„Das Landgericht hat mit der nichtöffentlichen Vernehmung der Nebenklägerin am sechsten Hauptverhandlungstag die Öffentlichkeit gesetzeswidrig beschränkt (§ 338 Nr. 6 StPO).
1. Die strafrechtliche Hauptverhandlung ist grundsätzlich öffentlich (§ 169 GVG). Die Öffentlichkeit kann nur ausnahmsweise nach Maßgabe der §§ 171 ff. GVG ausgeschlossen werden. Stets ist hierfür nach § 174 Abs. 1 Satz 2 GVG ein Beschluss des erkennenden Gerichts notwendig. Dies gilt auch, wenn ein Zeuge in der laufenden Hauptverhandlung – nach seiner Entlassung (§ 248 StPO) – erneut unter Ausschluss der Öffentlichkeit vernommen werden soll. Der erforderliche neue Beschluss kann nicht durch eine Anordnung des Vorsitzenden ersetzt werden, in der auf einen vorangegangenen, die Öffentlichkeit ausschließenden, Beschluss Bezug genommen wird (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 5. Juni 2018 – 5 StR 159/18, NStZ 2018, 679; vom 9. April 2013 – 5 StR 612/12, NStZ 2013, 479, 480).
Da die Nebenklägerin nach ihrer ersten nichtöffentlichen Vernehmung am dritten Hauptverhandlungstag nach § 248 StPO entlassen worden war, hätte das Landgericht vor ihrer erneuten nichtöffentlichen Zeugenvernehmung am sechsten Hauptverhandlungstag einen weiteren Beschluss über den Ausschluss der Öffentlichkeit nach § 174 Abs. 1 Satz 2 StPO treffen müssen. Angesichts des zeitlichen Ablaufs war ein neuerlicher Gerichtsbeschluss auch nicht ausnahmsweise entbehrlich. Denn eine solche Ausnahme kann nur in ganz engen zeitlichen Grenzen in Betracht kommen, etwa wenn die Entlassung des Zeugen sofort zurückgenommen und sich die erneute Vernehmung zusammen mit der vorausgegangenen als eine einheitliche Vernehmung darstellt (vgl. hierzu BGH, Beschlüsse vom 17. August 2011 – 5 StR 263/11; vom 30. Oktober 2007 – 3 StR 410/07, NStZ 2008, 476, 477). So liegt der Fall hier indes nicht.
Danach liegt ein Verstoß gegen die Vorschriften über die Öffentlichkeit vor, der den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 6 StPO begründet.
2. Trotz des eindeutigen Wortlauts des § 338 Nr. 6 StPO hat der Bundesgerichtshof allerdings für zwei Fallkonstellationen entschieden, dass im Einzelfall ein Verstoß, der nur das Verfahren über den Ausschluss betrifft und (in der Sache) nicht zu deren unzulässiger Beschränkung führt, keinen absoluten Revisionsgrund darstellt. Voraussetzung hierfür ist aber, dass auf der Grundlage eines sicher feststehenden Verfahrensablaufs eine unzulässige Beschränkung der Öffentlichkeit auszuschließen ist und der Ausschlussgrund für alle Verfahrensbeteiligten und die Öffentlichkeit eindeutig zu erkennen war (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Mai 2019 – 4 StR 605/18, BGHSt 64, 64, 67). Der hier zu beurteilende Fall liegt jedoch anders und rechtfertigt eine einschränkende Auslegung der Vorschrift des § 338 Nr. 6 StPO nicht.
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs schadet es nicht, wenn das Gericht – unter den genannten Voraussetzungen – in dem die Öffentlichkeit ausschließenden Beschluss (§ 174 Abs. 1 Satz 2 GVG) entgegen § 174 Abs. 1 Satz 3 GVG keinen Grund hierfür angibt (vgl. BGH, Urteil vom 9. Juni 1999 – 1 StR 325/98, BGHSt 45, 117, 119 f.). Die eine restriktive Anwendung des § 338 Nr. 6 StPO rechtfertigende Fallkonstellation ist hier maßgeblich davon gekennzeichnet, dass ein nach § 174 Abs. 1 Satz 2 GVG erforderlicher Beschluss des erkennenden Gerichts vorliegt, dem es lediglich an der Begründung mangelt. In dem hier zu entscheidenden Fall fehlt es aber schon an einem Gerichtsbeschluss über das Ob des Öffentlichkeitsausschlusses und damit an der Verantwortungsübernahme des erkennenden Gerichts in seiner Gesamtheit für die nichtöffentliche Vernehmung der Nebenklägerin.
b) Für den Fall des Fehlens des von § 174 Abs. 1 Satz 2 GVG vorgeschrieben Gerichtsbeschlusses hat der Bundesgerichtshof eine restriktive Auslegung des § 338 Nr. 6 StPO bislang nur für den Ausschluss der Öffentlichkeit für die Schlussanträge (§ 171b Abs. 2 Satz 3 GVG) angenommen (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Mai 2019 – 4 StR 605/18, BGHSt 64, 64, 67 ff.). Dies beruht auf folgenden Erwägungen: War die Öffentlichkeit von der Verhandlung wegen einer in § 171b Abs. 2 GVG genannten Straftat ganz oder teilweise ausgeschlossen, ist sie nach § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG für die Schlussanträge zwingend auszuschließen, ohne dass es eines hierauf gerichteten Antrags bedarf. Die Regelung lässt dem Gericht mithin weder zum Ob eines Ausschlusses noch zu dessen Umfang einen Ermessensspielraum. Vielmehr muss die Öffentlichkeit ohne weiteres für die gesamten Schlussvorträge ausgeschlossen werden, wenn die Hauptverhandlung auch nur teilweise unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden hat. Diese Folge steht ab dem Öffentlichkeitsausschluss für alle Verfahrensbeteiligten und die Öffentlichkeit fest (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Mai 2019 – 4 StR 605/18, BGHSt 64, 64, 68).
Ein derartiger tatbestandlicher Rückbezug auf eine feststehende innerprozessuale Tatsache lässt sich der Regelung des § 171b Abs. 3 Satz 1 GVG indes nicht entnehmen. Anders als § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG setzt sie schon einen hierauf gerichteten Antrag voraus, was – wie der hier zu entscheidende Fall zeigt – eine Auslegung von Prozesserklärungen der Personen erfordern kann, deren Lebensbereich von der Verhandlung betroffen ist (vgl. zur Auslegungsfähigkeit von Prozesserklärungen BGH, Beschlüsse vom 26. September 2019 – 5 StR 206/19, StraFo 2020, 72, 74; vom 10. Juli 1984 – 1 StR 13/84, BGHSt 32, 394, 400). Zudem müssen die Voraussetzungen von § 171b Abs. 1 oder 2 GVG vorliegen. Jedenfalls für die hier vorliegende Fallkonstellation des § 171b Abs. 1 GVG steht dem Gericht ein Ermessenspielraum zu. Denn es muss selbst beim Vorliegen eines Antrags auf Ausschließung der Öffentlichkeit der in ihrem Lebensbereich betroffenen Person deren schutzwürdige Belange mit dem Interesse der Allgemeinheit an der öffentlichen Erörterung der inmitten stehenden Umstände abwägen (§ 171b Abs. 1 Satz 1 und 2 GVG). Das erkennende Gericht muss deshalb in seiner Gesamtheit die Verantwortung für den Öffentlichkeitsausschluss durch die Fassung eines Beschlusses nach § 174 Abs. 1 Satz 2 GVG übernehmen. Mit Blick auf die hohe Bedeutung der Öffentlichkeitsmaxime im demokratischen Rechtsstaat (vgl. BVerfG, Urteil vom 24. Januar 2001 – 1 BvR 2623/95, NJW 2001, 1633, 1635) ist daher nicht zu rechtfertigen, die Vorschrift des § 338 Nr. 6 StPO auch für die Fälle des zwingenden Ausschlusses nach § 171b Abs. 3 Satz 1 GVG restriktiv anzuwenden (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Januar 2021 – 2 StR 188/20, NStZ 2021, 760). Selbst wenn es angesichts der Besonderheiten des hier zu beurteilenden Verfahrensgeschehens nicht nahegelegen haben mag, dass die Strafkammer in ihrer Gesamtheit eine andere Entscheidung als ihr Vorsitzender getroffen hätte, handelt es sich bei dem gesetzlich vorgesehenen Beschlusserfordernis nicht um eine „bloße Förmlichkeit“ (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 9. Mai 2018 – 2 StR 543/17 Rn. 10, BGHR StPO § 338 Nr. 6 Ausschluss 7).
Ist ein Zeuge nach seiner ersten nichtöffentlichen Vernehmung nach § 248 StPO entlassen worden war, muss das Tatgericht vor seiner erneuten nichtöffentlichen Zeugenvernehmung einen weiteren Beschluss über den Ausschluss der Öffentlichkeit treffen. Eine Ausnahme kann nur in ganz engen zeitlichen Grenzen in Betracht kommen, etwa wenn die Entlassung des Zeugen sofort zurückgenommen und sich die erneute Vernehmung zusammen mit der vorausgegangenen als eine einheitliche Vernehmung darstellt.