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Straßenverkehrsrechtliches Bußgeld-Verfahren, oder: Mit drei Sachverständigen „äußerst einfach gelagert“?

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Am Gebührenfreitag heute zunächst etwas aus Koblenz, und zwar der LG Koblenz, Beschl. v. 22.08.2023 – 6 Qs 38/23 – zu den Rahmengebühren in Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren.

Der Sachverhalt (wegen der Einzelheiten bitte dne Volltext lesen): Ausgangspunkt ist ein Bußgeldbescheid wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung außerorts um 22 km/h eine Geldbuße von 120,00 EUR festgesetzt worden, was nach Rechtskraft des Bußgeldbescheides die Eintragung eines Punktes im Fahreignungsregister zur Folge gehabt hätte. Der Verteidiger, der Kollege Gratz aus Bous, der mir den Beschluss geschickt hat, hat Einspruch eingelegt und dann „verteidigt“ und dabei  die (erforderlichen) Anträge auf Einsicht in diverse Aufzeichnungen und Unterlagen, u.a. in die Videoaufnahmen der Übersichts- und Identkameras im Originalformat, den öffentlichen Schlüsseln („Public Key“), die Statistikdatei, das Referenzvideo betreffend die Einrichtung der Messstelle, vorhandene Wartungs-. Instandsetzungs- und Eichunterlagen des Messgeräts, die „Lebensakte“, die Gebrauchsanweisung des Messgeräts. Protokolldateien der Wechselverkehrszeichenanlage, die Baumusterprüfbescheinigung, Konformitätsbescheinigung und die Konformitätserklärung gestellt. Das zieht sich hin und die Bußgeldbehörde mauert.

Im Hauptverhandlungstermin am 9.11.2022 bestreitet die Betroffene dann ihre Fahrereigenschaft. Es wird ein privat eingeholtes Sachverständigengutachten zur Messung eingeholt. Daraufhin setzte das AG das Verfahren aus und beauftragte sowohl ein anthropologisches als auch ein messtechnisches Sachverständigengutachten und beraumt einen neuen Hauptverhandlungstermin an, in dem die Betroffene dann frei gesprochen wird.

Es wird dann Auslagenerstattung geltend gemacht. Der Kollege setzt an für die Grundgebühr Nr. 5100 VV RVG 110,00 EUR, Verfahrensgebühr Nr. 5103 VV RVG 211,00 EUR, Verfahrensgebühr Nr. 5109 VV RVG 211,00 EUR, Terminsgebühr für Termin am 9.11.2022 Nr. 5110 VV RVG 280,50 EUR, Terminsgebühr für Termin am 16.2.2022 5110 VV RVG 336,00 EUR. Der Bezirksrevisor „mault“. Das AG setzt dann  wie folgt festgesetzt: Gebühr Nr. 5100 VV RVG 110,00 EUR, Verfahrensgebühr Nr. 5103 VV RVG 105,00 EUR, Verfahrensgebühr Nr. 5109 VV RVG 136,00 EUR, Terminsgebühr 5110 VV RVG (9.11.2022) 170,00 EUR und Terminsgebühr Nr. 5110 VV RVG (21.3.2023) 225,00 EUR.

Dagegen dann die sofortige Beschwerde. Die hat, was mich in Koblenz nicht überrascht, keinen Erfolg. Die allgemeinen Erwägungen des LG zu § 14 RVG lasse ich mal außen vor. Konkret zur Sache führt das LG aus:

2. In dem vorliegenden Verfahren waren die durch das Amtsgericht Bad Neuenahr-Ahrweiler festgesetzten Gebühren angemessen und haben auch den Ermessensspielraum des Verteidigers von 20 % ausreichend inkludiert.

Die auf dieser Grundlage festgesetzten Gebühren bewegen sich durchgehend weit über den Mindestsätzen. Sie tragen auch der Bedeutung der Sache für den Betroffenen hinreichend Rechnung. Dies gilt insbesondere auch mit Rücksicht darauf, dass die angesetzte Geldbuße auf 120,00 € festgesetzt worden war und damit einhergehend die Eintragung eines Punktes im Fahreignungsregister im Raum stand, weshalb die Angelegenheit bei den bestehenden Voreintragungen und im Hinblick auf mögliche Maßnahmen der Fahrerlaubnisbehörde als nicht ganz unerheblich für den Betroffenen einzustufen ist. In diesem Zusammenhang ist jedoch einschränkend zu berücksichtigen, dass gegen den Betroffenen kein Fahrverbot verhängt wurde, die unmittelbaren Folgen sich als nicht gravierend und möglicherweise berufsbeeinträchtigend darstellen. Auch dass die Regelgeldbuße gemäß § 17 OWiG i.V.m. § 3 BKatV wegen einer oder mehrerer Voreintragungen im Fahreignungsregister auf insgesamt 120,00 erhöht wurde, lässt mangels dahin-gehenden Vortrags eine finanzielle Notlage und dadurch eine gesteigerte Bedeutung für den Betroffenen nicht erkennen. Hinsichtlich der Einkommensverhältnisse des Betroffenen ergibt sich aus der Akte lediglich, dass dieser als selbstständiger Gastronom tätig ist und in geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen lebt.

Das Amtsgericht ist bei der Festsetzung der zu erstattenden Gebühren zudem zu Recht davon ausgegangen, dass es sich um eine Angelegenheit handelt, die nach der Sach- und Rechtslage und ihrer Schwierigkeit als deutlich unter dem Durchschnitt der Bußgeldverfahren liegend anzusehen ist. Denn Maßstab für die Beurteilung der Schwierigkeit wie auch des zeitlichen Aufwands sind nicht isoliert Verkehrsordnungswidrigkeiten, sondern es ist das gesamte Spektrum an Ordnungswidrigkeiten zu berücksichtigen, die von den Gebührensätzen, die im Vergütungsverzeichnis vorgesehen sind, abgedeckt werden. Um zu spezialgesetzlichen Bußgeldtatbeständen etwa auf dem Gebiet des Umwelt-, Wirtschafts- und Steuerrechts, die einerseits erhebliche Bußgelder vorsehen, andererseits häufig mit rechtlichen Schwierigkeiten sowie umfangreicher Sachaufklärung verbunden sind, eine angemessene Relation herzustellen, können bei Verfahren wegen Verkehrsordnungswidrigkeiten daher im Regelfall nur unter den Rahmenmittelsätzen liegende Verteidigergebühren als angemessen angesehen werden (vgl. LG Koblenz, Beschluss vom 11.07.2012, 1 Qs 149/12. juris Rdnr. 8).

So liegt der Fall auch hier. Es handelte sich der Sache nach um einen äußerst einfach gelagerten Fall, in dem es um einen Geschwindigkeitsverstoß mit einem Lichtbild als Beweismittel ging. Den Einspruch hat der Verteidiger im Verfahren vor der Verwaltungsbehörde nicht begründet. Den in der Folge entstandenen Besonderheiten – es wurde ein gerichtliches Verfahren nach § 62 OWiG eingeleitet sowie ein zweiter Hauptverhandlungstermin durchgeführt, in dem ein anthropologisches Sachverständigengutachten eingeholt wurde – ist durch die Erhöhung der Mindestgebühren angemessen Rechnung getragen worden. Ansonsten kann allenfalls von einem für Verkehrsordnungswidrigkeiten durchschnittlichen Aufwand ausgegangen werden. Der Betroffene hat seine Fahrereigenschaft sowie – nach Vorlage eines Privatgutachtens – die Richtigkeit der Messung bestritten.

Darüber hinaus hat der Verteidiger wiederholt die Unvollständigkeit der zur Verfügung gestellten Messdaten und -unterlagen gerügt und die Übersendung diverser Dateien und Dokumente beantragt. Dies erfolgte zunächst jedoch ebenfalls durch pauschale Aufzählung sämtlicher ein Mess-verfahren betreffender Unterlagen. Bei der dann folgenden – auf den ersten Blick umfangreichen – Begründung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung nach § 62 OWiG handelt es sich offen-kundig um allgemeine Textbausteine nebst beigefügten gerichtlichen Entscheidungen. Überdies ist in dem gesonderten Verfahren 2 OWi 57/22 eine eigenständige Kosten- und Auslagenentscheidung getroffen worden, sodass auch unter diesem Gesichtspunkt keine erhöhten Gebühren wegen der Einleitung eines solchen Verfahrens verlangt werden können, da sich im Falle des dortigen Obsiegens die Auslagen für den konkreten Aufwand des Verfahrens nach § 62 OWiG für die Staatskasse „doppelt“ niederschlagen würden, obgleich diese nur einmal angefallen sind.

Soweit daneben die Einarbeitung in das „neue“ Messgerät VKS 4.5 zu einem überdurchschnittlichen Aufwand geführt haben soll, so ist dies zum einen mit der überdurchschnittlichen und antragsgemäßen Festsetzung der Grundgebühr (Nr. 5100 VV RVG) von 110.00 € hinreichend berücksichtigt. da diese Gebühr gerade für die erstmalige Einarbeitung in den Rechtsfall gewährt wird. Zum anderen dürfte zweifelhaft sein, ob für den konkret vorliegenden Fall – mit welchem der Verteidiger erstmals im März 2022 befasst war – eine umfassende Einarbeitung in die Funktionsweise des neuen Messgerätes erfolgen musste. So findet sich auf der Internetpräsenz des Verteidigers ein ausführlicher Artikel mit dem Titel „Abstands- und Geschwindigkeitsmessungen mit VKS 4.5 – neue Verteidigungsansätze“. der auf den 27.01.2022 datiert und sich umfassend mit den Verteidigungsstrategien bei dem genannten Messverfahren beschäftigt.

Weiter ist zu berücksichtigen, dass die Akte zum Zeitpunkt des ersten Akteneinsichtsgesuchs am 10.03.2020 einen Umfang von 41 Seiten hatte. Zwar gibt es auch Bußgeldakten, die im Anfangs-stadium noch bei der Bußgeldstelle deutlich weniger Seiten aufweisen. Gleichwohl ist dieser Aktenumfang in Verfahren, die den Tatvorwurf einer Verkehrsordnungswidrigkeit in Form eines Geschwindigkeitsverstoßes zum Gegenstand haben, als durchschnittlich anzusehen. da oftmals -und so auch hier – zunächst Ermittlungen zur Identifizierung des verantwortlichen Betroffenen durch Ausgabe von Zeugenfragenbögen bzw. Halteranhörungen seitens der Bußgeldbehörde anzustellen sind. Der Aktenumfang bis zur Beendigung des Verfahrens stellt sich zwar als überdurchschnittlich dar. Dies resultiert jedoch insbesondere aus einer Vielzahl seitens der Verteidigung schriftlich gestellter und oftmals inhaltsgleicher oder -ähnlicher Anträge.

Neben vorstehenden Erwägungen gilt im Hinblick auf die Verfahrensgebühren Nr. 5103 und 5109 VV RVG zudem ebenfalls, dass die Höhe der Geldbuße im Bußgeldverfahren maßgebliches Kriterium für die Gebührenhöhe ist, was der Gesetzgeber hier durch die Bestimmung eines Wertrahmens zum Ausdruck gebracht hat: anderenfalls hätte es einer Gebührenstaffelung für verschiedene Geldbußen gerade nicht bedurft (LG Koblenz, Beschluss vom 15.09.2010, 4 Qs 53/10). Hier liegt die verhängte Geldbuße mit 120,00 € am untersten Rand der Staffelung (60,- bis 5.000,- €), was den Ansatz von Mittelgebühren ebenfalls nicht zwingend nahelegt. Generell ist auch hier der anzusetzende Vergleichsmaßstab nicht innerhalb verschiedener Verkehrsordnungswidrigkeiten zu suchen, sondern vielmehr im Hinblick auf die Frage, ob es sich um ein tatsächlich und rechtlich einfach gelagertes Bußgeldverfahren handelt, ein Vergleich zwischen Verkehrsordnungswidrigkeiten einerseits und spezialgesetzlichen Bußgeldtatbeständen andererseits anzustellen.

Hinsichtlich der Terminsgebühr (Nr. 5110 VV RVG) für die Termine am 09.11.2022 und am 21.02.2023 ist ebenfalls zunächst auf die vorstehenden Ausführungen zu verweisen. Die Dauer des Hauptverhandlungstermins am 21.02.2023 geht aus dem Protokoll mangels Angabe des Sitzungsendes (vgl. BI. 163) nicht hervor. Der Umstand, dass dieser Termin für Bußgeldangelegenheiten aber offenbar vergleichsweise lange andauerte und ein Zeuge sowie eine Sachverständige gehört worden sind, ist vom Amtsgericht (das sogar von zwei Sachverständigen ausgegangen ist, obwohl der Gutachter pp. im Termin offenbar nicht zu Wort kam) hinreichend berücksichtigt worden. Im Übrigen sind die in den jeweiligen Terminen durch die Unterbevollmächtigten vorgelegten ,.Einsichts- bzw. Aussetzungsanträge“ wortgleich. Der Antrag auf Aussetzung der Hauptverhandlung und auf gerichtliche Entscheidung bezieht sich in der knappen Begründung erneut auf die bereits seitens der Vereidigung zuvor dargestellte Problematik der umfassenden Ein-sicht in alle Unterlagen und Dateien der Messung, bedurfte mithin keiner erneuten Einarbeitung…..“

Wenn ich es lese, mag ich kaum glauben, dass ein LG so viel gebührenrechtlich Falsches zusammenschreiben kann. Aber leider ist das der Fall. Und leider scheint das, da das LG an verschiedenen Stellen auf eigene Rechtsprechung – andere kennt man offenbar nicht – Bezug nimmt – „herrschende Meinung“ in der Kammer zu sein.

Der Entscheidung insgesamt ist m.E. anzumerken, dass das LG mit dem Beschluss die Verteidigungsstrategie und das Verteidigungskonzept der Verteidigers abstrafen will, um nicht das Wort „Retourkutsche“ zu gebrauchen. Nur dabei übersieht es, dass der Verteidiger im Hinblick auf die Rechtsprechung des BVerfG in 2 BvR 1167/20 in straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren nicht nur alles beanstanden darf, sondern sogar beanstanden muss, wenn es um das Messverfahren geht. Anders hat er – vor allem auch im Hinblick auf die Rechtsprechung der OLG – kaum eine Chance, die Ordnungsgemäßheit einer Messung zu beanstanden. Und das geht, wenn die Verwaltungsbehörden und zunächst wohl auch das AG „bockig“ sind, eben nur mit ggf. wortgleichen Anträgen und Textbausteinen, die ein Verteidiger ebenso wie ein AG bzw. LG zur Verfügung hat. Das kann man ihm also nicht „vorhalten.

Darüber hinaus ist auf folgende Punkte hinzuweisen: Schon der Ansatz des LG, im straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren in der Regel von Gebühren unterhalb der Mittelgebühr auszugehen, ist falsch, wird aber leider – nicht nur vom LG Koblenz – immer wieder gewählt (vgl. zu der Problematik Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, Vorbem. 5 VV Rn 55). Dieser gebührenrechtliche Nonsens, für den sich im RVG kein Anknüpfungspunkt findet, wird leider immer wieder vertreten. Auch spielt die Höhe der Geldbuße bei der Bemessung der Gebühr keine Rolle mehr. Der Bemessungsumstand ist durch die Einordnung der Gebühr in die jeweilige Gebührenstufe verbraucht (Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, a.O., Vorbem. 5 Rn 57 m.w.N.). Es besteht ein gebührenrechtliches Doppelverwertungsverbot. Für die Abweichung bleibt das LG eine nachvollziehbare Begründung schuldig.

Hinzu kommt, dass nicht ganz klar ist, von welcher Bemessungsgrundlage das LG im Nachgang zum AG überhaupt ausgeht. Man hat den Eindruck, dass man von den „Mindestgebühren“ ausgegangen ist und die dann angemessen (?) erhöht und geprüft hat, ob die Mittelgebühr angemessen ist. Das ist jedoch vollkommen falsch, denn Ausgangspunkt für die Gebührenbemessung ist (immer) die Mittelgebühr, die dann unter Berücksichtigung aller gebührenerhöhenden und –ermäßigenden Umstände zu erhöhen oder zu erniedrigen ist (vgl. nur Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, a.a.O., Teil A Rn 1793 ff.). Das sollte auch in Koblenz bekannt sein.

Zur Wertung der einzelnen Umstände durch das AG ist nur anzumerken, dass diese m.E. – zumindest teilweise – falsch gewichtet werden, war ersichtlich damit zusammenhängt, dass man offensichtlich die Verteidigungsstrategie „nicht mag“ und wohl abstrafen will. In dem Zusammenhang soll nur darauf hingewiesen werden, dass es sich nicht um einen „äußerst einfach gelagerten Fall“ handelt, wenn Fahrereigenschaft und Ordnungsgemäßheit der Messung im Streit sind. Das zeigt sich allein schon daran, dass im Verfahren insgesamt wohl drei Sachverständigengutachten erstattet worden sind. Man fragt sich, wenn das LG Koblenz von einem „schwierigen Verfahren“ ausgehen will.

Auslagenerstattung nach dem Bußgeldverfahren II, oder: Einstellung wegen Verjährung

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Und die zweite Entscheidung, der LG Berlin, Beschl. v. 20.07.2023 – 510 Qs 60/23, behandelt ebenfalls die Problematik der Auslagenerstattung nach einem für die Betroffene „erfolgreich beendeten“ Bußgeldverfahren.

Gegen die Betroffene war durch Bußgeldbescheid wegen der Benutzung eines Mobiltelefons als Kraftfahrzeugführerin eine Geldbuße festgesetzt worden. Hiergegen hat die Betroffene Einspruch eingelegt. Mit Verfügung vom 24.01.2022 hat die Verwaltungsbehörde das Verfahren an das AG abgegeben worden. Jedoch hat die Amtsanwaltschaft das Verfahren erst mit Verfügung vom 05.12.2022 dem AG erstmals vorlegt. Am 09.12.2022 hat das AG einen Termin zur Hauptverhandlung anberaumt. Nach Hinweis der Verteidigung auf die Verfolgungsverjährung hat das Amtsgericht das Verfahren mit Beschluss vom 08. 06.2023 nach § 206a StPO eingestellt, weil Verfolgungsverjährung am 19.05.2022) eingetreten ist. Zugleich hat es die Kosten des Verfahrens, nicht aber die notwendigen Auslagen der Betroffenen der Landeskasse auferlegt.

Gegen die Auslagenentscheidung wendet sich die Betroffene mit ihrer sofortigen Beschwerde. Diese hatte Erfolg:

„Die zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache Erfolg.

Wird das Verfahren wie vorliegend wegen eines dauernden Verfahrenshindernisses nach § 206a Abs. 1 StPO eingestellt, fallen gemäß § 467 Abs. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG die Auslagen der Staatskasse und die notwendigen Auslagen der Betroffenen der Staatskasse zur Last. Abweichungen von dieser Regel lässt das Gesetz nur für wenige Ausnahmefälle zu. So kann das Gericht gemäß § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG davon absehen, die notwendigen Auslagen der Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen, wenn sie wegen einer Ordnungswidrigkeit nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht. Das Ermessen ist dabei jedoch erst dann eröffnet, wenn das Gericht überzeugt ist, dass die Betroffene ohne das Verfahrenshindernis verurteilt worden wäre (vgl. KG, Beschluss vom 26. Oktober 2020 —1 Ws 57/20). Vorliegend hat die Betroffene bereits am Tattag eingeräumt ihr Mobiltelefon genutzt zu haben, wobei sie darauf hinwies, dass sie nicht gewusst habe, dass man das Mobiltelefon während einer Rotphase nicht benutzen dürfe. Die spätere Einlassung, dass sie den Motor ausgeschaltet habe, ist als Schutzbehauptung zu werten. Mithin wäre es zu einer Verurteilung gekommen.

Da das Ermessen allerdings nur dann eröffnet ist, wenn das Gericht davon überzeugt ist, dass die Betroffene ohne das Verfahrenshindernis verurteilt worden wäre, müssen zu dem Verfahrenshindernis als alleinigem Verurteilungshindernis besondere Umstände hinzutreten, welche es billig erscheinen lassen, der Betroffenen die Auslagenentscheidung zu versagen (vgl. BVerfG, NStZ-RR 2016, 159f. m.w.N.). Die Umstände dürfen allerdings nicht in der voraussichtlichen Verurteilung der Betroffenen und der ihr zugrundeliegenden Tat oder der Schwere der Schuld gefunden werden. Sondern es müssen andere Gründe — insbesondere ein der Betroffenen vorwerfbares Fehlverhalten — hinzutreten, die eine Abweichung von der Regel des § 467 Abs. 1 StPO unbillig erscheinen lassen (vgl. KK-StPO/Gieg, 8. Aufl. 2019, StPO § 467 Rn. 10b m.w.N.; Meyer-Goßner/Schmitt, 65. Auflage 2022, § 467 Rn. 18 m.w.N.). Solche Gründe sind vorliegend nicht gegeben. Insbesondere weist die Kammer darauf hin, dass die Verfolgungsverjährung bereits mehr als sechs Monate vor Abgabe an das Amtsgericht Tiergarten eingetreten ist und der Zeitpunkt des Eintritts der Verfolgungsverjährung durch die Polizei Berlin in der Akte vermerkt worden ist. Für das Amtsgericht war das Verfahrenshindernis daher von vornherein erkennbar. Folglich bleibt es bei der Grundregel des § 467 Abs. 1 StPO (vgl. KK-StPO/Gieg, 9. Auflage 2023, StPO § 467 Rn. 10b m.w.N.).“

 

Auslagenerstattung nach dem Bußgeldverfahren I, oder: Mittelgebühr, privates SV-Gutachten, USt

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Heute ist Gebührenfreitag, und zwar mit zwei LG-Entscheidungen zur Auslagenerstattung im bzw. nach einem Bußgeldverfahren.

Den Opener mache ich mit dem LG Dessau-Roßlau, Beschl. v. 04.05.2023 – 6 Qs 394 Js 26340/21 (56/23).

Dem Betroffenen war eine Geschwindigkeitsüberschreitung auf einer BAB zur Last gelegt worden. Es wurde deshalb eine Geldbuße von i.H.v. 100,00 EUR gegen ihn festgesetzt. Gegen den Bußgeldbescheid legte der Betroffene mit anwaltlichem Schriftsatz Einspruch ein. Der Betroffene beauftragte einen Sachverständigen mit der Erstellung eines Gutachtens hinsichtlich der Ordnungsgemäßheit der durchgeführten Messung. In dem sodann erstellten und dem Amtsgericht vorgelegten Gutachten kam der Sachverständige zu dem Ergebnis, dass die Messserie im Hinblick auf die Fotopositionen Auffälligkeiten aufweise. Das AG hob daraufhin einen zuvor bereits bestimmten Hauptverhandlungstermin auf und beauftragte seinerseits einen Sachverständigen mit der Erstellung eines schriftlichen Gutachtens. Der gerichtliche Sachverständige kam zu dem Ergebnis, dass die einwandfreie elektronische Funktion der Messanlage für den Messzeitraum nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden könne. Der Betroffene wurde daraufhin im Beschlusswege §§ 72 OWiG) freigesprochen und die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Landeskasse auferlegt.

Der Betroffene hat dann beantragt, seine notwendigen Auslagen gegen die Landeskasse festzusetzen. Dabei hat er bei den anwaltlichen Gebühren jeweils von der Mittelgebühr ausgegangen. Die Bezirksrevisorin hat das teilweise, u.a. bei der Verfahrensgebühr Nr. 5103 VV RVG, beanstandet. Zudem hat sie der Festsetzung der Kosten für den privat durch den Betroffenen beauftragten Sachverständigen widersprochen. Eine Verwendung des privaten Sachverständigengutachtens sei im Verfahren nicht erfolgt. Zudem sei es Aufgabe der Verteidigung anhand von Rechtsprechung und Literatur selbst zu prüfen, ob es Anhaltspunkte für Messfehler und sonstige Ungenauigkeiten gegeben habe.

Das AG hat die Auslagen unter Berücksichtigung der Ausführungen der Bezirksrevisorin festgesetzt. Eine Festsetzung der Umsatzsteuer erfolgte ebenfalls nicht, da der Betroffene vorsteuerabzugsberechtigt sei. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Betroffenen hatte Erfolg:

„Die gemäß § 464b S. 3 und 4 StPO, 1 1 Abs. 1, 21 Nr. 1 RPflG i.V.m. § 104 Abs. 3 S. 1 ZPO statthafte sofortige Beschwerde ist auch im Übrigen zulässig. Sie wurde fristgerecht innerhalb von zwei Wochen eingelegt. Der Beschwerdegegenstand übersteigt entsprechend den Vorgaben des § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 304 Abs. 3 StPO einen Wert von 200,00 EUR.

Die sofortige Beschwerde ist darüber hinaus auch begründet.

Die von dem Verteidiger geltend gemachten Gebühren entsprechen billigem Ermessen und sind daher verbindlich (§ 14 Abs. 1 S. 1, 4 RVG). Die von dem Rechtspfleger vorgenommene Kürzung der Verfahrensgebühr nach Nr. 5103 VV RVG hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Auch die Ablehnung der beantragten Erstattung der außergerichtlichen Sachverständigenkosten und der Umsatzsteuer ist rechtsfehlerhaft.

Die Bemessung von Rahmengebühren hat der Rechtsanwalt gemäß § 14 Abs. 1 S. 1 RVG unter Berücksichtigung aller Umstände nach billigem Ermessen vorzunehmen. Unbillig und damit nach § 14 Abs. 1 S. 4 RVG unverbindlich ist der Gebührenansatz dann, wenn die beantragte Gebühr um mehr als 20 % über der angemessenen Gebühr liegt, da einem Rechtsanwalt insoweit eine Toleranzgrenze eingeräumt wird (BGH, Urteil vom 31.10.2006 – VI ZR 261/05, NJW-RR 2007, 420, 421 m.w.N.). Maßgebliche Kriterien für die Bemessung von Rahmengebühren sind u.a. Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, Bedeutung der Angelegenheit sowie die wirtschaftlichen Verhältnisse des Auftraggebers. Die sog. Mittelgebühr ist anzusetzen, wenn der „Normalfall“ vorliegt, also ein Fall in dem sämtliche, vor allem die nach § 14 Abs. 1 S. 1 RVG zu berücksichtigenden Umstände, durchschnittlicher Art sind (Gerold/Schmidt/Mayer, 25. Aufl. 2021, RVG § 14 Rn. 10). Aus Sicht der Kammer ergibt sich aus den gesetzlichen Regelungen des RVG kein Grund dafür, in den Fällen straßenverkehrsrechtlicher Bußgeldverfahren grundsätzlich davon auszugehen, dass der Ansatz der Mittelgebühr als Ausgangspunkt nicht gerechtfertigt ist (so auch Gerold/Schmidt/Mayer, a.a.O., Rn. 54 m.w.N.). Vielmehr ist stets der konkrete Arbeitsaufwand des Rechtsanwalts zu bemessen.

Die Verfahrensgebühr nach Nr. 5103 VV RVG entsteht für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information durch den Rechtsanwalt, Dazu gehören insbesondere auch die Tätigkeiten im gerichtlichen Zwischenverfahren oder in Zusammenhang mit Rechtsbehelfen betreffend Akteneinsicht (Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., RVG W 5101 Rn. 4). Der Verteidiger hat vorliegend nicht nur den Einspruch eingelegt, sondern im Rahmen des Zwischenverfahrens nach vorheriger Besprechung mit dem Betroffenen ein privates Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben (vgl. BI. 54 der Akte). Insofern war bereits zu diesem Zeitpunkt eine Auseinandersetzung mit den technischen Voraussetzungen der Messung erforderlich. Daher hat die Kammer keine Anhaltspunkte für einen unterdurchschnittlichen Arbeitsaufwand des Verteidigers im Hinblick auf vergleichbare Verfahren in diesem Verfahrensstadium.

Hinzu kommt, dass dem Betroffenen ausweislich des rechtlichen Hinweises des Amtsgerichts BI. 67 ff. der Akte – die Verhängung eines Fahrverbotes drohte. Die ausgesprochene Geldbuße i.H.v. 100,00 EUR lag zudem zwar am unteren, jedoch nicht am untersten Rand innerhalb des Gebührenrahmens von 60,00 EUR – 5.000,00 EUR. Daher ist auch die Bedeutung der Sache nicht als unterdurchschnittlich anzusehen.

Vielmehr entspricht die Schwierigkeit in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht hier einem durchschnittlichen Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren betreffend eine Geschwindigkeitsüberschreitung. Jedenfalls aber liegt die angemessene Gebühr innerhalb der Toleranzgrenze von 20 % ausgehend von der Mittelgebühr,

Darüber hinaus sind dem Betroffenen die Auslagen für das durch seinen Verteidiger in Auftrag gegebene Sachverständigengutachten zu erstatten. Es handelt sich dabei in dem vorliegenden Fall um notwendige Auslagen im Sinne des § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. 467 Abs. 1, 464a Abs. 2 StPO.

Notwendige Auslagen sind die einem Beteiligten erwachsenen, in Geld messbaren Aufwendungen, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder zur Geltendmachung prozessualer Rechte erforderlich waren (LG Aachen Beschl. v. 12.7.2018 66 Qs-509 Js-OWi 2524/16-31/18 BeckRS 2018, 16186, Rn. 3). Aufwendungen für private Ermittlungen oder Beweiserhebungen sind in der Regel nicht notwendig, weil Ermittlungsbehörden (§ 160 Abs. 1 u. 2 StPO) und Gericht (§ 244 Abs. 2 StPO) von Amts wegen zur Sachaufklärung und zur Beachtung des Zweifelssatzes verpflichtet sind und die Betroffenen daneben regelmäßig durch Initiativanträge, insbesondere Beweisanträge, das Gericht zu der begehrten Beweisaufnahme bestimmen können und werden (KK-StPO/Gieg, 9. Aufl. 2023, § 464a Rn. 7 m.w.N.).

Die Kosten für die Einholung eines privaten Sachverständigengutachtens sind jedoch unter anderem dann ausnahmsweise als notwendige Kosten anzuerkennen, wenn schwierige technische Fragestellungen zu beurteilen sind oder wenn aus Sicht des Betroffenen ex ante ein privates Sachverständigengutachten erforderlich ist, da ansonsten eine erhebliche Verschlechterung der Prozesslage zu befürchten wäre (LG Göttingen Beschl. v. 4.7.2022 – 1 Qs 13/22 -, BeckRS 2022, 17434, Rn. 14 m.w.N.). Unabhängig von der subjektiven Bewertung der Prozesslage durch den Betroffenen sind die Kosten eines durch ihn in dem Bußgeldverfahren eingeholten Sachverständigengutachtens nach einem Freispruch von dem Vorwurf einer Ordnungswidrigkeit aber jedenfalls dann erstattungsfähig, wenn das eingeholte Privatgutachten zu dem Freispruch beigetragen hat (vgl. LG Aachen Beschl. v. 12.7.2018, a.a.O., 7; LG Aachen Beschl. v. 30.9.2019 – 66 Qs 58/19 BeckRS 2019, 35426).

Die vorgenannten Voraussetzungen für die Erstattungsfähigkeit der außergerichtlichen Sachverständigenkosten sind hier gegeben. Das durch den Verteidiger des Betroffenen beauftragte Sachverständigengutachten hat erkennbar zu dem Freispruch des Betroffenen beigetragen.

Das wird schon daran deutlich, dass das Amtsgericht nach dem Eingang des Verfahrens bereits Termin zur Hauptverhandlung bestimmt und im Rahmen der Ladung explizit darauf hingewiesen hatte, dass aus seiner Sicht Anhaltspunkte für einen Messfehler derzeit nicht ersichtlich seien, Allein das sodann durch den Verteidiger vorgelegte Sachverständigengutachten führte dazu, dass das Amtsgericht den Termin zur Hauptverhandlung aufhob und seinerseits einen Sachverständigen mit der Erstellung eines schriftlichen Gutachtens zu der Frage, ob das Ergebnis der Messung am Tattag zur Tatzeit am Tatort mit der tatsächlich gefahrenen Geschwindigkeit des streitgegenständlichen Kraftfahrzeugs nicht übereinstimme, beauftragte.

Ohne die Anbringung konkreter Zweifel an der Ordnungsgemäßheit der Messung wäre daher damit zu rechnen gewesen, dass das Gericht in der Hauptverhandlung einen Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens unter den erleichterten Voraussetzungen des § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG sowie § 244 Abs. 4 S. 2 StPO ablehnen würde. zur Überprüfung auf solche Zweifel war angesichts der technisch komplizierten Materie aber die Überprüfung durch einen Sachverständigen notwendig (so auch LG Oldenburg Beschl. v. 28.3.2022 – 5 Qs 108/20, BeckRS 2022 8935, Rn. 6).

Hinzu kommt, dass in dem durch das Gericht eingeholten Sachverständigengutachten ausdrücklich auf das Privatgutachten des Betroffenen Bezug genommen und weitgehend Übereinstimmung in den festgestellten Ergebnissen konstatiert wurde.

Vor dem Hintergrund dieser objektiven Umstände ist es hier nicht entscheidungserheblich, dass das Amtsgericht in seiner Entscheidungsbegründung in dem Beschluss vom 14.06.2022 nicht ausdrücklich auch auf das Privatgutachten des Betroffenen verwiesen hat. Der Beitrag des durch den Betroffenen eingeholten Sachverständigengutachtens zu seinem Freispruch ergibt sich vielmehr aus dem tatsächlichen Verfahrensverlauf.

Die beantragten Sachverständigenkosten sind darüber hinaus auch in der Höhe plausibel und daher erstattungsfähig.

Schließlich ist auch die beantragte Umsatzsteuer dem Betroffenen in dem vorliegenden Fall zu erstatten. Für die Frage, ob einem Freigesprochenen die von seinem Verteidiger in Rechnung gestellte Umsatzsteuer erstattet werden kann, kommt es nach § 464b S. 3 StPO i.V.m. § 104 Abs. 2 S. 3 ZPO nicht darauf an, ob der Freigesprochene generell vorsteuerabzugsberechtigt ist, sondern ob er die von seinem Verteidiger in Rechnung gestellten Beträge tatsächlich als Vorsteuer abziehen kann (LG Berlin, Beschluss vom 8. Januar 1996 519 Qs 463/95 juris). Für das Strafverfahren kann in der Regel davon ausgegangen werden, dass die Vorsteuer auf Verteidigerkosten nicht als Vorsteuer geltend gemacht werden kann, weil es sich bei der Verteidigertätigkeit nicht um eine Leistung für das Unternehmen des Freigesprochenen im Sinne des § 15 UStG handelt (ebd.; vgl. auch BFH, Urteil vom 1 1. April 2013 – V R 29/10 -, BFHE 241, 438, BStBl Il 2013, 840, juris). Diese Grundsätze müssen evident auch für das ebenfalls von einem Sanktionscharakter geprägten Ordnungswidrigkeitenrecht gelten. In dem vorliegenden Fall gibt es keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass es dem Betroffenen möglich war, die Kosten der Verteidigung aufgrund seiner unternehmerischen Tätigkeit als Maschinentechniker als Vorsteuer abzuziehen.“

In allen drei Punkten richtig 🙂 .

Rechtsfolgen III: Doppelverwertungsverbot bei OWi’s, oder: Eine „Gesamtgeldbuße“ gibt es nicht

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Und als letzte Entscheidung dann der KG, Beschl. v. 18.08.2023 – 3 ORbs 172/23 – 122 Ss 40/23, also Bußgeldverfahren. Das AG hat die Betroffene wegen vier tateinheitlich begangener Verstöße gegen das ProstSchG zu einer Geldbuße von 1.000 EUR und wegen eines weiteren Verstoßes gegen die GewO zu einer Geldbuße von 200 EUR verurteilt und daraus eine „Gesamtgeldbuße“ von 1.200 EUR gebildet. Die Rechtsbeschwerde hatte Erfolg.

Das KK moniert zunächst nicht ausreichende Feststellungen des AG und beanstandet die amtsgerichtliche Beweiswürdigung. Insoweit verweise ich auf den verlinkten Volltext. Zu den Rechtsfolgen führt es dann aus:

„3. Schließlich ist auch die Rechtsfolgenbemessung zu beanstanden.

a) Indem das Amtsgericht ausführt, der Verstoß sei „als erheblich einzustufen, da mit der Erlaubnispflicht für das Prostitutionsgewerbe und den dafür bestehenden Schutzvorschriften der illegalen Prostitution und sexuell übertragbaren Krankheiten vorgebeugt werden soll“ (UA S. 5), bewertet es einen Umstand als belastend, der nicht die Tatausführung betrifft, sondern bereits Grundlage der Bußgeldnorm ist. Dies stellt einen Verstoß gegen den auch im Bußgeldverfahren anzuwendenden Rechtsgedanken des § 46 Abs. 3 StGB dar (vgl. OLG Bamberg, Beschl. v. 05.12.2013 – 3 Ss OWi 1470/13 und 01.02.2017 – 3 Ss OWi 80/17 [beide juris]; Mitsch in Karlsruher Kommentar, OWiG 5. Aufl., § 17 Rn. 36). Das Doppelverwertungsverbot soll verhindern, dass Umstände, die bereits zum Tatbestand der Bußgeldnorm gehören oder, wie hier, das generelle gesetzgeberische Motiv für die Bußgelddrohung darstellen, bei der Bemessung der Geldbuße noch einmal herangezogen werden.

b) Als problematisch muss auch der im Tenor benutzte Terminus der „Gesamtgeldbuße“ gelten. Nach dem im Bußgeldrecht geltenden Kumulationsprinzip ist keine „Gesamtgeldbuße“ festzusetzen (vgl. OLG Karlsruhe VRS 108, 63; Gürtler/Thoma in Göhler, OWiG 18. Aufl., § 20 Rn. 2). Jedenfalls fehlerhaft ist vor diesem Hintergrund die Begründung der Bildung einer einheitlichen „Gesamtgeldbuße“, nach der „die Geldbuße … in der Höhe für fünf begangene Verstöße, davon vier in Tateinheit, angemessen und sachgerecht“ erschien (UA S. 5).“

OWi I: Hier mal wieder Fortbildung durch das OLG, oder: Die Grundsätze der Lichtbildidentifizierung

Heute will ich dann mal wieder drei OLG-Entscheidungen zu OWi-Fragen vorstellen, die bei mir in den letzten Tagen eingetrudelt sind. Alle drei Entscheidungen enthalten aber nichts Neues, sondern behandeln Fragen, die in der Rechtsprechung der OLG schon länger geklärt sind.  Was mich bei solchen Entscheidungen immer wundert, ist der Umstand, dass diese „alte“ Rechtsprechung offenbar aber nicht bei allen AG angekommen bzw. dort bekannt ist, ich will nicht behaupten, dass man sie kennt, aber nicht beachtet.

Ein „schönes“ Beispiel ist der gleich die erste Entscheidung, der OLG Düsseldorf, Beschl. v. 31.07.2023 – 1 ORBs 77/23. Das AG hat den Betroffenen wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung zu einer Geldbuße von 600,00 EUR verurteilt und ein dreimonatiges Fahrverbot verhängt. Dagegen wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde, die beim OLG Erfolg hat. Dem OLG reichen die Ausführungen des AG zur Täteridentifizierung nicht:

„Das zulässige Rechtsmittel hat schon mit der Sachrüge (jedenfalls vorläufig) Erfolg, so dass es eines Eingehens auf die zugleich erhobene Verfahrensrüge nicht bedarf. Das Urteil unterliegt der Aufhebung, weil die Beweiswürdigung zur Identität des Betroffenen mit dem bei Begehung des Verkehrsverstoßes abgelichteten Fahrzeugführer lückenhaft ist und deshalb revisionsrechtlicher Überprüfung nicht standhält.

1. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts soll der Betroffene am mit einem PKW der Marke pp. statt der mit der erlaubten Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h nach Abzug der an-zurechnenden Toleranz mit einer Geschwindigkeit von 172 km/h befahren haben. Seine Überzeugung von der Fahrereigenschaft des Betroffenen stützt das Amtsgericht auf folgende Erwägungen:

„Auf den Lichtbildern Seiten I, II und 1 ist das vom System PoliScan Speed gemachte Foto zu sehen, auf dem der PKW und der Fahrzeugführer gut zu erkennen sind. Der Auswerterahmen des Messgeräts liegt ordnungsgemäß auf der Front des Fahrzeuges auf und erfasst sowohl das Kennzeichen, als auch einen Teil der Fahrbahn. Auf der Ausschnittsvergrößerung, auf der der Fahrzeugführer zu erkennen ist, war der Betroffene zwanglos als Fahrzeugführer zu erkennen. Hohe Stirn, rundes Gesicht, relativ große Ohren sind die Kennzeichen, die der Fahrzeugführer aufweist, aber auch der Betroffene. Der Betroffene war für den erkennenden Richter so eindeutig zu identifizieren, dass es der Einholung eines Sachverständigengutachtens hierzu nicht bedurfte.“

Zur Sache selbst heißt es im Rahmen der Beweiswürdigung weiter:

„Nach dem in der Hauptverhandlung verlesenen Messprotokoll Blatt 3 der Akten, wurde die Messstelle ordnungsgemäß eingerichtet und es ergaben sich keine Be-sonderheiten. Nach der Übersicht der zur Tatzeit geltenden Geschwindigkeitsbegrenzung auf der variablen Anzeige Blatt 4 der Akten waren zur Tatzeit 100 km/h an der Messstelle erlaubt, wie auch sonst die gesamte Zeit, was die Frage aufwirft, welchen Sinn eigentlich die variable Anzeige hat. Das Gerät war jedenfalls geeicht., Blatt 5 der Akten, in der Hauptverhandlung auszugsweise verlesen. Eine Dienstanweisung zur Einrichtung der Messstelle gab es auch, Blatt 6 der Akten, in der Hauptverhandlung auszugsweise verlesen. Die Standorte der Verkehrszeichen ergeben sich aus der Aufstellung Blatt 7 der Akten, in der Hauptverhandlung auszugsweise verlesen, danach gab es ein Verkehrszeichen in Höhe des Kilometers 90.3 und in Höhe des Kilometers 89,2, der Standort des Messgeräts, war dann in Höhe des Kilometers 87.982. Das ist in Ordnung.”

2. Die vorstehend wiedergegebenen Ausführungen lassen nicht in der erforderlichen Weise erkennen, ob das Amtsgericht sich rechtsfehlerfrei von der Täterschaft des Betroffenen überzeugt hat.

a) Zwar hat über die Frage der Identifizierung eines Betroffenen als die auf dem Messfoto abgebildete Person allein der Tatrichter zu entscheiden. Indes müssen die Urteilsgründe so gefasst sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht prüfen kann, ob das Messfoto überhaupt geeignet ist, die Identifizierung einer Person zu ermöglichen (BGHSt 41, 376, 382).

Zur Erfüllung dieser Anforderungen kann der Tatrichter in den Urteilsgründen auf das in der Akte befindliche Foto gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO i. V. m. § 71 Abs. 1 OWiG wegen der Einzelheiten verweisen. Die Verweisung muss deutlich und zweifelsfrei zum Ausdruck gebracht werden (BGH a. a. 0.; OLG Düsseldorf NZV 1994, 202; Thür. OLG NZV 2008, 165). Macht der Tatrichter von der Möglichkeit des § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO Gebrauch, so sind darüberhinausgehende Ausführungen zur konkreten Beschreibung des abgebildeten Fahrzeugführers entbehrlich, wenn das Foto — weil es die einzelnen Gesichtszüge erkennen lässt — zur Identifizierung uneingeschränkt geeignet ist (BGHSt 41, 376, 383; Thür. OLG a.a.O.).

Sieht der Tatrichter hingegen von der die Abfassung der Urteilsgründe erleichternden Verweisung auf das Beweisfoto ab, so genügt es weder, wenn er das Ergebnis seiner Überzeugungsbildung mitteilt, noch, wenn er – wie hier – die von ihm zur Identifizierung herangezogenen Merkmale auflistet. Vielmehr muss er dem Rechtsmittelgericht, dem das Foto dann nicht als Anschauungsobjekt zur Verfügung steht, durch eine entsprechend ausführliche Beschreibung die Prüfung ermöglichen, ob es für eine Identifizierung geeignet ist. Das Urteil muss dann Ausführungen zur Bildqualität, insbesondere zur Bildschärfe, enthalten und die abgebildete Person oder jedenfalls mehrere ldentifizierungsmerkmale (in ihren charakteristischen Eigenarten) so präzise beschreiben, dass dem Rechtsbeschwerdegericht anhand der Beschreibung in gleicher Weise wie bei Betrachtung des Fotos die Prüfung dessen Ergiebigkeit ermöglicht wird (BGHSt 41, 376, 384 f.).

b) Gemessen an diesen Grundsätzen genügt das Urteil den Darlegungserfordernissen nicht. Es enthält weder eine wirksame Bezugnahme auf die in den Akten befindliche Kopie des Radarfotos im Sinne des § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO in Verbindung mit § 71 Abs. 1 OWiG noch eine Beschreibung, die dem Senat die Prüfung ermöglicht, ob diese Kopie für eine Identifizierung geeignet ist.

c) Die Bezugnahme auf ein Radarfoto muss in den Urteilsgründen deutlich und zweifelsfrei zum Ausdruck gebracht werden (BGHSt 41, 376, 382). Das muss nicht in *der Weise geschehen; dass die Vorschrift des § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO angeführt und ihr Wortlaut verwendet wird, obwohl sich dieses Vorgehen als die kürzeste und deutlichste Form der Verweisung aufdrängt (Senat NZV 2007, 254, 255); OLG Hamm NStZ-RR 1998, 238 jeweils m.w.N.). Den Gründen muss aber eindeutig zu entnehmen sein, dass nicht nur der Vorgang der Beweiserhebung beschrieben, sondern durch die entsprechenden Ausführungen das Foto zum Bestandteil der Urteilsurkunde gemacht werden soll (Senat a.a.O.; OLG Hamm a.a.O.).

Hier verweist das angefochtene Urteil weder ausdrücklich auf § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO, noch verwendet es den Wortlaut dieser Vorschrift. Den Gründen kann auch sonst nicht entnommen werden, dass das Foto durch Bezugnahme Teil der Urteilsurkunde sein soll. Die bloße Mitteilung der Fundstelle in den Akten — hier: „Seiten 1, II und 1″ — reicht dazu in der Regel nicht aus (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl. [2023], § 267 Rn. 8 m.w.N.). Zwar mag im Einzelfall aus der Angabe der Blattzahl darauf geschlossen werden können, dass der Tatrichter das Rechtsmittelgericht dazu auffordern wollte, sich durch die Betrachtung der an entsprechender Stelle zu findenden Abbildung einen eigenen Eindruck zu verschaffen, weil die Angabe der Fundstelle sonst keinen Sinn machen würde (so BGH Beschluss vom 28. Januar 2016 — 3 StR 425/15). Ein solches Bewusstsein kann dem Tatrichter aber nicht unterstellt werden, wenn — wie im angefochtenen Urteil — auch die Fundstellen einer Vielzahl in der Hauptverhandlung verlesener Urkunden angegeben werden, die keinesfalls durch Bezugnahme Bestandteil der Urteilsgründe werden können.

d) Die Ausführungen zum Vergleich des Betroffenen mit der auf dem Lichtbild abgebildeten Person sind für den Senat nicht nachvollziehbar, weil sie sich in einer Aufzählung dreier wenig markanter, vom Tatrichter für übereinstimmend erachteter physiognomischer Merkmale erschöpfen, im Übrigen aber weder Aufschluss über die Bildqualität geben noch die erforderliche ausführliche Beschreibung der auf dem Foto erkennbaren IdentifizierungsMerkmale der abgelichteten Person enthalten.

Aufgrund dieser nur lückenhaften Ausführungen vermag der Senat nicht zu überprüfen, ob die Verurteilung des Betroffenen zu Recht erfolgt ist.“

Also kleine Fortbildung des OLG in Sachen Identifizierung anhand eines Lichtbildes. Und zur Ablehnung von Beweisanträgen wegen Verspätung legt das OLG dann noch einen drauf:

„4. Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich ergänzend darauf hin, dass auch die mit der Verfahrensrüge beanstandete Behandlung des Beweisbegehrens rechtlichen Bedenken begegnet.

Die Ablehnung von Beweisanträgen nach § 77 Abs. 2 Nr. 2, § 244 Abs. 3, Abs. 4 S. 1 StPO hat auch im Bußgeldverfahren durch begründeten Gerichtsbeschluss zu erfolgen, wobei sich die Begründung nicht auf eine Wiedergabe des Gesetzestextes beschränken darf (BGH Beschl. v. 24.10.1979, NStZ 1981, 96 [Pf/M]; OLG Köln VRS 74, 372; 75, 119; VRS 88, 203). Mindestvoraussetzung ist, dass der Antragsteller über die zur Ablehnung führenden tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen des Gerichts aufgeklärt und dadurch in die Lage versetzt wird, die weitere Verfolgung seiner Rechte entsprechend einzurichten. (st. Rspr., vgl. etwa BGHSt. 19, 24, 26 = NJW 1963, 1788; BGH NStZ 1983, 568; OLG Düsseldorf NJW 1970, 625; OLG Köln VRS 39, 70; KG VRS 39, 434; OLG Koblenz VRS 52, 206). Darüber hinaus muss die Begründung auch so beschaffen sein, dass sie im Falle der Rechtsbeschwerde dem Rechtsbeschwerdegericht die rechtliche Überprüfung der Entscheidung ermöglicht (BGHSt. 2, 284, 286 = NJW 1952, 714; BayObLG DAR 1974 187 [Rü]).

Bei der Zurückweisung eines Beweisantrages wegen verspäteten Vorbringens (§ 77 Abs. 2 Nr. 2 OWiG) ist im Beschluss zu begründen, weshalb nach Auffassung des Gerichts für die späte Antragstellung kein verständiger Grund vorliegt. Zur rechtlichen Überprüfung des Beschlusses ist in der Begründung auch mitzuteilen, in welchem Verfahrensstadium der Antrag gestellt worden ist. Schließlich muss der Beschluss darlegen, dass und weshalb eine Beweiserhebung zur Aussetzung der Hauptverhandlung führen würde und dass diese Folge bei rechtzeitigem Vorbringen vermieden worden wäre.“

Vielleicht hat es ja geholfen…..