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Neuigkeiten zum CanG/KCanG III: Einziehung, oder: Überschreiten der erlaubten nicht geringen Menge

entnommen wikimedia.org
Author H. Zell

Und dann habe ich hier noch eine Entscheidung zur Einziehung, und zwar den AG Bautzen, Beschl. v. 27.05.2024 – 47 Gs 409/24. In ihm geht es um den Umfang dr Einziehung (von Cannabispflanzen) bei Überschreitung der nicht geringen Menge.

Folgender Sachverhalt:

„Kurz vor dem 12.5.2024 baute der über 18 Jahre alte Beschuldigte in seiner Wohnung auf dem Anwesen pp..straße 21 in pp. vier weibliche Cannabispflanzen zum Eigenkonsum an, welche am 12.5.2024 in einem eigens dafür errichteten Anbauzelt in der Wohnung jeweils in einem Gefäß aufbewahrt wurden. Daneben bewahrte der Beschuldigte 47,494g Cannabisblüten in zwei Gläsern in einem Küchenschrank auf. Sowohl die vier Pflanzen als auch die beiden Gefäße mit den Cannabisblüten wurden durch die Polizei sichergestellt. Dem Beschuldigten war bewusst, dass er für den Anbau von mehr als 3 Cannabispflanzen eine Erlaubnis hatte.

Diese Handlungen strafbar als unerlaubter Anbau von Cannabis gemäß §§ 1, 2 Abs. 1 Nr. 2, 34 Abs. 1 Nr. 2a, 37 KCanG, 74 StGB.

Der Beschuldigte hat die Herausgabe sämtlicher von der Polizei sichergestellten im Tenor bezeichneten Gegenstände verlangt.“

Dazu sagt das AG:

„1. Die Beschlagnahme war nach §§ 94, 98 Abs. 2 i.V.m. § 111b, 111c, 111j Abs. 2 StPO für eine Cannabispflanze richterlich zu bestätigen, da die (vierte) Cannabispflanze nebst Pflanztopf sowohl als Beweismittel dient, als auch der späteren Einziehung im Hauptverfahren nach § 37 KCanG, § 74 StGB unterliegt.

Die angeordnete Maßnahme steht auch im angemessenen Verhältnis zur Schwere der Tat sowie zur Stärke des Tatverdachtes und ist für die weiteren Ermittlungen und die Sicherung der Durchführung des Verfahrens notwendig.

2. Der weitergehende Antrag der Staatsanwaltschaft auf richterliche Bestätigung der Beschlagnahme der sichergestellten drei weiteren Cannabispflanzen und der beiden Glasbehälter mit den Cannabisblüten war indes abzulehnen, da keine gesetzliche Grundlage für diesen Eingriff in die nach Art. 2 Abs. 1, Art. 14 GG geschützten Freiheiten besteht.

a) Beschlagnahme als Einziehungsgegenstand:

Nach der mit dem CanG getroffenen gesetzgeberischen Entscheidung zur Neuausrichtung im Umgang mit Cannabis sind in gewissen Grenzen unter anderem Besitz und Anbau von Cannabis erlaubt. Damit einhergehend stehen diese erlaubten Tätigkeiten auch nicht (mehr) unter Strafe. Konkret ist nach § 3 Abs. 2 Satz 1 KCanG der Besitz von bis zu 50 g Cannabis am Wohnsitz (Buchst. a) und der Besitz von bis zu drei lebenden Cannabispflanzen (Buchst. b) erlaubt. Das Additionsverbot von § 3 Abs. 2 Satz 2 KCanG erfasst nicht die Gegenstände und Mengen nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Buchst. a und b KCanG.

Anders als die Staatsanwaltschaft ist das Gericht nicht der Auffassung, dass sich die dem Beschuldigten zur Last gelegte Tat des unerlaubten Anbaus von Cannabis auf alle vier lebenden Cannabispflanzen bezieht und damit alle vier Pflanzen der Beschlagnahme (zur Sicherung der späteren Einziehung) unterliegen. Der Anbau von bis zu drei Cannabispflanzen gleichzeitig zum Eigenkonsum ist nicht nur gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 2 KCanG straflos, sondern nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b KCanG gesetzlich erlaubt. Die in diesem Rahmen erlaubte Tätigkeit wird nicht dadurch insgesamt zur unerlaubten Tätigkeit, da die erlaubte Menge (hier um eine lebende Cannabispflanze) überschritten wird. Eine derartige Auslegung wäre nach Auffassung des Gerichts contra legem. Gleiches gilt im Ergebnis beim Zusammentreffen des Besitzes der nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 KCanG erlaubten Menge mit dem gleichzeitigen Anbau von bis zu drei lebenden Cannabispflanzen zum Eigenkonsum, da das Additionsverbot insoweit nicht eingreift.

Das Gericht ist sich durchaus bewusst, dass dies im Ergebnis dazu führen dürfte, dass die Ermittlungsbehörden die erlaubten Mengen Cannabis abwägen bzw. abzählen und beim Beschuldigten belassen oder an zurückgeben werden müssen.

b) Beschlagnahme als Beweisgegenstand:

Eine Beschlagnahme der drei weiteren Cannabispflanzen und der 47,494g Cannabisblüten nach §§ 94, 98 Abs. 2 StPO als Beweisgegenstand kommt ebenfalls nicht in Betracht. Die Staatsanwaltschaft hat bereits nicht vorgetragen, zu welchen Beweiszwecken diese Gegenstände im Strafverfahren Verwendung finden sollen. Es zeigt sich auch nicht als erforderlich, die Gegenstände als potentielle Beweismittel vorerst im staatlichen Gewahrsam zu belassen. Denn eine fotografische Sicherung der Gegenstände ist erfolgt. Nach den Ausführungen der Mitbeschuldigten besteht auch kein Zweifel daran, dass es sich jeweils um Cannabis bzw. Cannabispflanzen handelt. Auch hat der Beschuldigte dies dadurch zum Ausdruck gebracht, dass er „sein Cannabis“ zurückgefordert hat.

c) Nicht geringe Menge:

Eine Beschlagnahme zu Beweiszwecken käme uneingeschränkt für alle Gegenstände dann in Betracht, wenn sich der Verdacht bestehen würde, dass der Beschuldigte eine nicht geringe Menge (§ 34 Abs. 3 Satz 1 und 2 Nr. 4 KCanG) besessen und angebaut hat. Ausgehend von der aktuellen Rechtsprechung des BGH (Beschluss vom 18.04.2024 – 1StR 106/24) liegt die nicht geringe Menge weiterhin bei 7,5 g THC. Die sichergestellte Menge erlaubt jedoch unter Berücksichtigung eines durchschnittlichen THC-Gehalts von 10 % nicht den Schluss, dass die nicht geringe Menge vorliegend überschritten wurde. Einer solcher Verdachtsrichtung geht auch die Staatsanwaltschaft nicht nach.

Es kommt daher insoweit auch nicht auf die Frage an, ob im Falle einer nicht geringen Menge die gesamte Menge der Einziehung nach § 37 KCanG i.V.m. § 74 StGB und damit einer vorläufigen Beschlagnahme als potentieller Einziehungsgegenstand unterliegen würde oder ob die Einziehung sich nicht auf die Cannabisgegenstände beziehen kann, die keine nicht geringe Menge sind und deren Gewicht bzw. Zahl unterhalb der Freigrenzen nach § 3 Abs. 1 und 2 KCanG liegen.“

KCanG I: Einziehung von sichergestelltem Marihuana, oder: Bisschen schnell geschossen…

Und zum Start in die 24. KW zwei Entscheidungen zum neuen KcanG.

Nun ja, nicht ganz, denn in der ersten Entscheidung, dem LG Hagen, Beschl. v. 21.05.2024 – 40 Qs 18/24 – hat die Kammer die Frage der Auswirkungen des KCanG auf die Einziehung elegant 🙂 offen lassen können. Sie ist aber dennoch (auch) im Zusammenhang mit dem KCanG interessant.

Das AG hatte in einem Beschluss vom 22.04.2024 die Einziehung von sichergestellten 19,05 Gramm Marihuana nebst Verpackungsmaterial angeordnet. Dagegen hatte der Verteidiger sofortige Beschwerde eingelgt wurde. Im Einzelnen ging es um folgenden Sachverhalt:

Der ehemalige Angeklagte sowie ein Mitangeklagter wurden am 14.07.2023 in Iserlohn kontrolliert, wobei insgesamt 19,05 Gramm (netto) Marihuana sichergestellt wurden.

Das Marihuana war nach ihren Angaben zum Eigenkonsum bestimmt. Aufgrund dessen erhob die Staatsanwaltschaft am 31.08.2023 Anklage zum Amtsgericht – Strafrichter – Iserlohn, wobei die Anklageschrift bezüglich der beabsichtigten Einziehung wie folgt formuliert war: „Die nachfolgend aufgeführten Gegenstände unterliegen der Einziehung: sichergestellte Betäubungsmittel samt Verpackungsmaterial“

Nachdem die Anklageschrift am 07.10.2023 unverändert zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet wurde, wurde die Hauptverhandlung schließlich auf den 02.04.2024 anberaumt. Die Hauptverhandlung vom 02.04.2024 endete mit der Aussetzung des Verfahrens. Der zuständige Amtsrichter teilte unter dem 03.04.2024 seine Rechtsansicht gegenüber der Staatsanwaltschaft Hagen mit, wonach der in der Anklageschrift geschilderte Tatvorwurf des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln nicht mehr strafbar sei und eine Einstellung nach § 206b StPO beabsichtigt sei. Eine Einziehungsentscheidung sei nicht möglich, da § 37 KCanG nicht einschlägig sei.

Nach diesen Ausführungen beantragte die Staatsanwaltschaft am 15.04.2024 die sichergestellten 19,05 Gramm (netto) Marihuana gemäß § 435 StPO in Verbindung mit § 37 KCanG in Verbindung mit § 74a Nr. 2 StPO einzuziehen. Dies ergebe sich daraus, dass der Beschwerdeführer sowie der Mitangeklagte pp. nach Aktenlage eingeräumt hätten, dass sie das Marihuana von einer unbekannten Person gekauft hätten. Diese Person habe sich mithin wegen unerlaubten Handeltreibens mit Cannabis gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG strafbar gemacht. Dadurch, dass die Cannabinoide bei dieser Person hätten eingezogen werden können, sei gemäß § 74a Nr. 2 StGB in Verbindung mit § 37 KCanG auch eine Einziehung beim Angeklagten sowie dem Mitangeklagten pp. möglich.

Ohne den Angeklagten oder seinem Verteidiger diesen Antrag zu übersenden, erließ das Amtsgericht am 22.04.2024 den o.a. Beschluss. Gegen den wurde Rechtsmittel eingelegt. Das hatte Erfolg:

1. Das Verfahren leidet bereits an einem nicht mehr behebbaren Verfahrenshindernis. Denn das Amtsgericht Iserlohn hat entgegen §§ 435 Abs. 3, 203 StPO im selbstständigen Einziehungsverfahren durch Beschluss entschieden, ohne zuvor über die Eröffnung des Einziehungsverfahrens zu entscheiden und eine förmliche Beteiligung des Beschwerdeführers herbeizuführen. Das selbstständige Einziehungsverfahren setzt über §§ 435 Abs. 3, 203 StPO voraus, dass das Gericht durch eine Willenserklärung deutlich macht, ob es den Antrag auf Durchführung des (selbstständigen) Einziehungsverfahrens zulässt (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 01.11.2021 – 4 Ws 80/21, 4 Ws 80/21161 AR 186/21, Rn. 3 ff, juris; OLG Oldenburg, Beschluss vom 10.08.2020 -1 Ws 265/20, Rn. 9 ff., juris). Dies ist vorliegend unterblieben.

Das Amtsgericht hat lediglich die ursprüngliche Anklageschrift, in der die Betäubungsmittel nur abstrakt als Einziehungsgegenstand benannt wurden, eröffnet, nicht hingegen das später seitens der Staatsanwaltschaft beantragte selbstständige Einziehungsverfahren. Es existiert auch keine konkludente Eröffnungsentscheidung, vielmehr hat das Amtsgericht ohne weiteren Verfahrensschritt nach Eingang des Antrags der Staatsanwaltschaft entschieden. Abgesehen von der Tatsache, dass das Verfahren somit bereits unter einem erheblichen Verfahrensfehler leidet, wurde dem Beschwerdeführer hierdurch jegliches rechtliche Gehör verwehrt.

Der Verzicht auf eine Eröffnungsentscheidung ist nur in engen Grenzen möglich, nämlich dann, wenn das Gericht durch Urteil eine Entscheidung ausspricht und hierin eine selbstständige Einziehungsentscheidung vornimmt, da in diesen Fällen das subjektive Strafverfahren auch objektiv wirkt und die Vorschriften für das selbstständige Einziehungsverfahren insoweit keine Anwendung finden (vgl. BGH, Beschluss vom 23.05.2023 – GSSt 1/23, Rn. 29, juris). Wird allerdings – wie im vorliegenden Fall -die Hauptverhandlung ausgesetzt und gerade keine Entscheidung durch Urteil getroffen, ist es dem Amtsgericht verwehrt, ohne Berücksichtigung der strafprozessualen Voraussetzungen in das selbstständige Einziehungsverfahren zu wechseln und unmittelbar zu entscheiden (vgl. Gaede in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Auflage, § 435 StPO, Rn. 61).

Durch die erfolgte Einziehungsentscheidung des Amtsgerichts Iserlohn ist ein nicht mehr behebbares Verfahrenshindernis eingetreten. Die Kammer kann weder die Eröffnungsentscheidung nachholen noch die Sache insoweit zurückverweisen (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 01.11.2021 – 4 Ws 80/21, 4 Ws 80/21161 AR 186/21, Rn. 6, juris; OLG Bamberg, Beschluss vom 08.02.2019 – 1 Ws 165/1, Rn. 4, juris).

2. Auf die materiell-rechtliche Frage der Möglichkeit einer Einziehung über § 74a Nr. 2 StGB kam mithin es nicht mehr an.“

Tja. bisschen schnell geschossen das AG 🙂 .

Anwalt II: Zweimal etwas zum Beiordnungsgrund, oder: Schwere Rechtsfolge oder psychiatrisches Gutachten

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Und dann hier im Mittagsposting zwei Entscheidungen zu den Beiordnungsgründen, und zwar:

Von einer schweren Rechtsfolge ist ab einer Straferwartung von mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe auszugehen, wobei auch schwerwiegende mittelbare Nachteile, wie ggf. eine Bewährungswiderruf und eine Ablehnung des Antrags auf Aufhebung der Führungsaufsicht in anderer Sache zu berücksichtigen sind.

Liegt ausweislich eines psychiatrischen Gutachtens bei dem Angeschuldigten eine seelische Behinderung, nämlich eine psychotische Störung durch multiplen Substanzgebrauch (F19.5) vorm die ihn nach der Bewertung der Ärztin daran hindert seine Angelegenheiten in Bezug auf die Vermögenssorge, die Vertretung gegenüber Ämtern, Behörden und der Krankenkasse, die Vertretung in Wohnungsangelegenheiten, die Geltendmachung von Ansprüchen auf Sozialleistungen, die Hilfe im Insolvenzverfahren sowie die Gesundheitssorge selbst zu besorgen, ist Unfähigkeit zur Selbstverteidigung zu bejahen.

StPO III: Mal wieder etwas zum letzten Wort vom BGH, oder: Gewährung von genügend Vorbereitungszeit

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Und dann noch die angekündigte Entscheidung des BGH zum letzten Wort. Es handelt sich um den BGH, Beschl. v. 18.04.2024 – 6 StR 545/23 – mit der Problemati: Genügend Vorbereitungszeit für das letzte Wort?

Das LG hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von fünf Jahren verurteilt. Mit seiner Rüge rügt der Angeklagte eine Verletzung des § 258 Abs. 1 StPO.

Dem liegt folgender Verfahrensgang zugrunde: Dem Angeklagten war mit der Anklageschrift versuchter Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil des Adhäsionsklägers H. und gefährliche Körperverletzung zum Nachteil einer weiteren Geschädigten vorgeworfen worden. Der Strafkammervorsitzende terminierte die Hauptverhandlung auf drei Sitzungstage.

Am 2. Sitzungstag erteilte der Vorsitzende um 14:47 Uhr einen rechtlichen Hinweis; demzufolge sollte hinsichtlich der Tat zum Nachteil des Adhäsionsklägers auch eine Verurteilung wegen „tateinheitlichen versuchten Mordes gemäß § 211 Abs. 2 Var. 4 und 5 StGB  – sonstiger niedriger Beweggrund bzw. Heimtücke – in Betracht kommen. Die Vorschrift wurde verlesen, ein Haftbefehl verkündet und der Angeklagte um 14:56 Uhr im Saal verhaftet. Im Haftbefehl wurde der Tatvorwurf zu Fall 1 der Anklageschrift dahin konkretisiert, dass der Angeklagte die ihm zur Last gelegten Messerstiche in Richtung des Oberkörpers des sich „keines Angriffs versehenen und deshalb wehrlosen“ Adhäsionsklägers geführt habe. Ein vom Verteidiger daraufhin gestellter Aussetzungsantrag, gestützt auf die wegen des verschärften Tatvorwurfs notwendige Vorbereitungszeit, wurde zurückgewiesen und auch die hilfsweise begehrte Unterbrechung für die Dauer von einer Woche abgelehnt. Es seien keine neuen Tatsachen oder tatsächlichen Verhältnisse in der Hauptverhandlung aufgetreten, die der Angeklagte nicht bereits der Anklageschrift oder dem Eröffnungsbeschluss habe entnehmen können. Die Hauptverhandlung wurde um 15:16 Uhr bis zum nächsten Sitzungstag unterbrochen.

Am Morgen des folgenden Tages wurde die Hauptverhandlung fortgesetzt. Nach weiteren Beweiserhebungen, insbesondere Vernehmungen von Zeugen und Sachverständigen, wurde die Beweisaufnahme „im allseitigen Einverständnis“ geschlossen. Der Verteidiger beantragte um 14:15 Uhr zur Vorbereitung auf den Schlussvortrag eine Unterbrechung der Hauptverhandlung bis zu einem weiteren, noch abzustimmenden Sitzungstag. Er sehe sich eingedenk des Verfahrensablaufs, namentlich des gerichtlichen Hinweises, der Verhaftung seines Mandanten im Sitzungssaal und der bis 14:10 Uhr durchgeführten Beweisaufnahme nicht in der Lage, sachgerecht zu plädieren. Den Antrag wies der Vorsitzende unter Hinweis auf die Gründe der abgelehnten Aussetzung vom vorangegangenen Sitzungstag zurück. Es seien „netto drei Stunden“ verhandelt worden, sodass keine Gründe ersichtlich seien, die einen Schlussvortrag nicht zuließen. Diese Anordnung wurde von der Kammer sodann bestätigt. Nach den Schlussvorträgen wurde das angefochtene Urteil verkündet.

Und es kommt, was m.E. kommen musste: Der BGH hat aufgehoben:

„2. Die Rüge der Verletzung des § 258 Abs. 1 StPO ist begründet. Auf die ebenfalls beanstandeten mehrfachen Verletzungen des § 265 Abs. 1 StPO kommt es deshalb ebenso wie auf die sachlich-rechtlichen Beanstandungen nicht an.

a) Der Angeklagte erhält durch § 258 Abs. 1 StPO das Recht, nach Beendigung der Beweisaufnahme und vor der endgültigen Entscheidung des Gerichts zum gesamten Sachverhalt und zu allen Rechtsfragen des Verfahrens Stellung zu nehmen. Die Vorschrift dient damit unmittelbar der Gewährleistung des durch Art. 103 Abs. 1 GG garantierten Anspruchs auf rechtliches Gehör (vgl. BVerfGE 54, 140, 141 f.; Remmert in Dürig/Herzog/Scholz, GG, 103. EL, Art. 103 Abs. 1 Rn. 66). Zur Ausübung dessen kann der Angeklagte sich – wie in § 258 Abs. 3 StPO vorausgesetzt – eines Verteidigers bedienen (vgl. KK-StPO/Tiemann, 9. Aufl., § 258 Rn. 5). Dieses Recht erschöpft sich aufgrund seiner überragenden Bedeutung nicht in der bloßen Möglichkeit zur Äußerung; vielmehr muss den Verfahrensbeteiligten eine wirksame Ausübung ermöglicht werden (vgl. BeckOK-StPO/Eschelbach, 50. Ed., § 258 Rn. 14; MüKo-StPO/Niehaus, 2. Aufl., § 258 Rn. 7). Das Gericht ist daher dazu verpflichtet, angemessene Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Verfahrensbeteiligten einen Schlussvortrag in der Weise halten können, wie sie ihn für sachdienlich erachten (vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. März 1989 – 5 StR 120/88, BGHR StPO § 258 Abs. 1 Schlussvortrag 1; vom 24. Januar 2023 – 3 StR 80/22, NStZ 2023, 437).

Dabei steht es indes nicht im Belieben der Verfahrensbeteiligten, ob und in welchem Umfang eine Vorbereitungszeit zu gewähren ist. Was dazu erforderlich ist, bestimmt sich vielmehr nach den Umständen des Einzelfalls. Danach kann es je nach Umfang und Dauer der Hauptverhandlung sowie dem konkreten Prozessverlauf notwendig sein, zur Ausarbeitung der Schlussvorträge eine angemessene Vorbereitungszeit einzuräumen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. März 1989 – 5 StR 120/88, aaO; vom 11. Mai 2005 – 2 StR 150/05, NStZ 2005, 650; vom 24. Januar 2023 – 3 StR 80/22, NStZ 2023, 437; LR/Esser, StPO, 27. Aufl., Art. 6 EMRK Rn. 887 mwN). Ob und gegebenenfalls in welchem Umfang diese zu gewähren ist, hat das Tatgericht nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, wenn die Verfahrensbeteiligten eine Vorbereitungszeit verlangen. Für die Beurteilung der Angemessenheit derselben kann neben der Komplexität und dem Umfang der Sach- und Rechtslage insbesondere auch relevant sein, dass die Verfahrensbeteiligten bereits zuvor auf den anstehenden Schluss der Beweisaufnahme hingewiesen wurden oder aus anderen Gründen damit rechnen mussten, ihre Plädoyers halten zu müssen (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 21. März 1989 – 5 StR 120/88, aaO); in diesem Fall können sie die Zeit zwischen den Hauptverhandlungsterminen bereits zur Vorbereitung ihrer Vorträge und gegebenenfalls erforderlichen Besprechung und Abstimmung mit dem Mandanten nutzen, sodass die Notwendigkeit einer (weiteren) Unterbrechung ganz entfallen oder jedenfalls ihre Dauer kürzer zu bemessen sein kann (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Januar 2023 – 3 StR 80/22, aaO).

b) Die vollständige Versagung einer Vorbereitungszeit erweist sich hier als rechtsfehlerhaft.

Zwar konnten die Verfahrensbeteiligten ursprünglich davon ausgehen, dass am letzten von drei terminierten Hauptverhandlungstagen die Beweisaufnahme geschlossen wird und die Schlussvorträge zu halten sind. Da aber entgegen der Ladungsverfügung (§ 214 Abs. 1 StPO) am letzten Sitzungstag ab 9:30 Uhr unter anderem mehrere Zeugen und zwei Sachverständige vernommen wurden, durfte die Strafkammer von den Verfahrensbeteiligten nicht bereits wegen der ursprünglichen Terminierung verlangen, unmittelbar nach dem Schluss der Beweisaufnahme den Verfahrensstoff sachgerecht aufbereitet zu haben (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Juli 2020 – 5 StR 236/20, NStZ 2021, 56). Dies gilt erst recht mit Blick darauf, dass der Angeklagte erst am Ende des zweiten von drei Sitzungstagen auf den gravierend verschärften Tatvorwurf des versuchten Mordes hingewiesen und zeitgleich im Saal verhaftet worden war.

Unvertretbar aber war die Versagung jedweder Unterbrechung jedenfalls in der Zusammenschau mit der Bedeutung der Aussage des am letzten Sitzungstag vernommenen Zeugen B. . Dessen Angaben waren nicht allein für den Tötungsvorsatz bedeutsam; besondere Relevanz kam ihnen ausweislich der Urteilsgründe (UA S. 17) und der Anklageschrift (S. 22) für das Tötungsmotiv zu. Damit bestand ein unmittelbarer Zusammenhang zu dem Hinweis auf eine Verurteilung des Angeklagten wegen des höchststrafwürdigen Tötungsverbrechens eines versuchten Mordes aus niedrigen Beweggründen (§ 211 Abs. 2 StGB), der trotz der seit der Anklageerhebung unveränderten Sachlage erst tags zuvor erteilt worden war.

c) Das Urteil beruht auf dem dargelegten Verfahrensfehler (§ 337 Abs. 1 StPO). Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Inhalt eines sachgerecht vorbereiteten Schlussvortrags ein für den Angeklagten günstigeres Ergebnis bewirkt hätte.“

StPO I: Encrochat-/ANOM-/SkyECC-Daten und KCanG, oder: OLG Stuttgart/LG Saarbrücken ggf. unverwertbar

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Heute gibt es hier dann einen StPO-Tag, und zwar mit einer Entscheidung zu EncroChat bzw. zur Frage der Verwertbarkeit von Encrochat-/ANOM-/SkyECC-Chats-Daten nach Inkrafttreten des KCanG, sowie einem zur Durchsuchung und dann als letztes etwas zum letzten Wort..

Ich beginne mit den Encrochat-/ANOM-/SkyECC-Chats-Daten Dazu stelle ich zwei Entscheidungen vor, allerdings nur jeweils kurz mit den entscheidenden Passagen der Entscheidungen, denn die allgemeinen Fragen der Vewertung dieser Daten waren ja schon oft genug Gegenstand der Berichterstattung.

Bei der ersten Entscheidung handelt es sich um den OLG Stuttgart, Beschl. v. 22.04.2024 – H 4 Ws 123/24. Ergangen ist die Entscheidung in einem Haftprüfungsverfahren. Gegenstand des Verfahrens sind Vorwürfe des Verstoßes gegen das BtMG. Das OLG hat wegen eines Teils der Vorwürfe den dringen Tatverdacht auf der Grundlage von ANOM-Daten bejaht, wegen eines anderen Teils führt es aus:

„Es kann deshalb dahinstehen und bleibt dem Ergebnis der Hauptverhandlung vorbehalten, ob ein dringender Tatverdacht auch bezüglich der im Haftbefehl unter Ziff. I.1, 3 und 5 bezeichneten Tatvorwürfe gegeben ist. Für die Prüfung der Verwertbarkeit der aufgrund des ANOM-Chatverkehrs gewonnenen Daten ist auf den Erkenntnisstand im Zeitpunkt der Verwertung der Beweisergebnisse abzustellen; es kommt mithin insoweit nicht auf die Rekonstruktion der Verdachtslage im (hypothetischen) Anordnungszeitpunkt, sondern auf die Informationslage im Verwendungszeitpunkt an (BGH a.a.O., Rn. 70). Nach vorläufiger Wertung liegt eine Katalogtat im Sinne des § 100b Abs. 2 Nr. 5a StPO in der seit dem 1. April 2024 gültigen Fassung, der nur Straftaten gemäß § 34 Abs. 4 Nr. 1, Nr. 3 oder Nr. 4 Konsumcannabisgesetz (KCanG) erfasst, nicht vor. Eine Verwendung der zulässig erlangten Beweise als Zufallserkenntnisse zum Nachweis von mit Katalogtaten in Zusammenhang stehenden Nichtkatalogtaten ist nur zulässig, wenn zwischen diesen Tateinheit im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB bzw. Tatidentität im Sinne des § 264 StPO gegeben ist (BGH, Urteil vom 14. August 2009 – 3 StR 552/08, juris Rn. 27 unter Verweis auf BGH, Urteil vom 30. August 1978 – 3 StR 255/78, NJW 1979, 990; BGH, Urteil vom 22. Dezember 1981 – 5 StR 540/81, NStZ 1982, 125; BGH, Beschluss vom 18. März 1998 – 5 StR 693/97, juris Rn. 7 f.).“

Und dann der LG Saarbrücken, Beschl. v. 03.06.2024 – 4 KLs 28 Js 140/23 (16/24). Ergangen ist der Beschluss in einen Verfahren wegen BtM-Handels. Die Strafkammer hat mit dem Beschluss einen Antrag der Staatsanwaltschaft, auf Verlesung von in einem Beweisantrag näher bezeichneten SkyECC-Chats abgelehnt (und den Angeklagten anschließend frei gesprochen:

„So liegt der Fall hier: Die Anklageschrift bezieht sich lediglich auf Taten des Handeltreibens mit Cannabis. Das Handeltreiben mit Cannabis ist nach der am 1. April 2024 in Kraft getretenen gesetzlichen Neuregelung durch das Gesetz zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften (Cannabisgesetz — CanG) nicht mehr als Katalogtat des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nach § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG einzuordnen, sondern als Handeltreiben mit Cannabis in den besonders schweren Fällen der Gewerbsmäßigkeit und der nicht geringen Menge nach § 34 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 Nr. 1 und 4 KCanG. Dies stellt jedoch keine Katalogtat des § 100b Abs 2 StPO dar, da lediglich die in § 34 Abs. 4 Nr. 1, 3 und 4 KCanG aufgeführten Taten in die Aufzählung der Katalogtaten aufgenommen wurden (vgl. § 100b Abs. 2 Nr. 5a StPO; so auch KG Berlin, Beschluss v. 30.04.2024, 5 Ws 67/24).“