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Gebrauchtwagenkauf, oder: negative Beschaffenheitsvereinbarung „möglicherweise mangelhaft“

Heute im „Kessel-Buntes“ dann mal wieder zwei zivilrechtliche Entscheidungen. Zunächst stelle ich das OLG Rostock, Urt. v. 28.08.2020 – 4 U 1/19. Es behandelt Gewährleistungsfragen beim Gebrauchtwagenkauf. Da das Urteil etwas umfangreicher ist, bringe ich hier nur den Sachverhalt und die (amtlichen) Leitsätze. Den Rest dann bitte im verlinkten Volltext selbst lesen:

Als folgender Sachverhalt:

„1. Die Parteien streiten über Gewährleistungsansprüche aus einem Kaufvertrag über ein gebrauchtes Kraftfahrzeug.

Bei dem Beklagten handelt es sich um einen gewerblichen Autohändler. Am 12.08.2017 erwarb der Kläger in diesem Zusammenhang von dem Beklagten einen gebrauchten PKW Mercedes Benz Viano mit einer Erstzulassung am 15.12.2010 sowie einer angegebenen Fahrleistung von 154.000 km zum Preis von 23.500,00 €. Der schriftliche Kaufvertrag enthielt unter anderem die folgenden hier relevanten Formulierungen:

„(…)Zahl, Art und Umfang von Unfallschäden lt. Vorbesitzer: keine

Dem Verkäufer sind auf andere Weise Unfallschäden bekannt:( ) ja(x) nein

Wenn ja, folgende:Nachlackierung möglich (…)“

Zum Zustand des Fahrzeuges übergab der Beklagte dem Kläger ein Gebrauchtwagenzertifikat des TÜV Süd, das auf skizzierten Ansichten des Wagens von vorn, hinten sowie den beiden Seiten an verschiedenen Stellen Kennzeichnungen mit den Buchstaben „D“ für Delle, „K“ für Kratzer und „S“ für Steinschlag enthielt; in den dazugehörigen Anmerkungen heißt es dazu für ein „D“ und „X1“ im Dachbereich:

„D – Delle – Dach hintenX1 – Heckklappe oben – Dach hinten“

Aufgrund seiner Größe von 1,73 m war es dem Kläger vor der Übernahme des Autos nicht möglich, das Dach des 1,94 m hohen PKWs zu besichtigen. An dem Fahrzeug befinden sich zudem im Bereich des vorderen rechten Kotflügels und der linken Schiebetür erhöhte Lackschichtdicken, was sich aus dem Gebrauchtwagenzertifikat des TÜV Süd nicht ergab.

Zur Finanzierung des Wagens schloss der Kläger ebenfalls am 12.08.2017 einen von dem Beklagten angebotenen Darlehensvertrag mit der S Consumer Bank AG ab, in welchem als Finanzierungsgegenstand das erworbene Auto und der Beklagte als vermittelnder Händler angegeben sind; einschließlich einer Ratenschutzversicherung belief sich der Bruttodarlehensbetrag auf 32.195,90 €.

Am 18.08.2017 ließ der Kläger einen Dekra Siegel-Bericht zu dem PKW erstellen. Dieser enthält neben dem Vermerk der erhöhten Lackschichtdicken an den beiden zuvor genannten Stellen unter anderem mit der Überschrift „Karosserie-Check“ bezifferte Eintragungen wie folgt:

„01 Tür vorne links Dellen(…)

07 Tür vorne rechts Dellen(…)

09 Tür hinten rechts Dellen (…)

12 Dach/Dachrahmen Delle“

Mit Datum vom 05.09.2017 erhielt der Kläger einen Kostenvoranschlag einer Autowerkstatt über 2.660,73 € brutto für die Reparatur auf dem Fahrzeugdach vorhandener massiver Dellen mit einem Durchmesser von 20 bis 30 cm und einer Tiefe von 1 bis 2 cm sowie massiver Kratzer und Lackbeschädigungen im Bereich der Antenne.

Mit Schriftsatz seiner jetzigen Prozessbevollmächtigten vom 09.10.2017 focht der Kläger den Kaufvertrag unter Verweis auf die Nachlackierung der linken Schiebetür und die auf dem Fahrzeugdach vorhandenen Schäden wegen arglistiger Täuschung an und forderte den Beklagten zur Rücknahme des Wagens Zug um Zug gegen Freistellung des Klägers von den Forderungen aus dem Darlehensvertrag auf. Der Beklagte lehnte eine Rückabwicklung des Kaufvertrages ab und bot dem Kläger ohne Anerkennung einer Rechtspflicht eine Nachbesserung des Autos an.“

Der Kläger hat Ansprüche gegen den Beklagten daraufhin gerichtlich geltend gemacht. Er hat Rückabwicklung des Kaufvertrages verlangt. Er hatte mit seiner Klage weitgehend keinen Erfolg.

Hier die Leitsätze der OLG-Entscheidung:

1. Jede Vereinbarung, die unmittelbar oder mittelbar bewirkt, dass der Käufer das Risiko des Vorhandenseins eines verborgenen Mangels trägt, ist unabhängig von ihrer Transparenz nach § 475 Abs. 1 BGB unwirksam; dies gilt insbesondere für eine (negative) Beschaffenheitsvereinbarung des Inhalts, dass die verkaufte Sache „möglicherweise mangelhaft“ ist.

2. Die Schwelle der notwendigen Überschreitung eines Betrages von fünf Prozent des Kaufpreises durch die Kosten der Beseitigung eines behebbaren Mangels für die Beurteilung der Erheblichkeit im Sinne von § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB lässt sich auf die entsprechende Bewertung eines merkantilen Minderwertes im Falle eines unbehebbaren Mangels übertragen; eine Diskrepanz ergibt sich nicht deshalb, weil der merkantile Minderwert grundsätzlich prozentual geringer ist als die parallelen Reparaturkosten.

„HU neu“ = verkehrssicher – auch bei einem alten Möhrchen

entnommen wikimedia.org Urheber GeorgHH

entnommen wikimedia.org
Urheber GeorgHH

Samstags ist hier ja der Tag, an dem ich meist kein Straf- oder Bußgeldrecht mache, sondern auch mal ein zivilrechtliches Posting (wage 🙂 ). Ich bin da aber immer ganz vorsichtig und tauche nicht zu tief ins Zivilrecht ein, denn da gibt es inzwischen manche Klippen, an denen ich scheitern könnte. Beim BGH, Urt. v. 15.04.2015 – VIII ZR 80/14 – dürfte mir das aber (hoffentlich) nicht passieren.

In dem Urteil ging es um die Frage, unter welchen Voraussetzungen dem Käufer beim Gebrauchtwagenkauf eine Nacherfüllung durch den Verkäufer gemäß § 440 Satz 1 BGB nicht mehr zugemutet werden kann und er deshalb zum sofortigen Rücktritt berechtigt ist.

Nach dem Sachverhalt hatte die Klägerin von dem beklagten Autohändler einen 13 Jahre alten Pkw Opel Zafira mit einer Laufleistung von 144.000 km zum Preis von 5.000 € gekauft. Entsprechend der im Kaufvertrag getroffenen Vereinbarung („HU neu“) war am Tag des Fahrzeugkaufs die Hauptuntersuchung (TÜV) durchgeführt und das Fahrzeug mit einer TÜV-Plakette versehen worden. Am Tag nach dem Kauf versagte der Motor mehrfach. Die Klägerin ließ das Fahrzeug untersuchen und erklärte die Anfechtung des Kaufvertrags wegen arglistiger Täuschung, hilfsweise den Rücktritt, unter anderem wegen der bei der Untersuchung festgestellten erheblichen und die Verkehrssicherheit beeinträchtigenden Korrosion an den Bremsleitungen. Der Beklagte hat eine arglistige Täuschung bestritten und sich damit verteidigt ein, dass die Klägerin ihm keine Gelegenheit zur Nacherfüllung gegeben habe und der Rücktritt deshalb unwirksam sei.

Der BGH hat die vom Berufungsgericht angenommene Frage der arglistigen Täuschung offen gelassen und einen Anspruch der Klägerin auf Rückzahlung des Kaufpreises aus dem von ihr hilfsweise erklärten Rücktritt bejaht:

a) Das gekaufte Fahrzeug war bei Gefahrübergang (§ 446 BGB) mangelhaft, weil es sich entgegen der vereinbarten Beschaffenheit nicht in einem Zustand befand, der die Erteilung einer TÜV-Plakette am Tag des Kaufvertrags rechtfertigte.

aa) Die im Kaufvertrag enthaltene Eintragung „HU neu“ beinhaltet bei interessengerechter Auslegung – die der Senat, da keine weiteren Feststellungen zu erwarten sind, selbst vornehmen kann – die stillschweigende Vereinbarung, dass sich das verkaufte Fahrzeug im Zeitpunkt der Übergabe in einem für die Hauptuntersuchung nach § 29 StVZO geeigneten verkehrssicheren Zustand befinde und die Hauptuntersuchung durchgeführt sei (§ 434 Abs. 1 Satz 1 BGB). Insoweit gilt nichts anderes als für einen in einem Kaufvertrag enthalte-nen Zusatz „TÜV neu“ (Senatsurteil vom 24. Februar 1988 – VIII ZR 145/87, BGHZ 103, 275, 280 ff. mwN [zu § 459 Abs. 2 BGB aF]; vgl. ferner Senatsurteil vom 13. März 2013 – VIII ZR 172/12, NJW 2013, 2749 Rn. 14, 17 [betr. Unter-suchung nach § 21c StVZO aF – Oldtimer]).

bb) Nach den insoweit rechtsfehlerfrei getroffenen und von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts genügte das Fahrzeug dieser Beschaffenheitsvereinbarung nicht, sondern war aufgrund der fort-geschrittenen Korrosion insbesondere an den vorderen Bremsleitungen ungeachtet der dennoch erteilten TÜV-Plakette nicht verkehrssicher und aufgrund seines schlechten Gesamtzustandes bei Übergabe nicht so beschaffen, dass ein Betrieb des Fahrzeugs und dessen gefahrlose Nutzung im Straßenverkehr möglich gewesen wären.

b) Die Klägerin war gemäß § 440 Satz 1 BGB auch ohne vorherige Fristsetzung zum Rücktritt berechtigt, weil eine Nacherfüllung für sie nach § 440 Satz 1 Alt. 3 BGB unzumutbar war.

aa) Für die Beurteilung, ob die Nacherfüllung für den Käufer unzumutbar ist, sind alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, insbesondere die Zuverlässigkeit des Verkäufers (vgl. BT-Drucks. 14/6040, S. 233 f.), diesem vorzuwerfende Nebenpflichtverletzungen (BT-Drucks. 14/6040, S. 223) oder der Umstand, dass der Verkäufer bereits bei dem ersten Erfüllungsversuch, also bei Übergabe, einen erheblichen Mangel an fachlicher Kompetenz hat erkennen lassen (Erman/Grunewald, BGB, 14. Aufl., § 440 Rn. 3; Palandt/Weidenkaff, BGB, 74. Aufl., § 440 Rn. 8; BeckOK-BGB/Faust, Stand 1. August 2014, § 440 Rn. 37) und das Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien nachhaltig gestört ist (Staudinger/Matusche-Beckmann, BGB, Neubearb. 2014, § 440 Rn. 25).

bb) Hiervon ist vorliegend auszugehen….. „

Augen auf beim Gebrauchtwagenkauf, oder: Vorsicht mit der Angabe „unfallfrei“

Vermutlich wird die Fallkonstellation, die dem LG Heidelberg, Urt. v. 28.01.2015 – 1 S 22/13buch_paragraphenzeichen_BGB_01 – zugrunde gelegen hat, in der Praxis häufiger anzutreffen sein. Es geht um die Rückabwicklung eines Kaufvertrags über einen Gebrauchtwagen. Der Kläger hatte am 14.05.2010 beim Beklagten einen PKW Opel Tigra, Erstzulassung 25.03.1996, zum Preis von 2.800,- € gekauft. Er war aufgrund einer Internet-Anzeige vom 13.05.2010 auf das Fahrzeug aufmerksam geworden, in der dieses als „unfallfrei“ angeboten worden war. Im Kaufvertrag war unter „Ausstattung“ am Ende ausgeführt: „Seitenwand hinten links nachlackiert“. Weiterhin war die Sachmängelhaftung des Verkäufers auf ein Jahr beschränkt. Als der Kläger das Auto im August 2011 dem TÜV vorführte, wurde ihm dort mitgeteilt, dass ein schwerwiegender Unfallschaden hinten links vorliege sowie ein Riss des Fahrzeugrahmens im vorderen Bereich, 10 cm von den Radläufen links und rechts entfernt. Der Kläger will den Kaufvertrag rückabwickeln. Das LG erkennt einen Sachmangel an und verneint die Verjährung der Gewährleistungsansprüche:

b) Aufgrund dieses Sachmangels kann der Kläger im Wege des Schadensersatzes die Rückabwicklung des Kaufvertrags verlangen. Dem kann der Beklagte nicht die Einrede der Verjährung entgegenhalten. Er hat seine Gewährleistungspflicht im Kaufvertrag zwar grundsätzlich wirksam auf ein Jahr beschränkt (§ 475 Abs. 2 BGB). Gemäß § 438 Abs. 3 BGB geltend jedoch die regelmäßigen Verjährungsfristen, wenn der Verkäufer den Mangel arglistig verschwiegen hat. Dies war hier der Fall. Der Beklagte hat dem Kläger den Schaden an dem Fahrzeug arglistig verschwiegen. Arglist setzt kein zielgerichtetes oder verwerfliches Verhalten voraus. Es genügt, wenn der Verkäufer ins Blaue hinein Angaben gegenüber dem Käufer macht, die sich später als falsch herausstellen. Der Beklagte hat hier das streitgegenständliche Fahrzeug in der Internetanzeige vom 13.05.2010 als unfallfrei beworben. Dies mag, wenn man den Ausführungen des Beklagten zur Häufigkeit und Fehleranfälligkeit von Internetanzeigen folgt, eine versehentliche Falschangabe gewesen sein. Wenn der Beklagte jedoch auf dieses ihm als fehleranfällig bekannte Medium zur Platzierung von Anzeigen zurückgreift, gibt er seine Angaben ins Blaue hinein, nämlich ohne genaue Prüfung, ab. Dies genügt für die Annahme von Arglist. Aufgrund der Anzeige war also bei Vertragsschluss klar, dass der Kläger mit der von dem Beklagten hervorgerufenen Vorstellung in die Kaufvertragsverhandlungen ging, dass es sich um ein Fahrzeug handelte, das noch keine größeren Schäden erlitten hatte. Der Beklagte wäre nunmehr verpflichtet gewesen, seine fehlerhaften Angaben in der Verkaufsanzeige in den Kauvertragsverhandlungen zu korrigieren. Dies hat er nicht getan. Die Angabe „Seitenwand hinten nachlackiert“ ist keine ordnungsgemäße Korrektur. Diese Angabe ist zwar bezüglich des unter der Lackierung befindlichen Zustands offen und beinhaltet rein sprachlich auch die Möglichkeit, dass ein größerer Schaden nachlackiert worden ist. Eine ordnungsgemäße Korrektur einer ins Blaue hinein gemachten falschen Angabe über ein Gebrauchtfahrzeug muss sich aber an der Fehlvorstellung orientieren, die bei dem Käufer hervorgerufen worden ist. Nachdem dieser aufgrund der Angabe „unfallfrei“ davon ausgehen durfte, dass das Fahrzeug noch keine größeren Schäden erlitten hatte, musste der Beklagte deutlich auf das mögliche Vorhandensein auch größerer Schäden hinweisen. Der Käufer, der mit der Vorstellung eines unfallfreien Fahrzeugs in die Kaufvertragsverhandlungen geht, wird bei einer solchen Angabe aber davon ausgehen, dass es sich bei den nachlackierten Stellen um die Überlackierung von Bagatellschäden handelt. Damit handelte der Beklagte arglistig, so dass nicht die im Kaufvertrag vereinbarte einjährige Verjährungsfrist gilt, sondern die Regelverjährungsfrist, die drei Jahre beträgt und zum Zeitpunkt der Klageerhebung am 25.09.2012 noch nicht abgelaufen war.

Und: Ceterum censeo: Hier geht es zur Abstimmung Beste Jurablogs Strafrecht 2015 – wir sind dabei, die Abstimmung läuft…