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Pflichtverteidiger (nur) für den Haftprüfungstermin, oder: Gebühren wie ein Verteidiger

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Bei der zweiten Entscheidung handelt es sich um den LG Magdeburg, Beschl. v. 16.07.2021 – 21 Qs 53/21 und 54/21. Ergangen ist der Beschluss, den mir der Kollege Reuleke aus Wernigerode geschickt hat, in einem Verfahren wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge mit Waffen u.a. In dem Verfahren spielt auch die EncroChat-Problamtik eine Rolle. Die interessiert mich aber weniger, da die Problematik für mich derzeit eh ein „alter Hut“ ist bzw. eine Problematik, in der sich bis wir eine BGH-Entscheidung und ggf. mehr vorliegen, nichts bewegt.

Mir geht es hier heute um die gebührenrechtliche Fragestellung, die in dem Beschluss (auch) angesprochen worden ist, und zwar hinsichtlich von Pflichtverteidigergebühren. Insoweit ist aus dem (umfangreichen) Sachverhalt Folgendes von Bedeutung:

Der Verteidiger G. des Beschuldigten konnte in dem auf seinen Antrag anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung über den Erlass eines von der Staatsanwaltschaft beantragten Haftbefehls wegen „Corona-Quarantäne“ nicht erscheinen. Das AG Wernigerode fasste daher im Rahmen des Termins, an dem ein Rechtsanwalt W. teilnahm, einen Beschluss des folgenden Inhalts: „Rechtsanwalt W. wird dem Beschuldigten für den heutigen Termin als Pflichtverteidiger beigeordnet.“ Das AG hat gegen den Beschuldigten dann den Haftbefehl erlassen.

Rechtsanwalt W. hat die Festsetzung der Pflichtverteidigergebühren beantragt. Er hat u.a. Grundgebühr, Verfahrensgebühr und Terminsgebühr geltend gemacht. Das AG hat nur die Terminsgebühr festgesetzt. Die dagegen gerichtete Erinnerung hatte beim AG Erfolg. Das AG hat die Pflichtverteidigergebühren antragsgemäß festgesetzt. Die dagegen gerichtete Beschwerde der Landeskasse hatte keinen Erfolg:

„Das Amtsgericht hat dem Kostenfestsetzungsantrag von Rechtsanwalt W. zu Recht statt-gegeben.

Mit Beschluss vom 23.03.2021 ist Rechtsanwalt W. dem Beschuldigten für den Termin zur mündlichen Verhandlung und Haftbefehlsverkündung an diesem Tage als Pflichtverteidiger bei-geordnet worden.

Die auf diesen Termin beschränkte Beiordnung war zwar — nach dem seit 13.12.2019 geltenden Recht — rechtswidrig, weil §§ 140 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. 141 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 143 StPO eine Pflichtverteidigerbestellung für das gesamte Verfahren vorsehen, die mit rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens oder durch Aufhebung mit gesonderten Beschluss endet. Dabei sieht § 143 Abs. 2 Satz 4 StPO ausdrücklich für die Fälle des § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO vor, dass eine Aufhebung erfolgen soll, falls der Beschuldigte auf freien Fuß gesetzt wird — was hier nicht der Fall war. Auch war Rechtsanwalt W. nicht lediglich Terminsvertreter des verhinderten Rechtsanwalts G., was eine zeitlich befristete Bestellung gerechtfertigt hätte. Denn Rechtsanwalt G. war in der Sache noch nicht tätig und auch nicht beigeordnet worden, so dass der Beschuldigte bei dem Verhandlungstermin am 23.03.2021 noch keinen Verteidiger hatte.

Jedoch ist der in Bezug auf die zeitliche Begrenzung der Beiordnung rechtswidrige Beschluss vom 23.03.2021 nicht mit der sofortigen Beschwerde gemäß § 142 Abs. 7 StPO angefochten worden, so dass er mit seinem rechtswidrigen Inhalt Bestand hatte.

Dies ändert jedoch nichts daran, dass Rechtsanwalt W. die Gebühren eines Pflichtverteidigers vollumfänglich geltend machen kann. Denn auch der Pflichtverteidiger, der nur für einen Tag bzw. Termin bestellt ist, ist für diesen begrenzten Zeitraum umfassend mit der Wahrnehmung der Verteidigerrechte und -pflichten betraut. Daher kommt auch angesichts der zeitlichen Begrenzung der Beiordnung eine gebührenrechtliche Einstufung der Tätigkeit als Einzeltätigkeit nach Nr. 4102 VV RVG nicht in Betracht (vgl. LG Aachen, Beschluss vom 20.10.2020, Az. 60 Qs 47/20 rn.w.N. für den Terminsvertreter <juris>).“

Die Entscheidung ist m.E. zutreffend. Das LG setzt mit der Entscheidung seine Rechtsprechung zum alten Recht der Pflichtverteidigung fort- Danach hat das LG hat schon zum Rechtszustand vor Inkrafttreten des „Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung“ v. 10.12.2019 (BGBl I, S. 2128) die zutreffende Auffassung vertreten, dass der für einen Haftprüfungstermin gemäß § 141 Abs. 3 Satz 4 StPO a.F. anstelle des Pflichtverteidigers beigeordnete Rechtsanwalt nicht nur Terminsvertreter i.e.S. ist, sondern Vollverteidiger und daher nicht nur die Terminsgebühr sondern auch Grundgebühr und Verfahrensgebühr zustehen (unzutreffend a.A. OLG Celle RVGreport 2019, 17 = StraFo 2018, 534 = JurBüro 2018, 580; LG Leipzig, RVGreport 2019, 338 = StraFo 2019, 439). Das gilt für das neue Recht nach wie vor bzw. erst recht. Denn nach § 141 Abs. 1 StPO wird dem Beschuldigten ein „Pflichtverteidiger bestellt“. Daher ist schon nach dem Wortlaut der Regelung keine Anwendung für Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG – Einzeltätigkeit. Das hat so auch das LG Aachen entschieden. Denn dort ist der Rechtsanwalt ebenfalls als Pflichtverteidiger bestellt worden und war – anders als das LG Magdeburg meint – nicht nur „Terminsvertreter“.

Pflichti II: Bestellung wegen „Schwere der Tat“, oder: Drohende Einziehung von rund 22.000 EUR

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Die zweite Entscheidung, die der Kollege Hölldobler aus Regensburg mir geschickt hat, verhält sich zum Beiordnungsgrund „Schwere der Tat“.

Gegen den Angeklagaten ist Anklage wegen leichtfertiger Geldwäsche erhoben worden, Der Kollege beantragte seine Bestellung als Pflichtverteidiger, was er damit begründet hat, dass die Voraussetzungen für eine notwendige Verteidigung vorlägen vor, da wegen der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolgen, insbesondere der drohenden Einziehung von Wertersatz in Höhe von 22.296,24 EUR, die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint. Für den derzeit arbeitslosen Angeklagtenstelle die drohende Einziehung eine existenzbedrohende Rechtsfolge dar.

Die Staatsanwaltschaft ist dem zunächst nicht entgegen getreten, hat dann aber die Bestellung eines Pflichtverteidigers nicht befürwortet, da der im Raum stehende Einziehungsbetrag nicht so hoch sei, dass eine solche angezeigt sei. Das AG hat die Bestellung abgelehnt. Die drohende Einziehung von 22.296,24 EUR stelle keine Rechtsfolge dar, aufgrund derer die Beiordnung eines Pflichtverteidigers erforderlich erscheine. Eine Existenzbedrohung sei nicht ersichtlich, ausländerrechtliche Konsequenzen drohten nicht. Es sei zudem nicht ersichtlich, dass sich der Angeklagte nicht selbst verteidigen könne.

Anders dann auf die sofortige Beschwerde das LG im LG Regensburg, Beschl. v. 17.08.2021 – 5 Qs 172/21:

„2. Die Beschwerde ist inhaltlich begründet. Es liegt ein Fall notwendiger Verteidigung nach § 140 Abs. 2 StPO vor.

Die notwendige Bestellung eines Pflichtverteidigers ergibt sich für die Kammer aufgrund der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolgen. Insoweit ist zu beachten, dass dabei auch alle sonstigen Rechtsfolgen, die in dem betreffenden Strafverfahren angeordnet werden können, zu berücksichtigen sind. Dazu gehört auch die Einziehung (Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 140, Rn. 23b). Dabei ist in den Blick zu nehmen, dass dem Beschwerdeführer neben der drohenden Strafe die Einziehung in Höhe von 22.296,24 € und damit eines nicht unerheblichen Betrages droht. Ungeachtet dessen, ob dies – wie vom Verteidiger vorgetragen – für den derzeit arbeitslosen Beschwerdeführer eine existenzbedrohende Rechtsfolge darstellt, handelt es sich insoweit jedenfalls um einen drohenden Nachteil solch schwerwiegender Art, dass aus Sicht der Kammer aufgrund der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolgen die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint.“

Pflichti I: Pflicht zur Bestellung eines Verteidigers, oder: Ausdrücklicher Antrag nicht erforderlich, sagt der BGH

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Heute stelle ich dann wieder drei Entscheidungen zu Pflichtverteidigungsfargen vor. Nun nicht ganz, denn bei einer geht es nicht um einen Pflichtverteidiger, sondern um einen gemeinschaftlichen Nebenklagebeistand. Passt aber.

Ich beginne mit dem BGH, Beschl. v. 04.06.2021 – 2 BGS 254/21, also ein Ermittlungsrichterbeschluss. Ergangen ist der Beschluss in einem Ermittlungsverfahren des GBA wegen des Verdachts der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland (§§ 129a Abs. 1 Nr. 1 und 5, 129b Abs. 2 Satz 1, 2 StGB). Am 22.04.2021 wurden die Wohnräume des Beschuldigten und unter Hinzuziehung einer Psychologin des BKA im Einverständnis des Beschuldigten auch das „Pflegezimmer im Klinikum G“, in dem sich ser Beschuldigte als Patient aufhielt durchsucht. Hierbei wurden verschiedene Datenträger beschlagnahmt. Im Zuge der Durchsuchung seines „Pflegezimmers“ wurde der Beschuldigte nach Eröffnung des Tatvorwurfs über sein Schweige- und Konsultationsrecht, nicht hingegen nach § 136 Abs. 1 Satz 5 StPO belehrt. Der Beschuldigte „forderte“ hierauf einen Rechtsanwalt. Im Vermerk der zuständigen POK-in heißt es: „[Dies] wurde ihm gewährt.“ Zudem wird ausgeführt, dass der Beschuldigte  angegeben habe, „eine Vernehmung nur in Anwesenheit eines Rechtsbeistandes durchführen“ zu wollen; bis zum Eintreffen eines noch zu bestellenden Rechtsanwalts habe er „dem Fortgang der Maßgaben“ zugestimmt. Der Anruf in einem Rechtsanwaltsbüro blieb ohne Erfolg.

In der Folgezeit äußerte sich der Beschuldigte wiederholt – im Rahmen von „mehreren Gesprächen“ mit den Polizeikräften nach Hinweisen auf sein Schweigerecht – auch zur Sache. Mit Beschluss vom 25.4.2021 ordnete das AG die einstweilige Unterbringung des Beschuldigten „in dem abgeschlossenen Teil des Fachklinikum G. bis zum Ablauf des 5. Juni 2021“ an. DerB wurde dort medikamentös behandelt. Am 4.6.2021 erfolgte eine telefonische Rücksprache des Ermittlungsrichters zur Frage der Pflichtverteidigerbestellung mit dem GBA. Dem GBA wurde nahegelegt, einen Antrag auf Bestellung eines Pflichtverteidigers zu stellen, anderenfalls sei beabsichtigt, von Amts wegen die gerichtliche Bestellung eines Rechtsanwalts oder einer Rechtsanwältin zu prüfen. Der GBA nahm Stellung und führte u.a. aus, dass die Bestellung eines Pflichtverteidigers zum jetzigen Zeitpunkt nicht geboten sei. Ein Antrag gem. § 141 Abs. 1 Satz 1 StPO liege nicht vor, und auch die Voraussetzungen des § 141 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, 3 StPO seien nicht erfüllt.

Der BGH hat das anders gesehen und einen Pflichtverteidiger bestellt. Er begründet das – recht umfassend -, und zwar u.a. so:

„a) Für dieses Normverständnis spricht zunächst der Gesetzeswortlaut.

aa) Nach den Maßgaben des neugefassten § 141 Abs. 2 Satz 1 StPO wird dem Beschuldigten, der noch keinen Verteidiger hat, in den Fällen der notwendigen Verteidigung, „unabhängig“ von dessen Antrag ein Pflichtverteidiger bestellt. Dieser ausdrückliche Hinweis auf die fehlende Antragsnotwendigkeit gewinnt auch dadurch an Gewicht, dass an dieser Stelle des Regelungsgefüges des Rechts der notwendigen Verteidigung lediglich der Zeitpunkt für die Bestellungsentscheidung bestimmt wird, und die formalen Fragen systematisch § 142 StPO überantwortet werden. Denn hiermit wird erkennbar zum Ausdruck gebracht, dass der Zeitpunkt der gerichtlichen Bestellungsentscheidung nicht von prozessualen Erwirkungshandlungen der Staatsanwaltschaft oder des Beschuldigten abhängig ist und diese nicht – gerichtlich unkontrolliert – zu deren Disposition steht.

bb) Der Wortlaut der gesetzlichen Zuständigkeitsregelung aus § 142 Abs. 3 StPO enthält keinen Hinweis auf die Notwendigkeit des Antrags eines Verfahrensbeteiligten. Auch die in § 142 Abs. 1 und 2 StPO geregelten Antragsbefugnisse von Beschuldigtem und Staatsanwaltschaft lassen keinen zwingenden Schluss darauf zu, dass daneben eine gerichtliche Bestellung unabhängig von solchen prozessualen Erwirkungshandlungen ausgeschlossen sein soll.

b) Ferner erhellt eine systematische Betrachtung, dass das Recht der notwendigen Verteidigung auch ansonsten gerichtliche Entscheidungen nicht zwingend an prozessuale Erwirkungshandlungen bindet (vgl. § 141 Abs. 3, §§ 143, 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, § 144 StPO). Systematische Friktionen sind durch die von Amts wegen bestehende Zuständigkeit des Ermittlungsrichters nicht zu besorgen.

aa) Diese Pflicht des Ermittlungsrichters berührt keine ureigenen Belange der Staatsanwaltschaft. Dies gilt namentlich für Zuständigkeitsfragen. Im Ermittlungsverfahren ist nunmehr nach § 142 Abs. 3 Nr. 1 und 2 StPO allein noch zuständig der Ermittlungsrichter; erst mit Erhebung der Anklage geht die Zuständigkeit über auf den Vorsitzenden des Gerichts, bei dem das Verfahren anhängig ist (§ 142 Abs. 3 Nr. 3 StPO). Das Wahlrecht der Staatsanwaltschaft aus § 141 Abs. 4 StPO a.F. besteht nicht mehr (vgl. hierzu noch BGH [ER], Beschluss vom 9. September 2015 – 3 BGs 134/15, NJW 2015, 3383, 3384).“

Den Rest dieser Entscheidung bitte selbst im Volltext lesen.

Zur Entscheidung zwei kurze Anmerkungen:

  1. M.E. eine zutreffende Entscheidung, die deutlich darauf hinweist, dass bei der Neuregelung der Schutz des Beschuldigten im Vordergrund stand und irgendwelche „prozessualen Erwirkungshandlungen der Staatsanwaltschaft“ und/oder Gerichts für die Bestellung eines Pflichtverteidigers ohne Bedeutung sind. Wenn die Voraussetzungen für die Bestellung vorliegen, ist ein Pflichtverteidiger zu bestellen. Damit sollte das teilweise immer noch anzutreffende „Herumgeeiere“ in der Praxis nun aber endgültig erledigt sein.
  1. Im Übrigen: Für mich ist es nicht nachvollziehbar, warum der GBA die Äußerungen des Beschuldigten, der einen Rechtsanwalt „forderte“ und angegeben hat, „eine Vernehmung nur in Anwesenheit eines Rechtsbeistandes durchführen“ zu wollen, nicht als ausdrücklichen Antrag angesehen hat. Ich räume ein: Der wäre natürlich lästig gewesen.

Pflicht III: Rechtsmittel gegen Verteidigerbestellung, oder: Ist die sofortige Beschwerde ausgeschlossen??

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Und zum Schluss dann noch der OLG Saarbrücken, Beschl. v. 08.07.2021 – 4 Ws 97/21 – zur Frage des Ausschlusses der sofortigen Beschwerde gegen die Beiordnung eines Pflichtverteidigers gem. § 142 Abs. 7 Satz 2 StPO.

Der Untergebrachte wendet sich gegen die Bestellung eines Pflichtverteidigers, er erstrebt quasi die Auswechselung des bestellten Pflichtverteidigers. Das hat die StVK abgelehnt. Dazu dann das OLG:

1. Das Rechtsmittel ist zulässig erhoben.

a) Die sofortige Beschwerde ist zunächst vorliegend nicht gem. § 142 Abs. 7 Satz 2 StPO ausgeschlossen, weil der Untergebrachte einen Antrag nach 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StPO stellen könnte.

Nach der letztgenannten Vorschrift ist die Bestellung eines Pflichtverteidigers – durch das mit der Sache befasste Gericht bzw. dessen Vorsitzenden – aufzuheben und ein neuer Pflichtverteidiger u.a. dann zu bestellen, wenn dem Beschuldigten zur Auswahl des Verteidigers nur eine kurze Frist gesetzt wurde, er innerhalb von drei Wochen seit der Bekanntmachung der Beiordnung einen entsprechenden Antrag stellt und dem kein wichtiger Grund entgegensteht. Dabei steht dem Setzen einer kurzen Frist der Fall gleich, dass dem Beschuldigten – wie hier – überhaupt keine Gelegenheit zur Benennung eines zu bestellenden Verteidigers gegeben wurde (Krawczyck, in: BeckOK StPO, 39. Edition, Stand: 01.01.2021, Rn. 10, 11 m.w.N.). Kann der Beschuldigte einen solchen Antrag stellen, ist in § 142 Abs. 7 Satz 2 der Ausschluss der sofortigen Beschwerde bestimmt.

Fraglich erscheint allerdings, wann der Beschuldigte einen solchen Antrag im Sinne der Vorschrift stellen „kann“. Nach Auffassung des Senats ist das nur in denjenigen Konstellationen der Fall, in denen das Rechtsschutzziel des Beschuldigten auf Auswechslung eines bestellten Verteidigers gegen einen bestimmten anderen Verteidiger gerichtet ist (in diesem Sinne wohl auch Hanseatisches OLG Hamburg, Beschluss vom 4. Mai 2021 – 2 Ws 37/21 – Rn. 16 –juris), d.h. er auch mit der sofortigen Beschwerde einen konkreten Verteidigerwechsel begehrt; denn nur in diesen Fällen ist die vom Gesetzgeber ohne nähere Begründung bei der Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/1919 über Prozesskostenhilfe für Verdächtige und beschuldigte Personen in Strafverfahren sowie für gesuchte Personen in Verfahren der Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls (sog. „PKH-Richtlinie“), durch die eigentlich eine Effektivierung des Rechtsschutzes im Bereich der Pflichtverteidigung angestrebt war, vorgesehene Ausnahme unter dem Gesichtspunkt des dann zumindest zunächst fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses zu rechtfertigen (vgl. dazu Jahn, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 140 Rn. 133). Würde man die Ausnahme auch in Fällen wie dem vorliegenden, in denen sich der Beschwerdeführer lediglich gegen die Beiordnung eines bestimmten Verteidigers wendet, ohne jedoch einen anderen Verteidiger konkret zu benennen, der an dessen Stelle treten soll, ebenfalls der Ausnahme des § 142 Abs. 7 S. 2 StPO unterwerfen, so wäre dem Beschuldigten damit faktisch eine Pflicht zur Benennung eines Verteidigers aufgebürdet, die mit § 142 Abs. 5 Satz 1 StPO, der lediglich vorsieht, dass der Beschuldigte hierzu Gelegenheit erhalten muss, nicht in Einklang stünde.

…..

2. Die sofortige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg, weil das Landgericht dem Untergebrachten keine Gelegenheit gegeben hat, vor der Bestellung des Pflichtverteidigers selbst einen solchen zu bezeichnen, und damit gegen § 142 Abs. 5 StPO verstoßen hat. Dass Rechtsanwalt G. dem Untergebrachten bereits in den letzten beiden Überprüfungsverfahren nach § 67e StGB beigeordnet war, ohne dass dem – soweit für den Senat ersichtlich – ausdrücklich widersprochen worden war, ließ die Verpflichtung des Gerichts, dem Untergebrachten das Bezeichnungsrecht erneut zu gewähren, nicht entfallen (zur Ausgestaltung der früheren Soll-Vorschrift als nunmehr zwingende Regelung durch das Gesetz zur Reform des Rechts der notwendigen Verteidigung vom 10.12.2019 (BGBl. I S. 2128) vgl. Jahn, a.a.O., § 142 Rn. 34 -). beruht auf analoger Anwendung von § 467 Abs. 1 StPO.

Pflichti II: Und nochmals rückwirkende Bestellung, oder: Dissens in Hamburg

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Im zweiten Posting dann ein Beschluss zur Zulässigkeit der rückwirkenden Bestellung des Pflichtverteidigers. Das LG Hamburg hat die im LG Hamburg, Beschl. v. 15.7.2021 – 622 Qs 22/21 – anders als das übergeordnete OLG – bejaht, und zwra mit folgender Begründung:

„In der sowohl von dem Amtsgericht Hamburg-St. Georg in dem angefochtenen Beschluss als auch von Rechtsanwalt pp. in Bezug genommenen Entscheidung des OLG Nürnberg (Beschluss vom 6. November 2020 — Ws 962-963/20) wird die Auffassung vertreten, dass die rückwirkende Beiordnung eines Pflichtverteidigers jedenfalls dann zulässig sei, wenn die Voraussetzungen für eine Beiordnung gemäß § 140 StPO vorlagen und die Entscheidung über den Beiordnungsantrag wesentlich verzögert wurde (so auch OLG Bamberg, Beschluss vom 29. April 2021 — 1 Ws 260/21, und LG Regensburg, Beschluss vom 30.Dezember 2020 — 5 Qs 188/20).

In Anbetracht der erfolgten Gesetzesänderung und der damit verbundenen Stärkung der Rechte des Beschuldigten schließt sich die Kammer unter den hier gegebenen besonderen Umständen des Falls der Ansicht des OLG Nürnberg an und erachtet es ausnahmsweise für zulässig, auch rückwirkend für den Zeitraum ab Antragstellung einen Pflichtverteidiger zu bestellen. Das OLG Nürnberg stützt seine Ansicht unter anderem nachvollziehbar auf die der Gesetzesänderung zugrundeliegenden „PKH-Richt-linie“ RL 2016/1919/EU, insbesondere deren Art. 4, wonach die Bezahlung des Rechtsbeistandes mittelloser Beschuldigter durch die Mitgliedstaaten rechtzeitig und praktisch wirksam sichergestellt werden soll. Eine effektive Unterstützung und Absicherung der Verfahrensbeteiligten als deklariertes Regelungsziel würde jedoch unter-laufen, wenn eine Pflichtverteidigung nur deswegen versagt werden könnte, weil die Entscheidung hierüber verzögert getroffen wurde (weitergehend OLG Bamberg aaO: Das Gericht zieht für die Richtigkeit seiner Auffassung über die rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers eine Parallele zur ausnahmsweise zulässigen rückwirkenden Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach den Vorschriften der StPO und ZPO). Die vom Hanseatischen Oberlandesgericht in seiner Entscheidung vom 16. September 2020 — 2 Ws 112/20 geführte Argumentation gegen diese die PKH-Richtlinie EU 2016/1919 heranziehende Ansicht verfängt zur Überzeugung der Kammer für den hier vorliegenden Fall einer offensichtlichen Verzögerung der Entscheidung über die Pflichtverteidigerbestellung nicht. Dieser Entscheidung lag einerseits erkennbar kein Fall der verzögerten Pflichtverteidigerbestellung zugrunde. Das Argument, dass die Richtlinie keineswegs vorsieht, den Beschuldigten nachträglich in jedweder Phase des Verfahrens von den Kosten der Verteidigung frei zu halten, gar nach rechtskräftig erfolgter kostenpflichtiger Verurteilung noch eine Beiordnung eines Verteidigers vorzunehmen, kann andererseits schon deshalb nicht auf hiesigen Fall übertragen werden, weil hier keine kostenpflichtige Verurteilung als verfahrensabschließende Maßnahme ergangen ist.

Auch der Umstand, dass die im Zuge der gesetzlichen Neuregelung bisher statthafte einfache Beschwerde durch die sofortige Beschwerde nach § 142 Abs. 7 Satz 1 StPO ersetzt worden ist, legt nahe, dass gesetzgeberische Intention eine schnelle Bestellungsentscheidung war, was überdies auch durch das neu gefasste Unverzüglichkeitsgebot in § 141 Abs. 1 Satz 1 StPO zum Ausdruck kommt (OLG Nürnberg aaO).

…..“.

Und aus dem „Lager“ derjenigen Gericht, die eine nachträgliche Bestellung immer noch ablehnen, hier nur der Hinweis auf:

„Die Staatsanwaltschaft und das Amtsgericht haben sich um eine schnelle Bescheidung des Antrages zu bemühen. Zwar liegt eine ungebührliche Verzögerung der Bearbeitung im vorliegenden Fall nach Ansicht der Kammer noch nicht vor. Hingegen erschließt sich der Kammer nicht, warum mit der Übersendung der Akte an das Amtsgericht am 09.06.2021 nicht bereits eine Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO erfolgte, obwohl die Voraussetzungen bereits vorlagen und ein solches Vorgehen bereits beabsichtigt war. Sofern die Voraussetzungen für eine bereits erfolgte Bestellung entfallen sollte, könnte die Bestellung nach § 143 StPO aufgehoben werden.2

Dieser „Mahnung“ folgen doch im Zweifel keine Taten.