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Wenn es mit dem Polizeiwagen „knallt“, oder: halbe/halbe

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Immer wieder schön 🙂 (?), nun ja, jedenfalls immer wieder interessant sind die Entscheidungen, die sich mit der Haftungsverteilung befassen, wenn an dem Verkehrsunfall ein „Sonderfahrzeug“ beteiligt war, dass die Sonderrechte in Anspruch genommen hat (§ 35 StVO). Das ist bei dem OLG Celle, Urt. v. 24.01.2018 – 5 U 121/17 der Fall. Da hatte es zwischen dem Pkw des Klägers und einem Polizeifahrzeug geknallt, als der Kläger sich in einem Einbiegevorgang befand. Der Kläger hatte den von hinten herannahenden Polizeiwagen offensichtlich übersehen/überhört. Das OLG trifft eine „weise“ Enscheidung und kommt zur Schadensteilung:

„Gemäß § 35 Abs. 1 StVO sind Fahrzeugführer, die berechtigt Sonderrechte in Anspruch nehmen, von den StVO-Pflichten befreit. Durch § 35 StVO werden die Verkehrsregeln aber nicht geändert. Die Norm schränkt die Rechte anderer Verkehrsteilnehmer jedoch zu Gunsten des Sonderrechtsfahrzeugs ein, so dass Sonderrechtsinhaber unter Anwendung größtmöglicher Sorgfalt jene Rechte missachten dürfen. Die Vorschrift gewährt mithin nur Befreiungen von Pflichten, die den Verkehrsteilnehmern sonst auferlegt sind. Der dadurch begünstigte Fahrer eines Sonderrechtsfahrzeugs darf von den Befreiungen nur unter gebührender Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung Gebrauch machen, § 35 Abs. 8 StVO. Sonderrechte dürfen daher nur unter größtmöglicher Sorgfalt wahrgenommen werden. Es ist abzuwägen, welches Maß an Wagnis nach Dienstzweck und Verkehrslage zulässig ist. Der Fahrer des Sonderrechtsfahrzeugs muss der erhöhten Unfallgefahr, die er durch das Abweichen der Vorschriften herbeiführt, durch besondere Aufmerksamkeit und Vorsicht begegnen. Die dem Sonderrechtsfahrer obliegende Sorgfaltspflicht ist umso größer, je mehr seine gegen die StVO verstoßende Fahrweise, die zu der zu erfüllenden hoheitlichen Aufgabe nicht außer Verhältnis stehen darf, die Unfallgefahr erhöht.

Andererseits haben gemäß § 38 Abs. 1 Satz 2 StVO alle übrigen Fahrzeuge dem Polizeifahrzeug sofort „freie Bahn zu schaffen“. Normadressat sind nach dem Wortlaut des § 38 Abs. 1 Satz 2 StVO alle übrigen Verkehrsteilnehmer. Das nach § 38 StVO bevorrechtigte Fahrzeug darf, falls die übrigen Verkehrsteilnehmer freie Bahn geschaffen haben, diese dann aber auch in Anspruch nehmen, wenn sich sein Fahrer davon überzeugt hat, dass alle anderen Verkehrsteilnehmer ihn wahrgenommen und sich auf seine Absicht, eingestellt haben. Der Fahrer eines Sonderrechtsfahrzeugs darf, wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, darauf vertrauen, dass ihm nunmehr freie Fahrt gewährt wird (BGH, Urteil vom 17. Dezember 1974 – VI ZR 207/73 BGHZ 63, 327 – 332).

Hier ergibt sich aus der vom Landgericht durchgeführten Beweisaufnahme, dass der Kläger sich zum Einbiegen auf den REWE-Parkplatz nach links eingeordnet und den Blinker gesetzt hatte. Bei dieser Lage musste der Zeuge—damit rechnen, dass der Kläger sein Polizeifahrzeug nicht ohne weiteres wahrnehmen, nach links abbiegen und die von ihm angesteuerte Fahrlinie kreuzen würde. Es war daher geboten, zunächst das weitere Fahrverhalten des Klägers zu beobachten und sich davon zu vergewissern, dass der Kläger bereit war, ihn passieren zu lassen. Konnte der Zeuge das nicht sicher feststellen, hatte er davon abzusehen, an dem Fahrzeug des Klägers links vorbeizufahren. Keineswegs durfte der Zeuge K. bei dieser Sachlage darauf vertrauen, dass der Kläger sein beabsichtigtes Manöver erkennen und sich darauf einstellen würde. Denn auch im Rahmen des allgemeinen Vertrauensgrundsatzes ist mit Fehlern anderer zu rechnen, die nach den Umständen bei verständiger Würdigung als möglich zu erwarten sind. Bei seinem Fahrmanöver musste der Zeuge—mit einem solchen Fehler wie dem vorliegenden des Klägers rechnen. Er hätte deshalb erst dann vorbeifahren dürfen, wenn der Kläger sein Fahrzeug zum Stehen gebracht und gewartet hätte.

Gleichfalls zu Recht hat das Landgericht eine Mithaftung des Klägers bejaht.

Wie der Kläger bei seiner Anhörung vor dem Senat eingeräumt hat, fuhr der Polizeiwagen mit Martinshorn und Blaulicht. Für den Kläger bestand mithin die Verpflichtung gemäß § 38 Abs. 1 Satz 2 StVO, den Polizeiwagen passieren zu lassen.

Der Kläger, der auf den REWE-Parkplatz nach links abbiegen wollte, hätte also stehen bleiben müssen und dem Polizeiwagen, der links an ihm vorbeifahren wollte, Vorrang gewähren müssen. Der Kläger hat sich indessen entschieden, als er das Martinshorn vernommen hatte, noch schnell vor dem ihm entgegenkommenden Taxi auf den Parkplatz des REWE-Marktes zu fahren. Dabei ist der Kläger dem Polizeiwagen mit seinem vorderen linken Kotflügel in Höhe des rechten Radkasten in die Seite gefahren (vgl. Bilder von den Fahrzeugen BI. 87 ff d. A. und Aussage der unbeteiligten Zeugin BI. 118 d. A.). Wäre der Kläger vor dem Abbiegen seiner doppelten Rückschaupflicht nachgekommen (§ 9 Abs. 1 S. 4 StVO), hätte er den neben sich befindlichen Polizeiwagen sehen müssen. Beim Abbiegen auf das Grundstück hatte der Kläger sich zudem so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Er hätte also höchste Sorgfalt walten zu lassen. Dagegen hat der Kläger verstoßen.

Anhaltspunkte dafür, dass eine Kollision auch bei ordnungsgemäßer Rückschau unvermeidbar gewesen wäre, bestehen nicht. Damit hätte der Kläger in jedem Fall bei rechtzeitiger Rückschau unmittelbar vor dem Linksabbiegen das Polizeifahrzeug sehen und sich unfallverhütend verhalten können.

Darauf, dass der Polizeiwagen möglicherweise, worauf der Kläger abstellt, auch rechts an ihm hätte vorbeifahren können, kommt es nicht an. Der Polizeiwagen war berechtigt, den Kläger links zu überholen.

Entgegen der Auffassung des Landgerichts führt der festgestellte Unfallhergang zu einer Haftung der Beteiligten für die Unfallschäden zu gleichen Teilen. Anhaltspunkte, die eine unterschiedliche Haftung oder gar eine vollständige Haftungsfreiheit eines Beteiligten rechtfertigen könnten, liegen nicht vor. Grundsätzlich wiegt das durch einen Unfall beim Linksabbiegen in ein Grundstück indizierte Verschulden so schwer, dass es geeignet ist, die Haftungsanteile anderer Beteiligter vollständig zu verdrängen. Hier muss sich der Fahrer des Polizeifahrzeuges allerdings vorhalten lassen, bei einem auch im Rahmen einer Sonderrechtsfahrt nach § 35 StVO gefährlichem Fahrmanöver seiner Pflicht zu besonders umsichtigem Verhalten nicht nachgekommen zu sein und dadurch zur Unfallverursachung beigetragen zu haben. Dies rechtfertigt eine Haftung auch des Beklagten neben dem Kläger zu 50 %.“

 

U-Haft, oder: HV-Termin in der Berufung erst nach 7 Monaten ist zu spät

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Den Tag eröffnet heute der OLG Celle, Beschl. v. 12.01.2018 – 1 Ws 3/18 – ergangen in einer Haftsache, und zwar zur Haft im Berufungsverfahren. Der Angeklagte befindet sich in einem Verfahren wegen Diebstahls seit dem 26.11.2016 fortlaufend in Untersuchungshaft. Das AG hat den Angeklagten mit Urteil vom 27.04.2017 u.a. wegen Wohnungseinbruchsdiebstahls in Tatmehrheit mit Diebstahl zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren 8 Monaten verurteilt. Dre Haftbefehl ist aufrecht erhalten worden.

Die Akten sind im Berufungsverfahren am 28.06.2017 beim LG eingegangen. Und dann geht es wie folgt weiter:

„Da der zuständige Strafkammervorsitzende krankheitsbedingt bis zum 4. September 2017 verhindert und der erste nach der Geschäfts-verteilung zuständige Vertreter bis zum 7. Juli 2017 im Urlaub war, wurde die Sache am 29. Juni 2017 zunächst der zweiten Vertreterin vorgelegt. Diese sah sich an einer weiteren Förderung des Verfahrens gehindert und verfügte die Vorlage an den ersten Vertreter nach dessen Urlaubsrückkehr.

Der erste Vertreter verfügte nach seiner Urlaubsrückkehr am 10. Juli 2017 sodann die Abfrage des Berufungsziels, ohne bereits konkrete Terminvorschläge zu unterbreiten.

Mit Verfügung vom 8. August 2017 wurden sodann gegenüber den drei am Verfahren beteiligten Verteidigern Terminvorschläge für 13 Hauptverhandlungstage ab dem 10. Oktober bis zum 29. November 2017 unterbreitet. Nach Rückmeldung fanden sich übereinstimmende Termine der Verteidiger nur am 9., 14. und 29. November, woraufhin mit Verfügung vom 28. August 2017 weitere 13 Terminvorschläge zwischen dem 1. Februar 2018 und dem 23. Februar 2018 unterbreitet wurden. Temin zur Berufungshauptverhandlung wurde sodann mit Verfügung vom 15. September 2017 beginnend ab dem 6. Februar 2018 und sechs weiteren Folgeterminen anberaumt. Zeugen und ein Sachverständiger sind nur für die ersten drei Hauptverhandlungstage geladen worden.“

Dagegen die Haftbeschwerde des Angeklagten, die beim OLG Erfolg hat. Das OLG hat den Haftbefehl unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BVerfG, u.a. zuletzt BVerfG, Beschl. v. 20.12.2017 – 2 BvR 2552/17, über den ich auch schon berichtet habe – s. “Wir sind überlastet”, oder: Haftgrund “Überlastung” gibt es nicht…..) aufgehoben. Kurz gefasste Begründung: Innerhalb von sieben Monaten hätte man HV-Termine finden können/müssen:

„Nach diesen Grundsätzen war in der vorliegenden Sache die Fortdauer der Untersuchungshaft nicht mehr mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar.

So ist bereits nicht nachvollziehbar, weshalb die Abfrage nach dem Berufungsziel nicht be-reits mit der Unterbreitung von vorsorglichen Terminvorschlägen verbunden worden war. Soweit für den Monat Oktober und November gegenüber den Verteidigern sodann konkrete Terminvorschläge unterbreitet, welche nur an drei Hauptverhandlungsterminen zu übereinstimmenden Vakanzen bei den Verteidigern führten, war hierdurch ein Verstoß gegen das für Haftsachen geltende Beschleunigungsgebot zwar noch nicht berührt. Soweit dagegen im weiteren Verlauf ohne aus den Akten erkennbare und nachvollziehbare Begründung Terminvorschläge für einen Zeitraum ab dem 1. Februar 2018 unterbreitet wurden, ist nicht erkennbar, dass diese Verfahrensverzögerung bei vorausschauender und das Beschleunigungs-gebot berücksichtigender Planung unvermeidbar war.

Angesichts der Dauer der erstinstanzlichen Hauptverhandlungstermine mit einem Kurztermin und zwei weiteren Terminen mit einer Dauer von nur rund einer Stunde bei insgesamt fünf Hauptverhandlungstagen sowie der nunmehr erfolgten Ladung von Zeugen und einem Sach-verständigen an lediglich drei anberaumten Berufungshauptverhandlungstagen ist bereits zweifelhaft, ob mehr als drei Hauptverhandlungstage erforderlich sein werden. Angesichts des Umstands, dass seitens der Verteidiger bereits drei gemeinsame Hauptverhandlungstage im November 2017 gefunden werden konnten, hätte sich bei einer erneuten Korrespondenz mit der Verteidigung und vorausschauender ergänzender Terminplanung im Dezember der hier nur scheinbar unbehebbare Konflikt zwischen den verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgütern des Beschleunigungsgebots in Haftsachen und dem sich aus Art 2 Abs., 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip ergebenden Recht eines jeden Angeklagten, sich nach Möglichkeit vom Anwalt des Vertrauens vertreten zu lassen, voraussichtlich auflösen lassen.“

Ich hätte wahrscheinlich noch früher „angesetzt“. denn: Reicht eine Freiheitsstrafe von 2 Jahren und acht Monaten, wovon bereits sieben Monate verbüßt sind, aus, um die Fluchtgefahr zu begründen? M.E. schwieirg. Und da „hoppelt“ das OLG ohne konkrete Begründung drüber weg.

„Refugees not welcome“ auf dem T-Shirt, oder: Volksverhetzung?

entnommen wikimedia.org
Author ???

Bei zweiten heute vorgestellten Entscheidung handelt es sich um einen Beschluss des OLG Celle, der eine materiell-rechtliche Frage zum Gegenstand hat. Das LG hatte den Angeklagten wegen Volksverhetzung (§ 130 StGB) verurteilt, und zwar auf der Grundlage folgender Feststellungen:

Der seit dem Beginn der Flüchtlingskrise um die innere Sicherheit besorgte Angeklagte entwarf auf seinem Rechner zu einem nicht näher festgestellten Zeitpunkt nach den in den Medien bekannt gemachten Übergriffen auf Frauen in der Silvesternacht des Jahres 2015 durch Personen mit Migrationshintergrund mehrere Druckmotive für T-Shirts, um diese an geneigte Interessenten zu veräußern. Über den Online-Marktplatz e. bot er dazu im weiteren Verlauf unter dem Benutzernamen „c.“ die von ihm entworfenen Motive feil. Nach Bestellung bedruckte er sodann entsprechende T-Shirts mit dem jeweils gewünschten Motiv und lieferte die Ware an Kunden aus.

Eines der vom Angeklagten entworfenen und über die Internetplattform vertriebenen Druckmotive zeigte auf einem schwarz gefärbten T-Shirt in weißen Großbuchstaben die Überschrift „REFUGEES“. Darunter befand sich mittig ein Piktogramm, welches links eine auf dem Boden kniende Person zeigte. Rechts von dieser war eine stehende Person abgebildet, die ihre rechte Hand auf den Kopf der knienden Person ablegte und in der erhobenen linken Hand einen spitzen Gegenstand hielt. Neben der stehenden Person stand diagonal angeordnet weiter in roten Großbuchstaben das Wort „NOT“. Unterhalb des Piktogramms endete das Druckmotiv mit dem ebenfalls in weißen Großbuchstaben gehaltenen Wort „WELCOME“.

Zwei mit dem vorbezeichneten Druckmotiv versehene T-Shirts veräußerte der Angeklagte für jeweils 15 EUR am 7. Februar 2016 an die Auftraggeber J. H. und R. B.

Zu den weiter auf der Internetplattform durch den Angeklagten feilgebotenen Motiven zählte ein Schriftzug mit dem Inhalt „ICH SAGE NEIN ZU GEWALTBEREITEN KULTURBEREICHERERN“ nebst einem mit „ALLAHU AKBAR“ überschriebenen Piktogramm von drei Personen, von denen zwei Personen mit Kopfbedeckung auf eine am Boden liegende Person mit ihren Füßen eintreten. Ein anderes T-Shirt wies den Schriftzug „GEGEN ISLAMTERROR IN UNSEREM LAND“ mit einem Piktogramm von drei rennenden Personen mit nicht näher identifizierbaren spitzen Gegenständen in den Händen auf. Bei einem weiteren Motiv umfasste der Schriftzug „ICH SAGE NEIN ZU GEWALTBEREITEN ASYLFORDERERN“ ein Piktogramm mit vier Personen, wovon eine augenscheinlich männlich gekleidete Person eine weiblich angezogene Person im Schwitzkasten hält und eine weitere männlich gekleidete Person eine weiblich angezogene Person nach hinten stößt, so dass diese unter Verlust ihres Gehstocks zu stürzen droht.“

Und weiter:

„Rechtlich hat die Kammer diese Tat – soweit sie die Veräußerung von T-Shirts mit dem Aufdruck „Refugees not welcome“ betrifft – als Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 1 Nummer 1 StGB gewertet. Sie ist der Auffassung, durch die Feilbietung des vorgenannten T-Shirts habe der Angeklagte zum Hass gegen Flüchtlinge als von § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB geschütztes Angriffsobjekt aufgestachelt und damit den öffentlichen Frieden gestört. So seien Textaussage und Piktogramm als Sinneinheit zu bewerten. Letzteres zeige eine Gewalthandlung in Form einer unmittelbar bevorstehenden Enthauptung. Trotz mehrerer Deutungsmöglichkeiten sei der Aussagegehalt dahingehend verengt, dass Flüchtlinge entweder in der Gesamtheit als gewaltbereite Aggressoren charakterisiert oder zu nämlichen Gewalttaten ihnen gegenüber aufgefordert werde. Die bei den übrigen Motiven immanente Abgrenzung und Einschränkung auf gewaltbereite Personen sei bewusst vom Aussageinhalt ausgenommen worden, um – wie vom Angeklagten erkannt – die vorbezeichneten Ziele und Wirkungen zu erreichen.“

Dazu der Leitsatz des OLG Celle, Beschl. v. 27.10.2017 – 1 Ss 49/17, mit dem der Angeklagtre frei gesprochen worden ist:

„Bei der Anwendung des § 130 StGB ist der objektive Sinn einer Äußerung zu ermitteln. Neben dem Wortlaut und dem sprachlichen Kontext sind hierbei im Rahmen einer Gesamtbetrachtung vor allem die äußeren Begleitumstände zu beachten. Eine mehrdeutige Äußerung (hier: T-Shirt-Aufdruck „REFUGEES NOT WELCOME“ mit gleichzeitigem eine stilisierte Enthauptung wiedergebenden Piktogramm)erfüllt nur dann den Tatbestand der Volksverhetzung, wenn andere nicht völlig fern liegende Deutungen mit schlüssigen Argumenten auszuschließen sind.“

Das fehlende schriftliche Urteil, oder: Der nachgeschobene Urteilsentwurf – geht das?

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Der OLG Celle, Beschl. v. 02.11.2017 – 3 Ss (OWi) 231/17 – ruft noch einmal in Erinnerung: Es kann ein „nachgeschobenes Urteil2 geben, zumindest im Bußgeldverfahren. Der Betroffene hatte gegen seine Verurteilung Zulassung der Rechtsbeschwerde beantragt. Er war sich recht siegessicher, da es keine schriftliches Urteil gab. Aber:

„Ergänzend bemerkt der Senat:

Zwar hat das Amtsgericht zu Unrecht von einer schriftlichen Begründung des Urteils abgesehen und konnte, da kein Anwendungsfall des § 77b Abs. 2 OWiG vorliegt, die Urteilsgründe auch nicht nachträglich zu den Akten bringen. Dies führt jedoch nicht zwangsläufig zur Aufhebung des Urteils. Die Rechtsbeschwerde ist nicht allein deshalb zuzulassen, weil das angefochtene Urteil keine Gründe enthält. Erforderlich ist auch in einem solchen Fall die Prüfung der Zulassungsvoraussetzungen des § 80 OWiG (BGH NJW 1996, 3157; OLG Celle, Beschluss vom 12. November 1996 — 3 Ss (OWi) 199/96 — juris). Bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 80 Abs. 2 OWiG können neben dem abgekürzten Urteil der Bußgeldbescheid, der Zulassungsantrag, nachgeschobene Urteilsgründe, dienstliche Äußerungen und sonstige Umstände herangezogen werden (BGH NJW 1996, 3157).

Das Amtsgericht hat nachträglich eine Urteilsbegründung als „Entwurf“ zur Akte genommen. Hieraus und aus dem ‚übrigen Akteninhalt lässt sich erkennen, dass es vorliegend nicht geboten ist, die Nachprüfung des Urteils zur Fortbildung des sachlichen Rechts zu ermög}ichen oder das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben. Auch der Zulassungsantrag zeigt keine Gesichtspunkte auf, die eine Zulassung gebieten würden, sondern macht Einwendungen geltend, die keine über den mit dem Urteil entschiedenen Einzelfall hinausgehende Bedeutung haben.“

„Pass auf oder ich knüppel dich nieder!“, oder: Versuchte Nötigung, aber Rücktritt

entnommen: openclipart.org

Mit der zweiten Entscheidung des heutigen Tages bleibe ich im Norden, gehe aber zum OLG Celle und dem OLG Celle, Beschl. v. 08.06.2017 – 2 Ss 25/17. Zur Entscheidung stand folgender Sachverhalt an:

„Der Angeklagte wollte sich am 1. August 2015 an einer Demonstration von Neonazis in B. N., dem so genannten „Trauermarsch“ zum „W.“, beteiligen. Weil der Bahnverkehr in Richtung B. N. ab dem Bahnhof H. eingestellt war, mussten die Versammlungsteilnehmer etwa 45 Minuten zu Fuß von H. nach B. N. laufen. Der Angeklagte beteiligte sich an diesem in der Zeit zwischen 13.00 Uhr und 13.45 Uhr stattfindenden Fußmarsch, der von der Polizei begleitet und über Nebenstraßen geleitet wurde. Aus Sicherheitsgründen wurden die Teilnehmer dieses Demonstrationszuges von den diesen begleitenden Polizeibeamten angehalten, am rechten Fahrbahnrand zu laufen, denn die Straßen, über die sich die Demonstranten in Richtung B. N. bewegten, waren nicht abgesperrt. Der Angeklagte ging innerhalb des Zuges der Veranstaltungsteilnehmer an der Spitze des Marsches. Dabei trug er eine etwa einen Meter lange und etwa fünf Zentimeter dicke Fahnenstange bei sich. Neben dem Angeklagten ging der Polizeibeamte K.

Der Angeklagte ging während des Fußmarsches – entgegen der polizeilichen Anweisung – wiederholt mitten auf der Straße. Der Polizeibeamte K. forderte ihn deshalb mehrfach auf, sich zurück an den rechten Fahrbahnrand zu begeben und in den Zug der Veranstaltungsteilnehmer einzuscheren. Der Angeklagte widersetzte sich diesen Aufforderungen wiederholt. Der Polizeibeamte K. wandte deshalb letztlich einfache körperliche Gewalt gegen den Angeklagten an, indem er diesen leicht am linken Arm schob und so an den rechten Fahrbahnrand zurückführte.

Der Angeklagte reagierte auf die Aufforderungen und das leichte Schieben des Polizeibeamten K., indem er anschließend zu diesem sagte: „Pass auf oder ich knüppel dich nieder!“

Der Angeklagte tätigte diese Äußerung gegenüber dem Polizeibeamten K., damit dieser es unterlassen sollte, ihn ein weiteres Mal an die rechte Fahrbahnseite und in den Demonstrationszug zu verweisen. Der Polizeibeamte K. nahm die Drohung ernst, und zwar insbesondere angesichts der Fahnenstange, die der Angeklagte mit sich führte.

In der Folgezeit versuchte der Angeklagte indes nicht mehr, in der Mitte der Straße zu gehen.“

Das AG hatte den Angeklagten wegen versuchter Nötigung gemäß §§ 240 Abs. 1 und Abs. 3, 22, 23 StGB verurteilt. Seine Berufung hatte beim LG keinen Erfolg. Das OLG hat aufgehoben und frei gesprochen und sagt/meint: zwar versuchte Nötigung, aber strafbefreiender Rücktritt.

„…..b) Von dieser versuchten Nötigung ist der Angeklagte ausweislich der vom Landgericht rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen indes strafbefreiend nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 StGB zurückgetreten.

aa) Die versuchte Nötigung war nicht fehlgeschlagen. Fehlgeschlagen ist ein Versuch, wenn aus der Sicht des Täters zum Zeitpunkt unmittelbar nach Ende der letzten Ausführungshandlung der angestrebte Taterfolg mit den bereits eingesetzten oder zur Hand liegenden Mitteln nicht ohne Ingangsetzen einer völlig neuen Handlungs- und Kausalkette erreicht werden kann (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschluss vom 27. November 2014, NStZ-RR 2015, 105; Fischer, StGB, 64. Aufl. 2017, § 24 Rn. 7 m.w.N.). Irgendwelche Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte im Anschluss an seine ausgesprochene Drohung davon ausging, den Nötigungserfolg nicht erreichen zu können, sind nicht ersichtlich. Insbesondere spricht nichts dafür, dass der Angeklagte angenommen haben könnte, der Polizeibeamte K. habe seine Drohung nicht ernst genommen und werde ihn auf jeden Fall ungeachtet der Drohung erneut an den Straßenrand verweisen und gegebenenfalls mit Gewalt dorthin zurückdrängen, sollte er erneut in die Mitte der Straße treten. Zwar hat das Landgericht in seinen Urteilsfeststellungen ausgeführt, der Polizeibeamte K. habe nach der vom Angeklagten ausgesprochenen Drohung seinen Einsatzleiter über diese verständigt und sei nicht mehr auf gleicher Höhe wie der Angeklagte gelaufen, sondern sei an der Spitze des Zuges gegangen. Im Hinblick darauf, dass nach den getroffenen Feststellungen auch der Angeklagte an der Spitze des Demonstrationszuges ging, gibt es jedoch keinen Anhaltspunkt für die Annahme, der Angeklagte könne im Hinblick darauf, dass sich der Polizeibeamte K. nicht mehr direkt neben ihm aufhielt, geglaubt haben, dieser werde ein erneutes Heraustreten des Angeklagten auf die Mitte der Straße nicht bemerken oder sonst aus anderen Gründen als wegen der ausgesprochenen Drohung nunmehr davon absehen, erneut auf den Angeklagten einzuwirken, so dass seine Drohung den beabsichtigten Nötigungserfolgt nicht mehr hätte bewirken können.

bb) Der Versuch war vorliegend unbeendet. Unbeendet ist ein Versuch, wenn der Täter im Anschluss an die letzte Ausführungshandlung (sogenannter Rücktrittshorizont) glaubt, zur Vollendung des Tatbestandes bedürfe es noch weiteren Handelns (BGH, Beschluss vom 27. November 2014, NStZ-RR 2015, 105; Fischer, StGB, 64. Aufl. 2017, § 24 Rn. 14). Der Angeklagte wusste nach dem Ausspruch seiner Drohung jedoch zweifelsohne, dass der beabsichtigte Nötigungserfolg – das Unterbleiben eines erneuten Einschreitens des Polizeibeamten – nur würde eintreten können, wenn er – der Angeklagte – erneut aus dem Demonstrationszug heraus in die Mitte der Straße treten würde. Ohne weiteres Zutun des Angeklagten konnte mithin der Taterfolg – wie dem Angeklagten aufgrund der Gesamtsituation ohne Zweifel klar war – nicht eintreten.

cc) Von diesem nicht fehlgeschlagenen, aber unbeendeten Versuch ist der Angeklagte zurückgetreten, indem er im weiteren Verlauf der Ereignisse aus eigenem Antrieb und damit freiwillig davon Abstand nahm, erneut aus dem Demonstrationszug herauszutreten und sich auf die Mitte der Straße zu begeben. Denn dadurch hat er eine Handlung nicht vorgenommen, die erforderlich gewesen wäre, damit der Nötigungserfolg hätte eintreten können. Zum Rücktritt vom unbeendeten Versuch genügt es in aller Regel – und auch hier –, wenn der Täter untätig bleibt (BGH, Beschluss vom 27. November 2014, NStZ-RR 2015, 105; Fischer, StGB, 64. Aufl. 2017, § 24 Rn. 26).“