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Bewährung I: Bewährungswiderruf wegen neuer Straftat, oder: Auch nach Verlängerung der Bewährungszeit?

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Heute dann drei Entscheidungen zu Bewährungsfragen.

Den Opener macht der OLG Bamberg, Beschl. v. 12.08.2021 – 1 Ws 477/21 -zur Frage des Bewährungswiderruf wegen einer neuen Straftat zwischen ursprünglichem Bewährungszeitende und nachträglicher Verlängerung der Bewährungszeit. Da denkt man dann an den Vetrauensschutz, der hier jedoch keine Rolle gespielt hat:

„5. Der Widerruf der Strafaussetzung ist vorliegend gerechtfertigt, da der Verurteilte bei Begehung der Anlasstat trotz Ablaufs der Bewährungszeit aufgrund vorheriger gerichtlicher Mitteilung mit einer bewährungsverlängernden Maßnahme rechnen musste.

a) Nach ganz überwiegender Auffassung in der obergerichtlichen Rechtsprechung schließt sich zwar, wie ausgeführt, die verlängerte Bewährungszeit rechnerisch rückwirkend unmittelbar an die abgelaufene Bewährungszeit an, dennoch rechtfertigen aber Straftaten, die zwischen dem Ablauf der ursprünglichen Bewährungszeit und dem Erlass des Verlängerungsbeschlusses begangen worden sind, den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung grundsätzlich nicht, weil der Verurteilte insoweit zum Tatzeitpunkt unbeschadet der Rückrechnung tatsächlich nicht unter offener Bewährung stand (OLG Bamberg, Beschl. v. 24.03.2015 – 22 Ws 19/15 bei juris, MüKoStGB/Groß/Kett-StraubAufl. § 56f Rn. 19 m.w.N.).

b) Jedoch kann nach verbreiteter Meinung, der sich der Senat anschließt, eine Straftat, die der Verurteilte nach Ablauf der ursprünglich bestimmten Bewährungszeit begeht, dann einen Widerruf der Strafaussetzung rechtfertigen, wenn die in Rede stehende Tat durch nachträgliche Verlängerung nicht nur rückwirkend in die Bewährungszeit fällt, sondern der Verurteilte bei Begehung der Nachtat trotz Ablaufs der Bewährungszeit auch mit einer bewährungsverlängernden Maßnahme rechnen musste (vgl. OLG Bremen; KG; OLG Saarbrücken; OLG Jena u. OLG Hamm, jew. a.a.O.). Entscheidungen über den Widerruf der Aussetzung der Strafvollstreckung zur Bewährung sind an Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit dem Vertrauensschutz des Rechtsstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 3 GG) zu messen (BVerfG, Beschl. v. 20.03.2013 – 2 BvR 2595/12 = NJW 2013, 2414 =BVerfGK 20, 260). Der Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes steht in diesem Fall einer Berücksichtigung der Straftat nicht entgegen, da ein entsprechendes Vertrauen nicht schutzwürdig ist.

aa) Aus verfassungsrechtlichen Gründen ist es den Gerichten nicht verwehrt, die zwischen dem (vorläufigen) Ende der Bewährungszeit und der Verlängerung liegende neue Straftat zum Anlass für einen späteren Widerruf zu nehmen, wenn kein Vertrauenstatbestand vorliegt. Es wird im Hinblick auf den verfassungsrechtlich verankerten Grundsatz des Vertrauensschutzes angenommen, dass für den Widerruf einer Strafaussetzung zur Bewährung nicht Taten herangezogen werden können, die während eines Zeitraums begangen sind, in dem der Täter von dem rückwirkenden Beschluss über die sich nahtlos anschließende Bewährungszeit noch nichts wusste. Ein begründetes Vertrauen auf das Ausbleiben des Widerrufs der Strafaussetzung wegen einer in der sog. ‚bewährungsfreien Zeit‘ begangenen Straftat kann beispielsweise durch gerichtliche Mitteilungsschreiben zerstört worden sein, sodass der Verurteilte nicht mehr davon ausgehen kann, dass die Bewährungszeit mit dem Ablauf der bestimmten 3 Jahre enden wird, sondern – wie jedermann verständlich – davon, dass er sich weiterhin zu bewähren haben werde (BVerfG, Beschl. v. 10.02.1995 – 2 BvR 168/95 = NStZ 1995, 437 = StV 1996, 160).

bb) Die gesetzliche Regelung des § 56f Abs. 1 Satz 2 StGB sieht die Möglichkeit des Widerrufs auch bei neuen Straftaten vor, die zwischen der Entscheidung über die Strafaussetzung und deren Rechtskraft begangen werden. Es wird also auch von einem nicht rechtskräftig Verurteilten, der faktisch (noch) nicht unter Bewährung steht, erwartet, in dem Schwebezustand bis zum rechtskräftigen Verfahrensabschluss keine neuen Straftaten zu begehen, ohne dass hierbei Gründe des Vertrauensschutzes entgegenstehen. Eine gleichartige Konstellation liegt vor für den Zeitraum zwischen (vorläufigem) Ablauf der Bewährungszeit und Erlass des Verlängerungsbeschlusses, jedenfalls ab dem Zeitpunkt, in welchem der Verurteilte von der Möglichkeit der Verlängerung positiv Kenntnis erlangt. Ein sachlicher Grund, warum die Fallkonstellationen unterschiedlich behandelt werden sollten, ist nicht ersichtlich.

cc) Auch der Wortlaut des § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB, der als Voraussetzung für einen Bewährungswiderruf benennt, dass der Verurteilte in der Bewährungszeit eine Straftat begeht, steht dem Widerruf der Aussetzung vorliegend nicht entgegen. Wie dargestellt, schließt sich eine nach Verstreichen der ursprünglichen Bewährungszeit angeordnete Verlängerung rückwirkend zeitlich unmittelbar an die zuvor abgelaufene Bewährungszeit an, so dass auch Straftaten, die im Zeitraum zwischen dem ursprünglichen Ende der Bewährungszeit und der nachträglichen Verlängerung der Bewährungszeit begangen werden, vom Wortlaut der Vorschrift erfasst sind. § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB unterscheidet hingegen nicht nach dem Zeitpunkt, wann sich (hier durch den Verlängerungsbeschluss) ergab, dass eine Tat in die Bewährungszeit fiel. Die gegenteilige Rechtsauffassung, wonach eine Straftat, die zwischen dem Ablauf der ursprünglichen Bewährungszeit und dem Erlass eines Beschlusses über die Verlängerung der Bewährungszeit begangen wurde, einen Bewährungswiderruf selbst dann nicht rechtfertigt, wenn der Verurteilte vor Begehung der erneuten Straftat auf die Möglichkeit einer Verlängerung der Bewährungszeit hingewiesen wurde (vgl. z.B. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 06.03.2019 – 3 Ws 35/19 = Justiz 2020, 12 = OLGSt StGB § 56f Nr 66 = BeckRS 2019, 25052 m.w.N.) überzeugt nicht. Es käme einer nicht hinnehmbaren Bevorzugung des wiederholt delinquenten und hinreichend informierten Verurteilten gleich, wenn der Zeitraum zwischen (vorläufigem) Bewährungsende und Erlass des Verlängerungsbeschlusses einerseits voll auf die Bewährungszeit angerechnet würde, er sich in diesem Zeitraum andererseits jedoch nicht bewähren müsste, da eine Sanktionierung strafrechtlichen Verhaltens im Bewährungsverfahren nicht möglich wäre. Die Rechtsprechung, die einerseits eine rückwirkende Verlängerung der Bewährungszeit anerkennt, gleichzeitig aber argumentiert, dass die Tat nur formal in die Bewährungszeit falle und hieraus keine Konsequenzen ableitbar seien, berücksichtigt diesen Punkt zu wenig.

dd) Ein ausdrücklicher Hinweis dahingehend, dass die Bewährung auch wegen einer Straftat vor Erlass des Verlängerungsbeschlusses widerrufen werden kann, wird bislang nicht praktiziert und ist aus Gründen des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit auch nicht erforderlich, wenn ein Verurteilter im Zeitpunkt der Begehung der Anlasstat sämtliche Umstände, die den anschließenden Bewährungswiderruf aufgrund dieser Tat rechtfertigten, kennt. Ihm ist dann bewusst, dass er zuvor wegen einer unter laufender Bewährung begangenen Tat rechtskräftig verurteilt worden, dass die ursprüngliche Bewährungszeit zwar inzwischen abgelaufen, jedoch die Strafe noch nicht erlassen, dass diese neue Verurteilung dem Bewährungsgericht bekannt ist und die Staatsanwaltschaft deswegen die Verlängerung der Bewährungszeit beantragt hat. Das Gericht hat ihm mitgeteilt, dass es bewährungsverlängernde Maßnahmen erwäge, so dass ein Verurteilter spätestens in diesem Zeitpunkt der Mitteilung unabhängig von dem genauen Zeitpunkt des Erlasses des Verlängerungsbeschlusses damit rechnen muss, dass eine Verlängerung der Bewährungszeit erfolgen wird und dass neuerliche Delinquenz auch die ihm bekannten weiteren Folgen wie den Widerruf der Bewährung nach sich ziehen kann. Dem Argument, ein Verurteilter könne nach Erhalt der gerichtlichen Mitteilung davon ausgehen, dass er nach Ablauf der ursprünglichen Bewährungszeit und bis zum Erlass einer erneuten Entscheidung, sich zumindest zunächst nicht mehr bewähren muss, ist zu entgegnen, dass ein Verurteilter den Zeitpunkt des Erlasses des Verlängerungsbeschlusses gar nicht kennen und absehen kann und dies der grundsätzlichen Erwartung des § 56f Abs. 1 StGB, dass ein Verurteilter überhaupt (und nicht nur in der Bewährungszeit) keine neuen Straftaten mehr begehen wird, zuwiderläuft.

c) Ausgehend hiervon lagen die Voraussetzungen für einen Bewährungswiderruf vor……“

Bewährung II: Widerruf wegen fehlenden Kontakts zum Bewährungshelfer, oder: Helfer namentlich benannt?

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Bei dem zweiten Beschluss handelt es sich heute um den OLG Celle, Beschl. v. 22.06.2021 – 2 Ws 154/21. Der hat in Zusammenhang mit dem Widerruf von mehreren Strafaussetzungen zur Bewährung zwei Aspekte, auf die hinzuweisen ist-

Der eine Aspekt betrifft einen Widerrufsgrund, liegt also auf der sachlichen Ebene. U.a. war widerrufen worden, weil der Verurteilte nicht ausreichend Kontakt zum Bewährungshelfer gehalten hat. Diesen Widerruf hat das OLG beanstandet (in der Sache hat es aber nichts gebracht):

Hinsichtlich der drei übrigen Bewährungsstrafen sind die Voraussetzungen dieses Widerrufsgrundes hingegen nicht erfüllt, weil der Bewährungshelfer in den jeweiligen Bewährungsbeschlüssen nicht ausreichend bestimmt ist.

aa) Die Bestellung eines Bewährungshelfers gemäß § 56d Abs. 4 Satz 1 StGB erfordert, dass das Gericht den Bewährungshelfer namentlich bestellt (Fischer, StGB § 56e Rn. 3; Schönke/Schröder/Kinzig, StGB § 56d Rn. 10; NK-StGB/Ostendorf, StGB § 56d Rn. 4; Dölling/Duttge/König/Rössner, StGB § 56d Rn. 8; OLG Hamburg, Beschluss vom 11. Februar 2005, 2 Ws 24/05, NStZ-RR 2005, 221; vgl. auch BGH, Beschluss vom 5. 3. 2008, 2 ARs 24/08, NStZ 2008, 472). Dies folgt zum einen daraus, dass der Gesetzeswortlaut auf die Bestellung einer bestimmten Person abstellt, indem er vorsieht, dass „der Bewährungshelfer“ bzw. „die Bewährungshelferin“ vom Gericht bestellt wird (NK-StGB/Ostendorf a. a. O.; vgl. auch MüKoStGB/Groß/Kett-Straub, StGB § 56d Rn. 11). Auch mit der Bestimmung des § 56d Abs. 5 StGB, wonach die Tätigkeit haupt- oder nebenberuflich ausgeübt wird, hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass er von der Bestellung einer einzelnen natürlichen Person zum Bewährungshelfer ausgeht. Zum anderen wird erst durch die Bestellung einer bestimmten Person die Möglichkeit geschaffen, ein persönliches Vertrauensverhältnis zu schaffen, bei dem der Bewährungshelfer dem Betroffenen gemäß § 56d Abs. 3 StGB helfend und betreuend zur Seite stehen kann. Die namentliche Bestellung des Bewährungshelfers stellt insoweit auch sicher, dass das Gericht bestimmte Anweisungen gemäß § 56d Abs. 4 Satz 2 StGB erteilen und eine den Bedürfnissen des Verurteilten entsprechende Auswahl vornehmen kann (vgl. NK-StGB/Ostendorf a. a. O).

Darüber hinaus ist für einen Bewährungswiderruf gemäß § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB eine namentliche Bestellung des Bewährungshelfers auch im Hinblick auf das verfassungsrechtlich verankerte Bestimmtheitsgebot erforderlich, das auf den Grundrechten des Betroffenen aus Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG und Art. 104 Abs. 1 GG sowie dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes gründet. Das Bestimmtheitsgebot verlangt in einem Bewährungsverfahren, dass dem Verurteilten bereits mit Erteilung der Weisungen unmissverständlich verdeutlicht wird, was genau von ihm erwartet wird und wann er einen Bewährungswiderruf gemäß § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB zu erwarten hat. Diese bestimmte Formulierung der Weisungen muss durch das Gericht erfolgen und darf nicht dem Bewährungshelfer überlassen werden, weil der Gesetzgeber nur dem Richter die Befugnis eingeräumt hat, dem Verurteilten besondere Pflichten aufzuerlegen (BVerfG, Beschluss vom 24. September 2011, 2 BvR 1165/11, StV 2012, 481; KG, Beschluss vom 30. Oktober 2020, 5 Ws 198-199/20, StV 2021, 380).

In Bezug auf die Unterstellung unter die Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers ist diesem Erfordernis nur genügt, wenn der Bewährungshelfer vom Gericht namentlich benannt wird. Beschränkt sich der Beschluss stattdessen auf einen Verweis auf den „zuständigen“ Bewährungshelfer oder auf den für die Bewährungshilfe abstrakt zuständigen Ambulanten Justizsozialdienst, wird dies den Anforderungen des Bestimmtheitsgebotes nicht gerecht. Denn zum einen wird dem Betroffenen durch derartige Bestimmungen nicht unmissverständlich verdeutlicht, welche Person das Amt des Bewährungshelfers für ihn ausübt. Zum anderen wäre die Bestimmung des Bewährungshelfers dann in unzulässiger Weise vom Gericht auf den Ambulanten Justizsozialdienst übertragen, der durch seine behördeninterne Geschäftsverteilung über die Person des Bewährungshelfers und damit den genauen Inhalt der vom Gericht anzuordnenden Weisung entscheiden würde.

Hieran gemessen genügen nur …..“

Der zweite Aspekt ist ein verfahrensrechtlicher. Die StVK hatte den Verurteilten zum Bewährungswiderruf mittels Videokonferenz angehört, ohne dass das zu dem Zeitpunkt bereits gesetztlich vorgesehen war. Das OLG hat das nicht beanstandet, Denn:

Eine mündliche Anhörung vor einem Bewährungswiderruf kann bereits vor Inkrafttreten von § 463e StPO n. F. mittels Videotelefonie erfolgen, wenn der Betroffene damit einverstanden und eine weitere Sachaufklärung nicht erforderlich ist.

Bewährung I: Verstoß gegen Auflagen und Weisungen, oder: Bewährungwiderruf beim Suchtkranken

Heute stelle ich dann drei Entscheidungen aus dem Bereich des Bewährungswiderrufs vor.

Ich beginne mit dem OLG Bamberg, Beschl. v. 03.05.2021 – 1 Ws 83/21 – betreffend einen Bewährungswiderruf. Der Widerruf erfolgte, weil der Verurteilte eine Arbeitsauflage nicht erfüllte, Termine bei der Bewährungshilfe nicht wahrnahm und auch Gespräche bei der Suchtberatung nicht durchführte. Das OLG hat aufgehoben und den Widerrufsantrag zurückgewiesen:

„Das Rechtsmittel erweist sich auch als begründet. Gröbliche oder beharrliche Verstöße gegen Weisungen oder Auflagen (§ 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 3 StGB) setzen weiter voraus, dass diese Verstöße dem Verurteilten vorwerfbar sind. Verstöße gegen Weisungen, die im Zusammenhang mit einer Suchterkrankung stehen, müssen für den Verurteilten vermeidbar sein (Fischer, StGB, 68. Aufl. § 56f, Rn. 10a m. w. N.). Gröblich ist ein Auflagenverstoß, wenn er objektiv und subjektiv schwer wiegt (Fischer, a.a.O. Rn. 12 m. w. N.).

Nach der im Gutachten des Sachverständigen Dr. pp. vom 16.01.2021 dargestellten Krankengeschichte des Verurteilten befand sich dieser in den Jahren 2019 und 2020 mehrfach in stationärer Behandlung (30.05. bis 04.06.2019, 11.07 bis 19.07.2019, 22.07. bis 26.07.2019, 05.08 bis 16.08.2019, 20.11. bis 02.12.2019, 03.12 bis 04.12.2019, 22.02. bis 11.03.2020, 20.03. bis 28.03.2020, 03.04. bis 06.04.2020, 19.04. bis 20.05.2020, 07.07. bis 08.07.2020, 08.07. bis 27.07.2020, 01.08. bis 11.08.2020, 13.08. bis 19.08.2020, 13.10. bis 15.10.2020 sowie 16.10.2020 bis ins Jahr 2021) vornehmlich im Bezirksklinikum Regensburg jeweils zur akuten Alkoholentgiftung. Der Sachverständige ging im Rahmen des Betreuungsverfahrens davon aus, dass es dem Verurteilten krankheitsbedingt nicht möglich war und ist, eine langfristige Therapie durchzuhalten. Vielmehr würde er diese aufgrund des erheblichen Suchtdrucks rasch abbrechen, sodass der Sachverständige eine geschlossene Unterbringung für unabdingbar hielt. Außerdem hielt es der Sachverständige aus denselben Gründen nicht für möglich, dass der Verurteilte einer Vorladung des Betreuungsgerichts zur Anhörung Folge leisten könne.

Unter diesen Umständen vermag auch der Senat nicht die Überzeugung zu gewinnen, dass dem Verurteilten die Nichteinhaltung der Weisungen und (teilweise) Nichterfüllung der Auflage als schuldhaft vorwerfbar sind. Sofern sich der Verurteilte im fraglichen Zeitraum nicht ohnehin in stationärer Behandlung befand, fehlte es nach der Lebenserfahrung krankheitsbedingt höchstwahrscheinlich und somit nicht ausschließbar jedenfalls an der dazu nötigen Willenskraft und Durchhaltefähigkeit.

Der Widerrufsgrund des § 56f Abs.1 S.1 Nr.1 StGB kommt ebenfalls nicht in Betracht. Zwar hat der Verurteilte i.d. Bewährungszeit einen Diebstahl begangen, der Gegenstand des Verfahrens vor dem Amtsgericht Amberg (11 Ds 115 Js 8750/20) gewesen ist; das Verfahren wurde mit Beschluss vom 24.03.2021 gemäß § 153 Abs. 2 StPO eingestellt. Insoweit verbleiben zumindest erhebliche Zweifel hinsichtlich der Schuldfähigkeit des Verurteilten. Nach dem Inhalt der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Amberg vom 14.09.2020 war der Verurteilte bei Tatbegehung erheblich alkoholisiert und entwendete vornehmlich Alkoholika…..“

 

Bewährung III: Widerruf der Bewährung, oder: Kein Kontakt zum Bewährungshelfer

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In der letzten Entscheidung, die ich vorstelle, dem OLG Koblenz, Beschl. v. 09.07.2019 – 4 Ws 407/19 – geht es um einen Bewährungswiderruf wegen Weisungsverstosses (§ 56f Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB).

Der Verurteilte ist wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten, deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetzt worden ist, verurteilt worden. Der Verurteilte wurde angewiesen, jeden Wohnsitzwechsel unaufgefordert mitzuteilen, darüber hinaus wurde ihm auferlegt, binnen 6 Monaten nach Rechtskraft des Urteils 100 Stunden gemeinnützige Arbeit nach Weisung des Bewährungshelfers abzuleisten.

Der Verurteilte befand sich vom 09.08.2018 bis Anfang September 2018 in stationärer Behandlung in der Fachklinik Alzey. Grund war eine drogeninduzierte Psychose, die der Verurteilte darauf zurückführte, dass er etwa im April 2018 begonnen habe, Crack zu rauchen.

Bis zum 30.10.2018 nahm der Verurteilte aufgrund dieses Umstands lediglich zwei Termine bei seiner Bewährungshelferin wahr, Anlässlich des letzten Gesprächstermins teilte der Verurteilte der Bewährungshelferin mit, dass er im Oktober einen Besuch bei seiner an einem Hirntumor erkrankten Mutter in Italien plane. Die Ehefrau des Verurteilten erklärte gegenüber der Bewährungshelferin am 19.11.2018, dass der Verurteilte sich in Italien aufhalte und in den nächsten Tagen wieder nach Deutschland zurückkehre. Es wurde vereinbart, dass der Verurteilte sich umgehend bei der Bewährungshelferin melden werde. Dies geschah jedoch nicht. Einladungen zu Gesprächsterminen nahm der Verurteilte nicht wahr. Nachdem er seitens des LG mit Schreiben vom 22.01.2019 erfolglos aufgefordert worden war, Nachweise über die Erfüllung der Arbeitsauflagen zu erbringen und die Bewährungshelferin mit Schreiben vom 01.03.2019 mitgeteilt hatte, dass der Verurteilte keinen Kontakt zu ihr aufgenommen habe, bestimmte die Kammer Termin zur Anhörung des Verurteilten auf den 08.04.2019. Der Verteidiger des Angeklagten, den dieser vom Anhörungstermin unterrichtet hatte, teilte unter dem 22.03.2019 mit, dass der Verurteilte in Italien seinen Pass verloren habe und daher nicht erscheinen könne. Eine Glaubhaftmachung erfolgte trotz Aufforderung durch das LG nicht. Im Anhörungstermin erschien der Verurteilte nicht. Mit Beschluss vom 08.04. 2019 widerrief das Landgericht die gewährte Strafaussetzung zur Bewährung, da der Verurteilte die ihm erteilte Auflage nicht erfüllt habe und darüber hinaus im Hinblick auf den Crackkonsum des Verurteilten der Abbruch des Kontakts zur Bewährungshelferin Anlass zu der Besorgnis gebe, dass der Verurteilte erneut Straftaten begehen werde.

Das OLG hat auf die Beschwerde aufgehoben:

„…Widerrufsgründe liegen nicht vor.

1. Der Angeklagte hat nicht dadurch gröblich und beharrlich gegen ihm erteilte Auflagen verstoßen, § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB, weil er die ihm erteilte Arbeitsauflage nicht innerhalb der ihm vom Gericht gesetzten Frist erfüllt hat. Denn es ist bereits nicht ersichtlich, dass er innerhalb dieser Frist von 6 Monaten nach Rechtskraft entsprechende Weisungen seiner Bewährungshelferin erhalten hätte. Eine andere Frist hat das Landgericht nicht gesetzt, so dass der Verurteilte davon ausgehen konnte, die Auflage (nunmehr) bis zum Ablauf der Bewährungszeit erfüllen zu können (vgl. BVerfG, Beschluss vom 2. September 2015 – 2 BvR 2343/14 -, juris).

2. Auch ein Widerruf gemäß § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 2. Alt. StGB kommt nicht in Betracht. Dieser setzt voraus, dass der Verurteilte sich beharrlich der Aufsicht und Leitung seines Bewährungshelfers entzieht. Erforderlich ist darüber hinaus, dass deshalb Anlass zu der Besorgnis besteht, er werde erneut Straftaten begehen, denn der Widerruf dient nicht der Ahndung nachlässigen und weisungswidrigen Verhaltens im Bewährungsverfahren (st. Rspr.). Der Verstoß muss somit durch Art, Gewicht oder Häufigkeit Anlass zur Neubewertung der ursprünglich positiven Sozialprognose geben: Das Gericht hat insoweit unter Würdigung der Verstöße in ihrer konkreten Bedeutung und unter Berücksichtigung des gesamten Verhaltens des Verurteilten während der Bewährungszeit eine erneute Prognose zu stellen. Nur wenn die Verstöße zu krimineller Neigung oder Auffälligkeit des Verurteilten so in Beziehung stehen, dass hierdurch weitere Straftaten zu befürchten sind, kommt ein hierauf gestützter Widerruf in Betracht (BVerfG, Beschluss vom 22. Juni 2007 – 2 BvR 1046/07 -, juris Rn. 19; OLG Hamm, Beschluss vom 26. März 2013 – III-1 Ws 124/13 -, juris). Der Verstoß gegen Weisungen für sich allein trägt eine negative Prognose daher nicht. Der weisungswidrige Abbruch des Kontakts zum Bewährungshelfer lässt nicht ohne weiteres Rückschlüsse auf eine kriminelle Prognose zu; erforderlich sind vielmehr stets weitere konkrete und objektivierbare Anhaltspunkte dafür, der Verurteilte werde weitere Straftaten begehen (BVerfG a.a.O.).

Solche konkreten Anhaltspunkte sind vorliegend nicht zu erkennen. Der Verurteilte ist nach den Feststellungen des Urteils vom 19. April 2018 strafrechtlich sonst nicht in Erscheinung getreten. Zwar hat er, wie er gegenüber der Bewährungshelferin eingeräumt hat, etwa Ende April 2018 begonnen, Crack zu rauchen. Nachdem der Verurteilte sich wegen einer drogeninduzierten Psychose in stationärer Behandlung befand, den Aufenthalt in Alzey als sehr positiv beschrieb und sich sichtlich beeindruckt von den Auswirkungen des Crackrauchens zeigte, vermag der Senat jedoch auch unter Berücksichtigung des mehrmonatigen Drogenmissbrauchs nicht zu erkennen, dass der Verurteilte durch den Kontaktabbruch Anlass zu der Besorgnis böte, dass er erneut Straftaten begehen werde. Dies gilt umso mehr, als der Verurteilte sich seit Anfang Juni wieder in Deutschland aufhält, Kontakt mit seiner Bewährungshelferin aufgenommen und sich mittlerweile bei der Stadtverwaltung vorgestellt hat, bei der er die Arbeitsstunden ableisten soll.

Der Senat weist den Verurteilten aber darauf hin, dass der Erfolg seines Rechtsmittels für ihn kein Freibrief ist. Er hat vielmehr den ihm erteilten Weisungen und Ladungen der Strafkammer nachzukommen, andernfalls er wiederum mit einem Widerrufsverfahren rechnen muss.

Bewährungswiderruf wegen erneuter Verurteilung, oder: „Leider nicht rechtskräftig.“

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Und zur Abrundung als dritte Entscheidung dann der AG Dortmund, Beschl. v. 20.09.2018 – 764 AR 16/17 BEW. Es geht noch einmal um den Anforderungen an den Bewährungswiderruf auf der Grundlage einer erneuten Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe.  Hier war der Verurteilte erneut zu einer Freiheitsstrafe – ohne Bewährung – verurteilt worden. Die Verurteilung war aber nicht rechtskräftig. Die Staatsanwaltschaft hate aber dennoch schon aufgrund eines angeblich vorliegenden Geständnisses den Widerruf beantragt. Das AG konnte jedoch ein Geständnis des Angeklagten in dem Verfahren nicht feststellen.

„…. Ein Schuldgeständnis kann anerkanntermaßen einen Widerruf wegen erneuter Straffälligkeit auch ohne eine rechtskräftige Verurteilung tragen. Die mit Verfassungsrang versehene Unschuldsvermutung tritt dann zurück. Hier kann das angebliche Geständnis sich angesichts der Urteilsgründe nicht feststellen lassen. Hierin heißt es zu den tatsächlichen Feststellungen:

„Dieser Sachverhalt steht fest aufgrund des schriftlichen Geständnisses des Angeklagten B, soweit ihm gefolgt werden konnte und dem sich die übrigen Angeklagten angeschlossen haben, darüber hinaus den weiteren Angaben der Angeklagten C, D und E. Des Weiteren stützt das Gericht seine Feststellungen auf die Angaben der Zeugen F, G und H. Schließlich wurden die in der Akte vorhandenen Lichtbilder zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht, die Expertise über die Funkgeräte, die Sicherstellungsprotokolle und die Auszüge aus dem Bundeszentralregister.“

Damit steht überhaupt nicht fest, ob die Verurteilung tatsächlich gerade auf dem Geständnis des Angeklagten beruht und welchen Inhalt das Geständnis gegebenenfalls hatte.

Weiterhin finden sich in dem Urteil des Amtsgerichts St.Goar im Rahmen der Strafzumessung Ausführungen zu dem angeblichen Geständnis:

„Bei allen vier Angeklagten war zu ihren Gunsten ihr Geständnis zu werten, das teilweise bereits im Ermittlungsverfahren abgegeben wurde. Andererseits war dieses Geständnis nicht von besonderem Wert, weil die Angeklagten ja auf frischer Tat ertappt und identifiziert worden waren. Sie haben der Polizei dadurch kaum Ermittlungsarbeit erspart. Weiter war zu Gunsten der Angeklagten zu berücksichtigen, dass sie Reue zeigten und sich am Ende der Hauptverhandlung entschuldigten.“

Abgesehen davon, dass Ausführungen im Rahmen der Strafzumessungserwägungen, die pauschal mehrere Angeklagte betreffen kaum hinsichtlich eines der Angeklagten als Schuldgeständnis im Sinne der obergerichtlichen Rechtsprechung anzusehen sind, das die Unschuldsvermutung überwinden kann, bleibt es dabei, dass in den tatsächlichen Feststellungen sich vielmehr Formulierungen dahin ergeben, dass es neben einem Geständnis tatsächlich weiterer umfangreicher Beweisaufnahmen erforderte, um den Verurteilten als Täter zu überführen und zu verurteilen. Schließlich sind die Formulierungen auch im Rahmen der Strafzumessungserwägungen derart pauschal, dass das Gericht hierauf einen Widerruf nicht stützen kann.“

Ist so auf der Grundlage der Rechtsprechung des EGMR und des BVerfG zutreffend. Die Formulierung: „Leider nicht rechtskräftig.“ im AG-Beschluss ist allerdings überflüssig.