Archiv der Kategorie: Ermittlungsverfahren

StPO II: Zeitliche Grenze des Vollzugs eines Arrestes, oder: Es gilt nur das Übermaßverbot

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Die zweite Entscheidung kommt vom OLG Hamm. Im OLG Hamm, Beschl. v. 23.06.2022 – 5 Ws 94/22 – hat das OLG (noch einmal) Stellung zur Aufrechterhaltung eines Arrestes und zu dessen (zeitlicher) Verhältnismäßigkeit Stellung genommen,

Gegen den beschuldigten wird wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung ermittelt.Auf entsprechenden Antrag der Staatsanwaltschaft hat das AG Arnsberg einen Vermögensarrest in Höhe von 510.193,63 EUR in das bewegliche und unbewegliche Vermögen des Beschuldigten angeordnet. In Folge der Corona-Pandemie wurden in dem Ermittlungsverfahren zunächst weder vorgesehene Durchsuchungen durchgeführt, noch der Arrestbeschluss dem Beschuldigten zugestellt und vollzogen. Dies geschah erst Ende August 2021. Der Beschuldigte hat dann mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 26.08.2021 Beschwerde gegen den Arrestbeschluss eingelegt, der das AG mit Beschluss vom 31.08.2021 nicht abgeholfen hat. Mit Beschluss vom 28.12.2021 hat die Strafkammer des LG teilweise aufgehoben, Es geht im Übrigen aber davon aus, dass der Vollzug der „Restbeschlussess“ (noch) verhältnismäßig ist. Dagegen die weitere Beschwerde, die beim OLG keinen Erfolg hatte. Das führt u.a. aus:

„4. Der angeordnete Arrest ist auch verhältnismäßig.

Bei der Frage, ob sich der weitere Vollzug eines Vermögensarrests als verhältnismäßig erweist, ist neben der Schwere des Tatvorwurfs sowie des Verdachtsgrads die zeitliche Dauer der Arrestierungsmaßnahme sowie die damit für den Einziehungsadressaten verbundenen Belastungen zu berücksichtigen (vgl. Köhler in: Meyer-Goßner/Schmitt, 65. Aufl., 2022, StPO, § 111e, Rn. 8 f.; BVerfG, Beschluss vom 07.07.2006 2 BvR 583/06 -).

In zeitlicher Hinsicht ist der Vermögensarrest allein an dem allgemeinen Übermaßverbot zu messen. Dabei ist von Verfassungswegen zu beachten, dass dem Betroffenen auch durch eine vorläufige Maßnahme ein erheblicher Nachteil zugefügt werden kann und der Eigentumseingriff sich mit dem Umfang und der Fortdauer der Maßnahme intensiviert. Eine gesetzliche Bestimmung zu zeitlichen Grenzen des Vollzugs eines Arrestes gibt es demgegenüber seit der ersatzlosen Streichung des § 111b Abs. 3 StPO a.F. nicht mehr (vgl. BT-Drs. 18/9525 S. 49; OLG Nürnberg, Beschluss vom 31. August 2021 – Ws 718/21 -, juris; OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 14.06.2018 – 3 Ws 425/17 -, beck online; OLG Köln, Beschluss vom 10. 2. 2004 – 2 Ws 704/03 -, beck online; Köhler in: Meyer-Goßner/ Schmitt, 65. Aufl., 2022, § 111e Rn. 9; Uber in: Beck-OK, StPO, 43. Edition, Stand: 01.04.2022, § 111f Rn. 1; Spillecke in Karlsruher Kommentar, StPO, 8. Aufl., 2019, § 111e Rn. 9). Insbesondere enthält auch die Verweisung des § 111 f Abs. 1 S. 2 StPO eine Verweisung auf § 929 Abs. 2 ZPO, der für den zivilrechtlichen Arrest eine Vollziehungsfrist von einem Monat vorsieht, gerade nicht. Eine analoge Anwendung des § 929 Abs. 2 ZPO kommt bereits mangels planwidriger Regelungslücke nicht in Betracht. Denn ausweislich der Gesetzesbegründung wurde § 111b Abs. 3 StPO a.F. vor dem Hintergrund aufgehoben, dass es sich bei dessen Regelung um eine Ausprägung des allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gehandelt habe, welcher bereits von Verfassungswegen zu berücksichtigen sei, sodass der Schutz der Betroffenen durch die Aufhebung der Vorschrift nicht beeinträchtigt werde (vgl. BT-Drs. 18/9529 S. 49). Dies verdeutlicht, dass sich der Gesetzgeber des Wegfalls der Frist für die Vollziehung des Arrestes bewusst gewesen ist. Eine entsprechende Anwendung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Durchsuchungsbeschlüssen (BVerfG, Beschluss vom 27.05.1997 – 2 BvR 1992/92 -, beck online) hat das Landgericht aufgrund der strukturellen Unterschiede mit zutreffender Begründung ebenfalls abgelehnt. So begründet das Bundesverfassungsgericht seine Rechtsprechung maßgeblich damit, dass der Richter bei Erlass einer Durchsuchungsanordnung einen gegenwärtigen Sachverhalt beurteile, eine erst in großem zeitlichen Abstand durchgeführte Maßnahme jedoch nicht mehr dem Entscheidungsgegenstand entspreche, da sich mit Zeitablauf die tatsächliche Entscheidungsgrundlage von dem Entscheidungsinhalt entferne (vgl. BVerfG a.a.O.) Im Vergleich zu den Voraussetzungen für den Erlass einer Durchsuchungsanordnung stellt sich der dem Erlass eines Arrestes zugrunde liegende Sachverhalt jedoch als regelmäßig weniger dynamisch dar. Zudem ist – anders als bei einer bereits vollzogenen Durchsuchung – die Gewährung effektiven Rechtsschutzes gegen einen Arrestbefehl regelmäßig möglich. Soweit demgegenüber teilweise die Ansicht vertreten wird, der strafrechtliche Vermögensarrest habe einer Vollziehungsfrist zu unterliegen (vgl. Cordes, NZWiSt 2021, 45, der entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Durchsuchungsbeschlüssen eine sechsmonatige Frist anwenden will; vgl. Buchholz/Weber, NZWiSt 2020, 306, nach deren Auffassung § 929 ZPO analog anzuwenden ist; vgl. Bittmann in: Münchener Kommentar, StPO, 1. Aufl. 2014, § 111d Rn. 14, der die Voraussetzung eines Versuches einer Vollstreckung binnen Monatsfrist befürwortet), wird dies – soweit ersichtlich – zudem ausschließlich im Rahmen von Rechtsbehelfen im Vollstreckungsverfahren gemäß § 111k Abs. 3 StPO diskutiert und befürwortet (vgl. Buchholz / Weber a.a.O.).

Am Maßstab des allgemeinen Übermaßverbots gemessen erweist sich der vorliegende Arrest insbesondere auch in zeitlicher Hinsicht als verhältnismäßig. Es handelt sich um einen erheblichen Tatvorwurf, für den fundierte Indizien bestehen. Seit der Zustellung des Arrestbeschlusses im August 2021 – zuvor hatte der Arrest sich mangels Zustellung und Kenntnis des Beschuldigten von diesem sich nicht grundrechtseinschränkend ausgewirkt – ist das Ermittlungsverfahren mit der gebotenen Beschleunigung geführt worden. Anhaltspunkte für seitens der Justiz verursachte Verzögerungen bestehen nicht.“

StPO I: U-Haft und Einholung eines SV-Gutachtens, oder: Beschleunigungsgrundsatz verletzt?

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Heute dann ein StPO-Tag, und zwar mit zwei OLG-Entscheidungen und einer LG-Entscheiudung zu Zwangsmaßnahmen. In allen geht es um die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme.

Ich beginne mit dem OLG Saarbrücken, Beschl. v. 06.07.2022 – 4 Ws 201/22 -, der sich mit U-Haft befasst. Der Angeklagte hatte gegen einen Haftbefehl Rechtsmittel eingelegt. Der Angeklagte wurde am 03.01.2022 vorläufig festgenommen und befindet sich seit dem 04.01.2022 ununterbrochen in Untersuchungshaft. Am 10. 06.2022 hat die Hauptverhandlung gegen die Angeklagten begonnen; diese dauert weiter an.

In der Sitzung vom 29.06.2022 hat der Verteidiger des Angeklagten Beschwerde gegen den Haftbefehl eingelegt. In dieser Sitzung – dem dritten Termin zur Hauptverhandlung – hat sich der Angeklagte – wie auch der Mitangeklagte K. – erstmals eingelassen und insbesondere Angaben zu seinem Betäubungsmittelkonsum gemacht. Beide Angeklagte haben sich bereit erklärt, aktiv an einer Exploration mitzuwirken und die sie behandelnden Ärzte von ihrer Schweigepflicht entbunden. Daraufhin wurden weitere Hauptverhandlungstermine bis zum 06.09.2022 vereinbart und die Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens „zur Frage des Vorliegens der Voraussetzungen der §§ 21, 64 StGB“ beschlossen. Zur Sachverständigen wurde Frau Dr. R. bestellt, die das Gutachten nach Rücksprache mit ihrem Büro im Hauptverhandlungstermin vom 17.08.2022 erstatten soll. Mit der Beschwerde macht der Verteidiger insbesondere geltend, ein solches Gutachten habe bereits früher eingeholt werden müssen, weil Anhaltspunkte für eine Rauschmittelabhängigkeit des Angeklagten schon zuvor bestanden hätten. Mit ähnlicher Argumentation in Bezug auf seinen Mandanten hat der Verteidiger des Mitangeklagten – erfolglos – die Aufhebung des diesen betreffenden Haftbefehls beantragt.

Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg. Das OLG führt u.a. aus:

„3. Das Verfahren ist jederzeit mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung geführt worden. Insbesondere ist es entgegen der Auffassung des Verteidigers nicht auf Versäumnisse der Ermittlungsbehörden zurückzuführen, dass entsprechend den unter I. geschilderten Abläufen erst während laufender Hauptverhandlung die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu der Frage einer etwaigen verminderten Schuldfähigkeit der Angeklagten (§ 21 StGB) und zu den Voraussetzungen ihrer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) veranlasst wurde und hierdurch eine – vergleichsweise geringfügige – Verzögerung des Verfahrensabschlusses eingetreten ist.

Zwar ist ein solches Gutachten stets zum frühestmöglichen Zeitpunkt einzuholen, nachdem die Ermittlungen hierzu Anlass geben. Bei der Einholung des Gutachtens ist es zur gebotenen Beschleunigung des Verfahrens zudem unerlässlich, auf eine zeitnahe Erstellung des Gutachtens hinzuwirken. Es sind deshalb mit dem Gutachter Absprachen darüber zu treffen, in welcher Frist ein Gutachten zu erstatten ist und ggfls. zu prüfen, ob eine zeitnähere Gutachtenerstattung durch einen anderen Sachverständigen zu erreichen ist. Der Gutachter ist auf die bestehende Haftsituation hinzuweisen. Gericht und Staatsanwaltschaft haben die zügige Gutachtenerstattung fortwährend zu kontrollieren und den Gutachter zur zügigen Bearbeitung anzuhalten. Es ist ferner zu beachten, dass in Fällen, in denen Entscheidungen wie die Anklageerhebung oder der Eröffnungsbeschluss nicht vom Ergebnis des Gutachtens abhängen, der Eingang des Gutachtens nicht unbedingt abgewartet werden muss, wenn z.B. offenkundig – wie hier – nur eine verminderte Schuldfähigkeit in Betracht kommt (Beschlüsse des 1. Strafsenats vom 18.03.2008 -1 Ws 8/08(H), 22.07.2009 –1 Ws 27/09(H), vom 02.06.2010 -1 Ws 15 und 16/10(H), vom 07.07.2010 – 1 Ws 20/10 (H) und vom 22.04.2015 – 1 Ws 7/15 (H) – juris).

Allerdings hat hinreichender Anlass zur Einholung eines Gutachtens bis zum Hauptverhandlungstermin vom 29.06.2022 nicht bestanden. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sich keiner der Angeklagten eingelassen, so dass nähere Erkenntnisse zu ihrem Konsumverhalten in Bezug auf Drogen nicht vorgelegen haben. Auch war nicht damit zu rechnen, dass die gegenüber den Ermittlungsbehörden schweigenden Angeklagten einem Sachverständigen gegenüber Angaben machen würden, so dass für diesen als Anknüpfungstatsachen lediglich die Aktenlage zur Verfügung gestanden hätte. Danach war zwar davon auszugehen, dass die Angeklagten in größerem Umfang mit Betäubungsmitteln unterschiedlicher Art Handel getrieben haben; auch hatten die Polizeibeamten bei der Festnahme der Angeklagten den Eindruck, dass diese „augenscheinlich unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln zu stehen schienen“ (Bl. 5 d.A.). Weitere Anhaltspunkte dafür, dass die Angeklagten in einem Ausmaß den Hang haben könnten, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, der eine Maßregel nach § 64 StGB rechtfertigen könnte, bestanden aber zu keinem Zeitpunkt, zumal es aus Sicht des Senats keinen Erfahrungssatz gibt, wonach Personen, die mit Betäubungsmitteln Handel treiben, diese auch immer wieder im Sinne einer eingewurzelten intensiven Neigung in einem Umfang konsumieren, durch den Gesundheit und Leistungsfähigkeit mehr als nur unerheblich beeinträchtigt werden (Hangbegriff, vgl. Fischer, StGB, 69. Aufl., § 64 Rn 7, 7a). Noch weniger Anlass bestand für die Annahme, die Angeklagten könnten infolge akuter Intoxikation in ihrer strafrechtlichen Verantwortlichkeit beeinträchtigt gewesen sein, zumal insbesondere der Beschwerdeführer noch in der Lage war zu versuchen, Beweismittel vor den Polizeibeamten zu verbergen (vgl. Bl. 4 d.A. letzter Absatz). Eine einzige – vergleichsweise geringfügige – einschlägige Vorverurteilung des im Übrigen erheblich vorgeahndeten Angeklagten datiert aus dem Jahr 2005 und hat für das aktuelle Konsumverhalten keinerlei Aussagekraft. Unter diesen Umständen war weder die Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren gehalten, ein Sachverständigengutachten zu den genannten Punkten in Auftrag zu geben, noch musste das Landgericht nach erfolgter Anklageerhebung vor dem Hauptverhandlungstermin vom 29.06.2022 und den darin erfolgten erstmaligen Einlassungen der Angeklagten im Sinne des § 246a Abs. 1 Satz 2 StPO die Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt erwägen und deswegen einen Sachverständigen hierzu vernehmen, zumal diese Vorschrift (auch) der Vermeidung überflüssiger Begutachtungen durch – nur in begrenztem Umfang zur Verfügung stehende – forensisch erfahrene Sachverständige dient (vgl. BGH, Beschluss vom 23.03.2022 – 6 StR 63/22, NStZ 2022, 432 m. Anm. Schneider).“.

 

Verdachtsberichterstattung aus dem Strafverfahren, oder: Wie schwer wiegt die Pressefreiheit?

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Heute dann „Kessel-Buntes-Tag“, und zwar mit einer Entscheidung des BGH und einer des VerfGH NRW.

Ich beginne mit dem BGH, Urt. v. 31.05.2022 – VI ZR 95/21 – zur Verdachtsberichterstattung im/aus dem Strafverfahren. Der BGH geht von folgendem Sachverhalt aus:

„Der Kläger zu 1 ist Zahnarzt. Er betrieb eine Praxis in der Kölner Innenstadt. Im Jahr 2004 gründete der Kläger zu 1 eine GmbH, deren Geschäftsführer er zunächst war. Der Kläger zu 2 war zwischen den Jahren 2011 und 2016 deren Geschäftsführer und der Kläger zu 1 zwischen den Jahren 2008 und 2016 deren Prokurist.

Die Staatsanwaltschaft erhob unter anderem gegen die Kläger Anklage beim Landgericht. Am ersten Tag der Hauptverhandlung wurde die Anklage verlesen. Eine Einlassung zur Sache war an diesem Tag nicht vorgesehen.

Die Beklagte berichtete am ersten Hauptverhandlungstag auf dem von ihr betriebenen Internetportal unter Nennung des Vornamens und des Anfangsbuchstabens des Nachnamens des Klägers zu 1 wie folgt:

„Gemeinsam mit Vater vor Gericht

Kölner Zahnarzt ein Millionenbetrüger?

Von: […]

28.02.2018 – 22:20 Uhr

Köln – Er betreibt eine schöne Praxis in der Kölner Innenstadt, doch das reichte dem Zahnarzt Dr. [Kläger zu 1] (39) laut Staatsanwalt nicht aus. Gemeinsam mit Komplizen kaufte er demnach über eine Briefkastenfirma für insgesamt 2,3 Millionen Euro Elektronikgeräte ein, ohne sie zu bezahlen – um sie dann weiterzuverkaufen.

Wegen Betrugs, Nötigung, Vortäuschung einer Straftat und Steuerhinterziehung stand der Doktor vor dem Kölner Landgericht. Zusammen mit ihm auf der Anklagebank saß, neben zwei weiteren Komplizen, sein 71-jähriger Vater [Kläger zu 2], der als Gesellschafter der Firma eingetragen war.

Die Anklage wirft dem 39-jährigen vor, unter anderem Monitore, Tablets und Handys erworben und anschließend auf dem Schwarzmarkt unter Wert veräußert zu haben. Um die Taten zu verschleiern, wurde ein Teil der Briefkastenfirma an einen Strohmann verkauft. Als dieser allerdings aussteigen wollte, wurde der Mann von dem Doktor laut Anklage mit „Mafia“ bedroht.

Außerdem soll [Kläger zu 1] einen Einbruch in seine Firma vorgetäuscht haben, um von einer Versicherung 122.000 Euro zu kassieren. Dem Zahnarzt droht eine mehrjährige Haftstrafe. Prozess wird fortgesetzt.“

Hinsichtlich des Vorwurfs des Vortäuschens einer Straftat wurde das Verfahren gegen den Kläger zu 1 gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt. Wegen Betrugs in zwei Fällen, Nötigung und Beihilfe zur Steuerhinterziehung in zwei Fällen wurde er rechtskräftig zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt.

Der Kläger verlangt von der Beklagten – laut LTO handelte es sich um „bild.de“ – Unterlassung der Bericherstattung. Er hatte beim LG bzw. beim OLG in unterschiedlichem Umfang Erfolg. Auf die Revision hat der BGH dann die Klage abgewiesen. Er führt zur Abwägung der beiderseitigen Interessen aus:

„4. Das Schutzinteresse des Klägers zu 1 überwiegt nicht die schutzwürdigen Interessen der Beklagten.

a) Die Presse darf zur Erfüllung ihrer Aufgaben nicht grundsätzlich auf eine anonymisierte Berichterstattung verwiesen werden. Verfehlungen – auch konkreter Personen – aufzuzeigen, gehört zu den legitimen Aufgaben der Medien. Bei ansehensbeeinträchtigenden Tatsachenbehauptungen wird die Abwägung zwischen den widerstreitenden Interessen ganz wesentlich vom Wahrheitsgehalt der Behauptungen bestimmt. Wahre Tatsachenbehauptungen müssen in der Regel hingenommen werden, auch wenn sie nachteilig für den Betroffenen sind, unwahre dagegen nicht. Allerdings kann auch eine wahre Darstellung das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen verletzen, wenn sie einen Persönlichkeitsschaden anzurichten droht, der außer Verhältnis zu dem Interesse an der Verbreitung der Wahrheit steht. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn die Aussagen geeignet sind, eine erhebliche Breitenwirkung zu entfalten und eine besondere Stigmatisierung des Betroffenen nach sich zu ziehen, so dass sie zum Anknüpfungspunkt für eine soziale Ausgrenzung und Isolierung zu werden drohen (vgl. Senat, Urteile vom 22. Februar 2022 – VI ZR 1175/20, juris Rn. 25; vom 18. Dezember 2018 – VI ZR 439/17, NJW 2019, 1881 Rn. 12; jew. mwN).

Bei der Gewichtung des Informationsinteresses im Verhältnis zu dem kollidierenden Persönlichkeitsschutz kommt dem Gegenstand der Berichterstattung entscheidende Bedeutung zu. Geht es um die Berichterstattung über eine Straftat, ist zu berücksichtigen, dass eine solche Tat zum Zeitgeschehen gehört, dessen Vermittlung Aufgabe der Medien ist. Die Verletzung der Rechtsordnung begründet grundsätzlich ein anzuerkennendes Interesse der Öffentlichkeit an näherer Information über Tat und Täter. Dieses wird umso stärker sein, je mehr sich die Tat in Begehungsweise, Schwere oder wegen anderer Besonderheiten von der gewöhnlichen Kriminalität abhebt (vgl. Senat, Urteile vom 18. Dezember 2018 – VI ZR 439/17, NJW 2019, 1881 Rn. 13; vom 22. Februar 2022 – VI ZR 1175/20, juris Rn. 26; jew. mwN).

Bei der Abwägung des Informationsinteresses der Öffentlichkeit an einer Berichterstattung mit der damit zwangsläufig verbundenen Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Täters verdient für die aktuelle Berichterstattung über Straftaten das Informationsinteresse im Allgemeinen den Vorrang. Denn wer den Rechtsfrieden bricht, muss sich nicht nur den hierfür verhängten strafrechtlichen Sanktionen beugen, sondern er muss auch dulden, dass das von ihm selbst erregte Informationsinteresse der Öffentlichkeit auf den dafür üblichen Wegen befriedigt wird. Die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts muss aber in angemessenem Verhältnis zur Schwere des Fehlverhaltens und seiner sonstigen Bedeutung für die Öffentlichkeit stehen. Für die Abwägung bedeutsam ist auch, ob die Berichterstattung allein der Befriedigung der Neugier des Publikums dient oder ob sie einen Beitrag zur Meinungsbildung in einer demokratischen Gesellschaft leistet und die Presse mithin ihre Funktion als „Wachhund der Öffentlichkeit“ wahrnimmt (vgl. Senat, Urteil vom 18. Dezember 2018 – VI ZR 439/17, NJW 2019, 1881 Rn. 14 mwN).

Eine Tatsachenbehauptung, deren Wahrheitsgehalt ungeklärt ist und die eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Angelegenheit betrifft, darf nach der ständigen Rechtsprechung des Senats und des Bundesverfassungsgerichts demjenigen, der sie aufstellt oder verbreitet, solange nicht untersagt werden, wie er sie zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für erforderlich halten darf (Art. 5 GG, § 193 StGB). Eine Berufung hierauf setzt voraus, dass vor Aufstellung oder Verbreitung der Behauptung hinreichend sorgfältige Recherchen über den Wahrheitsgehalt angestellt werden. Die Pflichten zur sorgfältigen Recherche über den Wahrheitsgehalt richten sich dabei nach den Aufklärungsmöglichkeiten. Sie sind für die Medien grundsätzlich strenger als für Privatleute. An die Wahrheitspflicht dürfen im Interesse der Meinungsfreiheit keine Anforderungen gestellt werden, die die Bereitschaft zum Gebrauch des Grundrechts herabsetzen. Andererseits sind die Anforderungen umso höher, je schwerwiegender die Äußerung das Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt. Allerdings ist auch das Interesse der Öffentlichkeit an derartigen Äußerungen zu berücksichtigen (vgl. Senat, Urteile vom 22. Februar 2022 – VI ZR 1175/20, juris Rn. 27; vom 16. November 2021 – VI ZR 1241/20, NJW 2022, 940 Rn. 18; jew. mwN).

Diese Maßstäbe gelten im Grundsatz auch für die Berichterstattung über ein laufendes Strafverfahren unter namentlicher Nennung des Beschuldigten (§ 157 StPO). In diesem Verfahrensstadium ist nicht geklärt, ob der Beschuldigte die ihm zur Last gelegte Straftat begangen hat. Zwar gehört es zu den legitimen Aufgaben der Medien, Verfehlungen – auch konkreter Personen – aufzuzeigen. Im Hinblick auf die aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende und in Art. 6 Abs. 2 EMRK anerkannte Unschuldsvermutung ist aber die Gefahr in den Blick zu nehmen, dass die Öffentlichkeit die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens oder Durchführung eines Strafverfahrens mit dem Nachweis der Schuld gleichsetzt und deshalb im Fall einer späteren Einstellung des Verfahrens oder eines Freispruchs vom Schuldvorwurf „etwas hängenbleibt“ (vgl. Senat, Urteile vom 22. Februar 2022 – VI ZR 1175/20, juris Rn. 28; vom 16. November 2021 – VI ZR 1241/20, NJW 2022, 940 Rn. 19; jew. mwN). Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung gilt im Grundsatz nichts Abweichendes für die identifizierende Berichterstattung über die öffentliche Hauptverhandlung eines Strafgerichts (vgl. Senat, Urteile vom 19. März 2013 – VI ZR 93/12, NJW 2013, 1681 Rn. 32 f.; vom 16. November 2021 – VI ZR 1241/20, NJW 2022, 940 Rn. 23 ff. [Bericht über bevorstehende Hauptverhandlung]; siehe weiter zur jedenfalls begrifflichen Differenzierung zwischen Verdachts- und Gerichtsberichterstattung etwa Müller, NJW 2007, 1617; Grabenwarter, in: Dürig/Herzog/Scholz, 95. EL Juli 2021, GG Art. 5 Abs. 1, Abs. 2 Rn. 450, 452; Burkhardt/Pfeifer, in: Wenzel Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 6. Aufl., Kap. 10, XI.; zur Berichterstattung über eine bevorstehende Hauptverhandlung im Strafverfahren Senat, Urteil vom 22. Februar 2022 – VI ZR 1175/20, juris Rn. 4, 28 ff.).

Erforderlich ist jedenfalls ein Mindestbestand an Beweistatsachen, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprechen und ihr damit erst „Öffentlichkeitswert“ verleihen. Die Darstellung darf ferner keine Vorverurteilung des Betroffenen enthalten; sie darf also nicht durch präjudizierende Darstellung den unzutreffenden Eindruck erwecken, der Betroffene sei der ihm vorgeworfenen Handlung bereits überführt. Auch ist vor der Veröffentlichung regelmäßig eine Stellungnahme des Betroffenen einzuholen. Schließlich muss es sich um einen Vorgang von gravierendem Gewicht handeln, dessen Mitteilung durch ein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit gerechtfertigt ist (vgl. Senat, Urteile vom 22. Februar 2022 – VI ZR 1175/20, juris Rn. 29; vom 16. November 2021 – VI ZR 1241/20, NJW 2022, 940 Rn. 20; jew. mwN).

b) Davon ausgehend war unter den Umständen des Streitfalls die Berichterstattung der Beklagten über den Kläger zu 1 von Anfang an zulässig…..“

Die Abwägung im Einzelnen dann bitte selbst im Volltext lesen.

Pflichti III: Störung des Vertrauensverhältnisses, oder: Wie umfangreich muss vorgetragen werden?

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Und als letzte Entscheidung habe ich heute dann hier noch einen Beschluss zur Entpflichtungsproblematik, und zwar den OLG Saarbrücken, Beschl. v. 01.07.2022 – 4 Ws 194/22.

Der dem Angeklagten bestellte Pflichtverteidiger hat seine Entpflichtung beantragt. Zur Begründung gab er an, das Vertrauensverhältnis zwischen ihm und dem Angeklagten sei endgültig zerstört, so dass keine angemessene Verteidigung mehr gewährleistet sei. Im letzten Gespräch mit dem Angeklagten hätten sich derart konträre Ansichten und gegenteilige Meinungen aufgetan, dass es aus seiner Sicht keine Möglichkeit gebe, den Angeklagten angemessen zu verteidigen. Auch der Angeklagte wünsche die Beiordnung eines anderen Verteidigers. Das LG hat den Antrag zurückgewiesen. Dagegen die sofortige Beschwerde des Pflichtverteidigers, die beim OLG Erfolg hatte.

Das OLG sieht das Rechtsmittel als zulässig an – insoweit verweise ich auf den Volltext. Zur Begründetheit führt es aus:

„Die sofortige Beschwerde ist auch begründet.

1. Nach § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO ist die Bestellung eines Pflichtverteidigers aufzuheben, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen Verteidiger und Beschuldigtem endgültig zerstört ist oder aus einem sonstigen Grund keine angemessene Verteidigung gewährleistet ist. Der Gesetzgeber hat mit der Schaffung dieser Vorschrift das Ziel verfolgt, zwei von der ständigen obergerichtlichen Rechtsprechung anerkannte Fälle des Rechts auf Verteidigerwechsel zu normieren (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17. Juni 2021 – 3 Ws 200/21 –, juris). Insofern kann für die Frage, wann im Einzelnen eine endgültige Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zu bejahen ist, auf die in dieser Rechtsprechung dargelegten Grundsätze zurückgegriffen werden (BGH, Beschluss vom 26. Februar 2020 – StB 4/20 –, juris; OLG Karlsruhe a.a.O.; Senatsbeschluss vom 27. Oktober 2021 – 4 Ws 157/21 -; vgl. auch BT-Drucks. 19/13829, S. 48). Hiernach beurteilt sich die Frage, ob das Vertrauensverhältnis zum Verteidiger endgültig und nachhaltig erschüttert ist, vom Standpunkt eines vernünftigen und verständigen Beschuldigten (BGH, Beschluss vom 26. Februar 2020 – StB 4/20 –, juris; st. Rspr. des 1. Strafsenats des Saarländischen Oberlandesgerichts, vgl. nur Beschluss vom 1. Juni 2015 – 1 Ws 89/15 -; Senatsbeschluss a.a.O.; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 143a Rdnr. 20). Differenzen zwischen dem Pflichtverteidiger und dem Angeklagten über die Verteidigungsstrategie rechtfertigen eine Entpflichtung grundsätzlich nicht (BGH, Beschlüsse vom 05. März 2020 – StB 6/20 -, juris und vom 15. Juni 2021 – StB 24/21 -, juris; OLG Karlsruhe a.a.O.). Etwas anderes kann mit der Folge einer endgültigen und nachhaltigen Erschütterung des Vertrauensverhältnisses gelten, wenn solche Meinungsverschiedenheiten über das grundlegende Verteidigungskonzept nicht behoben werden können und der Verteidiger sich etwa wegen der Ablehnung seines Rats außerstande erklärt, die Verteidigung des Angeklagten sachgemäß zu führen (BGH a.a.O.; OLG Karlsruhe a.a.O.). Die Entpflichtung eines Pflichtverteidigers kann geboten sein, wenn Umstände vorliegen, die den Zweck der Pflichtverteidigung, dem Beschuldigten einen geeigneten Beistand zu sichern und den ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu gewährleisten, ernsthaft gefährden (BVerfGE 39, 238, 244; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 26. Oktober 2006 – 2 BvR 426/06 -, juris). Die Gründe für die endgültige und nachhaltige Erschütterung des Vertrauensverhältnisses sind substantiiert darzulegen (Beschluss des 1. Strafsenats des Saarländischen Oberlandesgericht vom 01. Juni 2015   – 1 Ws 89/15 -; Senatsbeschluss vom 27. Oktober 2021 – 4 Ws 157/21 -). Beruft sich der Angeklagte auf eine Erschütterung des Vertrauensverhältnisses durch Differenzen mit seinem Verteidiger, hat er darzulegen, dass und warum der Pflichtverteidiger hierdurch zu einer sachgerechten Verteidigung außer Stande gewesen sein soll (BGH, Beschluss vom 15. Juni 2021 – StB 24/21 -, juris).

2. Unter Anwendung dieser Grundsätze wäre vorliegend eine Entpflichtung von Rechtsanwalt L. geboten gewesen.

Der Verteidiger hat dargelegt, dass der Angeklagte von ihm ein Verteidigungskonzept verlangt, das durch ihn nicht vertreten werden kann. Hierdurch ist in ausreichender Weise dargetan, dass grundlegende Meinungsverschiedenheiten über das Verteidigungskonzept bestehen, diese nicht behoben werden können und er sich nicht in der Lage sieht, die Verteidigung sachgerecht zu führen. Die für den Angeklagten selbst bestehenden Substantiierungspflichten können für den Verteidiger, der hier aus eigenem Recht seine Entpflichtung beantragt hat, nicht uneingeschränkt gelten, da einer näheren Substantiierung die anwaltliche Schweigepflicht entgegenstehen kann. Das Recht des Verteidigers, sich aus eigenem Recht gegen die Ablehnung seiner Entpflichtung zu wenden, würde letztlich leerlaufen, wenn er aufgrund seiner Schweigepflicht gehindert wäre, sein Rechtsmittel in der gebotenen Weise zu begründen. Hinzu kommt, dass Angaben eines Strafverteidigers kraft seiner Stellung als Organ der Rechtspflege grundsätzlich Vertrauen entgegenzubringen ist (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 07. März 2012 – 2 BvR 988/10 -, juris) und keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Angaben des Verteidigers wahrheitswidrig sein könnten. Einen solchen Schluss erlaubt insbesondere nicht die Tatsache, dass der Verteidiger den Angeklagten bereits längere Zeit unbeanstandet verteidigt hat, da der Verteidiger insoweit dargelegt hat, die Meinungsverschiedenheiten über das Verteidigungskonzept seien erst im letzten Besprechungstermin aufgetreten, was vor dem Hintergrund der im letzten Hauptverhandlungstermin zu Tage getretenen offenen Fragen hinsichtlich der Aussagetüchtigkeit der Geschädigten nicht ausgeschlossen erscheint und gleichzeitig zu erklären geeignet ist, wieso der Entpflichtungsantrag erst relativ kurz vor dem Neubeginn der Hauptverhandlung gestellt wurde.

Dass bereits die frühere Pflichtverteidigerin des Angeklagten entbunden worden ist, vermag nichts daran zu ändern, dass die Frage der Entbindung des jetzigen Pflichtverteidigers sich nach dem klaren Wortlaut des § 143a Abs. 2 Nr. 3 StPO allein daran zu orientieren hat, ob das Vertrauensverhältnis zu diesem endgültig zerstört ist. Hinzu kommt, dass keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Entpflichtungsanträge zum Zwecke der Verfahrensverzögerung gestellt worden sein könnten. Beide Anträge wurden nicht durch den Angeklagten selbst, sondern durch die jeweiligen Verteidiger gestellt und jeweils sachlich begründet. Die bisherige, nicht unerhebliche Verfahrensdauer beruht nicht auf diesen Anträgen, sondern darauf, dass Sachverständigengutachten einzuholen waren und anberaumte Verhandlungstermine aufgrund einer Erkrankung bzw. eines beruflichen Wechsels sonstiger Verfahrensbeteiligter bisher nicht zu einem Urteil geführt haben.“

Pflichti II: Nochmals/wieder Beiordnungsgründe, oder: § 35 BtMG, Gesamtstrafe, schwierige Beweislage

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Im zweiten „Pflichtverteidigungs-Posting“ dann einige Entscheidungen zu den Beiordnungsgründen, und zwar:

    1. Für das behördliche Verfahren über die Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 Abs. 1 BtMG kann dem Verurteilten ein Pflichtverteidiger nicht bestellt werden; insoweit findet § 140 Abs. 2 StPO keine entsprechende Anwendung (entgegen Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 1. Oktober 2008 – 1 Ws 431/08, Rn. 18, juris).
    2. Stattdessen ist dem Verurteilten unter den Voraussetzungen des § 1 BerHG auf Antrag Beratungshilfe zu gewähren.

Mir ist bei der Entscheidung allerdings nicht ganz klar, warum man sich zu der Frage äußert, wenn es nicht darauf ankommt 🙂 .

Die Bestellung eines Verteidigers ist bei einer Straferwartung von um ein Jahr Freiheitsstrafe naheliegend. Das gilt vor allem dann, wenn das Verfahren einen gesteigerten Schwierigkeitsgrad aufweist, weil maßgebliche Bedeutung für die Überführung des bestreitenden Angeklagten ein Vergleich der vom Täter getragenen Kleidung,. wovon Bildaufnahmen einer Überwachungskameras vorhanden sind, mit bei dem Ange klagten sichergestellten Kleidungsstücken hat.

Zur Bestellung eines Pflichtverteidigers, wenn gegen den Beschuldigten mehrere gesamtstrafenfähige Verfahren anhängig sind.