Ablehung von PKH wegen fehlender Erfolgsaussicht, oder: Ablehnungsbeschluss ist nicht anfechtbar

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Und dann die Gebührenentscheidungen am Freitag.

Ich starte zum Warmwerden mit dem BayObLG, Beschl. v. 30.04.2024 – 203 StObWs 150/24. Nicht direkt Gebühren, aber der Beschluss hat damit zu tun. Es geht um die Anfechtbarkeit der PKH-Entscheidung im Strafvollzugsverfahren. Da sagt das BayObLG: Nicht anfechtbar:

„Der Senat hat das Rechtsmittel aufgrund der ausdrücklichen Bezeichnung durch die Rechtsanwältin als Rechtsbeschwerde und hilfsweise als sofortige Beschwerde geprüft. Das Rechtsmittel gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer erweist sich als unzulässig.

1. Eine Rechtsbeschwerde nach § 116 Abs. 1 StVollzG wäre gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer nicht eröffnet, da sich das Tatgericht – insoweit auch rechtsfehlerfrei – isoliert mit dem ihm zur Entscheidung unterbreiteten Begehren des Antragstellers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe befasst hat.

2. Die sofortige Beschwerde gegen die Ablehnung der Gewährung von Prozesskostenhilfe ist ebenfalls unzulässig. Nach überwiegender obergerichtlicher Auffassung, der sich der Senat anschließt und die auch im Schrifttum Zustimmung erlangt hat, ist im Strafvollzugsverfahren ein die Bewilligung von Prozesskostenhilfe wegen mangelnder Erfolgsaussicht ablehnender Beschluss der Strafvollstreckungskammer ungeachtet des Verfahrenswerts nicht anfechtbar (vgl. OLG Bremen, Beschluss vom 12. Mai 2020 – 1 Ws 129/19 –, juris; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 25. März 2020 – 2 Ws 38/20 –, juris Rn. 7; OLG Koblenz, Beschluss vom 5. November 2019 – 2 Ws 627/19 Vollz –, juris Rn. 10; KG, Beschluss vom 16. Februar 2018 – 5 Ws 20/18 Vollz -, juris Rn. 2 ff.; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 18. Februar 2014 – 1 Ws 294/13-, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 4. Dezember 2012 – III-1 Vollz (Ws) 672/12-, juris; OLG Hamburg, Beschluss vom 17. November 2008 – 3 Vollz (Ws) 64/08 –, juris Rn. 8; OLG Naumburg, Beschluss vom 9. September 2003 – 1 Ws 275/03, juris; Spaniol in Feest/Lesting/Lindemann, Strafvollzugsgesetze, 8. Aufl., Teil IV § 120 StVollzG Rn. 21; Laubenthal in Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, StVollzG, 7. Aufl., 12. Kapitel § 120 Rn. 12; Euler in BeckOK Strafvollzug Bund, §120 StVollzG, 25. Ed., § 120 Rn. 11; Bachmann in Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel/Baier, Strafvollzugsgesetze, 13. Aufl., P § 120 StVollzG Rn. 140; diff. nach Beschwerdewert wohl Arloth/Krä, StVollzG, 5. Aufl. § 120 Rn. 7; diff. nach zulässig eingelegter Rechtsbeschwerde OLG Rostock, Beschluss vom 6. Februar 2012 – I Vollz [Ws] 3/12 – BeckRS 2012, 04285). Denn im Strafvollzugsverfahren ist gegen die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer keine weitere Tatsacheninstanz eröffnet (vgl. KG a.a.O.; OLG Hamburg a.a.O.).“

StPO III: Entfernung des Soldaten aus dem Dienst? oder: Missbrauchsverfahren nach § 153a StPO eingestellt

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Und als dritte Entscheidung dann noch etwas zu den Folgen einer Einstellung nach § 153a StPO. Die Entscheidung, es handelt sich um das BVerwG, Urt. v. 25.06.2024 – 2 WD 15.23 -, befasst sich mit einem Kindesmissbrauch durch einen Soldaten, der aufgrund dieses Missbrauchs aus dem Dienst etnfernt wird. Dagegen hatte der Soldat geklagt. Ohne Erfolg.

ich stelle hier nur den Leitsatz des BVerwG ein, soweit er § 153a StPO betrifft, das Strafverfahren gegen den Soldaten war nämlich nach § 153a StPO eingestellt worden. Dazu heißt es:

Die Einstellung eines Strafverfahrens wegen Kindesmissbrauchs nach § 153a Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StPO, hindert das Wehrdienstgericht nicht, den Soldaten wegen dieser Tat im Disziplinarverfahren aus dem Dienst zu entfernen.

Das darf man als Verteidiger bei der Beratung des Mandanten nicht aus den Augen verlieren. Im Übrigen verweise ich, vor allem wegen des Ausführungen des BVerwG zum Vorsatz, auf den Volltext.

StPO II: Einstellung der Einziehungsvollstreckung, oder: Sporadische erfolglose Vollstreckung

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Die zweite Entscheidung kommt dann auch noch einmal aus dem Bereich „Einziehung“.

Der Verurteilte ist im April 2018 wegen Steuerhinterziehung zu einer ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt worden. Außerdem wurde die Einziehung von Wertersatz i.H.v. 52.801,38 EUR angeordnet. Das Urteil ist rechtskräftig. Die Staatsanwaltschaft leitete daraufhin die Vollstreckung ein, um die Verfahrenskosten und den Wertersatz beizutreiben. Dabei hatte sie nur insoweit Erfolg, als sie vom mittlerweile in die Türkei ausgewanderten Verurteilten bei dessen Wiedereinreise über den Berliner Flughafen am 26.01.2023 200 EUR an Bargeld zugunsten des Finanzamtes beschlagnahmen konnte.

Der Verurteilte bezieht in der Türkei eine Rente von 11.367,62 Türkischen Lira (entspricht aktuell rund 310 EUR), sowie eine deutsche Rente von 423,80 EUR. Beide werden nicht gepfändet. Inländisches Vermögen ist nicht bekannt.

Mit E-Mail vom 23.04.2024 beantragte der Verurteilte unter Vorlage von Belegen bei der Staatsanwaltschaft einen Zahlungserlass. Er sei mittellos, von den beiden Renten könne er sich in der Türkei nicht einmal eine Mietwohnung leisten und er werde auch künftig nicht in der Lage sein, den geforderten Betrag zu bezahlen. Auf Aufforderung der Staatsanwaltschaft machte er sodann weitere Angaben zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen, die seine Mittellosigkeit bestätigten.

Die Staatsanwaltschaft lehnte den Antrag ab und legte die Sache dem LG vor. Sie beantragte, den Antrag auf Einstellung der Vollstreckung abzulehnen. Das LG ist dem im LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 06.08.2024 – 12 KLs 505 Js 871/18 – gefolgt:.

„1. Die Kammer war als Gericht des ersten Rechtszugs zur Entscheidung berufen (§ 459g Abs. 5, § 462 Abs. 1 Satz 1, § 462a Abs. 1, 2 Satz 1 StPO).

2. Der Antrag ist nach § 459g Abs. 5 StPO n.F. (also i.d.F. vom 25. Juni 2021) zu beurteilen. Es handelt sich bei dieser Vorschrift im Kern um eine verfahrensrechtliche Bestimmung, für die die Regelungen über die Anwendung des milderen Rechts (§ 2 Abs. 3, 4 StGB) keine Anwendung finden (KG, Beschluss vom 7. Juni 2024 – 5 Ws 47/24-161 GWs 24/24, juris Rn. 6; OLG Nürnberg, Beschluss vom 31. Mai 2023 – Ws 307/23, juris Rn. 13; OLG Hamburg, Beschluss vom 5. Januar 2023 – 5 Ws 52/22, juris Rn. 11 ff.; OLG Stuttgart, Beschluss vom 20. Dezember 2022 – 4 Ws 514/22, juris Rn. 18; Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, StPO, 67. Aufl., § 459g Rn. 13c m.w.N. auch zur a.A.).

3. Anders als in den Vorgängerfassungen des § 459g Abs. 5 StPO n.F. reicht es für die Einstellung der Vollstreckung nicht mehr aus, dass der Wert des Erlangten – was hier der Fall zu sein scheint – nicht mehr im Vermögen des Betroffenen vorhanden ist. Ausweislich der Gesetzesbegründung sei die frühere gesetzliche Einordnung des Falls, dass der Wert des Erlangten nicht mehr im Vermögen des Einziehungsadressaten vorhanden sei (§ 459g Abs. 5 Satz 1 StPO a.F.), als unverhältnismäßig zu weitgehend gewesen. Sie widerspreche der Zielsetzung, durch Straftaten erlangtes Vermögen effektiv abzuschöpfen und den Wertungen des Bereicherungsrechts. Soweit der Wertersatzeinziehung die Funktion zukomme, eine durch die Begehung einer Straftat geschaffene rechtswidrige Vermögenslage zu beseitigen, führe die zwischenzeitliche Entreicherung durch Verbrauch des Erlangten – wozu auch die hier ersparten Aufwendungen für die Einkommensteuer gehören (vgl. Fischer, StGB, 71. Aufl., § 73 Rn. 18 m.w.N.) – im Grundsatz nicht zur Unverhältnismäßigkeit der Vollstreckung. Die Annahme einer Unverhältnismäßigkeit würde nämlich denjenigen privilegieren, der die Tatbeute schnell verbrauche. Der Straftäter könnte sich alleine dadurch der Vollstreckung der Einziehungsentscheidung entziehen, dass er den erlangten Vermögenswert schnell ausgebe (BT-Drs. 19/27654, S. 111). Dem Übermaßverbot werde durch die Pfändungsschutzvorschriften ausreichend Rechnung getragen (vgl. § 459 Abs. 1 Satz 2 StPO, § 6 Abs. 1 Nr. 1 JBeitrG, § 850 ff. ZPO), sodass als unverhältnismäßig im Wesentlichen die Fälle in Betracht kämen, in denen das vom Gesetz zugrunde gelegte Bedürfnis der Vermögensordnung stark herabgesetzt sei, beispielsweise, weil der Einziehungsadressat das Erlangte auf schicksalhafte und nicht von ihm zu vertretende Weise (etwa infolge schwerer Krankheit) verloren habe (BT-Drs. 19/27654, S. 112). Derlei ist hier weder vorgetragen noch ersichtlich.

Mit Blick auf ihre tatsächliche Durchführung ist die Vollstreckung aber auch sonst nicht unverhältnismäßig. Denn sie findet quasi nur virtuell statt. Auf die laufenden deutschen Rentenbezüge des Antragstellers – die auch mit der türkischen Rente zusammengerechnet die Pfändungsfreigrenzen des deutschen Rechts unterschreitet (vgl. § 54 Abs. 4 SGB I mit § 850c ZPO) – greift die Staatsanwaltschaft nicht zu. Die diffizile Frage, ob und inwieweit mit Blick auf den türkischen Wohnort des Antragstellers und die dort möglicherweise niedrigeren Lebenshaltungskosten ein Abschlag von den Pfändungsfreigrenzen vorzunehmen sein könnte (vgl. dazu etwa LG Kaiserslautern, Beschluss vom 26. Mai 2023 – 5 T 37/23, juris Rn. 23 ff.), hat die Staatsanwaltschaft bislang nicht zum Nachteil des Antragstellers aufgegriffen. Die einzige Gefahr, die dem Antragsteller aktuell droht, liegt darin, dass er bei einer Wiedereinreise in die Bundesrepublik wegen der aktiven Fahndung zur Einziehung von Taterträgen aufgegriffen wird. Diese Gefahr hat sich seit Einleitung der Vollstreckung vor rund sechs Jahren bislang einmalig realisiert, wobei 200 € beschlagnahmt wurden. Das mag dem Antragsteller lästig gefallen sein. Zu einer ernstlichen Beeinträchtigung seiner Lebensführung im Alltag führte das Vorgehen der Staatsanwaltschaft bislang jedoch nicht. Treffen die Ausführungen des Antragstellers zu seinen Vermögensverhältnissen zu, so hat er auch in Zukunft keine einschneidenden Beeinträchtigungen durch die Vollstreckungsbemühungen der Staatsanwaltschaft zu befürchten.

In der praktischen Handhabung stellt sich der Sachverhalt fast als Anwendungsfall des § 459g Abs. 5 Satz 2 StPO dar, der ähnlich auch schon in der alten Fassung der Norm geregelt war. Danach wird die Vollstreckung wieder aufgenommen, wenn Umstände bekannt werden oder eintreten, die einer Einstellung der Vollstreckung entgegenstehen, insbesondere, weil der Vollstreckungsschuldner doch Vermögen hat oder solches erwirbt (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, StPO, 67. Aufl., § 459g Rn. 14; KK-StPO/Appl, 9. Aufl., § 459g Rn. 19). Das entspricht – bis auf das Erfordernis der gerichtlichen Anordnung – dem hiesigen Vorgehen. Denn die ansonsten ruhende Vollstreckung wird nur beim Aufgreifen des Antragstellers im Inland und nur in dem Fall aktiviert, dass er pfändbare Wertsachen bei sich führt.

StPO I: Subjektives Einziehungsverfahren eingestellt, oder: Gibt es ein Rechtsmittel?

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Der Oberbegriff ist heute: Einstellung. Zwei der drei vorgestellten Entscheidungen aus dem Bereich befassen sich mit der Einstellung von Einziehung(smaßnahmen), eine mit den Folgen einer Einstellung nach § 153a StPO.

Dem OLG Köln, Beschl. v. 12.07.2024 – 3 Ws 55/24 – liegt folgender Sachverhalt zurgunde: Die Staatsanwaltschaft hat unter dem 01.07.2022 Anklage gegen den Angeklagten u.a. wegen Steuerhinterziehung in 15 besonders schweren Fällen, erhoben. Die Hauptverhandlung hat am 18.09.2023 zu laufen begonnen. Nachdem zwischenzeitlich Zweifel an der Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten aufgetreten waren, hat die Staatsanwaltschaft in dem Hauptverhandlungstermin vom 14.06.2024 beantragt, das Verfahren aufgrund einer bestehenden dauerhaften Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten einzustellen. Dies hat sie verbunden mit dem Antrag, das subjektive Verfahren nach Anklageerhebung wegen Unmöglichkeit der weiteren Durchführung des subjektiven Verfahrens gemäß § 435 Abs. 2 StPO in das objektive Verfahren überzuleiten und im Wege des selbständigen Einziehungsverfahrens gemäß §§ 435, 436 Abs. 2, § 434 Abs. 3 StPO auf Grund mündlicher Verhandlung durch Urteil zu entscheiden, dass gegen den Angeklagten die Einziehung eines Geldbetrages in Höhe von 43.447.499,97 EUR angeordnet werde. Diesen Antrag hat das LG in der Hauptverhandlung vom 19.06.2024 durch Kammerbeschluss zurückgewiesen. Zum einen sei aufgrund des bisherigen Ermittlungsstandes die Anordnung einer späteren Einziehung entgegen § 435 Abs. 1 Satz 1 StPO noch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten, da noch weitere Ermittlungen – wie die Staatsanwaltschaft selbst in ihrem Antrag ausgeführt habe – anzustellen seien. Eine Überleitung vom subjektiven in das objektive Verfahren komme aber auch deshalb nicht in Betracht, weil der hierin liegende Zweck, Beweisergebnisse aus dem subjektiven Verfahren zu sichern und für das Einziehungsverfahren fruchtbar zu machen, nicht erzielt werden könne. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Angeklagte der bisherigen Hauptverhandlung teilweise in verhandlungsunfähigem Zustand beigewohnt habe. Da das Ausmaß nicht quantifizierbar sei, müsse die bisherige Beweisaufnahme auch bei Fortführung des bisherigen Verfahrens als objektives wiederholt werden. Aus diesem Grunde komme auch nicht in Betracht, dass die Kammer die bislang fehlenden Ermittlungen – bezogen auf die Anordnung der (Wertersatz)Einziehung – selbst vornehme. Diese habe die Staatsanwaltschaft durchzuführen. In Bezug auf ein etwaiges im Anschluss beantragtes selbständiges Einziehungsverfahren werde dann zu prüfen sein, ob dessen Voraussetzungen vorlägen.

Hiergegen richtet sich das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft. Das hatte keinen Erfolg:

„1. Die gegen den Beschluss vom 19.06.2024 gerichtete (sofortige) Beschwerde erweist sich gemäß § 305 Satz 1 StPO als unzulässig.

a) Nach § 305 Satz 1 StPO unterliegen Entscheidungen, die der Urteilsfällung vorausgehen und – wie hier – nicht dem Anwendungsbereich des Satzes 2 der Regelung unterfallen, nicht der Beschwerde. Diese Einschränkung des Beschwerderechts erfasst Entscheidungen, die in einem inneren Zusammenhang mit dem Urteil stehen und ausschließlich seiner Vorbereitung dienen. Dies ist nicht nur bei Maßnahmen gegeben, die unmittelbar Grundlagen für die Entscheidung in der Sache selbst schaffen sollen; auch Anordnungen, die darauf abzielen, die Abwicklung des Verfahrens in sonstiger Weise zu fördern und es der abschließenden Sachentscheidung näher zu bringen, weisen einen inneren Zusammenhang mit der Urteilsfällung auf, der zum Ausschluss der Anfechtbarkeit führt (KG, Beschluss vom 10.05.2012 – 4 Ws 42/12, NStZ-RR 2013, 218, 219). Weitere Voraussetzung für den Ausschluss der Beschwerde ist zudem, dass sich die Bedeutung der vorbereitenden Entscheidung auf das Urteil beschränkt. Entfaltet sie hingegen eine über die Urteilsfindung hinausgehende prozessuale Bedeutung bzw. selbständige Beschwer eines Verfahrensbeteiligten, ist die Entscheidung anfechtbar (OLG Hamburg, Beschluss vom 07.04.2020 – 5 Ws 20-21/20, StV 2020, 458, 459; OLG Bamberg, Beschluss vom 01.10.2018 – 1 Ws 479/18, BeckRS 2018, 28946; Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 305 Rn. 1; MüKoStPO/Neuheuser, 2. Aufl., § 305 Rn. 15).

b) Gemessen an diesen Maßstäben gilt:

aa) Gegenstand des angefochtenen Beschlusses ist – entsprechend dem vorangegangenen Antrag der Staatsanwaltschaft vom 14.06.2024 – allein die Entscheidung, das subjektive Verfahren zeitnah abzuschließen und nicht (unmittelbar) als objektives Verfahren weiterzuführen bzw. fortzusetzen.

Hierin liegt nicht auch eine Entscheidung über die Nichteröffnung des objektiven Verfahrens im Sinne von § 435 Abs. 3 Satz 1, § 204 Abs. 1 StPO. Eine derartige Entscheidung ist lediglich dann zu treffen, wenn der Antrag auf Durchführung des objektiven Verfahrens außerhalb des subjektiven Verfahrens gestellt wird. Die von der Rechtsprechung anerkannte und vom Gesetzgeber gebilligte (vgl. BT-Drucks. 18/9525, S. 91; vgl. auch bereits BR-Drucks. 418/16, S. 103) Möglichkeit, unmittelbar von Letzterem in das objektive Verfahren übergehen zu können (vgl. nur BGH, Urteil vom 23.07.1969 – 3 StR 326/68, BGHSt 23,64, 66 f.; KK-StPO/Schmidt/Scheuß, 9. Aufl., § 435 Rn. 18) stellt insoweit eine gesetzlich nicht geregelte Ausnahme von dem in § 435 Abs. 3 Satz 1 StPO vorgesehen Regelverfahren dar, wonach es vor der Entscheidung über die Anordnung der Einziehung der Durchführung eines Zwischenverfahrens mit einer Eröffnungsentscheidung (§ 435 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. §§ 203 f. StPO) bedarf. Hinter dieser Rechtsprechung steht die Erwägung, die im subjektiven Verfahren bereits durchgeführte Beweisaufnahme im Sinne der Prozessökonomie nicht stets wiederholen zu müssen, sondern die Entscheidung im objektiven Verfahren hierauf aufbauen zu können (BGH, Urteil vom 23.07.1969 – 3 StR 326/68, BGHSt 23,64, 66). Die verfahrenstechnische Möglichkeit des nahtlosen Übergangs vom subjektiven in das objektive Verfahren mit einer entsprechenden Modifikation des Verfahrensgegenstandes entspricht insoweit der prozessualen Konstellation bei der Nachtragsanklage (§ 266 Abs. 1 StPO), in deren Rahmen ebenfalls auf die Durchführung des Zwischenverfahrens (§§ 199 ff. StPO) verzichtet wird, der Verfahrensgegenstand gleichwohl durch die Einbeziehung der Nachtragsanklage erweitert und insoweit auf bereits erzielte Beweisergebnisse zurückgegriffen werden kann. Auch in diesem Fall stellt die gerichtliche Entscheidung über die (Nicht)Einbeziehung der Nachtragsanklage keine Entscheidung nach den §§ 203, 204 StPO dar. Dies gilt selbst dann, wenn das Gericht die Einbeziehung deshalb ablehnt, weil es hinsichtlich der zur Nachtragsanklage gebrachten Tat keinen hinreichenden Tatverdacht erkennt. Die Wirkung des Nichteinbeziehungsbeschlusses erstreckt sich insoweit ausschließlich auf das bestehende Hauptverfahren. Da es sich nicht um einen Beschluss nach § 204 StPO, sondern nach § 266 Abs. 1 StPO handelt, entfaltet dieser auch nicht die Sperrwirkung des § 211 StPO (Meyer-Goßner, JR 1984, 53; MüKoStPO/Nourouzi, 2. Aufl., § 266 Rn. 23; LR/Stuckenberg, StPO, 27. Aufl., § 266 Rn. 41; Radtke/Hohmann/Radtke, StPO, § 266 Rn. 34; SK-StPO/Velten, 5. Aufl., § 266 Rn. 7, 24; iE ebenso Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 266 Rn. 21a; aA BeckOK StPO/Eschelbach, 51. Ed., § 266 Rn. 31; Hilger, JR 1983, 442), sodass die Staatsanwaltschaft die betreffende Tat ungeachtet von dessen Vorgaben im Nachgang noch zur Anklage bringen kann. Bezogen auf den hier vorliegenden Antrag auf Übergang vom subjektiven in das objektive Verfahren folgt hieraus, dass für die Staatsanwaltschaft mithin die erneute Antragstellung nach § 435 StPO im Regelverfahren uneingeschränkt möglich bleibt.

bb) Die angefochtene Entscheidung hat darauf abgezielt, das gegen den Angeklagten geführte (subjektive) Verfahren einem zeitnahen Abschluss zuzuführen. Ebenso wie die § 305 Satz 1 StPO unterfallenden Entscheidungen über die Abtrennung oder Verbindung von Verfahrensteilen, die Aussetzung eines Verfahren zum Zwecke seiner Förderung in der Gesamtheit (vgl. hierzu etwa OLG Hamm, Beschluss vom 09.02.1999 – 2 Ws 46/99, StraFo 1999, 236, 237; OLG Köln, Beschluss vom 15.07.2005 – 2 Ws 223/05, BeckRS 2005, 152921 Rn. 8; OLG Brandenburg, Beschluss vom 02.07.2008 – 1 Ws 107/08, BeckRS 2008, 23446; KG, Beschluss vom 10.05.2012 – 4 Ws 42/12, NStZ-RR 2013, 218, 219; KK-StPO/MüKoStPO/Neuheuser, 2. Aufl., § 305 Rn. 17) oder auch die Entscheidung über die Nichteinbeziehung einer Nachtragsanklage (vgl. etwa Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 266 Rn. 24) hat das Landgericht mit dem angefochtenen Beschluss demnach eine die weitere Verfahrensgestaltung betreffende Entscheidung getroffen, die auf Grundlage des Vorstehenden dem Prozessurteil vom 24.06.2024 sachlich und zeitlich vorgelagert gewesen ist….“

StPO III: Verfahrensrüge nach Berufungsverwerfung, oder: Corona-Selbsttest genügt ggf. nicht

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Und zum Schluss des Tages dann noch etwas aus Bayern, und zwar den BayObLG, Beschl. v. 04.06.2024 – 203 StRR 212/24.

Das LG hat die Berufung des vom AG wegen Betruges in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilten Angeklagten nach § 329 Abs. 1 StPO nach der Einholung einer ärztlichen Stellungnahme verworfen, weil er unentschuldigt trotz ordnungsgemäßer Ladung in dem Termin zur Hauptverhandlung am 12.12.2023 ausgeblieben war. Eine vom Verteidiger am Vormittag des Terminstages vorgelegte ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 11.12.2023, die auf fernmündlichen Angaben des Angeklagten beruhe und eine Mandelentzündung bescheinige, die schriftliche Mitteilung des Angeklagten vom 11.12.2023, wonach er an „39.8 Fieber Husten Gliederschmerzen Kopfschmerzen“ leide und corona positiv im Bett läge und ein vom Angeklagten stammendes Lichtbild, das zwei Covid-19-Testbehälter sowie Teststreifen mit jeweils zwei Strichen, den handschriftlich aufgebrachten Namen des Angeklagten und das Datum „11.12.2023“ zeigen würde, könnten den Angeklagten nicht entschuldigen, nachdem ein Telefonat des Vorsitzenden mit dem ausstellenden Arzt ergeben hätte, dass sich der Angeklagte lediglich telefonisch krank gemeldet und gegenüber dem Arzt von einer Coronaerkrankung nichts erwähnt hätte. Nach der Beurteilung des Arztes wäre es dem Angeklagten ausgehend von den geschilderten Symptomen aus medizinischer Sicht möglich gewesen, zum Termin anzureisen und an der Verhandlung teilzunehmen.

Dagegen die Revision des Angeklagten, die keinen Erfolg hatte. Da wir mit den Fragen immer wieder zu tun haben, stelle ich nur die Leitsätte vor; die Einzelheiten dann bitte in dem wie immer umfangreich begründeten Beschluss selbst nachlesen:

1. Will die Revision mit ihrer Rüge einer Verletzung von § 329 Abs. 1 StPO im Falle einer Erkrankung des Angeklagten eine unrichtige Beurteilung der Entschuldigung geltend machen, hat sie die Tatsachen darzulegen, aus denen sich ergeben soll, dass dem Angeklagten das Erscheinen unmöglich oder unzumutbar war und das Berufungsgericht von diesem Entschuldigungsgrund Kenntnis hatte. In der Revision genügt allein die Mitteilung einer ärztlichen Bescheinigung einer Arbeitsunfähigkeit ohne belastbare Aussagen zum Krankheitszustand diesen Anforderungen nicht.

2. Der Vortrag der Revision, es sei nicht ausgeschlossen, dass die Ergebnisse von Corona-Selbsttests vom Angeklagten herrührten, genügt nicht, um eine Verletzung von § 329 Abs. 1 StPO nach § 344 Abs. 2 S. 2 StPO hinreichend bestimmt zu behaupten. Die Revision muss Verfahrensverstöße als Tatsachen, nicht als bloße Möglichkeiten darstellen.

Na ja, hätte man m.E. auch anders sehen können. Mit Corona in die HV? Ich weiß nicht.