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Verlust des Vaters als Strafzumessungsgrund?

Zwei Strafzumessungsfehler moniert der BGH in seinem Beschl. v. 27.10.2010 – 27. 10. 2010, in dem er eine Totschlagsverurteilung zu beurteilen hatte, und zwar:

„Es begegnet bereits im Hinblick auf § 46 Abs. 3 StGB rechtlichen Bedenken, dass die Strafkammer den Verlust des Vaters für die gemeinsamen Kinder als bestimmenden Strafschärfungsgrund bewertet hat. Jedenfalls in dieser Allgemeinheit erscheint die Erwägung rechtsfehlerhaft (vgl. BGH Beschluss vom 3. Februar 2004 – 4 StR 403/03), denn es gehört zu den regelmäßigen Tatfolgen eines vollendeten Tötungsverbrechens, dass der Täter den Angehörigen des Opfers Leid zufügt. Ob die Strafkammer zum Ausdruck bringen wollte, dass die (erwachsenen) Kinder, die nach der Todesnachricht „sehr geschockt und tief getroffen“ waren sowie unmittelbar nach der Tat vom Kriseninterventionsteam betreut wurden (UA S. 9), in ungewöhnlich schwer wiegender Weise von der Tat betroffen waren, kann offen bleiben.

Jedenfalls kann der Strafausspruch wegen der weiteren Erwägung, dass der durch Beleidigungen motivierte Totschlag eine „völlig unangemessene Reaktion“ gewesen sei, keinen Bestand haben. Diese Erwägung steht im Widerspruch dazu, dass der Provokationsaffekt im Sinne von § 213 (1. Alternative) StGB als die Tat auslösendes Moment, unbeschadet der Tatsache, dass die Tötung eines Menschen als Reaktion auf Kränkungen stets unangemessen ist, strafmildernd wirkt. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass in der Vergangenheit mehrere Auseinandersetzungen vorangegangen waren, bei denen die Angeklagte auch erheblich körperlich verletzt worden war, ferner dass sie die der Tat unmittelbar vorausgehenden Handlungen des Ehemanns mit dem Dolch als Bedrohung empfand. In der Gesamtschau erlangen diese Umstände größeres Gewicht als dasjenige von bloßen Beleidigungen. Zudem ist zu besorgen, dass die Strafkammer mit ihrer Erwägung letztlich die Erfüllung des Straftatbestands zu Lasten der Angeklagten bewertet und dadurch § 46 Abs. 3 StGB verletzt hat.“

Strafzumessung ist eben nicht einfach bzw. bei der Begründung muss man als Gericht schon vorsichtig sein und das schreiben, was man meint.

Gewogen und zu leicht befunden…

so könnte man über den Beschl. des BGH v. 11.11.2010 in 4 StR 489/10 schreiben, mit dem ein Urteil des LG Saarbrücken, durch das der Angeklagte wegen Körperverletzung in 5 Fällen jeweils zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt worden ist. Warum? Das erschließt sich m.E, wenn man den BGH-Beschluss liest. Dort heißt es:

„Während der Schuldspruch wegen Körperverletzung in fünf Fällen ge-rade noch durch die Feststellungen getragen wird, hält der Strafausspruch in diesen Fällen der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das Landgericht hat zu den Körperverletzungen lediglich festgestellt, dass der Angeklagte die Nebenklägerin im Jahr 2007 am ganzen Körper schlug (Fall 1 der Anklage), dass er sie am 5. oder 6. August 2008 beschimpfte und schlug (Fall 7 der Anklage), dass er sie am 2. oder 3. September 2008 erneut beschimpfte und ihr Schläge mit der Hand versetzte (Fall 11 der Anklage), und dass er sie ebenso am Abend des 30. November 2008 (Fall 14 der Anklage) und am Morgen des 3. Dezember 2008 (Fall 15 der Anklage) schlug. Für jeden dieser Fälle hat das Landgericht eine Einzelstrafe von sechs Monaten festgesetzt. Dabei hat es berücksichtigt, dass die Folgen der Taten für die Nebenklägerin nicht gravierend waren und weiter ausgeführt: „Innerhalb der Bandbreite möglicher Begehungs-weisen des Tatbestandes des § 223 Abs. 1 StGB … sind die Taten des Angeklagten durchweg am unteren Rand der denkbaren Tatschwere angesiedelt. Die einzelnen Körperverletzungshandlungen waren jeweils als gleichwertig einzustufen.“ (UA S. 9).

Diese Begründung begegnet durchgreifenden Bedenken. Aus den Fest-stellungen ergibt sich nicht, wie oft und wie heftig der Angeklagte zugeschlagen hat, ob die Nebenklägerin durch die Schläge über die körperliche Misshandlung hinaus an der Gesundheit geschädigt worden ist und in welchem Ausmaß sie gegebenenfalls solche Beeinträchtigungen erlitten hat. Insbesondere ist nicht erkennbar, ob die Tathandlungen in allen Fällen gleich schwer wogen, zumal lediglich in einem Fall mitgeteilt ist, wohin der Angeklagte die Nebenklägerin geschlagen hat. Insgesamt ist nicht nachvollziehbar, dass Freiheitsstrafen von jeweils sechs Monaten für den nicht vorbestraften Angeklagten tat- und schuldangemessen sind.“

Die Krux mit dem Doppelverwertungsverbot – immer wieder Strafzumessung

Der BGH hat in seinem Beschl. v. 09.11.2010 – 4 StR 532/10 mal wieder eine tatrichterliche Strafzumessung beanstandet, in der es – schon ein wenig überraschend für ein LG 🙂 – hieß, dass zu Lasten des Angeklagten gewertet wurde, „dass ihm der Ausstieg aus den illegalen Ge-schäften jederzeit möglich war, denn er war weder in finanzieller Not noch selbst drogenabhängig. Ein daraus abzuleitendes Motiv ist nicht ersichtlich. Er wollte mit den Geschäften Gewinne erzielen bzw. eigene Aufwendungen ersparen“ .

Überraschend deshalb, weil das LG an sich selbst auf die Bedenken gegen diese Erwägungen hätte kommen können. Der BGH führt dazu aus:

Diese Erwägungen begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Mit der Gewinnerzielungsabsicht hat das Landgericht zu Lasten des Angeklagten einen Umstand in die Strafzumessung eingestellt, dessen Berücksichtigung gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB verstößt, denn das Handeltreiben im Sinne des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG setzt stets voraus, dass der Täter nach Gewinn strebt oder sich irgendeinen anderen persönlichen Vorteil verspricht (vgl. BGH – Großer Senat -, Beschluss vom 26. Oktober 2005 – GSSt 1/05 -, BGHSt 50, 252, 256; BGH, Beschlüsse vom 23. November 1988 – 3 StR 503/88, BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Handeltreiben 15 m.w.N., und vom 24. September 2009 – 3 StR 294/09, NStZ-RR 2010, 24, 25). Auch die strafschärfende Erwägung, dass der Angeklagte von der Möglichkeit, von der Begehung der Taten Abstand zu nehmen, keinen Gebrauch gemacht hat, stellt einen Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot dar (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Oktober 2003 – 2 StR 332/03 m.w.N.). Schließlich begegnet es auch rechtlichen Bedenken, dass das Landgericht das Fehlen möglicher Strafmilderungsgründe (Suchtmittelabhängigkeit, finanzielle Notlage) zu Lasten des An-geklagten berücksichtigt hat (vgl. Stree/Kinzig in Schönke/Schröder StGB 28. Aufl. § 46 Rn. 57d m.w.N.).

§ 61 BZRG sollte man schon kennen, wenn man in einer Strafkammer sitzt…

denn dann dürften nicht so – schreibe ich „peinliche“ oder „unverständliche“? – Fehler passieren, auf die der BGH in einem Beschl. v. 12.10.2010 – 3 StR 381/10 hinweisen musste. Dass er den GBA „eingerückt“ hat, zeigt sehr deutlich, was er von dem landgerichtlichen Urteil hält/hielt. Ausgeführt wird:

„Der Strafausspruch kann keinen Bestand haben. Die Strafkammer hat bei der Strafzumessung ausdrücklich zum Nachteil des Angeklagten erwogen, dass er bereits seit 2001 ‚insgesamt neunmal strafrechtlich in Erscheinung getreten ist‘, wobei es sich bei acht der betreffenden Entscheidungen um solche handelt, die gemäß § 60 BZRG in das Erziehungsregister einzutragen sind (UA S. 13 i.V.m. UA S. 3 f.). Der Angeklagte war zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung bereits 24 Jahre alt (UA S. 3). Die jugendstrafrechtlichen Vorbelastungen hätten daher nur dann verwertet werden dürfen, wenn im Zentralregister eine Verurteilung zu Freiheitsstrafe, Strafarrest oder Jugendstrafe oder eine freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung eingetragen gewesen wäre (§ 51 Abs. 1 BZRG i.V.m. § 63 Abs. 1, 2 und 4 BZRG). Dies ist jedoch nicht der Fall (UA S. 3 f.). Der gegen den Angeklagten u.a. verhängte Jugendarrest wegen Zuwiderhandlung gegen Auflagen aus der Verurteilung vom 17. Januar 2006 (UA S. 4, 13) ist nach § 4 Nr. 1 BZRG nicht in das Zentralregister einzutragen. Er stellt als Ungehorsamsfolge keinen Strafarrest im Sinne des § 63 Abs. 2 BZRG dar (Senat StV 2004, 652 f.). Das Landgericht hat daher nicht beachtet, dass für die vor der Vollendung des 24. Lebensjahres des Angeklagten in dem Erziehungsregister enthaltenen Eintragungen zum Zeitpunkt der Urteilsfindung ein Verwertungsverbot bestand.“

Moderne Strafzumessung: Prangerwirkung bei Youtube…

Die Tagespresse berichtet heute über ein Verfahren wegen Fahrraddiebstahls, das gestern sein Ende am AG Erfurt gefunden hat (vgl. hier).

Das AG hat den Fahrraddieb zu einer Geldstrafe von 1.800 € verurteilt. Dabei hatte – so heißt es – der 49-Jährige Glück im Unglück. Denn die Richterin sprach sich für ein mildes Urteil aus, weil die „Prangerwirkung“ des auf Youtube (vgl. hier) veröffentlichten Diebstahl-Videos und die anschließenden Medienberichte dem Mann stark zugesetzt hätten. Besonders „pikant“. Auch die 15-jährige Tochter des Angeklagten erkannte ihren Vater in dem Clip. Bei der Verhandlung erzählte der Mann, seine Tochter habe ihn bei der Arbeit angerufen, um ihm zu sagen „Papa, du stehst auf YouTube, wie du ein Fahrrad mopst.“

Also: Moderne Strafzumessung und echt kreativ, was die Amtsrichterin da gemacht hat. :-). Frage ist nur: Wie hat sie den Clip zum Gegenstand des Urteils gemacht; § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO 🙂 :-)?