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StA nimmt Berufung zurück – Verfahrensgebühr für den Verteidiger

© PhotoSG - Fotolia.com

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In einer in Rechtsprechung und Literatur nicht unbestrittenen Frage macht das LG Aurich im LG Aurich, Beschl. v. 27.04. 2015 – 13 Qs 8/15 – einen Schritt in die richtige Richtung. Es geht um den Anfall der Verfahrensgebühr für das Berufungsverfahren, wenn die Staatsanwaltschaft ihre Berufung vor Begründung des Rechtsmittels zurücknimmt. Der Rechtsanwalt war Pflichtverteidiger der Angeklagten, die vom AG verurteilt worden ist. Nach dem Urteil vom 08.05. 2012 hat die Staatsanwaltschaft am 09.05. 2012 Rechtsmittel eingelegt. Am 11.06.2012 hat die Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel dann zurückgenommen. Der Rechtsanwalt hat auch die Festsetzung der Verfahrensgebühr Nr. 4124 VV RVG beantragt. Diese ist vom AG nicht festgesetzt worden. Das Rechtsmittel des Verteidigers hatte Erfolg.

 

Das LG Aurich hat die Verfahrensgebühr Nr. 4124 VV RVG gewährt. Eine Verfahrensgebühr entstehe mit sachgerechter und zweckdienlicher Tätigkeit eines verständigen Verteidigers (vgl. insoweit OLG Koblenz NStZ-RR 2014, 327). Diese sei bei der Berufung jedoch nicht zwingend von der – gesetzlich nicht vorgeschriebenen -Begründung abhängig. Hier habe ich die Zielrichtung des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft zunächst an der starken Abweichung zwischen Antrag der Staatsanwaltschaft und ausgeurteiltem Strafmaß ablesen lassen, die Staatsanwaltschaft habe auch die Zielrichtung ihres Rechtsmittels bereits noch im Hauptverhandlungstermin kenntlich gemacht hat. Allein ein subjektives Beratungsbedürfnis löse zwar noch keine Verfahrensgebühr aus, soweit die Beratung nicht auch objektiv erforderlich sei. Hier sei jedoch auch ein objektives Beratungsbedürfnis entstanden. Anders als in einem revisionsrechtlichen Verfahren habe hier in dem Berufungsverfahren bereits vor der Begründung des Rechtsmittels ein objektiver Beratungsbedarf entstehen können Dies gelte hier umso mehr, als die Verurteilte wegen des Handelns mit Betäubungsmitteln angeklagt gewesen und zur Ableistung von Arbeitsstunden verurteilt worden sei. So sei als Vorbereitung der Verteidigung im Berufungstermin in Betracht gekommen, eine Drogenberatungsstelle aufzusuchen und sich um eine Stelle zur Ableistung der Arbeitsstunden zu bemühen. Dies sei der Verurteilten von dem Pflichtverteidiger anzuraten gewesen. Zur Wahrung ihrer Verteidigungsmöglichkeiten sei es auch nicht zumutbar gewesen die Zeit bis zur Begründung der Berufung ungenutzt verstreichen zu lassen.

Im Ergebnis ist der Entscheidung zuzustimmen, in der Begründung m.E. nicht. Denn das LG begeht auch den in der (obergerichtlichen) Rechtsprechung leider häufigen Fehler, dass die Frage des Entstehens der Verfahrensgebühr für das Rechtsmittelverfahren mit der Frage der Erstattungsfähigkeit vermischt wird. Die Verfahrensgebühr entsteht nach Vorbem. 4 Abs. 2 VV RVG mit jeder Tätigkeit des Rechtsanwalts/Verteidigers, eine andere Frage ist, ob die Gebühr erstattet wird. Insoweit stellt die Rechtsprechung noch immer überwiegend darauf ab, dass dem Verteidiger im Berufungs- oder Revisionsverfahren eine Tätigkeit schon vor der Begründung des von der Staatsanwaltschaft eingelegten Rechtsmittels i.d.R. nicht honoriert wird. Dass das nicht zutreffend ist, habe ich bereits wiederholt dargelegt. Ich verweise dazu u.a. auf RVGreport 2014, 410.

Unabhängig davon: Als Verteidiger sollte man sich die Argumentation des LG merken. Denn sie lässt sich in vielen Verfahren zur Begründung der Erstattungsfähigkeit der Verfahrensgebühr für das Rechtsmittelverfahren anführen.

Die drei Künstler in der Hauptverhandlung

© Martin Fally - Fotolia.com

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In den 30-ziger Jahren des vorigen Jahrhunderts hat es einen Heinz Rühmann-Film gegeben mit dem Titel „Die drei von Tankstelle“ gegeben (vgl. hier). Aus dem stammt der Song „Liebling, mein Herz lässt dich grüßen“. An den Film und den Song – im abgewandelten Sinn – war ich erinnert, als ich den OLG Köln, Beschl. v. 30.09.2013 – 2 Ws 503/13 – gefunden und gelesen habe. Liebling, die StPO lässt grüßen, möchte man den drei Künstlern/Volljuristen zurufen, die da im der Hauptverhandlung agiert (?) haben.

In der Sache geht es darum, dass dem Angeklagten, der durch amtsgerichtliches Urteil u.a. wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs verurteilt und dem die Fahrerlaubnis entzogen worden ist, in der Berufungshauptverhandlung beim LG die Zusage gegeben worden ist, dass ihm die Fahrerlaubnis nicht weiter entzogen und ihm der Führerschein wieder ausgehändigt werde, wenn er die Berufung  – im übrigen – zurücknimmt. Und das Ziel soll dann dadurch erreicht werden, dass der Angeklagte in der Hauptverhandlung die Berufung insgesamt zurücknimmt. Monate später – offenbar nachdem sich die Fahrerlaubnisbehörde gemeldet hat – beantragt der Angeklagte dann die Fortsetzung der Hauptverhandlung mit der Begründung, die von ihm erklärte Rücknahme der Berufung habe sich nur auf den Schuld- und Straffolgenausspruch im erstinstanzlichen Urteil erstreckt, nicht jedoch auf die Maßregel gem. den §§ 69,69a StGB. Das LG hat dann durch Beschluss festgestellt, dass das Rechtsmittel des Angeklagten erledigt ist, und hat die Berufung des Angeklagten als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Angeklagten.

Diese hatte beim OLG Köln Erfolg. Das hat die Rechtsmittelrücknahme als – wegen irreführender Sachbehandlung und Verletzung der Fürsorgepflicht des Gerichts zur Gewährleistung eines interessengerechten Verteidigungsverhaltens. unwirksam angesehen. Nachzulesen hier im OLG Köln, Beschl. v. 30.09.2013 – 2 Ws 503/13.

So weit, so gut. Aus Sicht des Angeklagten also gerade noch einmal gut gegangen. Was allerdings erstaunt:

  • Da treffen in der Hauptverhandlung der Vorsitzende Richter am LG, der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft und der Verteidiger zusammen und keiner der drei Volljuristen merkt, dass das angestrebte Ziel auf dem vorgesehenen Weg nicht zu erreichen ist. Denn mit vollständiger Rücknahme der Berufung war auch die Maßregel des § 69 StGB rechtskräftig geworden und damit war dem Angeklagten die Fahrerlaubnis rechtskräftig entzogen. Genau das, was man nicht wollte. Von daher rechtfertigt sich m.E. die Überschrift: „Drei Künstler …. „. Aber zumindest war der Vorsitzender der Berufungskammer ehrlich und hat seinen Fehler eingestanden. Denn er hat sich in seiner dienstlichen Stellungnahme wie folgt geäußert:

Zutreffend geschildert ist in der Beschwerdeschrift, dass nach Unterbrechung und Zwischenberatung – für die Kammer angesichts der vorangegangenen Beweisanregungen bzw. -anträge und der Aussicht auf einen Fortsetzungstermin überraschend – angeregt wurde, für den Fall einer Rücknahmeerklärung den Beschluss nach § 111a StPO aufzuheben und den bei der Akte befindlichen Führerschein auszuhändigen. So ist dann in der Folge – nach erneuter Zwischenberatung – auch verfahren worden. Dass ich in der Hauptverhandlung ausdrücklich (sei es wörtlich oder sinngemäß) erklärt hätte – wie der Beschwerdeführer behauptet -, der Angeklagte sei nach Rückgabe des Führerscheins „alsdann wieder zum Führen von Kraftfahrzeugen zugelassen“, ist mir nicht erinnerlich. Ich gehe aber davon aus, dass alle Beteiligten (irrtümlich und stillschweigend) davon ausgegangen sind, der Beschwerdeführer dürfe nach Aufhebung des § 111a-Beschlusses und Aushändigung des Führerscheins wieder ein Kraftfahrzeug führen. Anderenfalls machen diese Vorgehensweise und auch die Äußerung des Sitzungsvertreters, er befürworte die Aufhebung des Beschlusses über die vorläufige Entziehung, weil die Sperrfrist nahezu abgelaufen sei, wenig Sinn. Nach streitiger und langwieriger Beweisaufnahme und der konkreten Aussicht auf Fortsetzung bzw. Aussetzung der Verhandlung wurde die Kammer von der plötzlichen Quasi-Einigung der Beteiligten überrascht, die im Wesentlichen die Erklärung der Rücknahme der Berufung beinhalten sollte für den Fall der Zusage der Aufhebung der vorläufigen Entziehung und Aushändigung  des Führerscheins durch die Kammer. Diese Zusagen hat die Kammer nach erneuter Zwischenberatung gemacht und vollzogen. In dieser Situation mag ich irrtümlich die tatsächlichen rechtlichen Konsequenzen dieser Verfahrensweise nicht korrekt zu Ende gedacht haben. Eine ausdrückliche „Absprache“ oder „Bedingung“ ist – anders als dies in der Beschwerdeschrift anklingt – allerdings nicht erfolgt und nicht zur Sprache gekommen.“ Mit der Absprache ist das ja auch im Hinblick auf § 257c Abs. 2 Satz 3 StPO schwierig geworden, wobei man sich allerdings fragt, was es denn sonst war?

  • Was ich dann allerdings nicht verstehe ist, warum erst das OLG den Fehler reparieren muss. Das hätte das LG auf der Grundlage der dienstlichen Äußerung des Vorsitzenden mit derselben Begründung wie das OLG auch selbst machen und das Berufungsverfahren fortsetzen können. Aber vielleicht hat der Vorsitzende auch diese Möglichkeit übersehen.

Im Übrigen ist der Beschluss eine Warnung für jeden Verteidiger: „Jura novit curia“ gilt nicht (immer).

Einhellige Meinung: Wenn nicht dann, wann denn dann?

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Ich schaue ja immer mal im Rechtspflegerforum, ob und was es Neues gibt. Und da bin ich vor einiger Zeit auf das Posting gestoßen „Pflichtverteidigervergütung nach Rücknahme der Berufung“ Da ging es um Folgendes – ich zitiere:

Wir haben hier eine Frage zur Plichtverteidigervergütung – jemand evtl. ein Idee?
Schilderung des Sachverhalts:
Beiordnung eines Pflichtverteidigers ist in der I. Instanz erfolgt.
Urteil ergeht am 03.01.2013 in der I. Instanz mit Verurteilung des Angeklagten.
Am 10.01.2013 legt RA Berufung – ohne Begründung – gegen das Urteil ein.
Am 14.01.2013 erfolgt die Urteilszustellung an die Staatsanwaltschaft.
Am 18.01.2013 erbittet RA eine Abschrift des Sitzungsprotokolls.
Am 28.2013 erfolgt „Begleitverfügung“ des Staatsanwalts u. a. an Richter der 1. Kleinen Strafkammer einen Termin anzuberaumen.
Richter am Landgericht fertigt Beschluss am 07.05.2013: Angeklagter soll untersucht werden (durch einen Sachverständigen). Ein Verhandlungstermin ist nicht bestimmt worden.
Termin beim Sachverständigen ist am 15.07.2013 – den hat der Angeklagte nicht wahrgenommen
Am 16.07.2013 erfolgt die Rücknahme der Berufung durch RA – ohne Begründung.
Beschluss am 17.07.2013: Angeklagter trägt Kosten der Berufung.

Am 16.07.2013 Einreichung der Gebührennote des RA:
Verfahrensgebühr Nr. 4124 VV RVG 216,00 EUR
Verfahrensgebühr Nr. 4141, 4126 VV RVG 216,00 EUR
+ Auslagen + Umsatzsteuer
= 537,88 EUR

Sind die Gebühren festsetzungsfähig? Danke für eure Rückmeldungen…“

Und wer gedacht hatte, dass es danach losgeht mit mehr oder weniger abenteuerlichen Begründungen/Konstruktionen, warum die Gebühr Nr. 4141 VV RVG nicht festzusetzen sein sollte, der wird feststellen: Er hat sich getäuscht. Denn einhellige (zutreffende) Meinung war: Keine Bedenken, die gebühr ist entstanden und festzusetzen.

Ich habe natürlich meinen Senf auch dazu gegeben und gepostet: Wenn nicht dann, wann denn dann?