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Auslieferung nach Rumänien, oder: 3 qm Haftraum/Person müssen es sein

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Auslieferungsrecht kommt hier im Blog leider etwas kurz, obwohl es in der Praxis ja eine immer größere Rolle spielt. Daher dann heute mal wieder einen Beschluss aus dem Bereich, der die in der Praxis immer wieder eine Rolle spielende Frage der Auslieferung in den Fällen der nicht genügenden menschenrechtlichen Mindestanforderungen geht. Es handelt sich um eine Auslieferung nach Rumänien und es spielt mal wieder die Haftraumgröße eine Rolle. Dazu dann der OLG Celle, Beschl. v. 02.03.2017 – 1 AR (Ausl) 99/16 – mit folgenden (amtlichen) Leitsätzen:

  1. Die Auslieferung eines Verfolgten nach Rumänien zur Strafvollstreckung aufgrund eines Europäischen Haftbefehls ist nach § 73 IRG unzulässig, wenn nicht sichergestellt ist, dass die dortigen Haftbedingungen den in Art. 3 EMRK verankerten menschenrechtlichen Mindestanforderungen genügen.
  1. Die Prüfung, ob die Haftbedingungen im Ausstellungsmitgliedstaat Art. 3 EMRK genügen, hat anhand der vom EGMR in seiner Grundsatzentscheidung vom 20. Oktober 2016 (7334/13, Murši?/Kroatien) aufgestellten Kriterien zu erfolgen (entgegen OLG Hamburg, Beschluss vom 3. Januar 2017 – Ausl 81/16).
  1. Danach stellt eine Haftraumgrundfläche von 3 m² pro Inhaftiertem bei Belegung eines Haftraumes mit mehreren Gefangenen das von Art. 3 EMRK verlangte Minimum dar. Die Unterschreitung dieses Minimalstandards begründet eine starke Vermutung für eine unmenschliche Behandlung.
  1. Um entgegen der Regelvermutung einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK zu verneinen, müssen drei (kompensatorische) Voraussetzungen kumulativ gegeben sein. Erstens darf die Haftraummindestgröße von 3 m² pro Gefangenem nur kurzzeitig, gelegentlich und geringfügig unterschritten werden. Zweitens muss die Reduktion der Haftraummindestgröße einhergehen mit ausreichender Bewegungsfreiheit außerhalb der Zellen und adäquaten Aktivitäten außerhalb der Hafträume. Und drittens muss die betreffende Haftanstalt generell angemessen ausgestattet sein und darf es keine anderen den Gefangenen beschwerenden Haftumstände geben.“

Entschädigung III: Ungerechtfertigte Auslieferungshaft wird im Zweifel nicht entschädigt.

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Und zum Schluss dann zwei „Exoten“ 🙂 , nämlich StrEG und Auslieferungsverfahren. Es geht um die Frage: Muss der Verfolgte wegen zu Unrecht erlittener Auslieferungshaft entschädigt werden?  Damit musste sich das OLG Celle im OLG Celle, Beschl. v. 06.12.2016 – 1 AR (Ausl) 55/16 – befassen. Grundlage des Verfahrens war ein Ausliferungsersuchen der Türkei zum Zwecke der Vollstreckung des Restes einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren wegen Totschlags. Dre Verfolgte wird deswegen in Auslieferungshaft genommen und es wird die förmliche Auslieferungshaft gegen den Verfolgten angeordnet, wobei das OLG aber „betonte, dass nach vorläufiger Würdigung (der Auslieferungsunterlagen) eine Strafbarkeit des dem Auslieferungsersuchen zu Grunde liegenden Tatgeschehens sowohl nach türkischem als auch deutschem Recht gegeben sei, die Beurteilung einer Strafbarkeit nach deutschem Recht allerdings unter dem Vorbehalt einer Klärung des Vorliegens des Rechtfertigungsgrundes der Notwehr stehe.“ Später wird dann Auslieferungshaftbefehl aufgehoben und diese Entscheidung darauf gestützt, dass eine doppelte Strafbarkeit im Sinne des Art. 2 Abs. 1 EuAlÜbk nicht gegeben sei, weil die dem Auslieferungsersuchen zu Grunde liegende Tat des Verfolgten nach deutschem Recht wegen Notwehr gerechtfertigt gewesen sei. Insofern erscheine die Auslieferung als von vornherein unzulässig im Sinne des § 15 Abs. 2 IRG, so dass eine Aufrechterhaltung der Auslieferungshaft nicht weiter in Betracht komme. Das Auslieferungsersuchen ist inzwischen dann ganz abgelehnt.

Der Verfolgte möchte nunmehr für die erlittene Auslieferungshaft nach § 2 StrEG entschädigt werden. Das OLG sagt:

Der Antrag des Verfolgten auf Feststellung einer Entschädigungspflicht für die erlittene Auslieferungshaft in entsprechender Anwendung des § 2 StrEG ist abzulehnen.

Für die beantragte Feststellung einer Entschädigungspflicht in entsprechender Anwendung des Gesetzes über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG) ist aus Rechtsgründen kein Raum.

1. Nach Ansicht des KG Berlin und des OLG Düsseldorf kommt eine (entsprechende) Anwendung von § 2 StrEG bei auf Ersuchen ausländischer Behörden in der Bundesrepublik Deutschland – retrospektiv betrachtet – zu Unrecht erlittener Auslieferungshaft generell nicht in Betracht (KG Berlin, Beschluss vom 29. November 2010 – (4) Ausl A 915/06 (183/06), NStZ-RR 2011, 207; KG Berlin, Beschluss vom 30. Januar 2009 – (4) AuslA. 522-03 (139/140/07), StV 2009, 423; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25. Juli 1991 – 4 Ausl (A) 231/89 – 26/91 III, NJW 1992, 646. Vgl. auch OLG Köln, Beschluss vom 4. Juli 2005 – 6 Ausl 53-05/24/05, NStZ-RR 2006, 151; OLG Hamm, Beschluss vom 17. Januar 1997 – (2) 4 Ausl 30/91 (36/96), NStZ 1997, 246). Demnach schiede die beantragte Feststellung einer Entschädigungspflicht von vornherein aus.

2. Nach – allerdings bereits älterer – Rechtsprechung des BGH ist zwar eine Entschädigung eines Verfolgten wegen zu Unrecht erlittener Auslieferungshaft in entsprechender Anwendung des StrEG nicht generell ausgeschlossen, sie komme allerdings nur in Betracht, wenn die unberechtigte Inhaftierung von den Behörden der Bundesrepublik Deutschland zu vertreten sei (BGH, Beschluss vom 9. Juni 1981 – 4 ARs 4/81, BGHSt 30, 152). Ausdrücklich hat der BGH festgestellt, dass ein zu Unrecht in Auslieferungshaft genommener Verfolgter für den Vollzug der Haft nicht in entsprechender Anwendung des StrEG aus der Staatskasse entschädigt werden könne, wenn die Behörden der Bundesrepublik Deutschland die unberechtigte Verfolgung nicht zu vertreten haben (BGH, Beschluss vom 17. Januar 1984 – 4 ARs 19/83, BGHSt 32, 221. Ebenso OLG Celle, Beschluss vom 14. Juni 2010 –1 Ausl 7/10, StraFo 2010, 431; OLG Celle, Beschluss vom 17. Januar 2002 – 1 (3) ARs 8/01 (Ausl), Nds. RPfl. 2002, 269; Schomburg/Hackner, in: Schomburg u.a. [Hrsg.], Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Aufl. 2012, Vor § 15 Rn. 10 ff.).

Die Festnahme des Verfolgten und die Anordnung der vorläufigen Auslieferungshaft durch Beschluss des Senats vom 10. Juni 2016 erfolgten aus der Basis einer Interpol-Ausschreibung der türkischen Behörden. In der Interpol-Ausschreibung war das Tatgeschehen, das der Verurteilung des Verfolgten zu Grunde lag, lediglich dahingehend beschrieben, dass der Verfolgte sein Opfer, das Rache nehmen wollte für die Tötung seines Hundes, angriff und auf dieses einstach, wodurch das Opfer ums Leben kam. Auf der Basis dieses mitgeteilten Sachverhalts bestand kein Anlass, Zweifel an der Strafbarkeit des Tatgeschehens nach deutschem Recht zu hegen. Zunächst erschien die Auslieferungshaft damit nicht von vornherein unzulässig und war daher rechtskonform. Erst die nach Vorlage der vollständigen Auslieferungsunterlagen ergab sich die Notwendigkeit einer Prüfung und Beantwortung der Frage, ob das nunmehr in Einzelheiten mitgeteilte Tathandeln des Verfolgten nach deutschem Recht wegen Handelns in Notwehr gerechtfertigt war. Die Notwendigkeit dieser Prüfung hat der Senat, wie seinem Beschluss vom 15. Juli 2016, mit dem er die förmliche Auslieferungshaft angeordnet hat und der unmittelbar nach Vorlage der Akten mit den vollständigen Auslieferungsunterlagen erging, zu entnehmen ist, sogleich erkannt. Als Ergebnis der komplexen Prüfung hat der Senat dann – wie dargetan – den Auslieferungshaftbefehl mit Beschluss vom 2. August 2016 mangels doppelter Strafbarkeit des Tatgeschehens im Sinne des Art. 2 Abs. 1 EuAlÜbk aufgehoben und die sofortige Freilassung des Verfolgten veranlasst.

Die – retrospektiv betrachtet – zu Unrecht vollzogene Auslieferungshaft ist vorliegend also nicht durch Organe der Bundesrepublik Deutschland zu vertreten, sondern beruht allein darauf, dass der Interpol-Ausschreibung der türkischen Behörden nicht zu entnehmen war, dass der Verfolgte bei Anwendung deutschen Strafrechts auf das Tatgeschehen gerechtfertigt handelte.

Selbst wenn man daher – der Rechtsprechung des BGH folgend – eine Entschädigungspflicht für erlittene Auslieferungshaft nach dem StrEG für grundsätzlich möglich erachtete, käme sie im vorliegenden Fall nicht in Betracht.

3. Soweit der BGH (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Januar 1984 – 4 ARs 19/83, BGHSt 32, 221) darauf hingewiesen hat, dass der Ausschluss von Entschädigungsansprüchen nach dem StrEG Ansprüche aus Art. 5 Abs. 5 EMRK unberührt lasse, hat der Senat darüber nicht zu befinden, da solche Ansprüche gegenüber der Landesjustizverwaltung geltend zu machen und gegebenenfalls vor den ordentlichen Gerichten einzuklagen sind (OLG München, Beschluss vom 5. Juli 1995 – 1 Ws 289/95, NStZ-RR 1996, 125; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25. Juli 1991 – 4 Ausl (A) 231/89 – 26/91 III, NJW 1992, 646).“

Irgendwie auch „unschön“…………

Der unbefugte Tankkarteneinsatz, oder: Computerbetrug?

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Urheber joho345

Die Fragen, die mit Tankkarten und ihrem unberechtigen Einsatz zu tun haben, spielen in der Rechtsprechung immer wieder eine Rolle. Dazu hat es – wenn ich mich richtig erinnere – vor einiger Zeit eine BGH-Entscheidung gegeben und dazu gibt es dann jetzt auch noch einmal einen Beschluss des OLG Celle, nämlich den OLG Celle, Beschl. v. 07.10.2016 – 2 Ss 113/16 – mit folgenden Leitsätzen:

  1. Der unbefugte Einsatz einer fremden, durch verbotene Eigenmacht erlangten Tankkarte an einer automatisierten Tankstation erfüllt den Tatbestand des Computerbetruges gemäß § 263a Abs. 1 StGB.
  2. Haben der Betreiber der Tankstation und derjenige, für den die Tankkarte ausgegeben ist, einen Tankvertrag geschlossen, nach dem die durch den Einsatz der Tankkarte autorisierten Tankvorgänge in regelmäßigen Abständen erst im Nachhinein abgerechnet werden sollen, entsteht bei einem unbefugten Einsatz der Tankkarte an der Tankstation der Vermögensschaden im Sinne des § 263a Abs. 1 StGB beim Betreiber der Tankstation (entgegen BayObLG, Beschluss vom 7. November 2000, 5 St RR 317/00).

Ist ein wenig länger der Beschluss, daher bitte selbst lesen 🙂 .

Geldbuße I: Gesamtgeldbuße?

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Heute mache ich dann mal einen „Geldbußentag“. M.E. kommen nämlich die mit der Verhängung/Höhe der Geldbuße zusammenhängenden Fragen – leider auch hier bei mir – viel zu kurz. Ich eröffne die kurze Serie dann mit dem OLG Celle, Beschl. v. 06.04.2016 – 2 Ss 15/16 -, also schon etwas älter. In ihm geht es um eine Basisfrage in Zusammenhang mit § 20 OWiG. Das AG hatte den Angeklagten wegen leichtfertiger Steuerverkürzung in drei Fällen zu einer „Geldbuße von insgesamt 2.300,00 €“ verurteilt. Das LG hat dann die Berufung des Angeklagten verworfen. 

Das OLG hat die Revision gegen den Schuldspruch verworfen, wegen des Rechtsfolgenausspruchs jedoch aufgehoben, da § 20 OWiG nicht beachtet sei:

„2. Der Rechtsfolgenausspruch war hingegen zu korrigieren, da bei der Zusammenrechnung der drei Geldbußen zu einem Gesamtbetrag im erstinstanzlichen Urteil § 20 OWiG nicht beachtet wurde.

a) Der Angeklagte wurde wegen dreier tatmehrheitlich begangener Taten verurteilt. Werden durch mehrere Handlungen Bußgeldvorschriften verletzt und bilden diese weder eine natürliche noch eine rechtliche Handlungseinheit, so sind die Geldbußen gesondert festzusetzen, auch wenn diese mehreren Handlungen gleichzeitig geahndet werden (vgl. Göhler, OWiG, 16. Aufl. (2012), § 20 RdNr. 2 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung). So liegt der Fall hier. Es besteht weder eine natürliche noch eine rechtliche Handlungseinheit zwischen den abgegebenen Steuererklärungen. Die Abgabe jeder einzelnen unrichtigen Steuererklärung ist grundsätzlich als selbständige Tat im Sinne von § 53 StGB zu werten, was insbesondere dann gilt, wenn die abgegebenen Steuererklärungen verschiedene Besteuerungszeiträume betreffen. Tateinheit liegt nur dann vor, wenn die Hinterziehungen durch dieselbe Erklärung bewirkt werden oder wenn mehrere Steuererklärungen durch eine körperliche Handlung gleichzeitig abgegeben werden (vgl. BGH, Urteil vom 27. Oktober 2015 – 1 StR 373/15 = NJW 2016, 965). Letzteres ist hier nicht der Fall.

Mehrere Geldbußen können zwar gemeinsam festgesetzt werden, sind aber getrennt anzugeben und auch nicht – wie hier geschehen – zusammenzuziehen (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 3. Januar 2007 – 1 Ss 289/06, juris; OLG Rostock, Beschluss vom 23. November 2011- 2 Ss (OWi) 187/11 I 208/11, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 26. November 2001 – 2 Ss OWi 985/01, juris). Dies hat das Landgericht nicht beachtet, was aber nicht zu einer Zurückverweisung der Sache führt. Der Senat konnte den Rechtsfolgenausspruch auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft nach § 354 Abs. 1b, Abs. 1a StPO dahin korrigieren, dass für die festgestellten Fälle der leichtfertigen Steuerverkürzung Geldbußen von 400 €, 750 € und 1.150 € festgesetzt werden…..“

In meinen Augen: Grundwissen. Dass das LG das übersehen hat, überrascht mich dann doch.

Wenn der Prüfungskandidat mitschummelt, oder: Beihilfe zum Geheimnisverrat

entnommen openclipart.org

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Der erste Beitrag der 4. KW. kommt dann etwas später, musste erst noch ein paar andere Dinge erledigen. Und ich eröffne die Woche dann mit dem OLG Celle, Beschl. v. 05.09.2016 – 2 Ss 103/16. Bei ihm handelt es sich m.E. um einen „Ableger“ aus der Geschichte in Niedersachsen mit der Weitergabe von Prüfungsunterlagen, – ergebnissen usw. an Prüfungskandidaten für die 2. juristische Staatprüfung durch einen Mitarbeiter des Prüfungsamtes. In dem Beschluss geht es aber nicht um den Angehörigen des Prüfungsamtes, sondern um einen von dem Belieferten Prüfling. Der war wegen Beihilfe zum Geheimnisverrat verurteilt worden, und zwar – wie das OLG Celle dann sagt – zu recht. Hier die Leitsätze der OLG-Entscheidung:

1. Die Weitergabe von Sachverhalts- und Lösungsskizzen des juristischen Staatsexamens an Prüfungskandidaten durch einen Referatsleiter des Landesjustizprüfungsamts erfüllt den Tatbestand des Geheimnisverrats gemäß § 353b Abs. 1 StGB.

2. Ein Prüfungskandidat, der sich nicht darauf beschränkt, die Sachverhalts- und Lösungsskizzen rein passiv entgegenzunehmen, kann sich wegen Beihilfe zum Geheimnisverrat gemäß §§ 353b Abs. 1, 27 StGB strafbar machen.

3. Durch die mit der Tatbegehung einhergehende Erschütterung des Vertrauens der Allgemeinheit in die Unparteilichkeit, Unbestechlichkeit und Funktionsfähigkeit öffentlicher Institutionen werden wichtige öffentliche Interessen im Sinne des § 353b Abs. 1 StGB gefährdet.

Wegen des Strafausspruchs hatte die Revision allerdings Erfolg. Denn – dazu der Leitsatz 4:

4. Eine weitere strafschärfende Berücksichtigung dieses Umstandes bei der Strafzumessung verstößt gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB.“