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Umfang der Beiordnung des Pflichtverteidigers, oder: Erstreckung auch auf das Adhäsionsverfahren

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Und als zweite Entscheidung dann der OLG Dresden, Beschl. v. 21.12.2023 – 2 Ws 298/23. Den Beschluss hätte ich auch an einem „Pflichti-Tag“ bringen können. Er passt aber wegen der gebührenrechtlichen Auswirkungen auch/besser an einem RVG-Tag.

Das OLG hat zum Umfang der Beiordnung des Pflichtverteidigers entschieden, und zwar zur Frage der Erstreckung der Vertretung des Angeklagten auch auf das Adhäsionsverfahren. Dazu führt es nun aus:

„Die Beiordnung des Pflichtverteidigers gemäß § 140 Abs. 1 StPO erstreckt sich auch auf die Vertretung des Angeklagten im Adhäsionsverfahren. Diese in Rechtsprechung und Literatur bislang umstrittene Frage ist in der Rechtsprechung nunmehr geklärt. An seiner früheren entgegenstehenden Rechtsauffassung (OLG Dresden, Beschluss vom 10. Dezember 2013 – 2 Ws 569/13 – BeckRS 2014,00582) hält der Senat hält nicht fest.

Für eine Umfangsbeschränkung der notwendigen Verteidigung gemäß § 140 Abs. 1 StPO auf die Abwehr allein des staatlichen Strafanspruchs findet sich im Gesetz keine Grundlage. Da das Adhäsionsverfahren Teil des Strafverfahrens ist, wie sich aus dessen gesetzlicher Regelung in den §§ 403 ff. StPO ergibt, erstreckt sich der Umfang der notwendigen Verteidigung gemäß § 140 Abs. 1 StPO schon deshalb auch hierauf. Der Senat verweist hierzu auf die Ausführungen des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschluss vom 27. Juli 2021 — 6 StR 307/21 juris Rdnr. 2 ff. m.w.N.; ebenso BGH, Urteil vom 30. Juni 2022 —1 StR 277/21 —, juris Rdnr. 4), der dies auf Grundlage der Gesetzesbegründung zur Umsetzung der EU-Richtlinie 2016/191 vom 26. Oktober 2016 überzeugend darlegt. Denn wenn die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig im Sinne von § 140 Abs. 1 StPO ist, so erstreckt sich diese Notwendigkeit auf das gesamte Verfahren (§ 143 Abs. 1 StPO), mithin auch auf die Verteidigung gegen Adhäsionsanträge. Eine Beschränkung des Umfangs der notwendigen Verteidigung auf die Abwehr des staatlichen Strafanspruchs hat der Gesetzgeber in § 140 StPO nicht vorgenommen.

Die von der Staatskasse in Bezug genommene abweichende Entscheidung des 5. Strafsenats (BGH, Beschluss vom 08. Dezember 2021 — 5 StR 162/21 —, juris) enthält demgegenüber keine sachbezogene Begründung.

Geht doch 🙂

Gegenstandswert für das Adhäsionsverfahren, oder: Keine Minderung durch Schmerzensgeldgrundurteil

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Und dann als zweite Entscheidung der BGH, Beschl. v. 16.10.2023 – 6 StR 198/22 – zum Gegenstandswert für das Adhäsionsverfahren in der Revisionsinstanz.

Das LG hatte im Adhäsionsverfahren „dem Grunde nach festgestellt“, dass der Angeklagte verpflichtet ist, der Adhäsionsklägerin ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen. Es hatte außerdem festgestellt, dass der Angeklagte verpflichtet ist, ihr sämtliche künftigen Schäden zu ersetzen, die der Adhäsionsklägerin aus den abgeurteilten Taten entstehen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen sind. Von einer Entscheidung über den Antrag einer weiteren Adhäsionsklägerin hatte das LG abgesehen. Auf die von dem Angeklagten unbeschränkt eingelegte Revision hat der BGH klargestellt, dass der von der Adhäsionsklägerin geltend gemachte Schmerzensgeldanspruch dem Grunde nach gerechtfertigt ist, und das Urteil dahin ergänzt, dass von einer Entscheidung über die Höhe des Schmerzensgeldes abgesehen wird.

Im Kostenfestsetzungsverfahren haben dann der dem Angeklagten beigeordnete Verteidiger und die der Adhäsionsklägerin als Beistand bestellte Rechtsanwältin beantragt, den Gegenstandswert des Adhäsionsverfahrens in der Revisionsinstanz festzusetzen (§ 33 Abs. 1 RVG).

Der BGH führt zur Gegenstandswertfestsetzung aus:

„Der Gegenstandswert von Adhäsionsanträgen bestimmt sich nach dem wirtschaftlichen Interesse der Antragsteller, insbesondere nach den in den Anträgen genannten Beträgen (vgl. MüKo-StPO/Maier, § 472a Rn. 28). Im Rechtsmittelverfahren ist gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 RVG i.V.m. § 47 Abs. 1 Satz 1 GKG der Antrag des Rechtsmittelführers maßgeblich, wobei der Wert durch denjenigen des Streitgegenstands im ersten Rechtszug beschränkt ist (§ 47 Abs. 2 Satz 1 GKG).

Danach beläuft sich der Gegenstandswert des allein die Adhäsionsklägerin S. betreffenden Adhäsionsverfahrens in der Revisionsinstanz auf 27.500 Euro. Er ergibt sich zunächst aus dem von der Adhäsionsklägerin beanspruchten Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 25.000 Euro. Der Gegenstandswert des Grundurteils über den Schmerzensgeldanspruch entspricht demjenigen des geltend gemachten Anspruchs, weil es für das Grundurteil keine besondere Bewertungsvorschrift gibt. Es mindert den Gebührenwert deshalb nicht, dass nur über den Grund des Anspruchs entschieden worden ist (vgl. Schneider/Kurpat, Streitwert-Kommentar, 15. Aufl., Rn. 2.2026 mwN); die im Rechtsmittelverfahren maßgebliche Beschwer entspricht damit bei vollumfänglicher Stattgabe dem Grunde nach dem Wert des bezifferten Anspruchs (vgl. Schneider/Kurpat aaO, Rn. 2.2028 mwN). Daneben ist der Wert des Ausspruchs über die Feststellung der Ersatzpflicht des Angeklagten für sämtliche künftigen Schäden der Adhäsionsklägerin maßgeblich, den der Senat in Anbetracht der sich aus den Urteilsgründen ergebenden Umstände ebenso wie das Landgericht für das erstinstanzliche Verfahren mit 2.500 Euro bemisst.“

 

Bewilligung von PKH für das Adhäsionsverfahren, oder: Darlegung der wirtschaftlichen Verhältnisse

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Und dann heute am Gebührentag zwei BGH-Entscheidungen zum Adhäsionsverfahren.

Zunächst hier der der BGH, Beschl. v. 14.02.2023 – 2 StR 403/22 – noch einmal zur Gewährung von PKH. Der BGh hat den Antrag der Neben- und Adhäsionsklägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwalt für das Adhäsionsverfahren allerdings abgelehnt:

„1. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und die damit verbundene Beiordnung eines Rechtsanwalts für das Adhäsionsverfahren erfolgt für jeden Rechtszug gesondert, § 404 Abs. 5 Satz 1 StPO i.V.m. § 119 Abs. 1 Satz 1 ZPO (vgl. auch BGH, Beschluss vom 30. März 2001 – 3 StR 25/01, BGHR StPO § 397a Abs. 1 Beistand 4). Dies erfordert daher in jeder Instanz erneut eine Prüfung durch das jeweilige Gericht und deshalb die Darlegung ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse durch die Antragstellerin, die sich hierfür grundsätzlich des vorgeschriebenen Vordrucks zu bedienen hat, § 404 Abs. 5 Satz 1 StPO i.V.m. § 117 Abs. 4 ZPO.

2. Eine solche Darlegung ist nicht erfolgt. Zwar hat die Antragstellerin in ihrem Schreiben vom 27. Juni 2022 ihre in erster Instanz abgegebene Erklärung zu ihren wirtschaftlichen Verhältnissen in Bezug genommen, was in besonderen Fällen genügen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 5. September 2017 – 5 StR 271/17). Indes beschränkt sich jenes Schreiben alleine auf Anträge, die die Nebenklage betreffen. Dem auf das Adhäsionsverfahren bezogenen – und hier gegenständlichen – Antragsschreiben vom 8. Dezember 2022 lässt sich eine solche Bezugnahme dagegen ebenso wenig entnehmen wie die erforderliche Angabe der Antragstellerin, dass sich ihre wirtschaftlichen Verhältnisse (weiterhin) nicht geändert hätten (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 397a Rn. 10 mwN). Letzteres ergibt sich bereits eingedenk des eingetretenen Zeitablaufs seit der letzten von ihr abgegebenen Erklärung aber nicht von selbst (vgl. BGH, Beschluss vom 4. September 1991 – 3 StR 142/91).

3. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe löst auch keine Verpflichtung des Senats aus, die wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragstellerin zu ermitteln. Das Erfordernis der Darlegung ergibt sich aus dem Gesetz, eines Hinweises auf diese Sachlage und eines Zuwartens mit der Entscheidung bedurfte es nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Januar 2019 – 5 StR 441/18).“

Erfasst die Pflichtverteidigerbestellung die Adhäsion?, oder: Nicht bei uns, meint das LG Osnabrück

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Und im zweiten Gebührenbeitrag 2023 dann noch etwas zum Adhäsionsverfahren, nämlich der LG Osnabrück, Beschl. v. 05.09.2022 – 18 KLs 5/22. Der behandelt dann erneut die Frage der Erstreckung der Pflichtverteidigerbestellung. Und das LG Osnabrück entscheidet – wie in meinen Augen häufig – gegen den Pflichtverteidiger und für die Staatskasse/den Bezirksrevisor.

Der Rechtsanwalt war dem Verurteilten in einem Verfahren mit dem Vorwurf des besonders schweren Raubes u.a. als Pflichtverteidiger beigeordnet. Mit Schreiben vom 15.02.2020 beantragte der Geschädigte, den Angeklagten im Wege des Adhäsionsverfahrens zur Zahlung eines Schmerzensgeldes zu verurteilen. Im Hauptverhandlungstermin vom 15.07.2021 schlossen der Angeklagte und der Geschädigte A einen entsprechenden Vergleich. Der Angeklagte hat weder einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zur Verteidigung gegen die Schmerzensgeldklage gestellt, noch hat er beantragt, die Verteidigerbestellung auf das Adhäsionsverfahren zu erstrecken. Auch von Amts wegen erfolgte keine Erweiterung der bereits erfolgten Pflichtverteidigerbestellung auf das Adhäsionsverfahren.

Nach Beendigung des Verfahrens hat der Pflichtverteidiger die Festsetzung seiner gesetzlichen Vergütung beantragt. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat die geltend gemachte Verfahrensgebühr Nr. 4143 VV RVG für das Adhäsionsverfahren in Höhe von 98,- EUR nebst Umsatzsteuer und eine Einigungsgebühr in Höhe von 49,-EUR nebst Umsatzsteuer nicht festgesetzt. Dagegen die Erinnerung zum LG, das – zumindest teilweise – falsch entschieden hat:

„Die Zuständigkeit der Kammer folgt aus § 56 Abs. 1 Satz 1 RVG. Mangels besonderer Schwierigkeit tatsächlicher oder rechtlicher Art und mangels grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache obliegt die Entscheidung nach § 56 Abs. 2 Satz 1, § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG dem Einzelrichter.

Die Erinnerung ist in der Sache nicht begründet. Zwar ist für die Teilnahme am Adhäsionsverfahren eine Gebühr angefallen. Der Beschwerdeführer kann deren Erstattung in-dessen nicht aus der Landeskasse beanspruchen. Prozesskostenhilfe gemäß § 404 Abs. 5 StPO, § 114 ZPO ist dem Angeklagten mangels entsprechender Antragstellung nicht bewilligt worden, so dass ein Gebührenanspruch des Verteidigers gegen die Landeskasse hieraus ausscheidet. Ein Erstattungsanspruch ergibt sich auch nicht daraus, dass der Erinnerungsführer dem Angeklagten als Verteidiger bestellt worden war.

Die Frage, ob bei bereits bestehender Pflichtverteidigung – automatisch – Prozesskosten-hilfe für das Adhäsionsverfahren gewährt und der Verteidiger insoweit beigeordnet wird, ist umstritten. Während einerseits angenommen wird, die Pflichtverteidigung umfasse auch die Vertretung im Adhäsionsverfahren (vgl. u.a. OLG Rostock Beschluss vom 15.6.2011 – I Ws 166/11, BeckRS 2011, 18598; OLG Köln Beschluss vom 29.6.2005 – 2 Ws 254/05, BeckRS 2005, 7953; OLG Hamm Beschluss vom 31.5.2001 – 2 [s] Sbd. 6¬87/01, BeckRS 2001, 5826; OLG Schleswig NStZ 1998, 101; KK-StPO/Willnow, 8. Aufl., § 140 Rn. 4; jeweils m.w.N.), wird andererseits eine gesonderte Beiordnung für erforderlich gehalten (vgl. OLG Dresden Beschluss vom 27.3.2013 – 3 Ws 2/13, BeckRS 2013, 22042; KG Beschluss vom 24.6.2010 – 1 Ws 22/09, BeckRS 2011, 2650; OLG Bamberg NStZ-RR 2009, 114 Ls.; MüKoStPO/Grau, 2019, § 404 Rn. 8; v. Heintschel-Heinegg/Bockemühl in Kleinknecht/Müller/Reitberger, StPO, 2020, § 404 Rn. 29; Schöch in Satzger/Schlucke-bier/Widmaier, StPO, 4. Aufl., § 404 Rn. 19; Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 2. Aufl., VV RVG Nr. 4141 – 4147 Rn. 41, jeweils m.w.N.).

Der Bundesgerichtshof hat diese Frage bislang nicht einheitlich entschieden: Während der 6. Strafsenat die Auffassung vertritt, dass die Bestellung eines Pflichtverteidigers auch die Vertretung im Adhäsionsverfahren umfasst (BGH NJW 2021, 2901), hat der 5. Strafsenat in seinem Beschluss vom 08.12.2021 – 5 StR 162/21 (BeckRS 2021, 40545) dargelegt, dass die Beiordnung des Verteidigers für das Adhäsionsverfahren nach § 404 Abs. 5 Satz 2 StPO die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und damit einen entsprechenden Antrag unter Beifügung einer Erklärung über die wirtschaftlichen Verhältnisse voraussetzt (§ 405 Abs. 5 Satz 1 StPO i. V. mit § 117 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, § 119 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Letzterer Ansicht schließt sich die Kammer – im Einklang mit der Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts Oldenburg (vgl. Beschluss vom 22.04.2010 – 1 Ws 178/10, BeckRS 2010, 11888) – an. Danach wird die Vertretung im Adhäsionsverfahren von der Pflichtverteidigerbestellung nicht erfasst….“

Den Rest schenke ich mir hier. Das sind die Argumenten, die wir aus einer Vielzahl falscher Entscheidungen, kennen. Insoweit nichts Neues.

Anzumerken ist: Soweit die Kammer der Auffassung ist, „dass mangels besonderer Schwierigkeit tatsächlicher oder rechtlicher Art und mangels grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache …. die Entscheidung nach § 56 Abs. 2 Satz 1, § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG“ dem Einzelrichter obliege, kann man nur den Kopf schütteln. Meint man das wirklich ernst bei einer der immer noch/leider wieder höchst umstrittenen Fragen im anwaltlichen Gebührenrecht? Allein der Umstand, dass der entscheidende Einzelrichter zwei gegensätzliche BGH-Beschlüsse zitiert und OLG-Rechtsprechung sowohl für die eine als auch für die andere Auffassung anführt, zeigt m.E., dass das falsch ist. Da ist dann noch nicht berücksichtigt, dass zahlreiche weitere OLG-Entscheidungen sich mit der Frage befassen. Warum die Sache dann keine grundsätzliche Bedeutung haben soll, erschließt sich nicht. Eine (nachvollziehbare) Begründung gibt das LG dann auch lieber nicht.

In der maßgeblichen Streitfrage ist in den letzten Jahren viel hin und her geschrieben worden. Man, zumindest ich, hatte gehofft, dass nach der auch vom LG angeführten Entscheidung des 6. Strafsenats des BGH die Problematik erledigt und sich die richtige Auffassung, die von einer Erstreckung ausgeht, durchsetzen würde. Aber leider gefehlt, weil der 5. Strafsenat des BGH in seinem Beschluss v. 8.12.2021 meinte, anders entscheiden zu müssen, ohne sich allerdings mit einem Wort mit der Entscheidung des 6. Strafsenats auseinanderzusetzen, mit Ausnahme des Hinweises, dass eine Anrufung des Großen Senats nicht erforderlich sei. Auf diesen Zug des 5. Strafsenats springt nun das LG auf, wobei es allerdings außer acht lässt, dass es inzwischen weitere obergerichtliche Rechtsprechung gibt, die die Rechtslage ebenso gesehen hat wie der 6. Strafsenat (vgl. BGH, Urt. v. 30. 6.2022 – 1 StR 277/21, NStZ-RR 2022, 336; OLG Brandenburg, Beschl. v. 24.1.2022 – 1 Ws 108/21 (S), AGS 2022, 211).

Ich erspare mir, noch einmal im Einzelnen darzulegen, warum die Auffassung des 5. Strafsenats des BGH und des LG Osnabrück falsch ist. Die Argumente insoweit sind ausgetauscht. Die Argumentation des LG wird auch nicht dadurch richtiger, dass man auf alte/frühere Rechtsprechung des OLG Oldenburg aus dem Jahr 2010 (!) verweist. Denn woher will das LG wissen, ob das OLG diese Auffassung heute noch immer vertritt oder ob es nicht wie das OLG Brandenburg, das früher auch die andere Auffassung vertreten hat (vgl. OLG Brandenburg AGS 2009, 69 = StRR 2009, 3 [Ls.]), die „Seite wechselt“ und sich dem 1. und 6. Strafsenat des BGH anschließt.

Was nun? Nun, man kann auf der Grundlage dieser alten/neuen Rechtsprechung dem Verteidiger nur weiter empfehlen, in den Fällen, in denen ein Adhäsionsantrag gestellt wird, nach wie vor durch entsprechende Anträge auf Klarstellung und/oder Erweiterung der Pflichtverteidigerbestellung zu drängen, damit dann im Vergütungsfestsetzungsverfahren der Einwand der Staatskasse: Die Pflichtverteidigerbestellung umfasst das Adhäsionsverfahren nicht, ausgeschlossen ist. Es nutzt nichts, sich auf der BGH-Rechtsprechung auszuruhen und darauf zu vertrauen, dass diese zum eigenen Gunsten angewendet werden wird. Der vorliegende Fall zeigt, dass das ein Fehlschluss sein kann, der erhebliche finanzielle Einbußen zur Folge haben kann. Hier waren es wegen eines offenbar nur geringen Gegenstandswert nur knapp 150 EUR, die dem Verteidiger verloren gegangen sind, ggf. kann es sich aber auch um sehr viel höhere Beiträge handeln.

Zutreffend ist es allerdings, dass das LG eine Einigungsgebühr nicht festgesetzt hat. Insoweit hätte in der Tat eine ausdrücklich PKH-Bewilligung erfolgen müssen. Aber ich bin mir nicht so sicher, ob das LG überhaupt erkannt hat, dass das aufgrund einer andern Argumentation richtig ist (OLG Jena AGS 2009, 587; OLG Nürnberg StraFo 2014, 37).

Verfahrensgebühr Nr. 4143 VV im Adhäsionsverfahren, oder: Nicht, wenn es das Verfahren gar nicht gibt?

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Und dann heuteder erste Freitag im neuen Jahr und damit der erste „Money-Day“. Und da komme ich heute zunächst auf eine Entscheidung zurück, die ich am letzten RVG-Tag 2022 vorgestellt habe, nämlich den OLG Brandenburg, Beschl. v. 10.08.2022 – 1 Ws 22/22 (S) (vgl. hier: Terminsgebühr nach zu später Absage des Termins, oder: Rechtsanwalt muss nicht im Saal “erscheinen”). Ich hatte ja schon angekündigt, dass ich die Entscheidung hier noch einmal vorstellen werde. Und das tue ich heute wegen der zweiten Frage, die das OLG – leider falsch – entschieden hat.

Insoweit ist von folgendem Sachverhalt auszugehen: In dem Verfahren hatte mit Schriftsatz vom 30.4.2021 der Nebenklägervertreter einen Adhäsionsantrag bei Gericht eingereicht. Mit Verfügung vom 03.05.2021 erteilte die Vorsitzende dem Nebenklägervertreter den rechtlichen Hinweis, dass eine Anwendung der Vorschriften über eine Entschädigung des Verletzten (§§ 403 bis 406c StPO) im Verfahren gegen Jugendliche gemäß § 81 JGG nicht in Betracht komme. Mit gleicher Verfügung ordnete die Vorsitzende die (einfache) Übersendung der Antragsschrift und einer Abschrift des an den Nebenklägervertreter gerichteten rechtlichen Hinweises u.a. an die Pflichtverteidigerin zur Kenntnisnahme an. Mit Schriftsatz vom 03.05.2021 beantragte diese, den Adhäsionsantrag zurückzuweisen. Mit Beschluss vom 17.06.2021 hat die Strafkammer sämtliche Anträge der Angeklagten im Adhäsionsverfahren unter Hinweis auf § 81 JGG abgelehnt.

Im Rahmen der Vergütungsfestsetzung hat die Pflichtverteidigerin u.a. die Festsetzung einer Verfahrensgebühr Nr. 4143 VV RVG) für das Adhäsionsverfahren beantragt. Diese Gebühr ist nicht festgesetzt worden. Dazu das OLG:

„2. Erfolglos bleibt die Beschwerde hinsichtlich der geltend gemachten Gebühren für das Adhäsionsverfahren.

Zwar hat der Bundesgerichtshof für den Fall der notwendigen Verteidigung (§§ 140 ff. StPO) entschieden, dass sich die Pflichtverteidigerbestellung auch auf das Adhäsionsverfahren erstreckt (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Juli 2021, 6 StR 307/21, in: NJW 2021, 2901 f.), was sich bereits aus der engen tatsächlichen und rechtlichen, in der Regel untrennbaren Verbindung zwischen Verteidigung gegen den Tatvorwurf und Abwehr des aus der Straftat erwachsenen vermögensrechtlichen Anspruchs des Verletzten im Sinne von § 403 StPO ergibt (BGH a.a.O.; siehe auch BGH, Beschluss vom 30. März 2001, 3 StR 25/01, in: BGHR StPO § 397a Abs. 1 Beistand 4).

Eine Erstreckung der Pflichtverteidigerbestellung, wie sie der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung klargestellt hat, kann indes nur dann angenommen werden, wenn die Prozessordnung überhaupt ein Adhäsionsverfahren vorsieht, was vorliegend nicht der Fall war. Dass der Bundesgerichtshof auch eine Erstreckung der Pflichtverteidigerbestellung auf ein unstatthaftes Verfahren im Blick hatte, lässt sich der Entscheidung nicht entnehmen und ist auch nicht zu unterstellen.

Zudem hat das erkennende Gericht den Adhäsionsantrag dem Angeklagten nicht zugestellt (BGH, Beschluss vom 22. Januar 2015 – 2 StR 390/14 –) und bereits bei der einfachen Übersendung der Antragsschrift mitgeteilt, dass das Adhäsionsverfahren gegen einen Jugendlichen nicht stattfinde.

Da ein Adhäsionsantrag, der außerhalb der Hauptverhandlung gestellt wird, gemäß § 404 Abs. 1 S. 3 StPO erst mit Zustellung wirksam wird (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Juli 2004 – 2 StR 37/04 –), bedurfte es insofern auch keiner Abwehr des aus der Straftat erwachsenen vermögensrechtlichen Anspruchs des Verletzten. Es erscheint auch nicht unbillig, die Gebühr zu versagen, da eine Abwehr des aus der Straftat erwachsenen vermögensrechtlichen Anspruchs des Verletzten nicht erforderlich war.“

Wie gesagt: M.E. falsch. Denn auf die richtige gesehene Frage der Erstreckung kam es hier m.E. gar nicht an. Denn dabie geht es um die Frage der Festsetzung/Erstattung der  Nr. 4143 VV RVG als gesetzliche gebühr für die Pflichtverteidigerin. Die Frage ist aber strikt zu treffen, von der Frage, ob diese Gebühr für die Pflichtverteidigerin durch den vom OLG dargestellten Verfahrensablauf entstanden ist. Und das ist m.E. – anders als das OLG es offenbar meint – der Fall. Denn das Entstehen der zusätzlichen Verfahrensgebühr Nr. 4143 VV RVG hängt nicht von einem förmlichen Antrag nach § 404 Abs. 1 StPO und/oder einem förmlichen Adhäsionsverfahren ab, vielmehr entsteht entsprechend der Vorbem. 4 VV RVG die Verfahrensgebühr nach Nr. 4143 VV RVG mit der ersten Tätigkeit des Rechtsanwalts, sofern dieser beauftragt ist, im Strafverfahren hinsichtlich des vermögensrechtlichen Anspruchs tätig zu werden, wobei es unerheblich ist, ob es um die Durchsetzung oder die Abwehr eines Anspruchs geht (dazu OLG Jena AGS 2009, 587 m. Anm. N. Schneider = RVGreport 2010, 106 = StRR 2010, 114 = NJW 2010, 455; OLG Nürnberg AGS 2021, 8 = RVGreport 2014, 72 = StraFo 2014, 37 = NStZ-RR 2014, 64; LG Braunschweig, Beschl. v. 8.3.2012 – 5 Qs 39/12, RVGreport 2012, 299; LG Kiel, Beschl. v. 26.6.2020 – 10 Qs 34/20, RVGreport 2020, 428). Dabei kommt es m.E. auch nicht darauf an, ob die Verfahrensart – hier das JGG-Verfahren – ein Adhäsionsverfahren überhaupt vorsieht. Denn der Angeklagte wird mit diesem Verfahren überzogen – auch, wenn das Gericht die Unzulässigkeit erkennt – und hat damit Beratungsbedarf, so dass nach den allgemeinen Regeln zur Verfahrensgebühr nach Vorbem. 4 Abs. 2 VV RVG diese mit einer Beratung, auch über die Unzulässigkeit des Adhäsionsverfahrens, entstanden ist. Und bitte: Nicht wieder wie beim vor Begründung zurückgenommen Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft die Diskussion die Diskussion, dass diese Beratung „nutzlos“ sei. Das ist sie nicht und das entscheidet im Übrigen auch nicht die Staatskasse. Von daher: Die Verfahrensgebühr Nr. 4143 VV RVG hätte festgesetzt werden müssen.