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Anklage wegen Vorwurf des Veruntreuens von Arbeitsentgelt – gar nicht so einfach

© M. Schuppich - Fotolia.com

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So ganz häufig ist es ja nicht, dass Verfahren von den (Instanz)Gerichten nicht eröffnet werden. Und wenn, dann lassen das die Staatsanwaltschaften nicht auf sich sitzen und legen sofortige Beschwerde ein. So auch die Staatsanwaltschaft Bielefeld gegen einen Nichteröffnungsbeschluss des OLG Bielefeld. Damit hatte sie dann aber kein Glück. Das OLG Hamm hat die im OLG Hamm, Beschl. v. 18.08.2015 – 3 Ws 269/15 – verworfen.

Es ging um eine Anklage mit dem Vorwurf des Vorenthaltens von Arbeitsentgelt pp. Dem Angeklagten wurde „vorgeworfen, in der Zeit vom 1. September 2002 bis zum 31. Juli 2008 in I, F und anderen Orten in 23 Fällen Vergehen des Vorenthaltens von Arbeitsentgelt sowie in weiteren 48 Fällen Vergehen des Vorenthaltens von Arbeitnehmerbeiträgen in Tateinheit mit Nichtabführung von Arbeitgeberbeträgen (§ 266a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 und 2 StGB) begangen zu haben.“ Im Anklagesatz sind dazu die einzelnen Fälle in einer von 1 bis 71 durchnummerierten Tabelle dargestellt gewesen. Unter der Überschrift „Arbeitnehmer“ findet sich in sämtlichen Fällen jeweils der Eintrag „diverse Arbeitnehmer“. Diesen „diversen Arbeitnehmern“ werden dann jeweils der Monat der Tatzeit, der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmeranteil für diesen Monat sowie die addierte Gesamtsumme aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil zugeordnet.

Das reichte dem LG und auch dem OLG nicht zur Erfüllung der Umgrenzungsfunktion der Anklage:

„Die Anklage der Staatsanwaltschaft Bielefeld wird den zuvor dargelegten Anforderungen nicht gerecht, da ihre Mängel die Umgrenzungs- und nicht die Informationsfunktion betreffen.

Bei dem Vorwurf des Veruntreuens von Arbeitsentgelt wird die Umgrenzungsfunktion der Anklage nur dadurch gewahrt, dass die einzelnen verfahrensgegenständlichen Taten, nämlich das jeweils einen konkreten Zeitraum betreffende Nichtabführen von Sozialversicherungsbeiträgen für bestimmte Personen an konkret benannte Sozialversicherungsträger trotz bestehender Pflicht, bezeichnet werden (OLG Celle, Beschluss vom 03. Juli 2013 – 1 Ws 123/13 –, juris; OLG Celle, Beschluss vom 19. Juli 2011 – 1 Ws 271-274/11 -, juris). Eine solche Darlegung eines konkreten Tatzeitraums, dem bestimmte Personen zugeordnet werden, stellt die in der Anklageschrift vorgenommene Zuordnung von „diversen Arbeitnehmern“ zu den jeweiligen Tatzeiträumen jedoch nicht dar. Vor dem Hintergrund der zuvor dargelegten Anforderungen wäre insoweit jeweils erforderlich gewesen, dass der Tatzeitpunkt, der jeweilige Arbeitnehmer und der jeweilige Sozialversicherungsträger konkret benannt werden, was indes nicht erfolgt ist. Das Landgericht hat daher zu Recht darauf hingewiesen, dass die erforderliche Individualisierung der Arbeitnehmer – um die angeklagten Taten von anderen, vergleichbaren Taten abgrenzen zu können – nicht erfolgt ist. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zutreffenden Gründe des Beschlusses des Landgerichts Bielefeld vom 23. April 2015 Bezug genommen.

Ergänzend wird daneben darauf hingewiesen, dass der Senat die Ansicht des Landgerichts teilt, dass es fernliegend erscheint, dass allein die C die allein zuständige Einzugsstelle gewesen ist. Auch insoweit dürfte die Anklage ihrer Umgrenzungsfunktion nicht gerecht werden, da die korrekte Zuordnung zu konkret benannten Sozialversicherungsträgern demnach zumindest zweifelhaft erscheint.“

Ein Lattentreffer und seine Folgen für den (Jugend)Trainer – 2. Halbzeit angepfiffen

Hallenfussball_soccer_D-Jugend_Wacker_MuenchenIch erinnere an mein Posting „Ein Lattentreffer und seine Folgen für den (Jugend)Trainer“ zum AG Detmold, Urt. v. 21.01.2015, 2 Cs 41 Js 489/13. Es ging um den Jugendtrainer eines Fußballvereins, der ein Hallenfußballturnier für Mannschaften der D-Jugend organisiert hatte. Der ist wegen fahrlässiger Körperverletzung verurteilt worden, weil ein 11-jähriger Fußballspieler durch ein umgekipptes und unzureichend gesichertes Hallenfußballtor verletzt worden war. Gegen das AG-Urteil hatte der Trainer Berufung eingelegt. Das LG hat die Berufung des Angeklagten als unbegründet verworfen. Und zu der Entscheidung liegt dann jetzt die Revisionsentscheidung des OLG Hamm vor. Das hat im OLG Hamm, Beschl. v. 12.012.016 – 3 RVs 91/15 – das landgerichtliche Urteil aufgehoben und zurückverwiesen.

Das OLG führt zu den allgemeinen Fragen, wie z.B. Garantenstellung pp. aus:

1. Dem Landgericht ist im Grundsatz zuzustimmen, dass auch für den – ehrenamtlichen – Übungsleiter einer Jugendfußballmannschaft das Bestehen einer Garantenstellung in Betracht kommt. Der Angeklagte war – neben anderen Vereinsmitgliedern – Teil des Organisationsteams des Vereins, der das Jugendfußballturnier austrug.

Die nicht gesicherten und nicht sicherungsfähigen Handballtore in der kleinen Halle eröffneten einen Gefahrenbereich, der in den Zuständigkeitsbereich des Vereins und des Organisationsteams fiel, für den der Angeklagte nach den Feststellungen dem Grunde nach (mit-)verantwortlich war. Das bloße Hinzutreten weiterer Garanten lässt die Garantenstellung eines einzelnen grundsätzlich unberührt; sie kann insoweit nur zur Modifikation der übernommenen Schutzaufgaben und der sich daraus ergeben-den Sorgfaltspflichten führen (vgl. BGH, Urteil vom 31.01.2002 – 4 StR 289/01 = NStZ 2002, 421, 423; BeckOK-StGB-Heuchemer, § 13, Rdnr. 67).

2. Soweit das Landgericht den Anknüpfungspunkt für ein strafbares Verhalten im Unterlassen von Sicherungsmaßnahmen und Überprüfungspflichten des Angeklagten sieht, ist dies aus Rechtsgründen vom Ansatz her ebenfalls nicht zu beanstanden.

Hinsichtlich der Begründung der objektiven Pflichtwidrigkeit und der Vorhersehbarkeit der eingetretenen Folgen sind die Feststellungen des Berufungsgerichts jedoch so lückenhaft und unzureichend, dass sie eine Verurteilung des Angeklagten wegen fahrlässiger Körperverletzung nicht zu tragen vermögen….“

Und dazu dann aus der PM des OLG:

„Das Landgericht habe bereits nicht ausreichend aufgeklärt, ob der Angeklagte den Torunfall objektiv sorgfaltspflichtwidrig herbeigeführt habe. Zu prüfen sei unter anderem, ob der Angeklagte trotz des eingeschränkten Reife- und Verantwortungsgrades der in der kleinen Halle spielenden, 10- bis 12-jährigen Kinder darauf habe vertrauen können, dass der Geschädigte die von den ungesicherten Hallentoren ausgehende Gefahr kennen konnte. Außerdem könne es darauf ankommen, ob den Kindern bekannt gewesen sei, dass der Aufenthalt in der kleinen Halle ohne Betreuer untersagt war. Zudem sei zu prüfen, ob der Angeklagte darauf habe vertrauen dürfen, dass die Kinder in der kleinen Halle von einem erwachsenen Betreuer beaufsichtigt werden würden. Da der Angeklagte ehrenamtlich tätig gewesen sei, seien jedenfalls keine übersteigerten Anforderungen im Sinne einer Sicherheitsgarantie an seine Sorgfaltspflicht zu stellen.

Bei der Beurteilung, ob der Torunfall für den Angeklagten vorhersehbar gewesen sei, seien die bislang ungeklärte Betreuung der Gastmannschaft sowie der Reife- und Verantwortungsgrad des geschädigten Kindes ebenfalls zu berücksichtigen. Auch hierzu fehlten Feststellungen des Landgerichts. Wirkten in einem Schadensereignis mehrere Umstände zusammen, müssten alle, wenn auch nicht in allen Einzelheiten, für den Täter erkennbar sein.

Unklar bleibe zudem, worauf das Landgericht seine Beurteilung stütze, der Angeklagte habe mit einem Umstürzen der Handballtore rechnen müssen sowie damit, dass Kinder in der kleinen Halle unbeaufsichtigt durch ihre Betreuer die Handballtore zum Fußballspiel nutzen würden.“

Also: Zweite Runde/Halbzeit…

Und nochmals: Wiedereinsetzungsantrag, oder: Ist das denn so schwer, Herr Kollege?

© Elena Schweitzer - Fotolia.com

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Am vergangenen Mittwoch hatte ich über den  BGH, Beschl. v. 13.01.2016 – 4 StR 452/15 – berichtet (vgl. dazu Wiedereinsetzungsantrag: Ist das denn so schwer, Herr Kollege?); bei dem Beitrag hatte ich mir wegen zwei Schreibfehlern übrigens Kritik von einem Kollegen (?) eingefangen. Aber, was soll es? Ich lege – auch am Rosenmontag – nach. Denn beim Stöbern in meinem Blogordner bin ich auf den OLG Hamm, Beschl. v. 12.11.2015 – 3 Ws 379/15 – gestoßen, der auch eine Wiedereinsetzungsproblamtik behandelt. Der Beschluss ist in doppelter Hinsicht interessant.

Zunächst der Zeitablauf: Es wird unter dem 02.09.2015 Beschwerde gegen einen Beschluss vom 08.08.2015 eingelgt und die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde beantragt. Im Rahmen der Gewährung rechtlichen Gehörs hat der Verteidiger dann mehrfach Fristverlängerungen beantragt, das OLG hat sechs Wochen bis zu seiner Entscheidung „zugewartet“. Und dann kommt noch mal ein zweiwöchiger Fristverlängerungsantrag des Verteidigers vom 10.11.2015, der aber – so das OLG lediglich Absichtsbekundungen enthält. Das OLG ist es jetzt dan  leid und entscheidet: „Ein weiteres Zuwarten mit der Entscheidung war nach dem Verstreichen von sechs Wochen mit Blick auf die fehlende Glaubhaftmachung nicht mehr geboten.“ Nun, irgendwann ist Schluss.

Vor allem, wenn es auch sonst nicht passt, so wie hier, denn:

„Der Antrag auf Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde ist bereits unzulässig, weil er entgegen den Erfordernissen gem. §§ 44, 45 Abs. 1 u. Abs. 2 StPO keine Umstände darlegt, aus denen sich ein mangelndes Verschulden des Verurteilten an der Einhaltung der einwöchigen Rechtsmittelfrist ergibt. Trotz mehrfacher Fristverlängerung mangelt es an der erforderlichen Glaubhaftmachung der Tatsachen zur Begründung des fehlenden Eigenverschuldens. Eine Glaubhaftmachung ist auch nicht ausnahmsweise wegen Offenkundigkeit entbehrlich.

Soweit der Beschwerdeführer durch Schreiben seines Verteidigers vom 2. September 2015 eine Zeugin für die Tatsache benannt hat, dass er zum Zeitpunkt der Zustellung an der Zustelladresse nicht mehr wohnhaft gewesen sei, reicht dies als Mittel der Glaubhaftmachung nicht aus. In Betracht kommen zur Glaubhaftmachung grundsätzlich alle Mittel, die geeignet sind, die Wahrscheinlichkeit des Vorbringens darzutun, etwa die eidesstattliche Versicherung von Zeugen (Meyer-Goßner/Schmitt, 58. Aufl., § 45 Rdnr. 8). Die bloße Benennung eines Zeugen ohne weitere Ausführungen – wie vorliegend erfolgt – reicht dagegen allein nicht aus (vgl. BGH, Beschluss vom 05. August 2010 – 3 StR 269/10 –, juris).“

Das kann doch alles nicht so schwierig sein? Oder doch?

Das sog. „U-Bahn-Lied“, oder: Mainz ist nicht Jerusalem und Jerusalem ist am Spiel nicht beteiligt

Pimke - Own work

Pimke – Own work

Gestern ist auf der Homepage NRWE der OLG Hamm, Beschl. v. 01.10.2015 – 1 RVs 66/15 – veröffentlicht worden. In ihm geht es um den Tatbestand der Volksverhetzung. Das AG Dortmund hatte zwei Anhänger des BVB wegen Volksverhetzung (§ 130 StGB) jeweils zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 60,00 € verurteilt, weil sie bei einem Bundesligaspiel gegen Mainz 05 im April 2014 das sog. U-Bahn-Lied in Richtung gegnerischer Fans gesungen hatten. Text des Liedes „Eine U-Bahn, eine U-Bahn, eine U-Bahn bauen wir, von Jerusalem bis nach Auschwitz, eine U-Bahn bauen wir!“. Das Singen dieses Liedes war für die umstehenden Personen deutlich hörbar.

Das OLG Hamm hat die Verurteilung wegen Volksverhetzung bestätigt. Das OLG geht davon aus, dass die Angeklagten eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung der in § 6 Abs. 1 VStGB bezeichneten Art verharmlost hätten. Die Verharmlosung sei zudem geeignet gewesen, den öffentlichen Frieden zu stören. Dazu aus der PM zu dem m.E. lesenswerten Beschluss:

Das Verhalten der Angeklagten stelle eine, so der Senat, gemäß § 130 Abs. 3 Strafgesetzbuch strafbare Volksverhetzung dar. Die Angeklagten hätten eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Handlung der in § 6 Abs. 1 des Völkerstrafgesetzbuches bezeichneten Art in einer Weise verharmlost, die geeignet sei, den öffentlichen Frieden zu stören.

Die Vorschrift des Völkerstrafgesetzbuches verbiete es, eine nationale, rassische, religiöse oder ethische Gruppe unter Lebensbedingungenzu stellen, die sie körperlich zerstören könne. Der gesungene Liedtext beziehe sich auf eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung dieser Art, er billige das Massenvernichtungsunrecht im Konzentrationslager Auschwitz. Der im Liedtext besungene Startort Jerusalem stehe als Synonym für Juden. Die Verbindung von Jerusalem und Auschwitz durch die U-Bahn als direktes Transportmittel verbildliche die Transporte der Opfer des Holocaust nach Auschwitz.

Nach dem Text solle die U-Bahn von den Sängern erst noch gebaut werden. Das stelle die Bezüge zur Vergangenheit in einen Kontextzu einem künftigen Geschehen, auf welches die Sänger hinwirken wollten. Unabhängig davon, dass ersichtlich nicht ernsthaft eine UBahn von Jerusalem nach Auschwitz gebaut werden solle, bringe der Text des Liedes symbolisch die Möglichkeit zum Ausdruck, dass eine Wiederholung der Transporte jüdischer Menschen an den Ort eines früheren Vernichtungslagers denkbar sei. Dadurch erscheine der Völkermord der Nationalsozialisten an den Juden in seinem Unrechtsgehalt begrenzt, mithin nicht schwerwiegend und der Gedanke einer Wiederholung als billigenswert. Aus Sicht eines verständigen Zuhörers erscheine das als eine Verharmlosung der Verbrechen der Nationalsozialisten.

Es gebe keine Begleitumstände, die das Lied in einen anderen Kontext, z.B. den einer Fanrivalität, stellen könnten. Das Lied sei
zwar in der Nähe einer Gruppe Mainzer Fans gesungen worden, sein Inhalt aber nicht an diese gerichtet gewesen, Mainz sei nicht Jerusalemund Jerusalem sei am Spiel nicht beteiligt gewesen. Das Singen des Liedes durch die Angeklagten sei geeignet gewesen,den öffentlichen Frieden zu stören. Insoweit genüge schon die konkrete Eignung. Bei der in der Liedform in die Öffentlichkeit getragenen ?Judenhetze? bestehe ohne weiteres die Gefahr, dass die Botschaft der Angeklagten von Zuhörern, die diese billigten, weitergetragen werde, so dass das psychische Klima aufgeheizt.“

Ohne Worte. Nicht wegen des Beschlusses, sondern wegen des Liedes…..

Eskalation – Stinkefinger, Vollbremsung – im Straßenverkehr – wenn kein „Eingriff“, dann aber „Nötigung“

entnommen wikimedia.org Author Harald Wolfgang Schmidt at de.wikipedia

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Author Harald Wolfgang Schmidt at de.wikipedia

Zum weiteren Wochenauftakt dann „tiefstes Verkehrsrecht“ mit dem OLG Hamm, Beschl. v. 15.12.2015 – 5 RVs 139/15. Es geht um ein Verfahren u.a. wegen eines gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr (§ 315 StGB). Insoweit bringt der Beschluss an sich zwar nichts Neues, da er sich auf der Linie der obergerichtlichen Rechtsprechung bewegt. Er zeigt aber, dass sich die Tatgerichte mit der Umsetzung dieser Rechtsprechung – gelinde ausgedrückt – schwer tun, was allerdings auch nichts Neues ist: Man kann also schreiben: “ er zeigt aber mal wieder…“.

In dem Verfahren ging es um eine Situation im (innerörtlichen) Straßenverkehr, die in der Praxis gar nicht so selten sein dürfte: Der eine Verkehrsteilnehmer ärgert sich über den anderen und dessen Fahrmanöver, weil danach abbremsen musste. Dann fährt man nahe auf, man zeigt sich den berühmten „Stinkefinger“ und mehr. Und dann: „Nunmehr machte der Angeklagte aus Verärgerung und um I2 zu maßregeln ohne verkehrsbedingten Grund eine Vollbremsung; dabei hoffte und vertraute er – schon weil er wegen seines Fahrens ohne Fahrerlaubnis keinesfalls mit der Polizei Kontakt haben wollte –, dass es nicht zu einem Unfall kommen werde. I2 machte ebenfalls eine Vollbremsung, konnte aber einen leichten Zusammenstoß nicht verhindern. Der Angeklagte fuhr zunächst weiter. I2 verfolgte ihn. Nach einigen Metern hielt der Angeklagte und sodann auch I2 an.“

AG und LG verurteilen den Angeklagten wegen der Vollbremsung wegen eines Verstoßes gegen § 315b Abs. 1 Nr. 2 StGB. Das OLG hebt auf

Zwar kann ein willkürliches Abbremsen aus hoher Geschwindigkeit, um den nachfolgenden Kraftfahrzeugführer zu einer scharfen Bremsung oder Vollbremsung zu zwingen, einen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr durch Hindernisbereiten im Sinne des § 315 b Abs. 1 Nr. 2 StGB darstellen (vgl. Senatsbeschluss vom 04. Juni 2013 – 5 RVs 41/13 – sowie den Beschluss des hiesigen 4. Strafsenats vom 11. September 2014 – 4 RVs 111/14 –, DAR 2015, 399; Fischer, StGB, 62. Aufl., § 315 b Rdnr. 7, 11). Jedoch ist im vorliegenden Fall bereits zweifelhaft, ob überhaupt von einem Abbremsen bei „hoher Geschwindigkeit“ ausgegangen werden kann. Hinsichtlich des konkreten Abbremsvorgangs, der zum Unfall geführt hat, finden sich keine Feststellungen zur gefahrenen Geschwindigkeit, für den ersten Bremsvorgang des Angeklagten hat das Landgericht eine Geschwindigkeit von „etwa 40 km/h“ festgestellt. Eine solche oder noch geringere Geschwindigkeit würde in der konkreten Situation noch keinen verkehrsfremden Eingriff in Gestalt einer „groben Einwirkung von einigem Gewicht“ (vgl. hierzu BGHSt 26, 176, 177 f.; BGH, NZV 1998, 36) darstellen.

Vor allem aber gilt, dass die Vorschrift des § 315 b Abs. 1 StGB in der Regel einen von außen in den Straßenverkehr hineinwirkenden verkehrsfremden Eingriff voraussetzt und eine Anwendung der Vorschrift bei Handlungen im – wie hier – fließenden Verkehr nur dann in Betracht kommt, wenn es sich um einen verkehrswidrigen Inneneingriff handelt, d.h. der Täter als Verkehrsteilnehmer einen Verkehrsvorgang zu einem Eingriff in den Straßenverkehr pervertiert. Hierfür muss zu einem bewusst zweckwidrigen Einsatz eines Fahrzeugs in verkehrswidriger Absicht hinzukommen, dass es mit mindestens bedingtem Schädigungsvorsatz (z.B. als Waffe oder Schadenswerkzeug) missbraucht wird (vgl. BGHSt 48, 233, 237 f.; BGH, NStZ 2010, 391, 392; NZV 2012, 249; Beschluss des hiesigen 1. Strafsenats vom 20. Februar 2014 – 1 RVs 15/14 –, DAR 2014, 594). Diese Grundsätze gelten für alle Tatbestandsvarianten des § 315 b Abs. 1 StGB, also auch für den hier in Rede stehenden Fall nach § 315 b Abs. 1 Nr. 2 StGB (vgl. BGHR § 315 b Abs. 1 Nr. 2 Hindernisbereiten 4; Fischer, a.a.O., § 315 b Rdnr. 9).

Den für eine Verurteilung erforderlichen Schädigungsvorsatz hat das Landgericht nicht festgestellt. Vielmehr lässt die vom Landgericht gewählte Formulierung „dabei hoffte und vertraute er – schon weil er wegen seines Fahrens ohne Fahrerlaubnis keinesfalls mit der Polizei Kontakt haben wollte –, dass es nicht zu einem Unfall kommen werde“ darauf schließen, der Angeklagte habe ein Unfallgeschehen gerade nicht billigend in Kauf genommen. Zwar billigt der Täter auch einen an sich unerwünschten, aber notwendigen Erfolg, wenn er sich mit ihm um eines erstrebten Zieles willen abfindet und die als möglich erkannte Folge hinzunehmen bereit ist (vgl. BGH, NStZ 1994, 584; Fischer, a.a.O., § 15 Rdnr. 9b). Jedoch lässt sich den bislang getroffenen Feststellungen auch nicht entnehmen, der Angeklagte habe das Ziel, den Zeugen I2 „zu maßregeln“, nur durch eine (Be-)Schädigung dessen Fahrzeugs herbeiführen können. Es spricht mehr dafür, dass der Angeklagte dieses Ziel bereits dadurch zu erreichen glaubte, dass er den Zeugen überhaupt zu einem Abbremsen des eigenen Fahrzeugs zwang.

Also: Schädigungsvorsatz mal wieder nicht festgestellt. Das wird – das sieht auch das OLG – im 2. Durchgang nicht einfach(er), so dass die Verurteilung nach § 315b Abs. 1 Nr. 2 StGB entfallen kann/wird. Aber dann bleibt ggf. immer noch eine Nötigung nach § 240 StGB.