Tat zwanglos erschließt (vgl. BGH NJW 2015, 3178, 3179). So liegt der Fall hier aber nicht, denn zur inneren Tatseite teilt das Amtsgericht lediglich die Einlassung des Angeklagten mit, wonach dieser bei den vier angeklagten Fahrten davon ausgegangen sei, nach Ablauf der verhängten Sperrfrist wieder berechtigt zu sein, in Deutschland ein Kfz zu führen. Zwanglose Rückschlüsse darauf, dass der Angeklagte die erste der Taten fahrlässig und die übrigen Taten vorsätzlich beging, lassen sich daraus nicht ziehen.“

Vorenthalten von Arbeitsentgelt, oder: Die Zahlung von Schwarzlöhnen im Urteil

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Ich eröffne den Tag mit einer Entscheidung des BGH zum Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt (§ 266a StGB), einer Vorschrift, die in der Rechtsprechung des BGH immer wieder von Bedeutung ist. Der BGH, Beschl.  v. 08.02.2017 –  2 StR 375/16 – nimmt zu den Anforderungen an die tatsächlichen Feststellungen Stellung. Verurteilt worden ist der Angeklagte wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 82 Fällen. Nach den Feststellungen des LG Frankfurt am Main führte der Angeklagte seit September 2000 einen Taxibetrieb als Einzelbetrieb mit drei Taxikonzessionen und ab Dezember 2002 ein weiteres Taxiunternehmen als GbR mit zwei Taxikonzessionen. 2011 gab der Angeklagte beide Taxibetriebe wegen drohender Zahlungsunfähigkeit auf. „In beiden Taxibetrieben beschäftigte der Angeklagte im Tatzeitraum zwischen April 2005 bis Juli 2010 mehrere Fahrer, „die täglich in zwei Schichten (Tag- bzw. Nachtschicht) sowie in einer Wochenendschicht fuhren und die Fahrzeuge damit nahezu vollständig ausnutzten.“ Den Einsatz der Fahrer koordinierte der Angeklagte mittels elektronisch geführter Schichtpläne. „Bei den Sozialversicherungsträgern und dem Finanzamt waren die Fahrer, wenn über-haupt, tatsächlich nur mit einem geringeren – fiktiven – monatlichen Pauschal-lohn gemeldet. Insofern führte der Angeklagte neben den Schichtplänen eine ‚offizielle‘ Buchhaltung, die auch nur die gemeldeten Löhne wiederspiegelte. Tatsächlich wurden die Fahrer deutlich höher als gegenüber dem Finanzamt und den Sozialversicherungsträgern angegeben entlohnt und erhielten wesent-liche Teile ihres Lohnes schwarz ausgezahlt.“ Das LG hatte tabellarisch auf etwa zehn Seiten des 22-seitigen Urteils – geordnet nach den verschiedenen Krankenkassen – monatlich das „Bruttoentgelt“ der jeweiligen Arbeitnehmer der beiden Taxiunternehmen des Angeklagten, das (geringere) gemeldete Entgelt, den nachberechneten Gesamtsozialversicherungsbeitrag und den davon abgeführten Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil aufgeführt.

Das reicht dem BGH so nicht, sondern:

„Bei Straftaten des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt nach § 266a Abs. 1 und 2 StGB müssen für jeden Fälligkeitszeitpunkt die Höhe der zu zahlenden Arbeitsentgelte und des Beitragssatzes der jeweils zuständigen Krankenkasse angegeben werden, weil sich die Höhe der geschuldeten Beiträge auf der Grundlage des Arbeitsentgelts nach den Beitragssätzen der jeweiligen Krankenkasse sowie den gesetzlich geregelten Beitragssätzen der Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung errechnet (vgl. BGH, Urteil vom 11. August 2010 – 1 StR 199/10, NStZ-RR 2010, 376).

Es fehlt bereits an Feststellungen zu den Beitragssätzen der verschiedenen Krankenkassen. Zudem kann der Senat nicht überprüfen, ob die vom Landgericht angegebenen – fiktiven – Bruttoarbeitsentgelte den Anforderungen des § 14 Abs. 2 SGB IV entsprechend berechnet worden sind. Denn es fehlt schon an der Angabe der nach Überzeugung der Strafkammer ausgezahlten Nettoentgelte.

Schließlich fehlt es auch an Angaben dazu, welche Lohnsteuerklassen die Strafkammer bei der Berechnung des fiktiven Bruttoarbeitsentgelts jeweils zugrunde gelegt hat (vgl. Senat, Urteil vom 5. August 2015 – 2 StR 172/15, wistra 2016, 153, 154). Zu diesen Angaben hätte deshalb Anlass bestanden, weil nach den Feststellungen ein Teil der Arbeitnehmer mit einem geringeren als dem tatsächlich gezahlten Lohn gemeldet war und deshalb – anders als bei vollständig illegalen Beschäftigungsverhältnissen (vgl. BGH, Urteil vom 2. Dezember 2008 – 1 StR 416/08, BGHSt 53, 71, 79) – davon auszugehen ist, dass die Arbeitnehmer dem Angeklagten ihre Lohnsteuer-karte vorgelegt haben (vgl. Richtarsky in Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, 4. Aufl., 19. Kap. Rn. 72). …“

Das darf jetzt eine andere Wirtschaftsstrafkammer beim LG Frankfurt/Main „nachbessern“. „Nachbessern“ muss sie dann auch bei der Kompensationsentscheidung betreffend die „Entschädigung für die überlange Verfahrensdauer“ . Denn einerseits sind in dem laut Hauptverhandlungsprotokoll verkündeten Urteilstenor zwei Monate, andererseits im schriftlichen Urteil sowie in dessen Begründung vier Monate „abgezogen“ worden. Also ein wenig konfus.

Falsches Geständnis ist „grob fahrlässig“, oder: Keine Entschädigung im Bonner „Mord ohne Leiche“-Fall

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Ich erinnere: In Bonn hat es ein „Mordverfahren“ gegeben, das unter dem Begriff „Mord ohne Leiche“ bekannt geworden ist. Das LG Bonn hatte den ehemaligen Angeklagten zunächst wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von 11 Jahren verurteilt. Der BGH hat das Urteil dann im BGH, Beschl. v. 27.10.2015 – 2 StR 4/15 aufgehoben (vgl. dazu mein Posting Mord ohne Leiche, oder: Weiterer Sex nur bei Geständnis). Mit LG Bonn, Urt. v. 21.12.2016 – 21 Ks 2/16, 920 Js 887/12 – ist der Angeklagte dann frei gesprochen worden. Eine Entschädigung nach dem StrEG ür die vom 31.08.2013 bis zum 16.03.2016 erlittene Untersuchungshaft hat das LG wegen grob fahrlässiger Verursachung seiner Inhaftierung durch ein Eingeständnis der Tötung seiner Ehefrau gegenüber einer Zeugin abgelehnt. Das OLG Köln hat das im OLG Köln, Beschl. v. 03.05.2017 – 2 Ws 237/17 – gehalten. Seine Begründung stützt das OLG auf „eigenes Verschulden“/grob fahrlässiges Verhalten.

Und zwar: Der ehemalige Angeklagte habe selbst zumindest grob fahrlässig die Ursache für seine Inhaftierung gesetzt, indem er im Juli 2013 – wahrheitswidrig – der ihn insistierend zum Verschwinden seiner Ehefrau befragenden Zeugin erklärte, er habe seine Frau erwürgt und ihre Leiche zerstückelt und in der Folgezeit über mehrere Wochen hinweg auf hartnäckiges Befragen der Zeugin weitere Details zum Tatablauf schilderte. Dieses Verhalten sei war nicht ausschließlich, jedoch entscheidend für die Annahme des dringenden Tatverdachts durch die Ermittlungsbehörden gewesen.

Und: Der ehemalige Angeklagte habe auch grob fahrlässig gehandelt

„Entgegen der Ansicht des früheren Angeklagten handelte er auch grob fahrlässig. Der Freigesprochene hat die Untersuchungshaft dann zumindest grob fahrlässig verursacht, wenn er nach objektiven, abstrakten Maßstäben in ungewöhnlichem Maße die Sorgfalt außer Acht lässt, die ein verständiger Mensch in gleicher Lage aufwenden würde, um sich vor Schaden durch Strafverfolgungsmaßnahmen zu schützen, indem er schon einfachste naheliegende Überlegungen anzustellen versäumt oder dasjenige nicht bemerkt, was im gegebenen Fall jedem einleuchten musste, und so die Maßnahme „geradezu herausfordert“ (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 11.01.2012, 2 Ws 351/11, NStZ-RR 2013, 192).

Das Verhalten des früheren Angeklagten erfüllt diese Voraussetzungen.

Aufgrund der gegen ihn bereits angeordneten Ermittlungsmaßnahmen, der Heimunterbringung seines Kindes und seines Umzuges zu den Eltern nach C war ihm bewusst, dass er aus Sicht der Ermittlungsbehörden jedenfalls im Sinne eines Anfangsverdachtes verdächtig war, seine Ehefrau getötet zu haben. Ihm musste daher bewusst gewesen sein, dass seine Angaben gegenüber der Zeugin B, mit denen er sich selbst der vorsätzlichen Tötung seiner Ehefrau bezichtigte und detaillierte Ausführungen zum Tatgeschehen und zur Beseitigung der Leiche machte, den gegen ihn bereits bestehenden Anfangsverdacht zu einem dringenden Tatverdacht verstärken und den Erlass eines Haftbefehls gegen ihn rechtfertigen würden.

Der frühere Angeklagte durfte auch nicht darauf vertrauen, dass seine Selbstbezichtigung gegenüber der Zeugin B den Strafverfolgungsbehörden nicht zur Kenntnis gelangen würde. Es kann dabei dahinstehen, ob das zwischen der Zeugin B und dem früheren Angeklagten aufgezeichnete Gespräch vom 30.08.2013 im Rahmen der vorliegenden Entschädigungsentscheidung berücksichtigt werden darf. Jedenfalls aus den weiteren, für den Senat bindenden Feststellungen des Urteils folgt, dass dem früheren Angeklagten hätte einleuchten müssen, dass die Schilderung von Einzelheiten eines Kapitaldelikts zum Nachteil seiner Ehefrau im Ergebnis bekannt werden und Strafverfolgungsmaßnahmen gegen ihn auslösen würde. Nach den getroffenen Feststellungen hat die Zeugin B mit ihm im Juni 2013, nur zwei Monate nach dem sich beide kennengelernt hatten, gemeinsam die Strafakten gelesen und ihm – auch unter Hinweis auf seine Tätigkeit beim Sicherheitsdienst – dauernd vorgehalten, dass er mit der Tötung seiner Ehefrau etwas zu tun habe. Deshalb habe es zwischen ihnen auch „Stress“ gegeben. Die „ganze Fragerei“ und die Sache mit „Allmysterie“ – eine von der Zeugin B häufig besuchte Internetplattform, die sich mit ungeklärten Kriminalfällen befasst, auch dem Verschwinden von T E – seien ihm schon komisch vorgekommen. Es hätte sich dem früheren Angeklagten vor diesem Hintergrund und der von der Kammer geschilderten Persönlichkeit der Zeugin B, deren Leben das Zusammensein mit dem früheren Angeklagten eine besondere Bedeutung verlieh (Seite 33, 2. Absatz UA), aufdrängen müssen, dass die Zeugin B seine Selbstbezichtigung nicht für sich behalten würde. Entgegen den Ausführungen in der Beschwerdeschrift kommt es dabei auch nicht darauf an, ob der frühere Angeklagte nicht davon ausgegangen ist, dass die Zeugin B sich persönlich an die Polizei wenden würde. Ihm hätte sich jedenfalls aufdrängen müssen, dass sich die Zeugin B in einem der von ihr besuchten Internetforen oder auch, wie vorliegend geschehen, gegenüber einer Freundin, der Zeugin T2, offenbart, die sich ihrerseits an die Ermittlungsbehörden – wie geschehen – wendet.“

Zum Hintergrund: Im Verfahren nach dem StrEG ist das Beschwerdegericht gem. § 8 Abs. 3 Satz 2 StrEG i. V. m. § 464 Abs. 3 Satz 2 StPO an die Urteilsfeststellungen gebunden.

„Der war es, ich erkenne ihn wieder“, oder: Das Wiedererkennen im Strafverfahren

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Wer kennt nicht aus diversen Krimis im Fernsehen und in Spielfilmen die Gegenüberstellung und oder Lichtbildvorlagen. Wenn man es manchmal sieht, möchte man sich die Haare raufen. So viele Fehler werden da häufig gemacht. Und Fehler hatte auch eine Strafkammer des LG Erfurt in einem Verfahren wegen Diebstahls gemacht. Einer – letztlich der massivste – hat dann zur Aufhebung durch den BGH im BGH, Beschl. v. 08.12.2016 – 2 StR 480/16 – geführt.

Folgender Sachverhalt: Einbruch in eine Postfiliale,  den man den drei Angeklagten zur Last legt. Das LG verurteilt sie auf folgender Beweisgrundlage:  Das LG sieht einen der Angeklagten auf Grund der Aussagen von zwei Zeuginnen für überführt. Beide Zeuginnen hatten zur Tatzeit in unmittelbarer Nähe zum Tatort drei männliche Personen beobachtet und auf einem um 20.32 Uhr anlässlich der Geschwindigkeitsüberwachung gefertigten, ihnen von der Polizei vorgelegten Lichtbild den einen Angeklagten wiedererkannt. Die Zeuginnen hatten dies auf Vorhalt in der Hauptverhandlung bestätigt; die einen Zeugin hatte den Angeklagten auch in der Hauptverhandlung wiedererkannt. Das LG hat dann zwar „nicht übersehen, dass das Bild des Angeklagten B. A. den Zeuginnen von den Ermittlungsbeamten nicht zusammen mit Bildern anderer Personen, sondern als Einzelbild vorgelegt wurde, so dass dem Ergebnis ein wesentlich geringerer Beweiswert zukommt als dem einer vorschriftsmäßigen Wahllichtbildvorlage. Es hat die Verurteilung gleichwohl auch auf die Aussage der Zeuginnen gestützt, da weitere gewichtige Indizien für die Täterschaft des Angeklagten B. A. sprächen. Insbesondere stehe aufgrund des vorgenannten um 20.32 Uhr gefertigten Fotos fest, dass alle drei Angeklagten von W. in Richtung D. gefahren seien, denn die Angeklagten seien auf dem Foto von der Polizeibeamtin Br. , die sie aus mehreren Ermittlungsverfahren im Großraum B. kenne, ebenso wie durch den Zeugen A. M. , der die Vermietung des auf dem Lichtbild abgebildeten Audi A8 abgewickelt habe, bei polizeilichen Lichtbildvorlagen wiedererkannt worden.“

Dem BGH genügt das -m.E. zu Recht – nicht:

„Diese Beweiswürdigung trägt die Verurteilung nicht. Denn das Wiedererkennen des Angeklagten B. A. auf dem um 20.32 Uhr gefertigten Bild begegnet nicht nur im Hinblick auf die fehlende Wahllichtbildvorlage Bedenken. Konnte ein Zeuge eine ihm vorher unbekannte Person nur kurze Zeit beobachten, darf sich der Tatrichter nicht ohne weiteres auf die subjektive Gewissheit des Zeugen beim Wiedererkennen verlassen, sondern muss aufgrund objektiver Kriterien nachprüfen, welche Beweisqualität dieses Wiedererkennen hat, und dies in den Urteilsgründen für das Revisionsgericht nachvollziehbar darlegen (BGH, Beschluss vom 1. Oktober 2008 – 5 StR 439/08, NStZ 2009, 283 Rn. 7). Dies hat das Landgericht vorliegend nicht getan. Aus den Urteilsgründen ergibt sich nicht, anhand welcher Merkmale die Zeuginnen K. und We. den Angeklagten auf dem um 20.32 Uhr gefertigten Bild, anhand dessen der anthropologische Sachverständige die Identität mit dem Angeklagten B. A. gerade nicht feststellen konnte (UA S. 24), wiedererkannt haben.

Die Beweiswürdigung ist überdies auch deshalb lückenhaft, weil das Urteil nicht erkennen lässt, ob sich das Landgericht mit dem eingeschränkten Beweiswert des wiederholten Wiedererkennens – nach fehlerhafter Lichtbildvorlage – durch die Zeugin K. in der Hauptverhandlung auseinandergesetzt hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. November 1997 – 2 StR 470/97, BGHR StPO Identifizierung 13).

Ebenso wenig tragfähig ist die Beweiswürdigung des Landgerichts zu der Feststellung, der Angeklagte B. A. sei um 20.32 Uhr auf der Bundesautobahn in einem grauen Audi A8 zusammen mit den beiden Mitangeklagten von W. kommend unterwegs gewesen. Nach den Urteilsgründen konnte der anthropologische Sachverständige die Identität des Angeklagten auf dem Foto nicht positiv feststellen (UA S. 24). Die Erwägungen des Landgerichts zum Wiedererkennen durch die Zeugen Br. und A. M. bilden keine hinreichende Nachprüfungsgrundlage für das Revisionsgericht. Insoweit fehlt es bereits an einer konkreten Darlegung dazu, wann, wie oft, wie lange und in welchem zeitlichen Abstand zur Identifizierung die Zeugen den Angeklagten gesehen hatten. Eine Beurteilung der Fähigkeit der Zeugen, den Angeklagten zu identifizieren, ist dem Revisionsgericht vor diesem Hintergrund nicht möglich. Überdies werden auch hier äußere Merkmale des Angeklagten, anhand derer die Zeugen ihn auf dem Foto wiedererkennen konnten, nicht mitgeteilt.

Weiteren vom Landgericht als indiziell angenommenen Umständen – etwa der Vorstrafe des Angeklagten und dem opus moderandi – kommt angesichts dessen kein objektiver Beweiswert zu.“

Zutreffend und: Bei der Beweissituation muss man schon viel schreiben, um das „Wiedererkennen“ „revisionssicher“ zu machen. Was man schreiben muss, kann man überall nachlesen, steht in jedem Kommentar. Und jetzt hat man ja auch noch diesen BGH-Beschluss und dann gleich auch noch einen weiteren, nämlich den BGH, Beschl. v. 29.11.2016 – 2 StR 472/16. Das sollte ja vorerst mal wieder reichen.

Ach so: „Opus moderandi“ muss wohl „opus operandi“ heißen 🙂 .

Das Absehen vom Fahrverbot beim kranken Betroffenen, oder: Das zynische/sarkastische/ironische OLG Bamberg

entnommen openclipart.org

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Von einem an sich verwirkten Fahrverbot kann wegen eines sog. Härtefalls abgesehen werden. Das ist Grundwissen beim Fahrverbot und wird grundsätzlich auch so von den OLG gesehen. Aber: Die Begründung des Amtsrichters für das Absehen darf nicht nur auf der Einlassung des Betroffenen beruhen, ohne dass der Tatrichter die Richtigkeit dieser Einlassung überprüft hat. So jetzt noch einmal der OLG Bamberg,  Beschl. v. 17.01.2017 – 3 Ss OWi 1620/16.

Das AG hatte wegen einer vom Betroffenen geltend gemachten Lungenkrankheit, wegen der er zweimal wöchentlich einen Facharzt in der von seinem Wohnort 15 km entfernten kreisfreien Stadt aufsuchen müsse, vom Fahrverbot abgesehen. Es sei dem Betroffenen nicht zuzumuten, diese Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückzulegen. Die nächstgelegene Bushaltestelle sei ca. 2 km entfernt. Aufgrund seiner Lungenkrankheit könne er diese Wegstrecke nicht zu Fuß zurücklegen. Seine Tochter sei berufstätig und könne den Betroffenen deshalb nicht zum Arzt fahren; sein Schwiegersohn verfüge über keine Fahrerlaubnis. Weitere Familienangehörige oder Bekannte stünden ebenfalls nicht zur Verfügung. Ferner sei es dem Betroffene, der ein Krankengeld in Höhe von 588 € beziehe und kein Vermögen besitze, aufgrund seiner beengten finanziellen Verhältnisse nicht zumutbar, einen Fahrer anzustellen oder mit einem Taxi zu den Arztbesuchen zu fahren.

Das OLG macht das so nicht mit. Seine Begründung:

„aa) Die Feststellungen zu den Umständen, die das AG zum Absehen von der Verhängung des Fahrverbots veranlasst haben, leiden bereits an grundlegenden Darstellungsmängeln, weil hierfür in den Urteilsausführungen jeder Beleg fehlt. Ersichtlich hat das AG allein die Einlassung des Betr. zu Grunde gelegt, ohne diese auch nur ansatzweise kritisch zu hinterfragen (vgl. hierzu zuletzt Senatsbeschlüsse v. 08.12.2015 – 3 Ss OWi 1450/15 = BA 53, 192 = ZfS 2016, 290 und 22.07.2016 – 3 Ss OWi 804/16 [bei juris], jeweils m.w.N.). Dies ist schon deshalb rechtsfehlerhaft, weil es bei einer derartigen Vorgehensweise in der Hand des Betr. läge, durch Schilderung entsprechender Fakten, die der Tatrichter ungeprüft übernimmt, die Rechtsfolgenentscheidung zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Insbesondere hat das AG es unterlassen, die Art der geltend gemachten Erkrankung, deren Auswirkungen auf den Betr. sowie deren Behandlungsbedürftigkeit in Form von 2 Besuchen pro Woche beim Lungenfacharzt auch nur ansatzweise einer Überprüfung, etwa durch Vernehmung des behandelnden Arztes oder ein medizinisches Sachverständigengutachten, zu unterziehen. Ebenso wenig ist ersichtlich, worauf das AG die Erkenntnisse zu der nur eingeschränkt bestehenden Möglichkeit, mit öffentlichen Verkehrsmitteln die Arztbesuche durchzuführen, stützt. Gleichermaßen trifft dies auf die Feststellungen zur wirtschaftlichen Situation des Betr., der offensichtlich immerhin ein Kfz besitzt und unterhält, und die Feststellung zu, dass es weder Familienangehörige noch andere Personen, wie etwa Freunde, Nachbarn oder sonstige Bekannte gibt, die eventuell bereit wären, den Betr. mit dessen Pkw – gegebenenfalls gegen ein maßvolles Entgelt – entweder zu den Arztbesuchen oder zumindest zur nächst gelegenen Bushaltestelle zu fahren. Die Feststellungen des AG, die letztlich als eine unglückliche Verkettung zahlreicher Umstände des Einzelfalls anmuten und eine unzumutbare Härte durch das verhängte Fahrverbot begründen sollen, wirken schon per se nicht besonders lebensnah und hätten gerade deshalb einer kritischen Überprüfung durch eine eingehende Beweisaufnahme und -würdigung bedurft. Dies gilt umso mehr, als andernfalls die Gleichbehandlung mit anderen Verkehrsteilnehmern, die ein Regelfahrverbot verwirkt haben, nicht mehr gewährleistet wäre.

bb) Überdies hat das AG als Alternativen zur Kompensation der mit einem Fahrverbot verbundenen Nachteile lediglich die Anstellung eines Fahrers und die Fahrt mit dem Taxi vom Wohnort zum Arzt in den Blick genommen und zugrunde gelegt, dass dies dem Betr. aus wirtschaftlichen Gründen nicht zumutbar sei. Es hat dabei aber – worauf die Rechtsbeschwerde zutreffend hinweist – nicht in seine Erwägungen eingestellt, dass eine Fahrt mit einem Taxi oder durch einen Bekannten zur nächst gelegenen, vom Wohnsitz des Betr. nur ca. 2 km entfernten Bushaltestelle ebenfalls ausreichend sein könnte, was geringere Kosten verursachen würde.

cc) Ferner hat das AG auch nicht erwogen, ob gegebenenfalls eine Übernahme der Fahrtkosten durch die Krankenkasse nach § 60 I 2 SGB V in Verbindung mit der Krankentransport-Richtlinie (Stand: 18. Februar 2016) des Gemeinsamen Bundesauschusses über die VO von Krankenfahrten, Krankentransportleistungen und Rettungsfahrten nach § 92 I 2 Nr. 12 SGB V in Betracht kommt. Dabei würde es dem Betr. obliegen, sich um eine vorherige Genehmigung durch die Krankenkasse nach § 8 der vorgenannten Richtlinie zu bemühen. Falls er in Kenntnis des schwebenden Bußgeldverfahrens insoweit keine Anstrengungen zum Erhalt der erforderlichen Genehmigung unternimmt, könnte dies unter Umständen im Rahmen der gebotenen Gesamtschau zu seinen Lasten gewürdigt werden.

dd) Schließlich sind die Ausführungen des AG auch in sich widersprüchlich. Es hat zum einen nicht lediglich die Regelgeldbuße von 200 € verhängt, sondern die Geldbuße auf 500 € festgesetzt, zum anderen aber konstatiert, Taxifahrten seien dem Betr. aus wirtschaftlichen Gründen nicht zuzumuten. Dabei hat es nicht berücksichtigt, dass bei Verhängung der Regelgeldbuße immerhin ein Betrag von 300 € für etwaige Taxifahrten zur Verfügung stünde, um die Dauer des Fahrverbots zu überbrücken, zumal es – wie dargelegt – lediglich um Fahrten bis zur nächsten Bushaltestelle geht.“

Insgesamt leider eine typische OLG Bamberg-Entscheidung, der ziemlich deutlich zu entnehmen ist, dass das OLG dem Betroffenen nicht glaubt bzw. glauben will. Die Ausführungen unter dd) sind darüber hinaus für mich zynisch (?), sarkastisch (?) oder zumindest pure Ironie.

Als Verteidiger muss man aus solchen Entscheidungen den Schluss ziehen, dass die Angaben, die zum Absehen vom Fahrverbot führen sollen, von vornherein durch entsprechende Beweismittel-/antritte abgesichert werden müssen. Ob das hier geschehen war, weiß ich nicht. Ich vermute mal, leider nicht……