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Unfallmanipulation I: Zu langsam und ohne Bremsen im und senkrecht in den Kreisverkehr

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Ich habe schon länger keine Entscheidungen mehr zum manipulierten Verkehrsunfall – früher habe ich ja immer „getürkter Unfall“ geschrieben, aber dann gibt es ja jetzt einen „Aufschrei“ – vorgestellt. Dazu hängen in meinem Blogordner zwei Entscheidungen, die ich dann heute vorstelle. Die erste ist das OLG München, Urt. v. 07.07.2017 – 10 U 4341/16.

Gegenstand der Verfahresn ist ein Unfall in einem Kreisverkehr. Das OLG hat dem Kläger keinen Schadensersatz zugesprochen. Es geht aufgrund der „zentralen Bedeutung“ der „Besonderheiten des Unfallhergangs“ und des eingeholten Sachverständigengutachten von einem „manipulierten Unfall“ aus, und zwar:

  • Die Kollisionsgeschwindigkeit des Pkws des Klägers betrug nur ca. 22 km/h. Eine “normale” Geschwindigkeit im Kreisverkehr liegt aber nicht nur bei 22 km/h, sondern im Bereich von ca. 30 bis 35 km/h.
  • Die Kollisionsgeschwindigkeit des Beklagten-Pkws betrug nur ca. 20 km/h. Eine “normale” Einfahrtgeschwindigkeit liegt aber im Bereich von ca. 30 bis 35 km/h.
  • Für den Beklagten war der im Kreisverkehr herannahende klägerische Pkw ohne weiteres erkennbar; der Beklagte hätte durch eine normale Betriebsbremsung rechtzeitig vor der Haltelinie anhalten und die Kollision auf diese Weise vermeiden können.
  • Für den Kläger war die Kollision zwar nicht vermeidbar. Er hätte aber, auch ohne besondere Blickzuwendung nach rechts, erkennen können, wie sich der Beklagten-Pkw dem Kreisverkehr nähert und auch noch in einer Entfernung von einer Fahrzeuglänge vor der Haltelinie seine Geschwindigkeit nicht verringert. Dies wäre der Reaktionszeitpunkt für den Kläger (zum Einleiten einer Bremsung) gewesen; einer Blickzuwendung nach rechts, um den Beklagten-Pkw weiterhin zu sehen, hätte es für den Kläger erst später bedurft, als der Beklagten-Pkw in den Kreisverkehr einfuhr.
  • Besonders auffällig war für das OLG „der Kollisionswinkel: Dieser betrug nicht, wie es bei einer “normalen” Einfahrt des Beklagten zu 1) zu erwarten gewesen wäre, maximal 20°, sondern 65° bis 70° (vgl. S. 16/21 des Gutachtens = Bl. 97/102 d.A.). Der Beklagte zu 1) fuhr also nahezu senkrecht in den Kreisverkehr ein, was eine im Kreisverkehr erforderliche Kurvenfahrt nicht ermöglichte, wohl aber, bei dem Lenken des Beklagten zu 1) gleichsam zur Gefahr (dem herannahenden klägerischen Pkw) hin, die streitgegenständliche Kollision.“
  • Zusammenfassend meint das OLG, dass „hier kein anderer Eindruck entstehen [kann], als dass beide Unfallbeteiligte die Kollision geradezu suchten: Beide fuhren langsamer als normal. Der Unfallhergang war so zum einen leichter zu beherrschen. Zum anderen sollte dadurch das jeweilige Verletzungsrisiko minimiert werden. Eine noch geringere Geschwindigkeit wurde deswegen nicht gewählt, um den Unfall für mögliche Zeugen nicht allzu auffällig erscheinen zu lassen und um zum anderen für entsprechende Ersatzansprüche lohnende Schäden zu erzeugen.“

Es gibt zudem für das OLG keine Anhaltspunkte dafür, dass die beiden o.g. eklatanten Fahrfehler des Beklagten, das Unterlassen einer normalen Betriebsbremsung zur Vermeidung der Kollision sowie das Lenken zur Gefahr hin, nur auf Fahrlässigkeit beruhten. Und: „Wenn der Beklagte zu 1) also vorsätzlich handelte, stellt sich die Frage nach seinem Motiv: Ein solches wäre nicht ersichtlich, ginge man von einer fehlenden Unfallabsprache aus: ….“

Unfallmanipulation, oder: Wenn die Versicherung den Spieß umdreht

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Urheber Opihuck

Eine Unfallmanipulation der etwas anderen Art hat die zweite samstägliche Entscheidung zum Gegenstand (zur ersten Entscheidung aus diesem Reservoir den BGH, Beschl. v. 26.01.2017 – 1 StR 636/16 und dazu Unfallmanipulation, oder: Wann ist der Rechtsanwalt (strafbarer) Gehilfe?). Es handelt sich um das OLG Hamm, Urt. v. 22.11.2016 – 9 U 1/16. Der dortige Kläger war Halter und Eigentümer eines Volvo XC 60. Er hat nach einem „Verkehrsunfall“ vom Haftpflichtversicherer des „Unfallgegners“ rund 11.200 € Schadensersatz verlangt. Bei dem Unfall soll sein auf einem Parkstreifen geparktes Fahrzeug durch einen bei der Beklagten haftpflichtversicherten Mercedes Sprinter beschädigt worden sein. Nach der Behauptung des Klägers streifte und beschädigte der Sprinter bei der Vorbeifahrt drei vor seinem Fahrzeug abgestellte Pkw und sodann auch seinen Pkw. Bei dem Sprinter handelte es sich um ein Leihfahrzeug einer Autovermietung. Der Mieter war vom Kläger zunächst mitverklagt worden.

Die Haftpflichtversicherung des Spinters hat „Unfallmanipulation“ eingewandt. Der Kläger habe in die Beschädigung seines Fahrzeugs eingewilligt, so dass ihm keine Schadensersatzansprüche zustünden. Vielmehr habe der Kläger der Beklagten die für den beschädigten Sprinter aufgewandten Reparaturkosten von ca. 13.000 € und die für die Aufklärung der Unfallmanipulation angefallenen Sachverständigenkosten von ca. 7.000 € zu erstatten. Und die Beklagte hat den „Spieß umgedreht und hat diese Beträge mit einer Widerklage vom Kläger verlangt.

Das LG hat Klage und Widerklage abgewiesen. Der Kläger habe nicht nachweisen können, dass er sein Fahrzeug unbeschädigt am späteren Unfallort abgestellt habe. Die Beklagte habe ein manipuliertes Unfallgeschehen nicht nachgewiesen, bei dem der Kläger in die Beschädigung seines Fahrzeugs eingewilligt habe. Dagegen die Berufung der Beklagten, die beim OLG Erfolg hatte. Das OLG sagt: Verabredet der Eigentümer die Beschädigung seines Fahrzeugs durch ein manipuliertes, mit einem Mietwagen ausgeführtes Unfallgeschehen, erhält er keinen Ersatz für den an seinem Fahrzeug entstandenen Schaden. Vielmehr schuldet er dann noch die Reparaturkosten für den beschädigten Mietwagen. Der Kläger hat die Entscheidung des Landgerichts hingenommen und erhält deswegen keinen Ersatz für den an seinem Fahrzeug entstandenen Schaden. Demgegenüber hat die Beklagte gegen die Abweisung der Widerklage Berufung eingelegt.

Das OLG geht nach der durchgeführten Beweisaufnahme – nahc Auswertung eines unfallanalytischen Sachverständigengutachtens – von einem manipulierten Unfall aus: Das unfallanalytische Sachverständigengutachten habe nämlich ergeben, dass das Fahrzeug des Klägers nicht – wie von ihm behauptet – in einer Vorwärtsfahrt in Fahrtrichtung des Sprinters, sondern während eines Zurücksetzens desselben beschädigt worden sei. Dabei spielte auch eine Rolle, dass der Eigentümer eines anderen am vermeintlichen Unfallgeschehen beteiligten Fahrzeugs in Bezug auf von ihm geltend gemachte Schadensersatzansprüche des versuchten Betruges überführt worden sei. Außerdem habe der Fahrer/Mieter des Sprinter das Unfallgeschehen nachweislich falsch dargestellt, um den geschädigten Fahrzeugeigentümern Schadensersatzansprüche zu verschaffen:

„Allein diese Tatsachen rechtfertigen mit der nach § 286 ZPO erforderlichen Gewissheit die tatsächliche Feststellung, dass auch der Kläger in die Beschädigung des von ihm gehaltenen Volvo XC 60 eingewilligt hat.

Ergeben die im Rahmen der persönlichen Anhörung zum Unfallhergang gemachten Angaben des Schädigers, hier des Beklagten zu 1), dass diesen keinen Glauben geschenkt werden kann, gereicht dies nicht stets im Sinne eines Automatismus dem Anspruchsteller zum Nachteil. Denn dieser kann, insbesondere, wenn er wie vorliegend, das Unfallgeschehen nicht selbst wahrgenommen hat, sich zur Schilderung des Unfallereignisses nur auf die Angaben des Schädigers, eventuell vorhandener Zeugen und die vorgefundene Spurenlage stützen. Erscheinen die Angaben des Schädigers unplausibel, besagt dies zunächst einmal nur etwas über die Werthaltigkeit der Angaben des Schädigers und nichts über eine dahinter stehende kollusive Schädigungsabsicht. Sind die Angaben des Schädigers allerdings so konstruiert und/oder in gesteigertem Maße mit objektiven Anhaltspunkten nicht in Einklang zu bringen, dass das Gericht mit der erforderlichen Gewissheit zu der Überzeugung gelangt, dass diese als unwahr nachgewiesenen Angaben nur den einen Zweck, das Herbeiführen eines allein den Interessen des Geschädigten dienenden manipulierten Unfalls, verfolgen, ist es gerechtfertigt, auch das Verhalten des Schädigers bei der vorzunehmenden Abwägung aller Indizien des Einzelfalls mit einzustellen (OLG Hamm, Beschluss vom 24. Juni 2016 – I-9 U 70/16 –, Rn. 12, juris). So liegt der Fall aus den dargelegten Gründen auch hier.“

Und das war es dann: Der Kläger bleibt auf seinem „Schaden“ (?) sitzen und muss außerdem der Versicherung die Reparaturkosten für den beschädigten Mietwagen und die Sachverständigenkosten zahlen.  Ganz schön „teurer Spaß“ 🙂 . Vielleicht dient so etwas ja als Abschreckung, denn letztlich zahlen ja die anderen Versicherungsnehmer ggf. solche „Schadensleistungen“ über ihre Beiträge mit.

Unfallmanipulation, oder: Wann ist der Rechtsanwalt (strafbarer) Gehilfe?

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Als erste Entscheidung am Samstag dann den BGH, Beschl. v. 26.01.2017 – 1 StR 636/16. Ja, richtig gelesen, eine strafrechtliche Entscheidung, was ungewohnt ist im samstäglichen „Kessel Buntes“. Aber die Entscheidung hat die Problematik der Unfallmanipulation (mit) zum Gegenstand und passt daher ganz gut.

Mit dem Beschluss v. 26.01.2017 hat der BGH ein Urteil des LG Stuttgart aufgehoben. Das hatte den dort angeklagten Rechtsanwalt wegen Beihilfe zum versuchten Betrug in zwei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 70 Euro verurteilt. Grundlage waren folgende Feststellungen des LG: Der Mitangeklagte H. T. ist vom LGt wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in drei Fällen (§ 315b StGB) sowie wegen Betrugs in zwölf Fällen, davon in sieben Fällen versucht, (§§ 22, 263 StGB) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt, seine mitangeklagte Ehefrau N. T. wegen Beihilfe zum Betrug in zwei Fällen und Beihilfe zum versuchten Betrug in drei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe verurteilt worden. Dem Mitangeklagten H. T. wurde vor allem angelastet, durch fingierte Unfälle einen Betrug bzw. versuchten Betrug gegenüber den gegnerischen Versicherungen begangen zu haben. Dazu nutzte dieser entweder geringfügige Fahrfehler anderer Verkehrsteilnehmer bewusst zur Herbeiführung eines Verkehrsunfalls aus oder machte bei Straßen- bzw. Parkunfällen nicht auf das Unfallereignis zurückzuführende Schäden geltend, um den jeweiligen Sachbearbeiter der in Anspruch genommenen gegnerischen Versicherung entsprechend zu täuschen.

Der Angeklagte hatte als Rechtsanwalt im Namen der Mitangeklagten H. bzw. N. T. in zwei Fällen mit anwaltlichen Schreiben jeweils gegenüber den Versicherungsunternehmen der Geschädigten Ansprüche aus solchen fingierten Verkehrsunfällen geltend gemacht. Zu einer Auszahlung von Versicherungsleistungen kam es in beiden Fällen nicht. Das LG war davon überzeugt, dass dem Angeklagten, nachdem er in zwei vorausgegangenen Fällen jeweils Schreiben der Versicherungen erhalten hatte, in denen diese die Auszahlung der erhobenen Forderungen wegen fehlender Plausibilität und Kompatibilität der Schäden verweigerten, die Betrugsabsichten des Mitangeklagten bewusst waren. „Um im hart umkämpften Anwaltsmarkt keinen Mandanten zu verlieren„, sei der Angeklagte jedoch weiterhin bereit gewesen, für die Mitangeklagten tätig zu sein.

Der BGH hat aufgehoben, weil das das Vorliegen der subjektiven Voraussetzungen einer strafbaren Beihilfe danach nicht belegt sei:

„a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind für die Beihilfestrafbarkeit bei berufstypischen „neutralen“ Handlungen die folgenden Grundsätze zu beachten: Zielt das Handeln des Haupttäters ausschließlich darauf ab, eine strafbare Handlung zu begehen, und weiß dies der Hilfeleistende, so ist sein Tatbeitrag als Beihilfehandlung zu werten. In diesem Fall verliert sein Tun stets den „Alltagscharakter“; es ist als „Solidarisierung“ mit dem Täter zu deuten und dann auch nicht mehr als sozialadäquat anzusehen. Weiß der Hilfeleistende dagegen nicht, wie der von ihm geleistete Beitrag vom Haupttäter verwendet wird, hält er es lediglich für möglich, dass sein Tun zur Begehung einer Straftat genutzt wird, so ist sein Handeln regelmäßig noch nicht als strafbare Beihilfehandlung zu beurteilen, es sei denn, das von ihm erkannte Risiko strafbaren Verhaltens des von ihm Unterstützten war derart hoch, dass er sich mit seiner Hilfeleistung die Förderung eines erkennbar tatgeneigten Täters angelegen sein ließ (BGH, Beschluss vom 20. September 1999 – 5 StR 729/98, BGHR StGB § 27 Abs. 1 Hilfeleisten 20; Urteile vom 22. Januar 2014 – 5 StR 468/12, wistra 2014, 176 und vom 1. August 2000 – 5 StR 624/99, BGHSt 46, 107, 112 ff.).

b) Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht tragfähig belegt.

Zwar stellt das Landgericht fest, dass der Angeklagte S. bei seiner anwaltlichen Tätigkeit gewusst habe, dass die von ihm geltend gemachten Ansprüche nicht bestehen. Es gründet diese Überzeugung darauf, dass er innerhalb von mehr als drei Jahren vor dem Tatgeschehen schon mehrmals Ansprüche aus Unfallgeschehen – einmal für H. T. und dreimal für N. T. – geltend gemacht habe. Diese Häufigkeit der Unfallbeteiligungen innerhalb „kürzester Zeit“ hätte ihm auffallen müssen. Zudem habe er in zwei dieser Fälle im Zeitraum Januar bis Februar 2014 zwei Schreiben von Versicherungen erhalten, die die Auszahlung der erhobenen Forderungen wegen fehlender Plausibilität und Kompatibilität der Schäden verweigerten. Er habe außerdem im August 2014 die Verteidigung des H. T. in einem Ermittlungsverfahren übernommen. Das Verfahren sei wegen des Vorwurfs des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr und gewerbsmäßigen Betrugs geführt worden.

Der hieraus gezogene Schluss auf das festgestellte Wissen um die Nichtberechtigung der geltend gemachten Ansprüche und mithin der nach den oben aufgezeigten Maßgaben ausreichenden subjektiven Voraussetzungen beruht nicht auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung, da die Erwägungen hierzu lückenhaft bleiben.

Das Tätigwerden im gegen den H. T. gerichteten Ermittlungsverfahren ist schon deswegen kein geeigneter Ansatzpunkt, da nicht festgestellt ist, welche Kenntnisse der Angeklagte über die Vorwürfe tatsächlich erlangt hat. Zudem betraf das Ermittlungsverfahren H. T. ; der Angeklagte wurde jedoch zur Durchsetzung der Ansprüche der Mitangeklagten N. T. tätig. Das mehrfache Auftreten von Ersatzansprüchen der Eheleute T. innerhalb von mehr als drei Jahren hätte zwar Anlass sein können, an der Berechtigung der geltend gemachten Ansprüche zu zweifeln, das Wissen um die Nichtberechtigung der Ansprüche folgt daraus – auch mangels näherer Auseinandersetzung des Landgerichts mit den Abläufen in der Kanzlei des Angeklag-ten und seiner Vorstellung über die Beschäftigung der Eheleute T. – indes nicht. Der Beweiswert der ablehnenden Schreiben der Versicherung lässt sich angesichts der kargen Feststellungen hierzu nicht beurteilen. So wird schon nicht mitgeteilt, ob diese Schreiben überhaupt Ansprüche betrafen, die von N. T. geltend gemacht worden sind.2

Nun ja – kann man ohne Kenntnis der Akten und der Beweisergebnisse sicher nicht abschließend beurteilen. „Unschön“ ist es aber auf jeden Fall.

Und immer wieder manipulierter Unfall, oder: Eine Häufung von Beweisanzeichen spricht für Manipulation

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Ich habe gerade erst in der letzten Woche im „Kessel Buntes“ eine Entscheidung zur Unfallmanipulation, und zwar das LG Bochum, Urt. v. 17.10.2016 – I 5 O 291/15 (vgl. dazu: Unfallmanipulation? – die Daten des Electronic Data Recorders sprechen (auch) dafür).  Heute weise ich zu der Problematik „Unfallmanipulation“ auf den OLG Schlewig, Beschl. v. 23.09.2016 – 7 U 58/16 – hin, der auch noch einmal zur Beweislast und Beweiswürdigung bei dem Verdacht auf ein vorgetäuschtes oder manipuliertes Unfallgeschehen Stellung nimmt. Es handelt sich um einen gem. § 522 Abs. 2 ZPO ergangenen Beschluss, in dem es zu einem „Parkplatunfall“ heißt:

Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 286 ZPO) berechtigt das Gericht, die im Prozess gewonnenen Erkenntnisse grundsätzlich nach seiner individuellen Einschätzung zu bewerten, wobei der Richter lediglich an die Denk- und Naturgesetze sowie sonstigen Erfahrungssätze gebunden ist. Ein Verstoß gegen diese Grundsätze ist nicht erkennbar. Infolge der Neuregelung in § 529 ZPO steht die Wiederholung der Beweisaufnahme außerdem nicht mehr im reinen Ermessen des Berufungsgerichts. Sie ist im Sinne eines gebundenen Ermessens vielmehr nur dann zulässig, wenn konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der erstinstanzlichen Feststellungen begründen und eine gewisse – nicht notwendig überwiegende – Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass im Fall der Beweiserhebung die erstinstanzlichen Feststellungen keinen Bestand mehr haben werden, sich also deren Unrichtigkeit herausstellt (vgl. Zöller-Heßler, ZPO, 31. Aufl. § 529 Rn. 3 + 4). Solche konkreten Anhaltspunkte werden mit der Berufung jedoch nicht vorgetragen.

Die ungewöhnliche Häufung von Beweisanzeichen kann die Feststellung rechtfertigen, dass sich ein Unfall entweder überhaupt nicht ereignet oder aber es sich um ein manipuliertes Unfallgeschehen handelt. Beweisanzeichen können sich zum Beispiel ergeben aus dem Unfallhergang, der Art der Schäden, der Art der beteiligten Fahrzeuge, Anlass der Fahrt, fehlende Kompatibilität, persönliche Beziehungen oder wirtschaftliche Verhältnisse (vgl. OLG Celle, Urteil vom 8. Oktober 2015, NZV 2016, 275-276). Grundsätzlich obliegt es dem Geschädigten eines Verkehrsunfalls, die Verursachung des geltend gemachten Schadens durch das gegnerische Fahrzeug darzutun und zu beweisen. Die Haftung des Schädigers entfällt dann, wenn in ausreichendem Maße Umstände vorliegen, die die Feststellung gestatten, dass es sich bei dem Schadensereignis entweder überhaupt nicht um einen Unfall oder aber um ein manipuliertes Unfallgeschehen handelt. Im letzteren Fall scheitert ein Ersatzanspruch an der Einwilligung des Geschädigten. Den Nachweis, dass ein vorgetäuschter Unfall vorliegt, hat grundsätzlich der Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherung zu führen. Doch genügt für den Nachweis die „erhebliche Wahrscheinlichkeit“ für unredliches Verhalten. Eine ungewöhnliche Häufung von Beweisanzeichen, die für eine Manipulation spricht, gestattet eine entsprechende Feststellung gemäß § 286 ZPO (vgl. BGH NJW 1978, 2154; KG Berlin, Urteil vom 29. April 2002, VersR 2003, 610-613).

Bei Heranziehung der oben genannten Maßstäbe drängen sich auch dem Senat – unter Berücksichtigung der gesamten Einwendungen der Beklagten – hier hinreichend gewichtige Indizien für ein fehlendes oder aber manipuliertes Unfallgeschehen auf. Unter Ziffer a bis h (vgl.S. 5-7 des angefochtenen Urteils) hat das Landgericht entsprechende Beweisanzeichen aufgezählt, die hier für ein fehlendes oder aber manipuliertes Unfallgeschehen sprechen. Die Bekundungen des Zeugen W (Ehemann der Klägerin) vermögen der Klage nicht zum Erfolg zu verhelfen. Schließlich hat sich die Klägerin weder im ersten Rechtszug noch im Berufungsrechtszug auf das Zeugnis der vermeintlichen Schädigerin, Frau R, berufen, was in diesem Fall zur Glaubhaftmachung des behaupteten Unfallgeschehens nahe gelegen hätte. Unstreitig hatte sich der Ehemann der Klägerin – wie er selbst bekundet hat- nämlich die Daten von Frau R geben lassen und sogar notiert. Von dem Vorschaden aufgrund eines vorausgegangenen Unfalls vom 12. Dezember 2012 ( LG I, Az.: ) war zunächst keine Rede. Schließlich ist die behauptete Kollision auch nicht anhand der von dem Klägervertreter im Termin am 22. April 2016 präsentierten Unfallskizze (Bl. 99 GA) plausibel dargelegt. So soll bei dem schlichten Einparkvorgang die gesamte linke Seite des klägerischen Pkw Mercedes Kombi (amtl. Kennzeichen…, E-Klasse E 280 CDE, Erstzulassung 12. Juli 2006, Laufleistung 232.556 km) beschädigt worden sein. Ausweislich des Lichtbildes Nr. 9 des Sachverständigengutachtens W vom 6. Oktober 2014 (Bl. 19 GA) erfolgte der erste Anstoß offenbar bereits an dem hinteren linken Reifen und setzte sich dann über die gesamte linke Seite bis zum vorderen Kotflügel fort. Im Hinblick auf dieses Schadensbild muss sich die Kollision unter einem extrem flachen Anstoßwinkel, praktisch in einer parallelen Vorbeifahrt ereignet haben. Typischerweise verhalten sich Autofahrer beim Einparkvorgang in eine Parklücke jedoch stets bremsbereit, so dass ein solch ausgedehntes Schadensbild zumindest erklärungsbedürftig erscheint.“

Unfallmanipulation? – die Daten des Electronic Data Recorders sprechen (auch) dafür

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Das LG Bochum, Urt. v. 17.10.2016 – I 5 O 291/15 – behandelt (mal wieder) einen Fall der Unfallschadenmanipulation (um Kommentare zu vermeiden, nehme ich nicht den „getürkten Unfall“ 🙂 ). Die macht im Rahmen einer fiktiven Abrechnung Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall geltend. Hierzu behauptete sie, dass ihr am Straßenrand abgestelltes – hochwertiges – Kfz vom Typ Audi A-7 durch den Beklagten mit einem Fahrzeug beschädigt worden sein soll, welches dieser angemietet hatte. Der Beklagte hat angegeben, dass er in der Nähe vom Unfallort nicht gehalten, sondern gleich in die Straße des Kollisionsortes eingebogen wäre. Bei starkem Regen wäre dann überraschend die Fahrzeugelektronik ausgefallen und dies wäre die Ursache für ein Abkommen nach rechts von der Fahrbahn gewesen.

Das LG geht von einem manipulierten Unfall aus. Insoweit nichts Neues, wenn es ausführt:

„Auf das Vorliegen eines manipulierten Unfallereignisses kann bereits dann geschlossen werden, wenn ein solches nicht mit Sicherheit festgestellt werden kann, jedoch hinreichend starke Indizien dafür sprechen, dass eine Absprache der Beteiligten vorliegt (vgl. OLG Hamm, Beschl v. 25.6.2014 -Az. 20 U 66/14). Entscheidend ist dabei eine Gesamtschau aller Umstände, nicht die isolierte Würdigung einzelner Aspekte des Sachverhalts (KG, Urt. v. 6.2.2006 -12 U 4/04).“

Auch die herangezogenen Indizien sind dann nicht neu: Hochwertiges Fahrzeug wird durch ein gemietetes Fahrzeug beschädigt, Abrechnung auf der Grundlage fiktiver Reparaturkosten,  zeitnaher Verkauf des geschädigten Fahrzeugs, vermeintlich klare Haftungslage.

Aber ein Kriterium ist dann doch „neu“ bzw. macht die Entscheidunge berichtenswert. Nämlich:

„Neben der Vielzahl der dargestellten Indizien spricht jedoch insbesondere das auf der Auswertung des „Electronic Data Recorder“ basierende Gutachten für einen gestellten Verkehrsunfall. Aus den insgesamt gut nachvollziehbaren Ausführungen – ¬denen die Klägerin ebenfalls nicht entgegengetreten ist – ergibt sich ein Unfallhergang, der vollständig von den Schilderungen des Beklagten zu 1) abweicht. Hiernach stand das Fahrzeug fünf Sekunden vor der Kollision und wurde dann relativ stark auf eine Geschwindigkeit von 34 km/h beschleunigt. Das Lenkrad war dabei nach links gedreht. Anschließend folgte eine leichte Lenkbewegung nach rechts sowie ein leichtes Abbremsen. Sodann kam es zu der Kollision. Dies weicht erheblich von den Schilderungen des Beklagten zu 1) ab und stellt kein plausibles und nachvollziehbares Fahrmanöver dar.

Es besteht zudem kein Grund an dem Parteigutachten, das durch einen öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen erstattet wurde, zu zweifeln. Insbesondere besteht kein Grund zu der Vermutung, dass die vom „Electronic Data Recorder“ zur Verfügung gestellten Daten durch einen etwaigen Ausfall der Elektronik beeinflusst worden sind. Dies ergibt sich ebenfalls aus dem Gutachten. Wäre es zu einem solchen Ausfall gekommen, hätte der „Electronic Data Recorder“ andere oder ggf. gar keine Daten aufgezeichnet.

Es bestehen im Hinblick auf die Auswertung dieser Daten auch keine datenschutzrechtlichen Bedenken. Bei den Aufzeichnungen des Electronic Data Recorder dürfte es sich um personenbezogene Daten im Sinne des BDSG handeln, da dieser Begriff weit auszulegen ist und keine gesteigerte Persönlichkeitsrelevanz oder Eingriffsintensität voraussetzt (Tager/Gabel-Buchner, BDSG, § 3 Rn. 11). Die Datenverarbeitung ist jedoch nach § 28 Abs. 1 Nr. 2 BDSG zulässig, da sie zur Wahrung berechtigter Interessen erforderlich ist und keine überwiegenden schutzwürdigen Interessen des Betroffenen ersichtlich sind. Im Rahmen der erforderlichen Abwägung überwiegt das Interesse an der Aufklärung des Geschehensablaufs das Interesse des Betroffenen am Schutz der personenbezogenen Daten, zumal diese hier nahezu keine Rückschlüsse auf persönlichkeitsrelevante Merkmale erlauben (vgl. Pötters/Wybitul, NJW 2014, 2074, 2076 ff.).“