Ich habe da mal eine Frage: Ist der „flüchtige“ Mandant „nicht auf freiem Fuß“?

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Und dann noch die Gebührenfrage, heute zum Haftzuschlag nach Vorbem. 4 Abs. 4 VV RVG. Und zwar:

„Hallo Detlef,

mir wurde ein Angeklagter beigeordnet, der sich in anderer Sache in Strafhaft im offenen Vollzug befand und geflüchtet ist. Die Flucht bestand schon im Zeitpunkt meiner Beiordnung. Vorher war in der Sache nicht tätig (außer dass ich ggü. einem anfragenden Kollegen erklärt hatte, dass ich das Mandat gerne übernehmen könne und den Mandanten auch kurzfristig besuchen würde – der Kollege hatte mich dann wohl direkt beim LG als neuen Verteidiger vorgeschlagen).

Ich hatte mit dem Mandanten bisher auch keinen Kontakt (ich gehe davon aus, dass er nicht einmal von meiner Beiordnung weiß).

Gilt der flüchtige Häftling als „nicht auf freiem Fuß“ (Begriff ist ja weit auszulegen) oder fällt der Haftzuschlag hier nicht an?

Bin in Gerold/Schmidt und auch in Deinem RVG-Kommentar leider jeweils nicht fündig geworden.“

Widersprüchliche Angaben des Mandanten zu viel Geld, oder: Auswirkungen auf den abrechenbaren Aufwand

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Im zweiten „Gebühren-Posting“ geht es dann heute auch um die Abrechnung eines Zeithonorars aus einer Vergütungsvereinbarung. Es handelt sich um das OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 0. 7.10.2024 – 2 U 86/23. Das OLG befasst sich in der umfangreich begründeten Entscheidung u.a. mit dem Rückzahlungsanspruch eines Mandanten aus einer Vergütungsvereinbarung und in dem Zusammenhang mit der Höhe der anwaltlichen Gebühren.

In der Sache geht es in etwa um Folgendes: Der Kläger macht aus dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung Rückzahlungsansprüche von Anwaltshonoraren geltend, die die beklagte Rechtsanwaltskanzlei eingezogen hat und deren Begründetheit der Kläger in Abrede stellt. Gegen den Kläger waren Verfahren im Zusammenhang mit zollrechtlichen und strafrechtlichen Vorwürfen eingeleitet worden, nachdem das Zollfahndungsamt an einem Flughafen in seinem Gepäck Bargeld in kleiner Stückelung im Gesamtwert von 394.050,00 EUR aufgefunden und nach § 12a Abs. 7 ZollVG zur Durchführung eines Clearingverfahrens sichergestellt hatte, weil die Behörde davon ausging, es bestehe ein Anfangsverdacht, dass das sichergestellte Geld zum Zwecke der Geldwäsche in das Ausland habe transferiert werden sollen und deshalb der Einziehung nach §§ 73 ff. StGB unterliegen könnte. Zur Herkunft des Geldes hatte ein zunächst vom Kläger beauftragter Rechtsanwalt RA1 in dessen Namen eine Stellungnahme über die Herkunft der in der Tasche sichergestellten 394.050,00 EUR abgegeben, wonach diese Summe nach den Angaben des Mandanten aus einer schenkweise erfolgten Überweisung seiner Mutter herrühren sollten.

Der Kläger beauftragte dann die Beklagte/Rechtsanwalt RA2 am 09.12.2020 mit der Vertretung seiner rechtlichen Interessen, unterzeichnete eine „Mandatsbedingungen“ überschriebene Vereinbarung, ein SEPA -Lastschriftmandat und schloss mit der Beklagten eine Vergütungsvereinbarung. Unter anderem wurde ein Stundenhonorar von 400,00 EUR zuzüglich Umsatzsteuer einschließlich einer so genannten Mindestpauschale i.H.v. 2.000,00 EUR zuzüglich gesetzlicher Umsatzsteuer vereinbart. Mit Schreiben vom 23.12.2020 nahm Rechtanwalt RA2 Bezug auf ein Akteneinsichtsgesuch vom 15.12.2020, ging auf das Ereignis am Flughafen ein und gab eine Stellungnahme über Hintergründe und die Herkunft des Geldes ab, korrigierte ein auf einem sprachlichen Missverständnis beruhende Unrichtigkeit in dem Schreiben von Rechtsanwalt RA1, erläuterte die angebliche Herkunft des Geldes genauer, berief sich im Zusammenhang mit der subjektiven Tatseite auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum des Klägers, dem die Notwendigkeit, eine größere Menge Bargeld, der die Grenze von 10.000 EUR überschreite, zu deklarieren, nicht bekannt gewesen sei. Durch Beschluss vom 18.03.2021 ordnete das AG – Ermittlungsrichter – gemäß §§ 111b, 111c, 111j StPO die Beschlagnahme der Geldscheine mit der Begründung an, das Verhalten des Beschuldigten sei auf eine gezielte Verschleierung des Besitzes und der beabsichtigten Verbringung des Bargeldes ins Ausland angelegt gewesen, die nach der kriminalistischen Erfahrung für den Transfer inkriminierter Gelder geradezu typisch sei, so dass die gesetzlichen Voraussetzungen einer Beschlagnahmeanordnung bei dieser Sachlage erfüllt seien.

Mit Schreiben vom 21.4.2021 kündigte ein neuer Klägervertreter das Mandatsverhältnis im Hinblick auf die strafrechtliche Angelegenheit, forderte die Beklagte auf, die vereinnahmten Vorschüsse ordnungsgemäß abzurechnen oder zurückzuerstatten und setzte hierfür eine Frist bis zum 30.4.2021. Durch Verfügung vom 21.11.2021 stellte die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren des gegen den Kläger wegen Verdachts der Geldwäsche allerdings ein.

Es geht dann jetzt um die Abrechnung und die Höhe/Anzahl der geltend gemachten Stunden. Das OLG nimmt im Einzelnen zur Wirksamkeit der Vergütungsvereinbarung und dann zur Berechtigung der von dem Rechtsanwalt angesetzten Stunden Stellung. Insoweit bitte ich weitgehend selbst lesen. Ich will hier aus Platzgründen nur eine Passage herausgreifen, in der es um den abrechenbaren Aufwand einesVerteidigers bei widersprüchlichen Angaben des Mandanten geht:

„Zu 1.): Hinsichtlich der Tätigkeit gemäß Position 1.) für den 14.12.2020, hat das Landgericht von geltend gemachten und vom Kläger bestrittenen 5:50 h für die dort beschriebenen Tätigkeiten insgesamt 0:40h und 0:30 h mit der Begründung für bewiesen angesehen, die Tätigkeit sei zwar bestätigt, allerdings nicht genau genug beschrieben worden, welche Recherchemaßnahmen erforderlich gewesen seien. Bewiesen sei lediglich, das Durchsehen von insgesamt 15-35 Seiten Unterlagen, was zu einem Mindestaufwand auf 45 Minuten führe zuzüglich der Einarbeitung in die Rechtslage.

Die hiergegen erhobenen Einwände der Beklagten greifen durch. Soweit die Beklagte dargelegt hat, es habe sich um zollrechtliche Fragen und der sich daraus ergebende Probleme für die Mandanten und den Ablauf des Verfahrens, ist dies aufgrund der besonderen Umstände des Sachverhaltes und des Akteninhaltes belegt.

Vorliegend war zunächst die zollrechtliche Besonderheit zu berücksichtigen, dass es ursprünglich um ein – aufgrund neuer europarechtlicher Vorschriften -sog. „Clearing-Verfahren“ ging, im Zusammenhang mit dem Verbot, nicht deklarierte Bargeldsummen von über 10.000 € über die Grenze zu bringen.

Belegt ist indes auch der vom Beklagten dargelegte Umstand, besondere Schwierigkeiten hätten sich aus dem Vortrag des Klägers ergeben, dessen unklare Ausführungen im Termin zur Eingangsberatung mit den Unterlagen erst einmal hätten in Einklang gebracht werden müssen. Dies ergibt sich bereits aus der Tatsache, dass der Kläger unterschiedliche, teilweise nicht nachvollziehbare und von der Behörde als unglaubhaft angesehene Angaben gemacht hatte. Dies hatte zur Folge, dass es nicht mehr um die bloße Herkunftsklärung im Zusammenhang mit zollrechtlichen Ausfuhrbestimmungen, sondern wegen der widersprüchlichen Angaben und Unklarheiten zu Anfangsermittlungen wegen des Verdachts der Geldwäsche kam. Der zuvor vom Kläger beauftragte Rechtsanwalt RA1 hatte Angaben gemacht, die später korrigiert werden mussten, wobei auch der Beklagtenvertreter an späterer Stelle erläutern musste, dass es sich bei einem bestimmten Teil der Einlassung um ein sprachliches Missverständnis gehandelt habe.

Der Anwalt darf nicht jede Darstellung des Mandanten ungeprüft als Einlassung weitergeben, um im Hinblick auf seine Pflicht zur effektiven Vertretung die Position des Mandanten nicht durch abwegige und widersprüchliche Einlassungen zu verschlechtern. Dabei hat die Einhaltung der die in § 43a BRAO geregelten Berufspflichten zu beachten. § 43a Abs. 3 S. 2 BRAO schreibt vor, dass der Rechtsanwalt sich bei seiner Berufsausübung der bewussten Verbreitung von Unwahrheiten zu enthalten hat. Dies gebietet besondere Sorgfalt. Zugleich muss der zur effektiven Interessenvertretung verpflichtete Rechtsanwalt darauf achten, dass seine Tätigkeit weder als Beihilfe zur Strafvereitelung gemäß §§ 258, 27 StGB noch als Begünstigung gemäß § 257 BGB oder einer Hilfeleistung en dazu (§§ 257,27 StGB) eingestuft werden könnte. All dies gebietet besondere Sorgfalt und erheblichen Aufwand, je nach der Art des Verhaltens des Mandanten. Dies nimmt erhebliche Zeit in Anspruch. Jedes Wort muss abgewogen werden. Die Akte muss mehrfach gelesen werden, gegebenenfalls muss hin und her geblättert werden. Mithin ist plausibel und glaubhaft, soweit der Beklagtenvertreter in diesem Zusammenhang erläutert hat, die Durchsicht der Akte sei vor dem Hintergrund der bisherigen Sachverhaltsdarstellung besonders kritisch vorzunehmen gewesen.

Der Einwand des Klägers, die Akten hätten sich zum Zeitpunkt der Einsicht aus einer Vielzahl von im Ergebnis bedeutungslos und Verfügungen zusammengesetzt, trifft zu. Hieraus folgt allerdings nicht, dass sich vermeintlich und unwichtige Teile des Akteninhaltes sich notwendig auf die Dauer des Aktenstudiums auswirken muss. Denn erst die genaue Durchsicht der Akte und die Erfassung des Sachverhaltes im Detail ermöglicht die Entscheidung welche Teile der Akte wichtig und welche unwichtig sind.

Handelt es sich um eine ihrem Aufbau und Struktur im Vergleich zu üblichen Behördenakten, insbesondere Gerichtsakten auch für den erfahrenen Rechtsanwalt um Akten mit besonderer Struktur und ungewöhnlichem Inhalt, so wirkt sich dies auch auf die Dauer der erforderlichen Durchsicht aus. Gleiches gilt für die vom Landgericht zugemessene Dauer für die Einarbeitung in die fremde, zollrechtliche Rechtsmaterie.

Insgesamt hält der Senat daher eine Dauer von 04:30 h für angemessen.“

Zur Wirksamkeit einer Zeithonorarvereinbarung, oder: Zwischenrechnungen und unzulässige Kombi-VV

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Heute am Gebührenfreitag stelle ich zunächst eine BGH-Entscheidung zur Vergütungsvereinbarung vor. Das BGH, Urt. v. 12.09.2024 – IX 65/23 – hängt leider schon länger in meinem Blogordner. Ich habe es bisher aber immer übersehen (wie kann man nur den BGH übersehen? 🙂 ).

In der Sache geht es um die Gebührenklage eines Rechtsanwalts auf Zahlung von Gebühren aus verschiedenen Mandaten im Erb- und Familienrecht. Insgesamt ist eine Vergütung von ca. 132.000 EUR eingeklagt worden. Im Wege der Aufrechnung bzw. Hilfswiderklage verlangte der Mandant 52.000 EUR Anwaltshonorar zurück, weil nach seiner Auffassung die zugrunde liegende Vergütungsvereinbarung unwirksam sei.

Der Rechtsanwalt hat in den Mandaten formularmäßig eine Vereinbarung verwendet, in der durch eine Kombination aus Stundensätzen und gesetzlicher Vergütung abrechnet. Zudem hatte er eine Auslagenpauschale, eine Einigungs- sowie eine Erfolgsgebühr vorgesehen.

Das LG hatte der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Das OLG hat die Klage in Höhe von rund 92.000 EUR nebst Zinsen abgewiesen und eine Hilfsaufrechnung in Höhe von rund 3.400 EUR als gegeben erachtet. Der BGH hat auf die Berufungen beider Parteien das Urteil aufgehoben und an das OLG zurück verweisen.

Ich will hier jetzt nicht die gesamte Begründung einstellen, sondern verweise auf die u.a. Leitsätze. Der BGH hat vor die Kombination des an sich zulässigen Stundensatzes mit einer Erhöhungsregelung sowie mit Einigungs- und Erfolgsgebühren beanstandet, das sei intransparent nach § 307 BGB. Das führte zur Unwirksamkeit der gesamten Gebührenvereinbarung, sodass nunmehr nach dem RVG abgerechnet werden müsse.

Die Leitsätze lauten:

1. Eine formularmäßig getroffene anwaltliche Zeithonorarabrede ist auch im Rechtsverkehr mit Verbrauchern nicht allein deshalb unwirksam, weil der Rechtsanwalt weder dem Mandanten vor Vertragsschluss zur Abschätzung der Größenordnung der Gesamtvergütung geeignete Informationen erteilt noch sich dazu verpflichtet hat, ihm während des laufenden Mandats in angemessenen Zeitabständen Zwischenrechnungen zu erteilen oder Aufstellungen zu übermitteln, welche die bis dahin aufgewandte Bearbeitungszeit ausweisen.

2. Ist eine formularmäßig getroffene anwaltliche Vergütungsvereinbarung aus AGB-rechtlichen Gründen insgesamt unwirksam, richten sich die Honoraransprüche des Rechtsanwalts nach den Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes.

Die Entscheidung sollte man als Rechtsanwalt lesen. Und zwar vor allem auch deshalb, weil sich der BGH mit dem EuGH, Urt. v. 12.01.2023 – C-395/21 befasst. Der hatte ja in ähnlichen Fällen Zwischenabrechnungen für erforderlich gehalten, damit der Mandant immer informiert ist,  welche Gebühren bisher angefallen sind. Das sieht der BGH weniger streng.

Nach Auffassung des BGH kann man aber die Bestimmung zur Erhöhung des Stundensatzes, zur Auslagenpauschale, zur Einigung- und zur Befriedigungsgebühr sowie die Streit- und Anerkenntnisklausel jedenfalls im Rechtsverkehr mit Verbrauchern nicht kombinieren.

StGB III: Vertretung mehrerer Gläubiger im InsolvenzV, oder: Parteiverrat wegen widerstreitender Interessen

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Und dann zum Schluss des Tages noch den OLG Celle, Beschl. v. 02.10.2024 – 3 ORs 18/24 – zum Parteiverrat nach § 356 StGB.

Dazu folgender Sachverhalt:  Das AG und das LG haben den Angeklagten wegen Parteiverrat (§ 356 StGB) verurteilt. Der Angeklagte war als Rechtsanwalt damit beauftragt, in einem eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der T. P. GmbH die Interessen der Gläubigerinnen M. H. GmbH und M. P. GmbH & Co. KG zu vertreten und deren Forderungen durchzusetzen. Der Angeklagte gewann den Eindruck, dass der Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin der Insolvenzmasse Vermögensteile vorenthielt und dass der vorläufige Insolvenzverwalter und der vorläufige Gläubigerausschuss ihre Funktionen nicht ordnungsgemäß ausübten. Der Angeklagte wollte deshalb in der anberaumten Gläubigerversammlung eine Neubesetzung des Gläubigerausschusses erreichen. Um über die dafür notwendige Anzahl an Stimmen zu verfügen, benötigte der Angeklagte Vollmachten von weiteren Gläubigern. Diese wurden erteilt.

Der Angeklagte teilte dem AG seine Teilnahme an der Gläubigerversammlung als Vertreter von insgesamt sieben Gläubigern, darunter die M. H. GmbH, die M. P. GmbH & Co. KG sowie die Gläubiger J. und K., an und fügte als Anhang die Dateien der unterschriebenen Vollmachten bei. Im Prüfungsteil der Gläubigerversammlung bestritt der Angeklagte für die M. P. GmbH & Co. KG diverse angemeldete Forderungen. Darunter befanden sich auch die Forderungen des Gläubigers K. in Höhe von insgesamt 56.031,29 EUR und des Gläubigers J. in Höhe von insgesamt 60.834,01 EUR. Der Insolvenzverwalter hatte die Hauptforderungen K. und J. nicht bestritten. Ohne die Handlung des Angeklagten wären die Hauptforderungen der Gläubiger K. und J. in die Insolvenztabelle aufgenommen worden und diese hätten insoweit Zahlungstitel erlangt. Die Revision gegen das Berufungsurteil des LG war erfolgreich.

Ich stelle hier nur die Leitsätze des OLG ein. Wegen der Einzelheiten verweise ich auf den recht umfangreich begründeten Beschluss des OLG. Also:

1. Zwar beurteilen sich die anvertrauten Interessen im Sinne von § 356 Abs. 1 StGB nach dem Inhalt des dem Rechtsanwalt erteilten Auftrags, der maßgeblich vom Willen der Partei gestaltet wird. Beruhen die Feststellungen hierzu aber auf einer Beweiswürdigung, die einseitig auf die Sichtweise der Auftraggeber abstellt, kann dies rechtsfehlerhaft sein. Denn das Anvertrautsein einer Angelegenheit erfordert auch die Annahme des Auftrags durch den Rechtsanwalt, wobei diese ausdrücklich oder durch schlüssige Erklärung erfolgen kann.

2. Vertritt ein Rechtsanwalt mehrere Gläubiger und bevorzugt, nachdem ein Interessenkonflikt zwischen ihnen zu Tage getreten ist, einen der Gläubiger vor den anderen, so scheidet eine rechtfertigende Pflichtenkollision aus. Denn darin läge ein Wertungswiderspruch zu Sinn und Zweck des § 356 Abs. 1 StGB, der das Vertrauen der Allgemeinheit in die Zuverlässigkeit und Integrität der Rechtsanwaltschaft schützt. Außerdem bestehen bei einer solchen Sachlage keine gleichrangingen Pflichten gegenüber verschiedenen Mandanten; vielmehr hat die Pflicht zur Niederlegung aller Mandate Vorrang.

 

StGB II: Aussteller der Urkunde existiert nicht, oder: Dennoch verkörperte Gedankenerklärung

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Und dann im zweiten StGB-Posting etwas zum Klassiker: Urkundenfälschung durch Unterzeichnung mit dem Namen einer nichtexistenten Person, und zwar den BayObLG, Beschl. v. 13.06.2024 – 202 StRR 15/24.

Dazu das BayObLG:

„Ebenfalls ohne Rechtsfehler ist das Landgericht im Fall II. 2.b (1) seiner Urteilsgründe (BU S. 9/10 Mitte einerseits, S. 55 unten andererseits) von einer mit dem versuchten Betrug tateinheitlich verwirklichten Urkundenfälschung in der Tatvariante des Herstellens einer unechten Urkunde (§ 267 Abs. 1 1. Alt. StGB) ausgegangen. Nach den insoweit relevanten Feststellungen der Berufungskammer ließ der Angeklagte zur Erlangung unberechtigter Provisionen über seinen Mittäter zwei Anträge auf Abschluss von Erwerbsunfähigkeitsversicherungen einreichen. Hierbei trug er in den Anträgen als versicherte Personen jeweils tatsächlich nicht existierende Personen mit Vor- und Familiennamen und allen notwendigen weiteren, ebenfalls frei erfundenen Personendaten in das Antragsformular ein. Die Anträge unterzeichnete er sodann eigenhändig mit Namenszügen dieser nicht existenten Personen.

Urkunde i.S.v. § 267 StGB ist jede verkörperte, aus sich heraus verständliche menschliche Gedankenerklärung, die ihren Aussteller erkennen lässt und geeignet und bestimmt ist, im Rechtsverkehr Beweis zu erbringen (st.Rspr.; vgl. neben BGH, Urt. v. 10.11.2022 – 5 StR 283/22 bei juris = BGHSt 67, 147 = NJW 2023, 1973 = NStZ 2023, 613 = BeckRS 2022, 31209 = JR 2023, 560 = GesR 2023, 372 = medstra 2023, 240 = MedR 2023, 975 zuletzt u.a. OLG Zweibrücken, Urt. v. 26.06.2023 – 1 OLG 2 Ss 33/22 bei juris = BeckRS 2023, 18320, jeweils m.w.N.). Eine Urkunde ist unecht, wenn sie nicht von demjenigen stammt, der aus ihr als Aussteller hervorgeht, d.h. wenn der Anschein erweckt wird, ihr Aussteller sei eine andere Person als diejenige, von der sie herrührt (st.Rspr., vgl. neben BGH, Urt. v. 10.11.2022 – 5 StR 283/22 [a.a.O.] u.a. BGH, Beschl. v. 19.11.2020 – 2 StR 358/20 bei juris = BeckRS 2020, 42039 und BayObLG, Beschl. v. 31.05.2023 – 207 StRR 294/22 = BeckRS 2023, 13344, jeweils m.w.N.).

Durch die Unterzeichnung eines Dokuments mit dem Namen einer nicht existenten Person als Aussteller verliert die verkörperte Gedankenerklärung jedoch nicht etwa die für jedwede Urkunde wesensnotwendige sog. Garantiefunktion deshalb, weil ihr (vermeintlicher) Aussteller nicht existent ist. Denn Aussteller ist auch in diesem Fall nach der sog. ‚Geistigkeitstheorie‘ (vgl. BGHSt 13, 382, 385) derjenige, von dem die Erklärung geistig herrührt. In Abgrenzung etwa zu den Fällen sog. ‚offener‘ oder ‚versteckter Anonymität‘ reicht es für die Tatbestandsverwirklichung deshalb aus, wenn die Urkunde den Anschein erweckt, dass eine individualisierbare Person (Behörde oder Unternehmen) als Aussteller für die Erklärung einsteht, was freilich nicht voraussetzt, dass diese Person auch tatsächlich existiert (vgl. neben BGH, Urt. v. 10.11.2022 – 5 StR 283/22 [a.a.O.] schon BGHSt 1, 117, 121; BGHSt 2, 50, 52 und BGHSt 5, 149, 150; ferner u.a. BGH, Urt. v. 27.09.2002 – 5 StR 97/02 bei juris = BeckRS 2002, 8612 = NStZ-RR 2003, 20 = wistra 2003, 20 = StraFo 2003, 101 = StV 2004, 25; OLG Celle, Beschl. v. 19.10.2007 – 32 Ss 90/07 bei juris = NStZ-RR 2008, 76 = BeckRS 2007, 19084; BeckOK-StGB/Weidemann [60. Edition – Stand: 01.02.2024] § 267 Rn. 13, 21 ff.; Fischer StGB 71. Aufl. § 267 Rn. 11, 30; Schönke/Schröder/Heine/Schuster StGB 30. Aufl. § 267 Rn. 49, jeweils m.w.N.).“