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8 bis 10 Kölsch?, oder: Offenbar noch kein „generell … problematisches Trinkverhalten ….“

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Die zweite „karnevalistische“ Entscheidung – na ja, zumindest eine, bei der die Suche mit dem Schlagwort „Karneval“ Erfolg hatte – ist der VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 02.09.2016 – 7 L 1951/16. Es geht (mal wieder, obwohl ich lange dazu keine Entscheidung vorgestellt habe) um die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 3 StVG. Dem Verfahren lag ein MPU-Gutachten zugrunde, um dessen Verwertbarkeit gestritten wurde. In dem Zusammenhang macht das VG dann folgende Ausführungen zum „Trinkverhalten“:

„Das Gutachten geht – entgegen der Auffassung des Antragstellers – weder von falschen Angaben zum Trinkverhalten des Antragstellers aus noch zieht es daraus falsche Schlüsse.

Das Gutachten geht nachvollziehbar von der Tatsache aus, der Antragsteller habe 8 bis 10 Kölsch am 8. Februar 2016 getrunken. Der Antragsteller muss sich an diesen in der Exploration im Rahmen der Begutachtung gemachten Angaben zu seinem Trinkverhalten seit der letzten Trunkenheitsfahrt, insbesondere an Karneval 2016, festhalten lassen. Die nunmehr erst im vorliegenden Verfahren bzw. Klageverfahren angegebene längere Trinkdauer derselben Menge Alkohol über den gesamten Karnevalszeitraum ist nicht glaubhaft. Sie steht im Widerspruch zu seiner Angabe, er sei „da auf Karneval“ letztmalig betrunken gewesen. Denn es spricht vieles dafür, dass der Antragsteller, wenn er eine Alkoholkonsummenge von 8 bis 10 Kölsch verteilt über mehrere Tage getrunken hätte, dadurch nicht – wie er aber erklärt hat – betrunken gewesen wäre. Anhaltspunkte dafür, dass die Mengenangaben des Antragstellers zu seinem Alkoholkonsum an Karneval sich auf das gesamte Wochenende beziehen, sind zudem aus der dokumentierten Exploration nicht ersichtlich. Seine Antwort auf die Frage, wann er letztmalig Alkohol getrunken habe, ist vielmehr eindeutig auf einen einzelnen Tag bezogen, soweit er angibt, „Karneval in Köln am 8. Februar 2016 da waren es 8 bis 10 Kölsch…“ (Bl. 9 des Gutachtens). Ob eine Trinkmenge von 8 bis 10 Kölsch generell auf ein problematisches Trinkverhalten schließen lässt oder ohne eine entsprechende Vorgeschichte mit alkoholbedingter Verkehrsauffälligkeit akzeptabel ist, namentlich wenn diese ausnahmsweise zu Anlässen wie Karneval konsumiert wird, bedarf hier keiner Bewertung.

Das Gutachten zieht aus dem Trinkverhalten des Antragstellers an Karneval 2016 keine unzulässigen Schlüsse auf den die Verhaltenssteuerung nachteilig beeinflussenden Berauschungsgrad. Die gutachterliche Beurteilung der Trinkmenge von 8 bis 10 Kölsch, die auf einen Berauschungsgrad schließen lasse, welcher eine gravierende, nachteilige Beeinflussung der rationalen Verhaltenssteuerung erwarten lasse (Bl. 13 des Gutachtens), ist nämlich in folgendem Kontext zu sehen: Im Kern ist für diese Schlussfolgerung des Gutachtens maßgeblich, dass der Antragsteller weder sein Alkoholkonsumverhalten grundlegend verändert hat noch eine ausreichende Einsicht in die Notwendigkeit einer solchen Veränderung erkennen lässt. Es fehlt eine angemessene Bewertung seines früheren – als deutlich normabweichend einzuschätzenden – Alkoholkonsums im Sinne einer Selbstreflexion und zudem eine als hinreichend zu bewertende Reduzierung der Trinkmenge gegenüber früher. Die eigene Beurteilung des Antragstellers, sein Trinkverhalten sei seit der letzten aktenkundigen Trunkenheitsfahrt „super eingeschränkt“ (Bl. 9 des Gutachtens) ist nicht realitätsnah. Jedenfalls im Fall des Antragstellers bietet aber vor dem Hintergrund seiner Vorgeschichte – wie das Gutachten nachvollziehbar feststellt (Bl. 13 des Gutachtens) – nur eine geplante Dauer und Art des Alkoholkonsums bei konsequenter Einhaltung fester Obergrenzen hinreichende Aussicht auf die Vermeidung erneuten exzessiven bzw. problematischen Alkoholkonsums. Der Antragsteller hat in der Vergangenheit nämlich gezeigt, dass er bereits bei BAK-Werten um ca. 1,3 Promille (erste aktenkundige Trunkenheitsfahrt am 16. Februar 2006) bzw. AAK-Werten um ca. 0,5 mg/l (zweite aktenkundige Trunkenheitsfahrt am 2. Dezember 2015) in seiner rationalen Verhaltenssteuerung derart nachhaltig beeinflusst ist, dass er in diesem Berauschungszustand mehrfach ein Kraftfahrzeug geführt hat.“

Das beruhigt mich, dass eine Menge von 8 bis 10 Kölsch – das soll ja so etwas Ähnliches wie Bier sein 🙂 – offenbar noch nicht „generell auf ein problematisches Trinkverhalten schließen lässt“. 🙂 . Die haben wahrscheinlich alle die, die um 11.11 Uhr angefangen haben zu feiern, schon drin 🙂

Besoffen auf dem Segway, oder: Trunkenheitsfahrt

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Heute dann mal wieder ein wenig  Verkehrsrecht. Den Opener macht der OLG Hamburg, Beschl. v. 19.12.2016 – 1 Rev 76/16 -, über den der Kollege Gratz vom VerkehrsrechtsBlog ja auch schon berichtet hat. Der Angeklagte ist wegen (vorsätzlicher) Trunkenheit im Verkehr (§ 316 StGB) zu einer Geldstrafe verurteilt worden, die Entziehung der Fahrerlaubnis wurde angeordnet und eine einjährige Sperre für die Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis bestimmt. Besonderheit: Der Angeklagte war mit einem Segway gefahren. Das LG hat das „Segway” als Kraftfahrzeug angesehen und die Grenze zur absoluten Fahruntüchtigkeit hierfür nach dem Beweisgrenzwert von 1,1 Promille bestimmt.

Das OLG tritt dem bei:

„bb) Der für alle Führer von Kraftfahrzeugen geltende Beweisgrenzwert von 1,1 Promille ist auch auf den Führer eines „Segway“ anzuwenden. Hierbei handelt es um ein Kraftfahrzeug im Sinne des § 316 StGB.

(1) Ein „Segway“ wird als elektromotorengetriebenes „Ein-Personen-Transportmittel“ (UA S. 4) von den maßgeblichen gesetzlichen Begriffsbestimmungen des Straßenverkehrsgesetzes erfasst (ebenso etwa Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 24. Aufl., § 1 StVG Rn. 8; Hentschel/König/Dauer, a.a.O., StVG § 1 Rn. 14; MünchKomm-StVR/Huppertz, StVG § 1 Rn. 14, jeweils m.w.N.). Kraftfahrzeuge sind nach § 1 Abs. 2 StVG durch Maschinenkraft bewegte und nicht an Gleise gebundene Landfahrzeuge (vgl. auch BGH, Urt. v. 24. Juni 1993 – 4 StR 217/93, BGHSt 39, 249, 250). Das „Segway“ unterfällt auch nicht den im Zusammenhang mit dem Thema Elektromobilität neu eingeführten Maßgaben des § 1 Abs. 3 StVG (vgl. hierzu BT-Drucks. 17/12856, S. 11). In Kenntnis einer bereits zuvor allgemeinkundigen Teilhabe auch des „Segway“ am Straßenverkehr, sah der Gesetzgeber aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit allein Regelungsbedarf bei sogenannten Elektrofahrrädern (vgl. BT- Drucks. a.a.O.).

(2) Dieses Begriffsverständnis wird weiter durch die Maßgaben der Straßenverkehrsordnung gestützt. Nach § 1 Abs. 2 der Verordnung über die Teilnahme elektronischer Mobilitätshilfen am Verkehr vom 16. Juli 2009 (MobHV; BGBl. I S. 2097) gelten etwa zweispurige Kraftfahrzeuge mit zwei parallel angeordneten Rädern und integrierter elektronischer Balance-, AntriebsLenk- und Verzögerungstechnik, die eine Gesamtbreite von 0,7 m nicht überschreiten, eine Plattform als Standfläche für einen Fahrer, eine lenkerähnliche Haltestange, über die der Fahrer durch Schwerpunktverlagerung die Beschleunigung, das Abbremsen sowie die Lenkung beeinflussen kann (vgl. ferner § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 MobHV), als Kraftfahrzeuge. Überdies bestimmt § 7 MobHV, dass der Führer elektronischer Mobilitätshilfen auch ansonsten den Vorschriften der Straßenverkehrsordnung unterliegt (vgl. auch Hentschel/König/Dauer, a.a.O., StVO § 2 Rn. 71a).

(3) Auch die – hiermit inhaltsgleiche (vgl. Hentschel/König/Dauer, a.a.O., FZV § 2 Rn. 3) – Begriffsbestimmung aus § 2 Abs. 1 Nr. 1 FZV stützt diese Einordnung. Hiernach darf auch ein grundsätzlich zulassungsfreies „Segway” (vgl. § 3 Abs. 2 Nr. 1g FZV) auf öffentlichen Straßen nur in Betrieb gesetzt werden, wenn sie etwa eine nationale Typengenehmigung oder eine Einzelgenehmigung haben (vgl. nur Hentschel/König/Dauer, a.a.O., FZV § 3 Rn. 16a; Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, a.a.O., § 1 StVG Rn. 8).

(4) Schließlich wird vor diesem rechtlichen Hintergrund konsequent auch für ein „Segway” eine durch § 1 PflVG begründete Versicherungspflicht anerkannt (vgl. MünchKomm-StVR/Kretschmer, PflVG § 6 Rn. 8; Hentschel/König/Dauer, a.a.O., FZV § 3 Rn. 16a; ferner Wilke, DAR 2016, 482, 484). Daher ist – bußgeldbewehrt (vgl. Hentschel/König/Dauer, a.a.O., FZV § 3 Rn. 16a) – weitere Voraussetzung für das Führen im öffentlichen Straßenverkehr stets auch das Vorhandensein eines entsprechenden Versicherungskennzeichens (§§ 26, 27 FZV; § 2 Abs. 1 Nr. 2 MobHV).“

Wird man wohl nicht dran vorbei kommen. Was mich erstaunt: Kein Wort zum Vorsatz, obwohl „nur“ 1,5 Promille festgestellt worden sind. Allerdings – das räume ich ein -: Man kennt die land-/amtsgerichtlichen Feststellungen nicht.

Verwertbarkeit der Angaben des besoffenen Angeklagten, oder: Da ist Musik drin

© Alexander Raths - Fotolia.com

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In mehrfacher Hinsicht interessant ist der OLG Karlsruhe, Beschl. v. 16.11.2016 – 2 (4) Ss 633/16 – AK 226/16 -, den mir der Kollege Helling aus Waldshut-Tiengen übersandt hat. Ergangen ist der Beschluss in einem Verfahren wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr. Das LG hat den Angeklagten wegen eines Verstoßes gegen § 316 StGB verurteilt. Das OLG hebt auf und stützt die Aufhebung im Wesentlichen auf zwei Gründe:

  • Fehler in der Beweiswürdigung betreffend den Zeitpunkt der Alkoholaufnahme durch den Angeklagten im Hinlick auf einen vom Angeklagten behaupteten Nachtrunk.
  • Fehler in der Begründung der Ablehnung einer alkoholbedingten erheblichen Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zum Tatzeitpunkt nach § 21 StGB. Das AG hatte nicht nur schon die maßgeblichen Tatzeit-BAK falsch ermittelt – 2,46 Promille anstatt 3,76 Promille -, sondern eine nicht ausreichende Würdigung der Umstände in Tat und Person vorgenommen.

So weit, so gut – insoweit wegen der Einzelheiten bitte selbst lesen. Besonders hinweisen will ich dann aber auf eine Segelanweisung des OLG betreffend die Verwertbarkeit von Angaben eines Vernehmungsbeamten. Dazu führt das OLG aus:

„Ob die Angaben des Vernehmungsbeamten des Angeklagten gegebenenfalls aufgrund eines alkoholbedingten Verständnisdefizits im Hinblick auf dessen Belehrung als Beschuldigter über sein Schweigerecht einem aus den §§ 163 Abs. 4 S. 2, 136 Abs. 1 S. 2 StPO abgeleiteten Verwertungsverbot (hierzu BGH NStZ 1994, 95, juris Rn. 8) oder aufgrund alkoholbedingter Vernehmungsunfähigkeit einem Verwertungsverbot aus § 136a StPO unterliegen (Diemer in: KK-StPO, 7. Auflage, § 136a, Rn. 13, 16 m.w.N.), obliegt der tatgerichtlichen Würdigung. In der Regel dürfte ein Beschuldigter dann, wenn er infolge seiner geistigen oder seelischen Verfassung die Belehrung über die Aussagefreiheit nicht versteht, auch nicht vernehmungsfähig sein (Gleß in: Löwe-Rosenberg, 26. Auflage, § 136, Rn. 86). Ob derartige Defizite beim Angeklagten vorlagen, ist eine Frage, die der Tatrichter im Wege des Freibeweises zu prüfen hat. Dabei gilt der Grundsatz „in dubio pro reo“ nicht (BGH NStZ 1993, 393; OLG Stuttgart, B. v. 28.04.2009, 2 Ss 747/08, juris Rn. 16; OLG Köln StV 1989, 520, 521).

Ob ein Zeuge oder ein Beschuldigter in der Lage war, die ihm erteilte Belehrung zu verstehen, richtet sich nach den Grundsätzen, die für die Beurteilung gelten, ob der Erklärende verhandlungsfähig war. Diese Fähigkeit wird in der Regel nur durch schwere körperliche oder seelische Mängel oder Krankheiten ausgeschlossen (BGH NStZ 1993, 393). Dass der Beschuldigte zum Zeitpunkt seiner Vernehmung unter vorläufiger Betreuung stand, ist für die Wahrnehmung seiner prozessualen Rechte als Beschuldigter unerheblich. Nicht der gesetzliche Vertreter, sondern der Beschuldigte ist höchstpersönlich zu belehren (Diemer, a.a.O., § 136, Rn. 11; Rogall in: SK-StPO, 41. Aufbaulieferung, § 136, Rn 33; Gleß, a.a.O., § 136, Rn. 32; Meyer-Goßner/Schmitt, § 136, Rn. 8); unabhängig vom Aufgabenbereichs eines vorläufig bestellten Betreuers ist ein Beteiligungsrecht des gesetzlichen Vertreters – wie im Fall des Bestehens eines Aussageverweigerungsrechts eines Zeugen nach § 52 Abs. 2 S. 1 StPO – bei der Ausübung des Schweigerechts durch den Beschuldigten gesetzlich nicht vorgesehen.

Im Hinblick auf die Prüfung eines Verstoßes gegen § 136a StPO ist dabei darauf hinzuweisen, dass ein Verwertungsverbot grundsätzlich unabhängig davon besteht, ob der Beschuldigte die zur Vernehmungsunfähigkeit aufgrund Alkoholkonsums führende Trunkenheit selbst verursacht hat. Insoweit ist allein der objektive Zustand maßgebend (OLG Stuttgart a.a.O., Rn. 16; OLG Köln a.a.O., 521). Unerheblich ist ebenfalls, ob die Vernehmungsperson die dadurch bewirkte Beeinträchtigung der Willensfreiheit erkannt hat oder nicht (OLG Köln a.a.O., 521; Diemer, a.a.O., § 136a, Rn. 13, 16 m.w.N.).

Vorliegend dürfte für die Feststellung der kognitiven Fähigkeiten des Angeklagten zum Zeitpunkt seiner Belehrung und Vernehmung als Beschuldigter neben der konkret zu berechnenden Blutalkoholkonzentration und seinem Leistungsvermögen einer gegebenenfalls bestehenden Alkoholgewöhnung (bei einer BAK von immerhin 1,96 Promille zum Zeitpunkt der Blutentnahme scheint der Angeklagte nach Darstellung der Zeugenangaben im Urteil kaum beeinträchtigt gewesen zu sein), einer gegebenenfalls bestehenden psychiatrischen Erkrankung oder einer Wechselwirkung mit eventuell eingenommenen Medikamenten indizielle Bedeutung beizumessen sein; bei einem trinkgewöhnten Angeklagten ließe sich jedenfalls eine Beeinträchtigung der Willensfreiheit nicht allein auf einen Blutalkoholgehalt von zwei Promille stützen (hierzu BGH bei Dallinger MDR 1970, 14). Hierzu wird das Vordergericht – gegebenenfalls sachverständig beraten – weitergehende Feststellungen zu treffen haben.“

Da steckt Musik drin.

Verminderte Schuldfähigkeit bei Alkoholismus?, oder: Demnächst (auch) beim Großen Senat?

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Die zweite verkehrsrechtliche Entscheidung – zumindest mit verkehrsrechtlichem Einschlag – ist der OLG Hamm, Beschl. v. 15.09.2016 – 3 RVs 70/16 (zum ersten Posting Keine Schonfrist beim StGB-Fahrverbot, oder: Nicht zu kreativ….). Dem Angeklagten wird zur Last gelegt, im Straßenverkehr alkoholisiert einen Motorroller geführt zu haben (§ 316 StGB). Das AG hat den Angeklagte von dem Vorwurf der fahrlässigen Trunkenheit im Straßenverkehr frei gesprochen. Auf die Berufung der StA hat das LG das Urteil aufgehoben und den Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. In seinem Urteil hat das LG ausgeführt, dass zwar nicht ausgeschlossen werden könne, dass der Angeklagte infolge seiner massiven Alkoholisierung in seiner Fähigkeit, das Unrecht der Tat einzusehen, erheblich vermindert sei, § 21 StGB. Dennoch habe die Strafkammer von der fakultativen Milderungsmöglichkeit keinen Gebrauch gemacht, da der Angeklagte getrunken habe, obwohl er damit rechnete, noch als Fahrer am öffentlichen Straßenverkehr teilzunehmen. Vor diesem Hintergrund sei die Tat auch nicht allein deshalb milder als der Normalfall zu werten, weil die alkoholische Beeinflussung recht hoch sei.

Die Revision des Angeklagten hatte hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs Erfolg. Die Leitsätze des OLG Hamm:

  1. Voraussetzung für eine Versagung der Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB ist stets, dass dem Angeklagten die Alkoholaufnahme zum Vorwurf gemacht werden kann. Dies kommt in der Regel dann nicht in Betracht, wenn der Täter alkoholkrank ist oder ihn der Alkohol zumindest weitgehend beherrscht, wenn also in der aktuellen Alkoholaufnahme kein schulderhöhender Umstand gesehen werden kann.
  2. Bei der Trunkenheitsfahrt mit einem Roller handelt es sich um eine erhebliche Straftat im Sinne des § 64 StGB.

Das OLG ist hier davon ausgegangen, dass aufgrund einer doch sehr wahrscheinlichen Alkoholkrankheit bereits erhebliche Zweifel an der Vorwerfbarkeit der Alkoholaufnahme durch den Angeklagten bestanden haben. Damit musst es nicht zu der Frage Stellung nehmen, inwiefern alleine die durch verschuldete Trunkenheit selbstverantwortlich herbeigeführte erheblich verminderte Schuldfähigkeit eine Versagung der Strafmilderung nach §§ 21, 491 Abs. 1 StGB. rechtfertigen kann. Diese Frage wird m.E. demnächst aufgrund eines Anfragebeschlusses des 3. Strafsenats (§ 132 Abs. 3 Satz 1 GVG) (BGH StraFo 2016, 33) wahrscheinlich den Großen Senat für Strafsachen beschäftigen. Denn anders als der 3. Strafsenat und auch der 4. Strafsenat (BGH NStZ-RR 2016, 305) ist der 1. Strafsenat des BGH (vgl. Beschl. v. 10.05.2016 – 1 ARs 21/15) der Auffassung, dass der Umstand der selbst verschuldeten Trunkenheit des Täters eine Versagung der Strafrahmenverschiebung nicht rechtfertigt, wenn sich nicht zugleich aufgrund der persönlichen oder situativen Verhältnisse des Einzelfalls das Risiko der Begehung von Straftaten vorhersehbar signifikant infolge der Trunkenheit erhöht habe. Hierfür soll etwa das Wissen des Täters, dass er unter Alkoholeinfluss zu strafbaren Verhaltensweisen neige, aber trotzdem Alkohol trinke, genügen. Ähnlich wie der 1. Strafsenat wird die Frage vom 5. Strafsenat beantwortet (vgl. Beschl. v. 01.03. 2016 – 5 ARs 50/16).

Beanstandet hat das OLG auch, dass das LG die Voraussetzungen des § 64 StGB nicht geprüft hat. Denn bei der Trunkenheitsfahrt des Angeklagten mit einem Roller handele es sich um eine erhebliche Straftat im Sinne dieser Vorschrift (s. auch OLG Celle StRR 2015, 69 = NStZ-RR 2015, 24). Der Angeklagte sei zu einem Zeitpunkt, zu dem die Straßen vorhersehbar nicht menschenleer sind, mit seinem Roller gefahren und war dabei ganz erheblich alkoholisiert. Ein solches Verhalten könne für andere Verkehrsteilnehmer mit erheblichen Gefahren verbunden sein (vgl. dazu schon: Mit dem Mofa in die Entziehungsanstalt?).

Alkoholfreies Weizen bestellt, mit Alkohol bekommen, oder: Das AG glaubts…..

entnommen wikimedia.org Urheber Ukko.de

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Schon etwas älter ist der KG, Beschl. v. 03.03.2016 – 3 Ws (B) 106/16, hängt also auch schon etwas länger in meinem Blogordner. Das KG behandelt in seiner Entscheidung die Anforderungen an die Darlegungen im Urteil bei einem (unechtem Teil) Freispruch vom Vorwurf einer Ordnungswidrigkeit nach § 24a StVG im Falle der angeblich unbewussten Alkoholaufnahme. Das ist ja eine nicht seltene Einlassung. Hier hatte der Betroffene geltend gemacht, er habe in einer Gaststätte ein alkoholfreies Weizenbier bestellt, aber offenbar ein alkoholhaltiges erhalten, und auch vor und während der Fahrt habe er nicht bemerkt, alkoholisiert gewesen zu sein. Das hatte ihm die Amtsrichterin geglaubt und vom Vorwurf eines Verstoßes gegen § 24a StVG frei gesprochen.

Das KG hat Bedenken gegen die Beweiswürdigung, da das AG „vergessen“ hat „auch die gegen den Betroffenen sprechenden Umstände in gleicher Weise darzustellen und zu erörtern (vgl. BGH NStZ-RR 2002, 338, NStZ 2012, 227; Meyer-Goßner/Schmidt, StPO 58. Aufl., § 267 Rn. 33). Auch enthält das Urteil, obwohl sich der Betroffene umfassend eingelassen hat, keine Angaben zum Zeitpunkt des Trinkendes. Daneben verhält sich das Urteil auch nicht zu weiteren Parametern, die dem Rechtsbeschwerdegericht eine Überprüfung der Beweiswürdigung ermöglichen könnten.“

„Das Urteil lässt eine kritische Auseinandersetzung mit der Behauptung des Betroffenen vermissen, er habe nur „ein Weizenbier“ getrunken. Einer Erörterung hätte es bedurft, weil die beim Betroffenen um 2.22 Uhr und damit 42 Minuten nach einem von Polizeibeamten beobachteten Rotlichtverstoß gemessene Atemluft eine Alkoholkonzentration von 0,35 mg/l aufwies. Auch wenn sich in der Literatur Angaben über Konversionsfaktoren mit einer Schwankungsbreite in Extremen zwischen 1 : 0,7 und 1 : 6,0 finden (vgl. Haffner/Graw, NZV 2009, 209 mwN; Haffner/Dettling, Blutalkohol 52, 233) und mithin eine exakte Konvertierung von Atemalkohol in Blutalkohol im wissenschaftlich-arithmetischen Sinn ausgeschlossen ist, so ist die Wahrscheinlichkeit doch sehr hoch, dass eine um 2.22 Uhr entnommene Blutprobe einen deutlich höheren Blutalkoholwert (in Promille) ergeben hätte. Dies gilt umso mehr, als die Urteilsfeststellungen es in zeitlicher und örtlicher Hinsicht als denkbar oder sogar naheliegend erscheinen lassen, dass der Atemalkohol nicht in der Anflutungs-, sondern in der sog. postresorptiven Eliminationsphase gemessen wurde. In diesem Abschnitt steigen die Konversionsfaktoren gegenüber der Trinkphase deutlich an, nämlich auf durchschnittlich etwas über 1 : 2 (vgl. Haffner/Graw, aaO; Haffner/Dettling, aaO: zwischen 1 : 1,99 und 1 : 2,33). Auf dieser Grundlage geht auch der Gesetzgeber von einer „normativen Entsprechung“ der Messverfahren im Verhältnis von 1 : 2 aus. Dabei will er den Betroffenen, dessen Atemalkohol gemessen wird, eher etwas günstiger stellen als jenen, dessen Blut untersucht wird, so dass die (hier nicht gemessene) Blutalkoholkonzentration des Betroffenen, zumal die Trinkphase schon länger abgeschlossen war und ggf. die Phase überwiegender Alkoholelimination begonnen hatte, mit einiger Wahrscheinlichkeit sogar noch über dem verdoppelten Atemalkoholwert gelegen hätte.

Für die hier alleine in den Blick zu nehmende Bestimmung der erforderlichen Darstellungs- und Erörterungstiefe im Urteil ergibt sich daraus, dass eine Orientierung an der – zudem auf empirisch-wissenschaftliche Erkenntnisse zurückgehenden – normativen Wertung des Gesetzgebers zulässig und geboten ist. Danach musste das Amtsgericht die Behauptung des Betroffenen, er habe nur „ein Weizenbier“ getrunken, mit der Möglichkeit abgleichen, dass um 2.22 Uhr eine Blutalkoholkonzentration von ca. 0,7 Promille auf ihn wirkte. Eine Erörterung dieses Umstands lag umso näher, als allein zwischen der Gestellung des Betroffenen und der Messung 42 Minuten lagen. Die vom Betroffenen zuvor besuchte Gastwirtschaft wiederum lag mehr als 15 im innerstädtischen Verkehr zurückzulegende Kilometer vom Gestellungsort entfernt, so dass von einem noch deutlich früheren Trinkende auszugehen und gegebenenfalls in Rechnung zu stellen war, dass die mit dem Genuss von 0,5 l Weizenbier aufgenommene Alkoholmenge (ca. 20 g) bereits ganz oder zumindest teilweise abgebaut gewesen wäre.

Zwar bewertet es der nicht sachverständig beratene Senat nicht als Verstoß gegen die Denkgesetze, dass das Amtsgericht dem Betroffenen geglaubt hat, er habe nur „ein Weizenbier“ getrunken, und schon gar nicht ersetzt der Senat die Würdigung der Tatrichterin durch seine eigene. Die im Urteil geschilderten Umstände lassen die Einlassung jedoch als so überprüfungs- und klärungsbedürftig erscheinen, dass es einer vertieften Darstellung und Auseinandersetzung mit den Begleitumständen bedurft hätte. Hinzunehmen wäre die Bewertung des Amtsgerichts gegebenenfalls gewesen, wenn das Urteil ein ausgesprochen leichtes Körpergewicht des Betroffenen mitgeteilt hätte, so dass bereits geringe Mengen Alkohol zu der festgestellten, den Gefahrengrenzwert des § 24a StVG erheblich überschreitenden Alkoholisierung geführt haben könnten. Nach einer überschlägigen Berechnung des Senats und (sogar) unter Außerachtlassung möglichen Abbaus müsste der Betroffene allerdings zur Tatzeit weniger als 40 kg gewogen haben. Unter zusätzlicher Berücksichtigung begonnener Alkoholelimination dürfte die vom Betroffenen angegebene Trinkmenge indes kaum plausibel sein.

Daneben ist auch die Beweiswürdigung nicht frei von Rechtsfehlern. Eine einen Rechtsfehler im Sinn des § 79 Abs. 3 OWiG iVm § 337 Abs. 1 StPO darstellende Lücke liegt vor, wenn die Beweiswürdigung wesentliche Feststellungen nicht erörtert (vgl. etwa BGH NStZ-RR 2016, 54) oder nur eine von mehreren gleich naheliegenden Möglichkeiten prüft (vgl. BGH NStZ-RR 2005, 147). Das ist hier der Fall. Der Senat versteht das Urteil so, dass es das Amtsgericht als Indiz für die Glaubhaftigkeit der Behauptung des Betroffenen, er habe eigentlich alkoholfreies Bier trinken wollen, gewertet hat, dass er an Krebs leidet und „seit ca. einem Jahr generell keinen Alkohol“ trinke. Zugleich hat das Amtsgericht dem Betroffenen geglaubt, dass er „vor Fahrtantritt sowie während der Fahrt nicht merkte, dass er unter dem Einfluss alkoholischer Getränke stand“. Es mag entfernt denkbar sein, dass ein seit einem Jahr alkoholabstinent Lebender den zu einer Atemalkoholkonzentration von 0,35 mg/l führenden Alkohol nicht spürt. Jedenfalls müsste das Urteil aber erkennen lassen, dass sich die Richterin der Besonderheit dieses Umstands bewusst war, und es wäre darzulegen gewesen, dass und warum dem Betroffenen gleichwohl geglaubt werden konnte.“

Solche Entscheidungen zeigen ja immer auch, was man als Verteidiger ggf. im Blick behalten muss. Und: Die Entscheidung passt so richtig schön zu dem heißen Wetter. Aber: Zu Fuß gehen!