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Schnittstelle „Besondere Schwere der Schuld“ und „minder schwerer Fall“

Eigentlich m.E. keine Besonderheit, auf die das OLG Hamm in seinem Beschl. v. 08.06.2010 – III 3 RVs 6/10 zur Strafzumessung hingewiesen hat bzw. hat hinweisen müssen. Nämlich, dass im JGG-Verfahren die besondere Schwere der Schuld i.S. des § 17 Abs. 2 JGG vor allem dann näherer Prüfung bedarf, wenn ein minder schwerer Fall (des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln) in Betracht zu ziehen ist. Denn bei Bewertung der Tat als minder schwerer Fall stellt sich die Frage, ob angesichts dessen die von dem Angeklagten begangene Tat objektiv noch ein ausreichendes Gewicht aufweist, um eine besondere Schuldschwere begründen zu können.

Sollte man in „passenden“ Fällen dran denken.

Und wieder mal: Ein Verstoß gegen die Selbstbelastungsfreiheit – Fehler bei der Strafzumessung

Ich hatte ja neulich schon mal zur Strafzumessung gebloggt. Dazu passt ganz gut der Beschl. des BGH v. 11.05.2010 – 3 StR 125/10, in dem es heißt:

Nach den Feststellungen des Landgerichts hat der Angeklagte die Nebenklägerin im Schlafzimmer seines Hauses gefesselt und vergewaltigt. Als die Polizei bei ihm nach dem Verbleib der Nebenklägerin fragte, leugnete er jede Kenntnis und versteckte die Frau aus Sorge vor weiteren polizeilichen Ermittlungen. Die Strafkammer hat straferschwerend gewürdigt, „dass der Angeklagte trotz mehrfacher Nachfrage durch die Polizei, als er erkennen musste, dass eine folgenlose Freilassung der Nebenklägerin für ihn nicht mehr in Betracht kam, deren Anwesenheit nicht preisgegeben hat. Darüber hinaus war zu seinen Lasten zu berücksichtigen, dass der Angeklagte um seiner eigenen Sicherheit Willen, nämlich um eine Entdeckung der Nebenklägerin zu verhindern, diese zwang, sich für ca. 2 ½ Stunden unter das Lattenrost mit Matratze in einen geschlossenen Bettkasten zu legen, wo sie lediglich zufällig von den durchsuchenden Beamten wahrgenommen worden ist.“

Wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausführt, hat das Landgericht damit gegen den Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit verstoßen (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 16 m. w. N.). Dies gilt ohne jede Einschränkung für den ersten Satz dieser Urteilspassage. Auch dem zweiten Satz stehen Rechtsbedenken entgegen, soweit er die Motivation des Angeklagten („eigene Sicherheit“) aufgreift. Die für das Opfer mit der Unterbringung im Bettkasten verbundenen zusätzlichen Beschwernisse könnten allerdings – isoliert betrachtet – straferhöhend berücksichtigt werden.“

Und – ein wenig ungewöhnlich – dann:

Die Aufhebung der Einzelstrafe von fünf Jahren führt zum Wegfall der Gesamtstrafe. Anders als der Generalbundesanwalt kann der Senat diese Rechtsfolgen unter Berücksichtigung der sonstigen Umstände, insbesondere der bisherigen Straffreiheit des Angeklagten und der Konfliktsituation, aus der sich das Tatgeschehen entwickelt hat, nicht als im Sinne von § 354 Abs. 1 a StPO „angemessen“ ansehen.“

Ungewöhnlich deshalb, weil der BGH ja meistens ausschließen kann, dass der Fehler Auswirkungen hatte.

Nur „fast zynische“ Strafzumessungserwägungen? – oder: Darauf muss man erst mal kommen

Es gibt nichts, was es nicht gibt, habe ich gedacht, als ich den Beschluss des OLG Oldenburg v. 23.04.2010 – 1 Ss 51/10, der gerade über den Newsletter von LexisNexisStrafrecht gelaufen ist, gelesen habe. Da schreibt das LG dem Angeklagten doch tatsächlich in die Strafzumessung:

„Das Landgericht hat bei der Prüfung einer Strafaussetzung u. a. ausgeführt (UA S. 10), die freiheitsentziehende Strafverbüßung werde den Angeklagten in seinen – vagen – Lebensplanungen auch „nicht groß beeinträchtigen“, weil er keine eigenen Einrichtungsgegenstände habe, sondern in einer Wohngemeinschaft lebe und seine Arbeitssituation zur Zeit schlecht sei. seine wohnlichen und beruflichen Verluste hielten sich in Grenzen. familiär sei er nicht so gebunden, dass dort Probleme für die künftige Lebenssituation entstehen würden.“

Ich habe ja schon viel gelesen in Strafzumessungserwägungen, aber so etwas noch nicht. Der Verteidiger hatte m.E. zu recht beanstandet „fast zynisch“, wobei mir das „fast“ zu viel ist. Das OLG hat dann auch recht deutliche Worte gefunden.

„Diese Urteilsformulierung, die von der Verteidigung als „fast zynisch“ angesehen wird, verkennt das in einer Freiheitsstrafe liegende Übel in grundlegender und unvertretbarer Weise. Es geht nicht an, den völligen Verlust der persönlichen Freiheit und die massiven Lebenseinschränkungen, die mit einem Strafvollzug verbunden sind, in Hinblick auf Wohn, Eigentums und Lebensverhältnisse eines Angeklagten als „nicht große“ Beeinträchtigung zu bewerten und so zu bagatellisieren.“

Das ist noch vornehm ausgedrückt. Man hätte auch anders formulieren können…

Anfängerfehler bei der Strafzumessung

Auch die Strafzumessung ist ein Feld, in dem manches im Argen liegt und auf dem der BGH häufig – jedenfalls in meinen Augen – Anfängerfehler beanstandet. So auch im Beschl. v. 27.04.2010 – 3 StR 106/10, in dem es bei einer zugrunde liegenden Verurteilung wegen versuchten Totschlags heißt: “

„Ferner hat das Landgericht im Rahmen seiner konkreten Strafzumessung zu Lasten der Angeklagten berücksichtigt, dass das Opfer der Angeklagten „objektiv betrachtet keinerlei Anlass für die Tat geboten hatte“ und damit einen nicht gegebenen Strafmilderungsgrund strafschärfend herangezogen. Dies ist hier rechtsfehlerhaft (vgl. BGHSt 34, 345, 350). Der Senat kann nicht ausschließen, dass sich die dargestellten Rechtsfehler auf die Höhe der ver-hängten Strafe ausgewirkt haben.“

Die falsche Strafrahmenwahl lassen wir mal außen vor.

Der BGH zum Quasi umgekehrten Doppelverwertungsverbot

Wir alle kennen das sog. Doppelverwertungverbot des § 46 Abs. 2 StGB, das verbietet, Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, (strafschärfend) zu berücksichtigen. Es gibt aber auch den quasi umgekehrten Fall, dass nämlich Umstände, die schon von Gesetzes wegen zu Gunsten des Angeklagten Berücksichtigen finden, nicht im Rahmen der Strafzumessung noch einmal bewertet werden dürfen. Dazu gehört die Länge der U-Haft.

Dazu hat der BGH im Urt. v. 19.05.2010 – 2 StR 102/10 – ausgeführt:

Die Strafkammer hat darüber hinaus fehlerhaft zu Gunsten des Angeklagten gewertet, dass er sich bereits länger als sechs Monate in Untersuchungshaft befunden hat. Der Vollzug der Untersuchungshaft an sich darf jedoch nicht mildernd berücksichtigt werden (vgl. Senat BGH NJW 2006, 2645 m.w.N.; BGH 5 StR 456/08, insoweit in NStZ 2009, 202 nicht abgedr.). Dass der Täter in der zur Verhandlung anstehenden Sache Untersuchungshaft erlitten hat, ist bei der Verhängung der Freiheitsstrafe regelmäßig ohne Bedeutung, da die Untersuchungshaft nach § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB grundsätzlich auf die zu vollstreckende Strafe angerechnet wird…“

Etwas anderes gilt natürlich, wenn zusätzliche, den Angeklagten besonders beschwerende Umstände im Zusammenhang mit der Untersuchungshaft festzustellen sind/vorliegen.