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Mehr als das Sechsfache als Zeithonorar, oder: Sittenwidrig?

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Am Gebührenfreitag dann als erste Entscheidung der OLG Düsseldorf, Beschl. v. 08.01.2019 – I – 24 U 84/18, der sich zu Fragen in Zusammenhnag mit einer Vergütungsvereinbarung verhält. Es geht zwar nicht um die Vereinbarung in einer Strafsache, die vom OLG aufgestellten Grundsätze gelten aber auch für Verfahren aus dem Bereich.

Ich stelle hier heute nur die Leitsätze der Entscheidung vor. Den Rest überlasse ich dem Selbststudium.

Hier dann die Leitsätze:

  1. Bei der Beurteilung der Sittenwidrigkeit eines anwaltlichen Zeithonorars, welches um das Sechsfache im Vergleich zur gesetzlichen Vergütung erhöht ist, ist ein maßgeblicher Gesichtspunkt, ob dies auf der Höhe des Stundensatzes oder auf den angefallenen Tätigkeitsstunden beruht. Ist diese Überhöhung auf den hohen Zeitaufwand zurückzuführen, spricht dies gegen eine Sittenwidrigkeit, sofern keine Anhaltspunkte für ein unangemessenes Aufblähen der Arbeitszeit vorliegen.
  2. Ein anwaltlicher Stundensatz i.H.v. EUR 250,- ist nicht zu beanstanden.
  3. Bestreitet der Mandant pauschal den Umfang der Tätigkeit des Rechtsanwalts, dann ist dies bei Vorgängen unerheblich, die der Mandant selbst miterlebt hat (z.B. Telefonate, Gespräche) oder durch die er anhand objektiver Unterlagen (z.B. Beweisaufnahmeprotokolle) Kenntnis erlangt hat.
  4. Ein Gericht ist aus eigener Sachkunde in der Lage, den Zeitaufwand anwaltlicher Tätigkeit zu schätzen (§ 287 ZPO), denn auch ein Richter leistet vergleichbare Arbeit, indem er Informationen rechtlicher Art verarbeitet, Recherchen durchführt und Dokumente erstellt.

Fahrradsturz ohne Berührung im Begegnungsverkehr: Beweislast beim Radfahrer

entnommen openclipart.org

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Um eine Schadensersatzklage gegen eine Pkw-Fahrerin ging es im OLG Hamm, Urt. v. 02.09.2016 – 9 U 14/16. Eine 75 Jahre alte Radfahrerin hatte mit ihrem Fahrrad einen (nur) 3 m breiten Weg befahren. Aus entgengesetzter Richtung näherte sich eine Pkw-Fahrerin mit einem 1,70 m breiten Mercedes-Benz. Noch bevor sich die Beteiligten begegneten, stürzte die Geschädigte. Dabei fiel sie mit dem Kopf auf die Fahrbahn. Die Pkw-Fahrerin wich aus und geriet mit ihrem Fahrzeug in den rechtsseitigen Bewässerungsgraben. Bei dem Geschehen berührten sich Pkw und Fahrrad bzw. die Geschädigte nicht. Die Geschädigte erlitt durch den Sturz schwere Kopfverletzungen, durch die sie ins Koma fiel. Sie verstarb im September 2014. Von der Fahrerin, der Fahrzeughalterin sowie der Haftpflichtversicherung des Fahrzeugs verlangten die für die Geschädigte zuständige Krankenkasse und die Pflegekasse die Erstattung aufgewandter Behandlungs- und Pflegekosten.

Das LG hatte die Klage abgewiesen. Das OLG hat das bestätigt. Stürze ein Radfahrer auf einer schmalen breiten Straße ohne ein entgegenkommendes Fahrzeug zu berühren, müsse der geschädigte Radfahrer beweisen, dass sein Sturz durch die Betriebsgefahr des Fahrzeugs mit beeinflusst wurde. Die bloße Anwesenheit eines fahrenden Fahrzeugs an der Unfallstelle reiche insoweit nicht aus:

„Wie das Landgericht zutreffend ausführt, setzt das haftungsbegründende Tatbestandsmerkmal „bei Betrieb eines Kraftfahrzeuges“ grundsätzlich voraus, dass sich in dem jeweiligen Unfallgeschehen eine von einem Kraftfahrzeug ausgehende Gefahr realisiert hat und das Schadensgeschehen dadurch insgesamt mitgeprägt wurde (BGH, Urteil vom 26.04.2005, Az.: VI ZR 168/04, zitiert nach juris). Dabei muss die Unfallursache im Betrieb des Kraftfahrzeuges begründet sein, d.h., dieses muss durch seine Funktion als Fortbewegungs- und Transportmittel das Unfallgeschehen in irgendeiner Form mit beeinflusst haben. Bei einem Unfallgeschehen ohne tatsächliche Berührung der Verkehrsteilnehmer, wie es auch vorliegend der Fall ist, setzt der BGH weitergehend voraus, dass das Fahrzeug durch seine Fahrweise zur Entstehung des Unfalls beigetragen haben muss. Die bloße Anwesenheit eines in Betrieb befindlichen Kraftfahrzeuges an der Unfallstelle reiche hierzu nicht aus (vgl. BGH, Urteil vom 04.05.1976, Az.: VI ZR 193/74, zitiert nach juris). Bei Betrieb des Kraftfahrzeuges geschehe ein Unfall jedoch auch dann, wenn er unmittelbar durch ein Verhalten des Verletzten oder eines Dritten ausgelöst werde, dieses Verhalten aber seinerseits in zurechenbarer Weise durch das Kraftfahrzeug mitverursacht werde. Eine solche weite Auslegung des Tatbestandsmerkmals entspreche dem weiten Schutzzweck des § 7 Abs. 1 StVG (BGH, Urteil vom 19.04.1988, Az.: VI ZR 96/87, zitiert nach juris). Somit genüge es für die Annahme des Merkmals „bei Betrieb“ grundsätzlich auch, wenn der Unfall sich infolge einer Abwehr- oder Ausweichreaktion der verunfallten Person ereigne, auch wenn diese zwar objektiv nicht erforderlich gewesen sei, jedoch im Zusammenhang des konkreten Verkehrsgeschehens subjektiv vertretbar erscheine (vgl. OLG Celle, Urteil vom 07.06.2001, Az.: 14 U 210/00, zitiert nach juris; vgl. aber weitergehend BGH, U.v. 21.09.2010 – IV ZR 263/09 – NJW 2010, 3713 und U.v. 21.09.2010 – VI ZR 265/09 – SVR 210, 466, wonach auch subjektiv die Ausweichreaktion nicht erforderlich sein muss oder sich für den Fahrer des anderen Fahrzeugs aus seiner Sicht als die einzige Möglichkeit darstellt, um eine Kollision zu vermeiden.).

Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die Beweislast für die Auswirkung der Betriebsgefahr bei dem Unfallgeschehen bei den Klägerinnen liege.

Es hat insoweit festgestellt, dass die Geschädigte die 3 m breite und asphaltierte Straße aus ihrer Sicht äußerst rechts befahren habe. Sodann sei sie, als sich Pkw und Fahrrad noch in einigem Abstand zueinander befunden hätten, ins Straucheln geraten und gestürzt. Die Beklagte zu 2) habe sodann ihr Fahrzeug in den rechtseitigen Graben gelenkt, um die auf der Straße liegende Geschädigte nicht zu überfahren. An diese Feststellungen ist der Senat grundsätzlich nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gebunden. Dies gilt nur dann nicht, wenn konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Vollständigkeit und Richtigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen gebieten.

Auf der Basis der vom Landgericht getroffenen Feststellungen lässt sich ein Zusammenhang zwischen der vom Beklagtenfahrzeug ausgehenden Betriebsgefahr und dem Sturz der Geschädigten nicht herstellen.

Weder die in der vom Landgericht und vom Senat beigezogenen Ermittlungsakte festgehaltenen Angaben der Beklagten zu 1) und 2) und weiterer Zeugen ergeben einen Anhaltspunkt dafür, dass die Geschädigte dem Fahrzeug der Beklagten zu 2) mit ihrem Fahrrad ausgewichen und auf dem unbefestigten Seitenstreifen in Straucheln geraten ist, noch lässt sich ein derartiges Ausweichmanöver aus der Breite der asphaltierten Fahrbahn oder der Endlage der Geschädigten oder ihres Fahrrades nach dem Sturz herleiten…..“

Die Vergütungsvereinbarung (des Pflichtverteidigers), oder: Beweislast im Streit über Wirksamkeit der Vergütungsvereinbarung?

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Beweislastentscheidungen sind für die unterlegene Partei immer misslich. Das gilt für den Rechtsanwalt vor allem dann, wenn es um die Frage der Wirksamkeit einer Vergütungsvereinbarung (§ 3a RVG) geht. Zu der Frage, wie in diesem Streit die Beweislast verteilt ist, hat jetzt noch einmal das OLG Karlsruhe im Urt. v. 17.03.2016 – 17 U 4/16 – Stellung genommen.

Im Streit war die Wirksamkeit der Vergütungsvereinbarung eines Pflichtverteidigers. Dieser hatte für seine Tätigkeiten bis zum Abschluss der ersten Instanz mit dem Mandanten einen Betrag von 7.000 € zuzüglich Umsatzsteuer und Auslagen vereinbart. Inhalt und Ablauf des beim Abschluss der Vergütungsvereinbarung geführten Gespräches war zwischen den Rechtsanwalt und dem Mandanten streitig. Der Rechtsanwalt hat verschiedene Tätigkeiten zur Bearbeitung des Mandats und zur Verteidigung des Beklagten erbracht. Auf Veranlassung der Familie des Beklagten wurde ein Vorschuss von 2.000 € gezahlt. Später kündigte dann ein neuer Verteidiger des Beklagten gegenüber dem Rechtsanwalt für den Beklagten die Kündigung das Mandat. Der Beklagte beantragte daraufhin die Entpflichtung des Rechtsanwalts als Pflichtverteidiger. Das AG hat dem Antrag entsprochen. Der Beklagte hat in der Folgezeit (vergeblich) die Rückzahlung des geleisteten Vorschusses sowie die Erstattung der ihm außergerichtlich entstandenen Anwaltskosten verlangt. Der Rechtsanwalt hat die Zahlung der weiteren Vergütung in Höhe von 5.000 € geltend gemacht.  Das LG hat im Verfahren Beweis erhoben und dann die Klage über 5.000 € und die Widerklage auf Rückzahlung der 2.000 € abgewiesen. Nach der Beweisaufnahme habe es ein non-liquet hinsichtlich des freiwilligen Zustandekommens der Honorarvereinbarung gegeben. Da die Beweislast beim jeweiligen Anspruchssteller liege, seien Klage und Widerklage abzuweisen. Die dagegen gerichtete Berufung der Klägerin hatte keinen Erfolg. Dagegen ist die Anschlussberufung des Beklagten erfolgreich gewesen.

Das OLG geht (ebenfalls) davon aus, dass der Rechtsanwalt den Beweis für den Abschluss einer wirksamen Vergütungsvereinbarung nicht erbracht hat. In dem Zusammenhang macht das OLG ganz interessante Ausführungen zur Wirksamkeit einer Vergütungsvereinbarung zwischen Pflichtverteidiger und Beschuldigtem:

„a) Eine wirksame Honorarvereinbarung zwischen Pflichtverteidiger und Beschuldigtem setzt voraus, dass der Beschuldigte sie freiwillig abgeschlossen hat. Die Freiwilligkeit des Vergütungsversprechens oder der Vergütungsleistung gehört zu den Voraussetzungen ihrer Wirksamkeit. Von einem freiwilligen Abschluss kann in diesem Zusammenhang nur gesprochen werden, wenn der Beschuldigte die gebührenrechtliche Lage richtig übersieht, soweit sie für ihn von Bedeutung ist. Erforderlichenfalls ist der Rechtsanwalt zu einer Belehrung verpflichtet. Der Mandant muss nicht nur wissen, dass er bei Abschluss einer Honorarver­einbarung mehr verspricht oder zahlt, als er nach dem Gesetz leisten muss, sondern auch, dass der Pflichtverteidiger eine Vergütung von der Staatskasse erhält und zur Führung der Verteidigung daher kraft Gesetzes verpflichtet ist, auch wenn ihm der Beschuldigte keinerlei Vergütung entrichtet (BGH, Urt. v. 03.05.1979 – III ZR 59/78, MDR 1979, 1004, juris Rn. 25 ff.). Für die notwendige Kenntnis dieser besonderen gebührenrechtlichen Lage trägt, anders als etwa für den allgemeinen Unwirksamkeitseinwand der Nichtigkeit wegen Sitten­widrigkeit durch unlautere Ausnutzung einer Drucksituation, der Rechtsanwalt die Beweis­last (BGH, a.a.O., Rn. 34).

Insoweit war der Kläger nach Auffassung des OLG beweisfällig geblieben. Anders als das LG geht das OLG dann aber davon aus, dass das Beweisergebnis eines non-liquet hinsichtlich der Frage einer hinreichenden Belehrung über die gebührenrechtliche Lage nach den Umständen des Falles hinsichtlich des Rückzahlungsanspruchs der gezahlten 2.000 € nicht dem Beklagten, sondern dem klagenden Rechtsanwalt zur Last fällt:

„Zwar ist mit dem LG grundsätzlich davon auszugehen, dass der Anspruchsteller – also der Beklagte – die Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen, hier folglich die Rechtsgrundlosigkeit der Vorschussleistung zu tragen hat. Doch gilt hier unter dem Gesichtspunkt der Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit einer über ein Rechtsgeschäft aufgenommenen Urkunde etwas anderes, nachdem die Parteien ihre Vergütungsvereinbarung samt dazu erteilter Belehrungen in der schriftlichen Urkunde niedergelegt haben und die notwendige Belehrung über die Verpflichtung zur Fortführung der Verteidigung auch bei Nichtunterzeichnung der Vereinbarung in dieser Urkunde nicht enthalten ist. Wer – wie vorliegend der Kläger – behauptet, die mündlich erteilten Belehrungen seien über den Wortlaut und Inhalt der Urkunde hinausgegangen, ist für diesen Vortrag unabhängig von der prozessualen Rollenverteilung beweispflichtig (BGH NJW 99, 1702; Zöller/Geimer, ZPO, 31. Aufl., § 416 Rn. 10).“

Anzumerken ist:

  1. Die Verteilung der Beweislast durch das OLG ist m.E. zutreffend. Denn das OLG verweist zu Recht auf BGH NJW 1999, 1702. Danach folgt aus der Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit der über ein Rechtsgeschäft aufgenommenen Urkunde, hier der Vergütungsvereinbarung, bei der Auslegung des Vereinbarten, dass die Partei, die ein ihr günstiges Auslegungsergebnis auf Umstände außerhalb der Urkunde stützt, hier der Kläger für die Belehrung, diese zu beweisen hat. Im Ergebnis bleiben damit dem Kläger nur die gesetzlichen Pflichtverteidigergebühren.
  2. Schlussfolgerung aus dieser – hier für den Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger – misslichen Entscheidung: Die dem Mandanten erteilte Belehrung muss auf jeden Fall in allen Einzelheiten in die schriftliche Vergütungsvereinbarung aufgenommen werden. Nur so lassen sich, wenn es zum Streit kommt, solche nachteiligen Beweislastentscheidungen vermeiden. Welchen Inhalt die Belehrung des Mandanten haben muss, hat das OLG ebenfalls festgestellt. Dazu wird auf die o.a. Entscheidungsgründe verwiesen.