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Gehts noch? Nur 15 Minuten Stellungnahmefrist sollen rechtliches Gehör sein?

entnommen wikimedia.org  Urheber Ulfbastel

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Manche Entscheidungen sind so „schön“, dass ich sie nicht lange in meinem Blogordner hängen lassen will. So der OLG Naumburg, Beschl. v. 26.08.2014 – 105 SsBs 82/14 (2 Ws 174/14) -, den mir der Verteidiger bzw. das Verteidigerbüro des Betroffenen erst gestern übersandt hat. Wenn man ihn liest, ist man schon – gelinde ausgedrückt – erstaunt und fragt man sich, was das eigentlich sollte, was das AG da „veranstaltet“ hat.

Die Verteidigerin hatte im Bußgeldverfahren den Amtsrichter am Tag vor der Hauptverhandlung abgelehnt. Am Tag der Hauptverhandlung erhält er dann die dienstliche Äußerung des abgelehnten Richters per Fax übersandt – mit einer Stellungnahmefrist von 15 Minuten (!!!!). Die Verteidigerin „überschreitet“ diese Frist um 5 Minuten. Zu dem Zeitpunkt war dann aber das Ablehnungsgesuch bereits als unbegründet verworfen worden. Dann wird der Einspruch des Betroffenen nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen. Der Betroffene rügt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs und erhält beim OLG Recht:

Der Betroffene hat den erkennenden Richter am 11. Juni 2014 wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Mit Fax vom 12. Juni 2014, welches 8:29 Uhr vom Amtsgericht Dessau-Roßlau versandt wurde und 8.35 Uhr bei der Verteidigerin einging, wurde dieser die dienstliche Äußerung des abgelehnten Richters mit einer Stellungnahmefrist von 15 Minuten übersandt. Diese hat mit Fax vom 12. Juni 2014 8.55 Uhr hierzu Stellung genommen. Zu diesem Zeitpunkt war jedoch bereits der Beschluss des Amtsgerichts Dessau-Roßlau ergangen, der das Ablehnungsgesuch als unbegründet zurückwies. Dieser Beschluss wurde vom Amtsgericht Dessau-Roßlau um 8.53 Uhr per Fax versandt.

Die Stellungnahmefrist von 15 Minuten zur dienstlichen Äußerung des abgelehnten Richters war unangemessen und verletzt den Betroffenen in seinem Recht auf rechtliches Gehör. Im Gegensatz zur Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft kann der Senat — im Hinblick auf die beachtlichen Argumente die der Betroffene bereits zur Begründung seines Ablehnungsgesuches vorgebracht hatte — nicht ausschließen, dass das Ablehnungsgesuch — bei Berücksichtigung der Stellungnahme seiner Verteidigerin — Erfolg gehabt hätte. Insofern beruhen die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch sowie die spätere Entscheidung zur Verwerfung des Einspruches auf diesem Gehörsverstoß. infolge dessen war das Urteil des Amtsgerichts Dessau-Roßlau vom 12. Juni 2014 aufzuheben.

Hintergrund der Geschichte ist/war ein „Kampf“ um die Terminsverlegung. Also ist die „knappe“ Fristsetzung im Grunde eine Retourkutsche. Was das OLG vom Vorgehen des Amtsrichters hält, ergibt sich dann zudem auch noch daraus, dass, was nicht so häufig ist, „der Senat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht [hat], die Sache gemäß § 79 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 354 Abs. 2 S. 1 StPO an ein anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen.

Rechtliches Gehör – kein Anspruch auf die „richtige Entscheidung“/den „guten Richter“

© Martin Fally - Fotolia.com

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Was immer wieder übersehen wird: Der Angeklagte/Betroffene hat Anspruch auf rechtliches Gehör. Die Gewährung rechtlichen Gehörs bedeutet aber nicht, dass man auch einen Anspruch auf die richtige Entscheidung hat. Wird der Sachvortrag des Angeklagten/Betroffenen zur Kenntnis genommen, dann aber falsch beschieden/entschieden, kann eine Verletzung des rechtlichen Gehörs damit nicht begründet werden. Dazu dann der – schon ältere OLG Brandenburg, Beschl. v. 29.08.2012 – (2 Z) 53 Ss-OWi 334/12 (160/12), der im Rahmen eines „Verwerfungsverfahrens“ nach den §§ 73, 74 OWiG ergangen ist:

„Das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) soll u.a. sicherstellen, dass Entscheidungen frei von Verfahrensfehlern ergehen, die ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme bzw. Nichtberücksichtigung des Sachvortrags des Betroffenen haben, bietet indes keinen Schutz vor Entscheidungen, die das Vorbringen eines Betroffenen aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts unberücksichtigt lassen (vgl. BVerfG NJW 1992, 2811 [BVerfG 24.02.1992 – 2 BvR 700/91]).

So liegt der Fall hier. Das Amtsgericht hat den durch den Verteidiger in der Hauptverhandlung gestellten Antrag auf Entbindung des Betroffenen vom persönlichen Erscheinen (§ 73 Abs. 2 OWiG) in der Sache nicht beschieden, weil es die vom Verteidiger selbst ausgestellte Vollmacht im Hinblick auf das Schriftformerfordernis (§ 73 Abs. 3 OWiG) nicht als ausreichend erachtet hat. Das Tatgericht hat das für die Frage der Entbindung maßgebliche Vorbringen insoweit nicht „übergangen“, sondern aus Rechtsgründen als unerheblich gewertet. Dies kann lediglich im Falle objektiv willkürlicher Rechtsanwendung einen Verstoß gegen das verfassungsrechtlich verbürgte Recht auf Gewährung rechtlichen Gehörs darstellen (vgl. OLG Frankfurt NStZ-RR 2006, 383; BVerfG NJW 1992, 2811). Eine solche willkürliche Entscheidung liegt jedoch nicht vor. Das Amtsgericht hat zutreffend angenommen, dass für den in der Hauptverhandlung für den Betroffenen gestellten Antrag gemäß § 73 Abs. 3 OWiG eine schriftliche Vollmacht erforderlich war. Dass es die vom Verteidiger selbst – nach mündlicher Ermächtigung d“urch den Betroffenen – unterzeichnete Vollmachtsurkunde nicht hat ausreichen lassen, entspricht zwar nicht der herrschenden Meinung (BayObLG NJW 1963, 872; NStZ 2002, 277; Meyer-Goßner, StPO 55. Aufl. § 234 Rdnr. 5), ist jedoch gleichwohl vertretbar (vgl. Karlsruher Kommentar/Gmel, StPO 6. Aufl. § 234 Rdnr. 3).“

Also: Kein Anspruch auf die richtige Entscheidung bzw. auf den „guten Richter“.

Gerichtskundig? – Wenn ja, darf das nicht geheim bleiben.

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„Gerichtskundige“ Tatsachen können für den Verfahrensausgang von entscheidender Bedeutung sein. Deshalb muss der Angeklagte wissen, was das Gericht als „gerichtskundig“ behandeln will. d.h., ihm ist insoweit rechtliches Gehör zu gewähren, damit er sich darauf einstellen kann. Damit befasst sich der BGH, Beschl. v. 27.07.2012 – 1 StR 68/12.

In dem Verfahren hatte das LG den Angeklagten wegen Vergewaltigung verurteilt. Zur Frage, ob es in der potentiellen Tatnacht zum Geschlechtsverkehr gekommen war, gab es unterschiedliche Angaben des Angeklagten. Die Geschädigte Y. hatte in der Hauptverhandlung auch keine keine konkrete Erinnerung an die Tatnacht mehr. Im Verfahren wurden dann bei einer rund 23 Stunden nach der Tat durchgeführten gynäkologischen Untersuchung von Y. keine Spermatozoen festgestellt. Dies hat das Landgericht als nicht gegen die Glaubhaftigkeit ihrer Anga-ben sprechend bewertet, weil der ungeschützte Geschlechtsverkehr zum Un-tersuchungszeitpunkt bereits etwa 23 Stunden zurücklag, und diesbezüglich ausgeführt: „Wie der Kammer, die häufig mit Sexualdelikten befasst ist, be-kannt ist, können Spermatozoen innerhalb eines solchen Zeitraums bereits zer-setzt und damit nicht mehr nachweisbar sein“.

Der Angeklagte hatte geltend gemacht, das LG habe über diese Tatsache keinen Beweis erhoben, sondern sie als gerichtskundig angesehen und bei seiner Beweiswürdigung herangezogen, ohne den Angeklagten zuvor auf die in Anspruch genommenen gerichtlichen Kenntnisse hingewiesen zu haben.. Mit Erfolg. Der BGh führt dazu aus:

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist vor der Verwertung einer gerichtskundigen Tatsache in aller Regel ein Hinweis zu ertei-len, das Tatgericht werde sie (möglicherweise) seiner Entscheidung als offen-kundig zugrunde legen (BGH, Urteil vom 3. November 1994 – 1 StR 436/94, BGHR StPO § 261 Gerichtskundigkeit 2; ebenso Alsberg/Nüse/Meyer, Der Be-weisantrag im Strafprozeß, 5. Aufl., S. 570 f. mwN). Hierdurch soll dem Ange-klagten rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) gewährt und ihm insbesondere die Möglichkeit wirksamer Verteidigung eröffnet werden (BGH, Urteil vom 29. März 1994 – 1 StR 12/94, BGHR StPO § 261 Gerichtskundigkeit 1; s. auch BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2005 – 4 StR 198/05, BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Offenkundigkeit 3).

bb) Ein solcher Hinweis ist vorliegend nicht gegeben worden. Dies folgt allerdings nicht schon daraus, dass das Hauptverhandlungsprotokoll insoweit schweigt. Denn die Erörterung einer gerichtskundigen Tatsache gehört nicht zu den wesentlichen Förmlichkeiten, deren Beachtung das Protokoll ersichtlich machen muss (BGH, Beschluss vom 6. Februar 1990 – 2 StR 29/89, BGHSt 36, 354, 359 f.).
Der geltend gemachte Verfahrensfehler wird jedoch durch die vom Senat eingeholten dienstlichen Erklärungen bewiesen. Nach der Stellungnahme der Vorsitzenden Richterin vom 10. April 2012 „hat sich die Kammer nicht veran-lasst gesehen, noch einmal ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass die Annah-me eines stattgefundenen Geschlechtsverkehrs mit“ dem gynäkologischen „Un-tersuchungsergebnis durchaus zu vereinbaren sein kann“. In vergleichbarer Weise haben sich die beisitzenden Richterinnen in ihren Stellungnahmen vom 10. bzw. 13. April 2012 geäußert. Die staatsanwaltschaftlichen Sitzungsvertre-ter haben sich diesbezüglich nicht mehr erinnern können.

Freispruch bei einem Verstoß gegen rechtliches Gehör? AG Landstuhl, geht es wirklich so einfach?

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Vor einiger Zeit hatte der Beck-Blog (vgl. hier) über das AG Landstuhl, Urt. v. 3. 5. 2012 – 4286 Js 12300/10 – berichtet. Das AG hat den Betroffenen vom Vorwurf einer Geschwindigkeitsüberschreitung frei gesprochen. Begründung: Werden von der Herstellerfirma eines Messgeräte (hier: ESO ES 3.0) die Mess-/Gerätedaten zu einer Messung nicht zur Verfügung gestellt, so dass die Ordnungsgemäßheit der Messung nicht überprüft werden könne, liege ein Verstoß gegen den zu Gunsten des Betroffenen geltenden Grundsatz des rechtlichen Gehörs vor, der zum Freispruch des Betroffenen führe.

Sicherlich eine überraschende Entscheidung, obwohl das AG Landstuhl, wie es zitiert, mit der Auffassung nicht allein ist (vgl. AG Kaiserslautern, Urt. v. 14. 3. 2012 – 6270 Js 9747/11). Ob das Urteil „ein deutlicher Pflock [ist], den das AG Landstuhl eingeschlagen hat„, da bin ich mir nicht so ganz sicher. Denn zwei Fragen stellen sich für mich – und ich greife jetzt mal meiner Stellungnahme im VRR-Heft 07/2012 vor:

1. Man sollte nicht übersehen, „dass das AG erst im zweiten Anlauf Art. 103 GG und den Amtsaufklärungsgrundsatz „entdeckt“ und die Betroffene frei gesprochen hat. In einem Urteil vom 10.o2. 2011 hatte das noch anders geklungen und das AG war zur Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung mit 600 € Geldbuße und einem Fahrverbot von drei Monaten gekommen. Nun ist niemand gegen bessere Einsicht gefeit und es ist sicherlich zu begrüßen, dass das AG offenbar lernfähig ist: Nur den Unterschied zur ersten Entscheidung und die Begründung des AG, warum diese richtig gewesen ist, nun aber die damalige Begründung nicht mehr zutreffend sein soll, erschließt sich mir nicht. Die Frage des rechtlichen Gehörs (Art. 103 GG) und/oder der Amtsaufklärungspflicht hängt doch weder davon ab, ob – offenbar meint das AG: „nur“ – ein konkreter Beweisantrag gestellt ist, oder ob ausdrücklich fehlenden Aufklärung an sich und der Grundsatz des fairen Verfahrens gerügt wird Diese Fragen sind doch miteinander verwoben und mit einem Beweisantrag wird immer auch geltend gemacht, dass der Sachverhalt noch weiter aufgeklärt werden muss. Warum das AG dann nicht bereits im Urteil vom 10. 2. 2011 frei gesprochen hat, leuchtet mir nicht ein. 

2. Einen Haken hat m.E. die „Konstruktion“ des AG. Das AG muss sich nämlich m.E. fragen lassen, „ob es eigentlich alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel zur Aufklärung ausgenutzt/eingesetzt hat (§ 244 Abs. 1 StPO)? Was ist also mit einer Durchsuchung beim Hersteller des Messgerätes und einer Beschlagnahme der Daten? Angesichts der Vorwurfs und der im Raum stehenden sicherlich nicht unverhältnismäßig.Zudem sicherlich auch deshalb „interessant“, weil diese Maßnahme einen wahrscheinlich „großen Erziehungseffekt“ gegenüber dem Hersteller haben dürfte, in Zukunft bei der Herausgabe der Messdaten vielleicht doch nicht ganz so sperrig zu sein, wie man es hier ist und dann auch noch „arrogant“ dem Gericht schreibt. Es stellt sich weiter die Frage, ob das AG nicht ggf. weitere Zeugen der Herstellerfirma hätte laden müssen, die dann Angaben zu den Messdaten hätten machen können. Denn diese sind, wenn auch verschlüsselt, im Messgerät vorhanden. Ein Zeugnisverweigerungsrecht für einen solchen Zeugen sehe derzeit nicht. Ich will mit diesem Einwand die für die Betroffenen günstige Entscheidung des AG Landstuhl gar nicht schlecht reden. Man muss sich aber vergegenwärtigen, dass die Staatsanwaltschaft im Zweifel den Freispruch mit der Rechtsbeschwerde angreifen wird und dann dürften diese Fragen im Rahmen einer Aufklärungsrüge eine Rolle beim OLG eine Rolle spielen.

Als Verteidiger muss man sich natürlich auf diese Rechtsprechung berufen und die Fragen im Verfahren thematisieren und andere AG zwingen, sich damit auseinander zu setzen.Für die Betroffene hat das Hin und Her zudem auf jeden Fall ein Gutes: Sollte das OLG Zweibrücken ggf. nochmals zur Aufhebung kommen, dann liegt die Tat inzwischen so lange zurück, dass ein Fahrverbot, wenn überhaupt, nur noch in reduzierter Höhe wird verhängt werden können.

Rechtsprechungsänderung beim OLG Frankfurt: Keine Anfechtung der § 33a StPO-Entscheidung

Auf Rechtsprechungsänderungen muss man immer achten. Deshalb der Hinweis auf eine Änderung beim OLG Frankfurt. Dieses sieht jetzt die auf einen Antrag nach § 33a StPO ergangene Entscheidung auf keinen Fall mehr als anfechtbar an; so auch schon einige andere OLG. Bisher hatte das OLG die Anfechtung in bestimmten Fällen zugelassen. Nachzulesen in OLG Frankfurt, Beschl. v.05.08.2011 – 3 Ws 530/11.