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StPO I: Encrochat-/ANOM-/SkyECC-Daten und KCanG, oder: OLG Stuttgart/LG Saarbrücken ggf. unverwertbar

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Heute gibt es hier dann einen StPO-Tag, und zwar mit einer Entscheidung zu EncroChat bzw. zur Frage der Verwertbarkeit von Encrochat-/ANOM-/SkyECC-Chats-Daten nach Inkrafttreten des KCanG, sowie einem zur Durchsuchung und dann als letztes etwas zum letzten Wort..

Ich beginne mit den Encrochat-/ANOM-/SkyECC-Chats-Daten Dazu stelle ich zwei Entscheidungen vor, allerdings nur jeweils kurz mit den entscheidenden Passagen der Entscheidungen, denn die allgemeinen Fragen der Vewertung dieser Daten waren ja schon oft genug Gegenstand der Berichterstattung.

Bei der ersten Entscheidung handelt es sich um den OLG Stuttgart, Beschl. v. 22.04.2024 – H 4 Ws 123/24. Ergangen ist die Entscheidung in einem Haftprüfungsverfahren. Gegenstand des Verfahrens sind Vorwürfe des Verstoßes gegen das BtMG. Das OLG hat wegen eines Teils der Vorwürfe den dringen Tatverdacht auf der Grundlage von ANOM-Daten bejaht, wegen eines anderen Teils führt es aus:

„Es kann deshalb dahinstehen und bleibt dem Ergebnis der Hauptverhandlung vorbehalten, ob ein dringender Tatverdacht auch bezüglich der im Haftbefehl unter Ziff. I.1, 3 und 5 bezeichneten Tatvorwürfe gegeben ist. Für die Prüfung der Verwertbarkeit der aufgrund des ANOM-Chatverkehrs gewonnenen Daten ist auf den Erkenntnisstand im Zeitpunkt der Verwertung der Beweisergebnisse abzustellen; es kommt mithin insoweit nicht auf die Rekonstruktion der Verdachtslage im (hypothetischen) Anordnungszeitpunkt, sondern auf die Informationslage im Verwendungszeitpunkt an (BGH a.a.O., Rn. 70). Nach vorläufiger Wertung liegt eine Katalogtat im Sinne des § 100b Abs. 2 Nr. 5a StPO in der seit dem 1. April 2024 gültigen Fassung, der nur Straftaten gemäß § 34 Abs. 4 Nr. 1, Nr. 3 oder Nr. 4 Konsumcannabisgesetz (KCanG) erfasst, nicht vor. Eine Verwendung der zulässig erlangten Beweise als Zufallserkenntnisse zum Nachweis von mit Katalogtaten in Zusammenhang stehenden Nichtkatalogtaten ist nur zulässig, wenn zwischen diesen Tateinheit im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB bzw. Tatidentität im Sinne des § 264 StPO gegeben ist (BGH, Urteil vom 14. August 2009 – 3 StR 552/08, juris Rn. 27 unter Verweis auf BGH, Urteil vom 30. August 1978 – 3 StR 255/78, NJW 1979, 990; BGH, Urteil vom 22. Dezember 1981 – 5 StR 540/81, NStZ 1982, 125; BGH, Beschluss vom 18. März 1998 – 5 StR 693/97, juris Rn. 7 f.).“

Und dann der LG Saarbrücken, Beschl. v. 03.06.2024 – 4 KLs 28 Js 140/23 (16/24). Ergangen ist der Beschluss in einen Verfahren wegen BtM-Handels. Die Strafkammer hat mit dem Beschluss einen Antrag der Staatsanwaltschaft, auf Verlesung von in einem Beweisantrag näher bezeichneten SkyECC-Chats abgelehnt (und den Angeklagten anschließend frei gesprochen:

„So liegt der Fall hier: Die Anklageschrift bezieht sich lediglich auf Taten des Handeltreibens mit Cannabis. Das Handeltreiben mit Cannabis ist nach der am 1. April 2024 in Kraft getretenen gesetzlichen Neuregelung durch das Gesetz zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften (Cannabisgesetz — CanG) nicht mehr als Katalogtat des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nach § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG einzuordnen, sondern als Handeltreiben mit Cannabis in den besonders schweren Fällen der Gewerbsmäßigkeit und der nicht geringen Menge nach § 34 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 Nr. 1 und 4 KCanG. Dies stellt jedoch keine Katalogtat des § 100b Abs 2 StPO dar, da lediglich die in § 34 Abs. 4 Nr. 1, 3 und 4 KCanG aufgeführten Taten in die Aufzählung der Katalogtaten aufgenommen wurden (vgl. § 100b Abs. 2 Nr. 5a StPO; so auch KG Berlin, Beschluss v. 30.04.2024, 5 Ws 67/24).“

KCanG II: Encro-Chat-Verwertung nach KCanG erlaubt?, oder: Aufhebung einer (alten) Abstinenzweisung

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Und im Mittagsposting dann zwei Entscheidungen, und zwar einmal OLG und einmal LG.

Zunächst der Hinweis auf den OLG Hamburg, Beschl. v. 13.05.2024 – 1 Ws 32/24 – zu Verwertbarkeit einer EncroChat-Kommunikation nach Inkraftreten des KCanG. Die hatten das KG im KG, Beschl. v. 30.04.2024 – 5 Ws 67/24 – und das LG Mannheim im LG Mannheim, Urt. v. 12.4.2024 – 5 KLs 804 Js 28622/21 – ja verneint, das LG Köln hatte Sie hingegen im LG Köln, Beschl. v. 16.4.2024 – 323 Qs 32/24 – bejaht. Nun also das OLG Hamburg mit folgenden amtlichen Leitsätzen:

  1. Die Rechtmäßigkeit einer Verwertung von EncroChat-Daten vor dem 1. April 2024 wird durch die Neuregelungen des KCanG nicht berührt.
  2. Nach Ansicht des Senats sprechen gute Gründe dafür, dass – es für die Verwertbarkeit nach § 100e Abs. 6 Nr. 1 StPO sowohl in tatsächlicher wie auch in rechtlicher Hinsicht auf den Zeitpunkt ankommt, in dem die betroffenen Beweismittel Eingang in das Strafverfahren gefunden haben und dementsprechend- eine Verwertung von EncroChat-Daten, die vor dem 1. April 2024 rechtmäßig in entsprechender Anwendung des § 100e Abs. 6 StPO Eingang in ein Strafverfahren gefunden haben, auch dann zulässig bleibt, wenn nunmehr aufgrund des seit dem 1. April 2024 in Kraft befindlichen Gesetzes zum Umgang mit Konsumcannabis (KCanG) aufgrund des Fehlens einer Katalogtat die Voraussetzungen des § 100e Abs. 6 StPO nicht mehr vorliegen.

Dazu meinte der Kollege Welke, der mich (auch) auf den Beschluss hingewiesen hatte, nicht zu Unrecht: Das meint es anders zu sehen als das KG und LG Mannheim. Wenn man aber genau hinschaut, stimmt das nicht. Denn: nach der Rechtsprechung des BGh zu EncroChat kommt es als Zeitpunkt der Verwertung der Daten auf die Entscheidung des Gerichts an. Deswegen kam ja auch das LG Mannheim zur Uverwertbarkeit, da es ja am 12.04.2024 und damit nach der seit 01.04.2024 bestehenden Rechtslage zu prüfen hatte. Hier im OLG-Beschluss geht es nun aber um ein Urteil, dass am 20.02.2023 durch das LG verkündet wurde. Zu dem Zeitpunkt waren die Daten, wenn man sie denn überhaupt als verwertbar ansieht, noch verwertbar. Die Gerichte werden sich über entsprechende Diskussionen freuen.

In dem Zusammenhang dann der Hinweis auf einen Beitrag von LTO zum „Bundes-Marco“, unserem allseits beliebten BMJ, und zwar „Gesetzeslücke bei illegaler Einfuhr großer Mengen Cannabis? Marco Busch­mann setzt auf die Recht­sp­re­chung“.

Und als zweite Entscheidung dann der LG Mannheim, Beschl. v. 10.05.2024 – R 18 StVK 285/22 -, den mir der Kollege Welke geschickt hat. Dessen Mandat war mit Verstößen gegen das BtMG im Zusammenhang mit Cannabis, welche nach dem KCanG auch heute noch strafbar wären, und deswegen verurteilt worden. Nach Teilverbüßung ist die Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt worden. Im Bewährungsbeschluss hieß es u.a.: „Der Verurteilte hat sich jeglicher illegaler Drogen zu enthalten. Während der gesamten Bewährungszeit hat sich der Verurteilte nach näherer Weisung seines Bewährungshelfers zum Nachweis seiner Suchtmittelfreiheit regelmäßig, mindestens jedoch einmal im Quartal, Drogenscreenings zu unterziehen. …..“

Der Kollege hat dann nach dem 01.04.2024 beantragt, gemäß § 58e StGB dieaw Weisung aus dem Beschluss aufzuheben bzw. dahingehend abzuändern, dass keine Drogenscreenings mehr abgegeben werden müssen. Dazu dann das LG Mannheim, das die Weisung aufgehoben hat und wie folgt neu gefasst hat: „Der Verurteilte hat sich jeglicher illegaler Drogen bzw. des nach KCanG verbotenen Umgangs mit Cannabis zu enthalten„:

„Dem Antrag konnte dabei im erfolgten Umfang entsprochen werden, zumal auch die Bewährungshelferin keine Hinweise sieht, die dafür sprechen könnten, die Kontrollweisung aufrechtzuerhalten. Die Weisung, sich jeglicher illegaler Drogen zu enthalten, hat auch nach Ein-führung des KCanG weiterhin Berechtigung, und zwar auch im Umgang mit Cannabis, der, soweit hier von Relevanz, nur innerhalb der Grenzen des § 2 Abs. 3 KCanG vom generell verbotenen Umgang ausgenommen ist bzw. im Rahmen des § 34 KCanG unter Strafe gestellt ist.“

StPO III: Sicherungsbedürfnis beim Vermögensarrest, oder: Unaufgeklärte Beteiligung mehrere Personen

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Und als dritte Entscheidung dann hie rnoch etwas zum Vermögensarrest, und zwar der LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 30.04.2024 – 12 Qs 11/24.

Der Ermittlungsrichter des AG hat gegen den Beschuldigten einen Beschluss, mit dem er den Vermögensarrest zur Sicherung eines Anspruchs auf Wertersatz über 34.911,57 EUR anordnete, erlassen. Tatvorwurf war gewerbsmäßiger Bandenbetrug; die Einzelheiten sind für die Entscheidung nicht von Bedeutung.

Aufgrund dieses Arrestes führte die Staatsanwaltschaft Pfändungsmaßnahmen durch. Der Verteidiger des Beschuldigten hat Beschwerde eingelegt, die aber keinen Erfolg hatte:

„Die statthafte Beschwerde (§ 304 Abs. 1 StPO) ist auch im Übrigen zulässig. In der Sache ist sie allerdings unbegründet, weil der Arrest zu Recht angeordnet wurde und derzeit aus Verhältnismäßigkeitsgründen auch nicht aufzuheben ist.

1. Die Anordnung eines Arrestes setzt gem. § 111e Abs. 1 Satz 1 StPO lediglich den Anfangsverdacht einer rechtswidrigen Straftat i.S.d. § 152 Abs. 2 StPO voraus, mit der Folge, dass die Voraussetzungen der Einziehung (von Wertersatz) bejaht werden können (OLG Nürnberg, Beschluss vom 20.12.2018 – 2 Ws 627/18, juris Rn. 14; OLG Stuttgart, Beschluss vom 25.10.2017 – 1 Ws 163/17, juris Rn. 10; OLG Hamburg, Beschluss vom 26.10.2018 – 2 Ws 183/18, juris Rn. 29 m.w.N.). Es müssen also konkrete Tatsachen vorliegen, die in Verbindung mit kriminalistischer Erfahrung den Schluss zulassen, dass später eine Einziehung erfolgen kann. Diese Voraussetzungen liegen vor.

a) Klarzustellen ist zunächst, dass es im Rahmen der Beschwerde gegen einen Vermögensarrest nicht darauf ankommt, ob im Zeitpunkt des Erlasses des Arrestbeschlusses ein Anfangsverdacht vorlag, sondern darauf, ob er im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung vorliegt. Die Beschwerde ist eine Tatsacheninstanz (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 309 Rn. 3; KK-StPO/Zabeck, 9. Aufl., § 309 Rn. 6) und nicht auf die retrospektive Überprüfung der seinerzeitigen Sachlage bei Erlass der angegriffenen Entscheidung beschränkt (anderes gilt lediglich bei Durchsuchungsbeschlüssen zur Sicherung des verfassungsrechtlichen Richtervorbehalts in Art. 13 Abs. 2 GG, vgl. MüKo-StPO/Hauschild, 2. Aufl., § 105 Rn. 41c m.w.N.).

b) Dies vorweggeschickt besteht zunächst ein Anfangsverdacht hinsichtlich des Beschuldigten Ö.

2. Das für die Arrestanordnung notwendige Sicherungsbedürfnis besteht.

Im Ausgangspunkt ist beim Vorliegen dringender Gründe, die die Kammer als gegeben erachtet, die Anordnung des Vermögensarrestes nach § 111e Abs. 1 Satz 2 StPO der gesetzliche Regelfall („soll“, vgl. BT-Drs. 18/9525, 77; OLG Nürnberg, Beschluss vom 20.12.2018 – 2 Ws 627/18, juris Rn. 14; KK-StPO/Spillecke, 9. Aufl., § 111e Rn. 2). Diese gesetzliche Wertung begründet zwar keinen Automatismus, wonach allein schon der dringende Verdacht einer gegen fremdes Vermögen gerichteten Straftat die Bejahung des Sicherungsbedürfnisses rechtfertigt (Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, StPO, 66. Aufl., § 111e Rn. 6 m.w.N.), senkt aber gegebenenfalls die Hürden für die Begründung des Sicherungsbedürfnisses und der Verdacht gibt ein starkes Indiz für dessen regelmäßiges Vorliegen (vgl. die Rspr.-Nachweise bei Rettke, wistra 2024, 38), wobei auch allgemein kriminalistische Erfahrungen zu berücksichtigen sind (vgl. LR-StPO/Johann, 27. Aufl., § 111e Rn. 18). Weiterhin teilt die Kammer die Einschätzung von Köhler (in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl. § 111e Rn. 7), dass das Sicherungsbedürfnis ohne weiteres bei mehreren Tatbeteiligten angenommen werden kann, wenn der personelle Hintergrund der Straftaten (noch) nicht völlig aufgeklärt werden konnte und deshalb zu besorgen ist, dass der Einziehungsadressat sein noch vorhandenes Vermögen mithilfe der weiteren Mittäter dem Zugriff entziehen könnte. So liegen die Dinge hier. Der Sachverhalt ist noch nicht umfassend aufgeklärt, die Ermittlungen legen aber nahe, dass hier eine größere Anzahl von Beteiligten an dem Geschäftsmodell der UG beteiligt war, sodass auch die vorläufige Bejahung eines gewerbsmäßigen Bandenbetrugs (§ 263 Abs. 5 StGB) derzeit gut begründet ist. Damit sind aber auch die Beziehungen zwischen den Beteiligten und damit das Risiko ihres kollusiven Verhaltens derzeit noch nicht sicher abzuschätzen, was prognostisch zulasten des Beschuldigten geht.

3. Der Arrest ist auch im Übrigen verhältnismäßig.

Bei der Anordnung eines Arrestes ist eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen, bei der das Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit gegen das Grundrecht des Betroffenen aus Art. 14 Abs. 1 GG abzuwägen ist; die „Soll“-Regelung des § 111e Abs. 1 Satz 2 StPO lässt den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unberührt (BT-Drs. 18/9525, S. 77). Dabei wachsen mit der den Eigentumseingriff intensivierenden Fortdauer der Maßnahme die Anforderungen an die Rechtfertigung der Anspruchssicherung (OLG Nürnberg, Beschluss vom 20.12.2018 – 2 Ws 627/18, juris Rn. 107 m.w.N.). Derzeit fällt die Abwägung zugunsten des staatlichen Sicherungsbedürfnisses aus.

Bedenken gegen die Dauer des Arrestes bestehen hier nicht, nachdem er erst seit wenigen Wochen vollstreckt wird. Inwieweit der Arrest die Lebensführung des Beschuldigten beschränkt, vermag die Kammer nach gegebenem Aktenstand nicht zu sagen; die Bemerkung in der Beschwerde, der Beschuldigte sei „in seinem täglichen Leben erheblich eingeschränkt“ ist reichlich unbestimmt. Aber selbst wenn der Arrest in wirtschaftlicher Hinsicht zur Folge haben sollte, dass dadurch nahezu das gesamte Vermögen des Beschuldigten dessen Verfügungsbefugnis entzogen wurde (dazu vgl. BVerfG, Beschluss vom 17.04.2015 – 2 BvR 1986/14, juris), hinderte das die Anordnung des Arrestes nicht. Denn sind die Voraussetzungen der Einziehung von Taterträgen nach § 73 Abs. 1 StGB oder einer hieran anknüpfenden Wertersatzeinziehung gemäß § 73c StGB erfüllt, sieht die gesetzliche Regelung die Anordnung der entsprechenden Vermögensabschöpfung zwingend vor, sofern, wofür es keine tatsächlichen Anhaltspunkte gibt, kein Ausschlusstatbestand des § 73e StGB gegeben ist. Eine Abhilfe zugunsten des Beschuldigten ist mit der Regelung des § 459g Abs. 5 StPO eröffnet, die eine entsprechende Verhältnismäßigkeitsprüfung im Vollstreckungsverfahren vorsieht (BGH, Urteil vom 27.09.2018 – 4 StR 78/18, juris Rn. 11). Dazu kann bei der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth vorgetragen werden.“

Zwang III: Die Ingewahrsamnahme eines Zeugen, oder: Keine Beschwerde (?) und Telefonsperre zulässig?

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Und dann zum Schluss des „Zwangs-Tages“ noch der LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 08.05.2024 – 12 Qs 1/24 – zur Frage der Ingewahrsamnahme eines Zeugen und den dann zulässigen Rechtsmitteln bzw. auch zur Frage der Zulässigkeit einer „Telefonsperre. Es dürfte sich um das Verfahren gehandelt haben, in dem auch der LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 08.05.2024 – 12 Qs 2/24 ergangen ist (dazu StPO II: Die Schweigepflicht des Steuerberaters, oder: Entbindung, Durchsuchung, Abwendebefugnis).

Das AG hat gegen den Angeklagten einen Strafbefehl wegen versuchter Steuerhinterziehung erlassen. Der Angeklagte legte hiergegen Einspruch ein. Im Hauptverhandlungstermin am 24.10.2023 entband der Angeklagte den Zeugen H, seinen Steuerberater, von der Schweigepflicht. Dieser verweigerte jedoch unter Hinweis auf § 55 StPO die Aussage. Daraufhin unterbrach der Richter um 14.45 Uhr die Sitzung und kündigte an, einen Durchsuchungsbeschluss für die Räume der Steuerberater- und Rechtsanwalts-GmbH zu erlassen, bei der der Zeuge angestellt war. Den Zeugen forderte er auf, sein Mobiltelefon auszuschalten und es vor sich auf den Tisch zu legen. Anschließend wies der Richter den Zeugen an, keinen Kontakt zur GmbH aufzunehmen und das Gerichtsgebäude nicht zu verlassen. Die Hauptverhandlung werde fortgesetzt, sobald das Gericht Kenntnis vom Beginn der Durchsuchungsmaßnahme erhalten werde. Der anwesende Staatsanwalt wurde beauftragt, die angeordnete Maßnahme zu überwachen. Sodann erließ der Richter einen auf § 103 StPO gestützten Durchsuchungsbeschluss für die Räume der GmbH und beauftragte Beamte der Steuerfahndung Nürnberg mit dessen Vollzug. Diese erreichten die Kanzleiräume um 17.20 Uhr und teilten dies dem Amtsgericht fernmündlich mit. Der Richter setzte daraufhin die Verhandlung fort und teilte den Verfahrensbeteiligten mit, die Steuerfahndung sei am Kanzleisitz eingetroffen. Der Zeuge wurde ohne weitere Befragung entlassen.

Der Zeuge H legte gegen die ihn betreffenden Maßnahmen Beschwerde ein. Die hatte keinen Erfolg:

„Die Beschwerde ist unstatthaft, soweit sie sich gegen die Anordnung wendet, das Gerichtsgebäude nicht zu verlassen. Demgemäß war sie als unzulässig zu verwerfen (1). Im Übrigen – hinsichtlich des Telefonverbots – ist die zulässige Beschwerde unbegründet und war daher zu verwerfen (2).

1. Die Unstatthaftigkeit der Beschwerde gegen die Anordnung, das Gerichtsgebäude nicht zu verlassen, folgt aus § 305 Satz 1 StPO. Nach dieser Vorschrift unterliegen Entscheidungen des erkennenden Gerichts, die der Urteilsfällung vorausgehen, nicht der Beschwerde. Das betrifft Entscheidungen, die in einem inneren Zusammenhang mit der Urteilsfällung selbst stehen, ausschließlich seiner Vorbereitung dienen, bei der Urteilsfällung selbst der nochmaligen Prüfung des Gerichts unterliegen und keine weiteren Verfahrenswirkungen erzeugen (SSW-StPO/Hoch, 5. Aufl., § 305 Rn. 8; Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 305 Rn. 4, je m.w.N.). Maßnahmen, die eine vom Urteil nicht umfasste, selbständige Beschwer eines Verfahrensbeteiligten bewirken sowie vom erkennenden Gericht nicht bei Erlass des Urteils und auch nicht im Rahmen einer Urteilsanfechtung nachprüfbar sind, bleiben dagegen selbständig anfechtbar (KG, Beschluss vom 09.12.2016 – 4 Ws 191/16, juris Rn. 5).

a) Die richterliche Anordnung an den Zeugen, das Gerichtsgebäude nicht zu verlassen, formulierte lediglich mit anderen Worten die sich aus § 248 Satz 1 StPO ohnehin ergebende Zeugenpflicht. Danach darf sich ein vernommener Zeuge nur mit Genehmigung oder auf Anweisung des Vorsitzenden von der Gerichtsstelle entfernen. Die Anwesenheitspflicht des bereits vernommenen Zeugen dauert grundsätzlich über die Vernehmung hinaus an. Er ist zum Verbleib an der Gerichtsstelle verpflichtet, weil es sich im Laufe des Verfahrens als notwendig erweisen kann, ihn nochmals zu befragen (LR-StPO/Becker, 27. Aufl., § 248 Rn. 1; KMR-StPO/Hiebl, 88. EL, § 248 Rn. 1; vgl. auch RG, Urteil vom 24.09.1912 – V 470/12, RGSt 46, 196, 198). Die Anwesenheitspflicht endet erst mit der Entlassung durch das Gericht. Über sie entscheidet der Vorsitzende nach pflichtgemäßem Ermessen (LR-StPO/Becker, aaO, Rn. 7; SSW-StPO/Franke, 5. Aufl., § 248 Rn. 4). Die Entscheidung, einen Zeugen nicht mehr zu benötigen und ihn somit entlassen zu können, ist urteilsbezogen und wird durch den Richter vor dem Urteilsspruch zumindest implizit erneut geprüft, weil er überlegen muss, ob er alle notwendigen Umstände festgestellt hat oder ob die Notwendigkeit besteht, die Beweisaufnahme fortzuführen oder erneut in sie einzutreten.

Die mit dem (kürzeren oder längeren) Verbleib an Gerichtsstelle verbundene Lästigkeit stellt für den Zeugen somit keine selbständig mit Rechtsmitteln angreifbare Beschwer dar, sondern ist inhärenter Bestandteil der Pflichten, die er aufgrund seiner prozessualen Rolle zu tragen hat. Will er sich ohne Genehmigung entfernen, kann er zwangsweise festgehalten werden; § 231 Abs. 1 Satz 2 StPO gilt entsprechend (LR-StPO/Bertheau/Ignor, 27. Aufl., § 51 Rn. 6; KK-StPO/Bader, 9. Aufl., § 51 Rn. 4; Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 51 Rn. 4). Vor diesem Hintergrund wurde eine zur Anfechtung berechtigende Beschwer allenfalls angenommen, wenn die Ingewahrsamnahme des Zeugen für die Dauer der Unterbrechung der Hauptverhandlung zur Sicherung seiner Anwesenheit im Fortsetzungstermin die Frist des § 128 Abs. 1 Satz 1 StPO überstieg (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 12.05.2003 – 3 Ws 498/03, NStZ-RR 2003, 329), was hier nicht der Fall war.

b) Nichts anderes folgt aus dem Urteil des Reichsgerichts vom 02.01.1908 (III 982/02, RGSt 41, 32). Dort wurde ausgesprochen, dass § 248 Satz 2 StPO auf Zeugen nicht zutreffe, die aus einem gesetzlichen Grund ihr Zeugnis verweigert haben (im Fall des RG gem. § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO). Denn solche Zeugen scheiden aus dem Kreis der Zeugen aus, auf die sich die Vernehmung zu erstrecken hat; sie verlören aufgrund der Zeugnisverweigerung ihre Eigenschaft als zulässiges Beweismittel. Sie sind mit anderen Worten nicht als „vernommener Zeuge“ i.S.d. Vorschrift zu werten. Derlei liegt hier nicht vor. Der Zeuge H berief sich nicht auf ein Zeugnis-, sondern lediglich auf ein angebliches Auskunftsverweigerungsrecht gem. § 55 StPO und machte keine Angaben. Das begründete er damit, dass er angestellter Steuerberater sei und seine Chefin ihm aufgetragen habe, nicht auszusagen. Diese Rechtsmeinung war im Ansatz verfehlt. Das Auskunftsverweigerungsrecht steht dem Zeugen in seiner konkreten Befragung zu; es kann ihm nicht vorab von außenstehenden Dritten zugesprochen werden. Vielmehr ist es das Gericht, das eigenständig zu prüfen und zu entscheiden hat, ob eine die Möglichkeit der Auskunftsverweigerung auslösende Verfolgungsgefahr besteht (BVerfG, Beschluss vom 16.11.1998 – 2 BvR 510/96, juris Rn. 9; OLG Celle, Beschluss vom 18.05.2011 – 2 Ws 131/11, juris Rn. 9; OLG Hamburg, Urteil vom 08.02.1984 – 1 Ws 26/84, NJW 1984, 1635, 1636). Zudem ist das Auskunftsverweigerungsrecht nicht umfassend gewährleistet, sondern auf diejenigen Fragen beschränkt, die die Gefahr einer Strafverfolgung nach sich ziehen könnten. Dass hier ein umfassendes Schweigerecht bestanden haben könnte, ist weder von der Beschwerde dargelegt, noch ist es nach Lage der Dinge ersichtlich oder auch nur naheliegend.

c) Unschädlich ist weiter, dass der Richter neben dem Zweck der erschöpfenden Befragung des Zeugen in einem Termin auch und möglicherweise sogar vorrangig – wofür das zugleich verhängte Telefonverbot spräche – beabsichtigt hat, durch seine Anordnung die angelaufene Durchsuchung zu sichern. Es kommt im Prozessalltag auch sonst vor und wird zu Recht nicht als problematisch gewertet, dass das Gericht eine Zeugenvernehmung für die Durchführung anderer prozessualer Schritte – beispielsweise die Befragung des Angeklagten oder eines anderen Zeugen oder für die Führung eines Rechtsgesprächs – unterbricht und den Zeugen so lange vor dem Sitzungssaal warten lässt, d.h. ihm die Entfernung von der Gerichtsstelle verbietet. Dies anzuordnen, entspringt der Einschätzung und der Sachleitungsbefugnis des Vorsitzenden. Die Annahme eines Rechtsmissbrauchs, weil der Richter vollkommen losgelöst von dem Zweck des § 248 Satz 1 StPO agiert hätte, ist nach Lage der Dinge unbegründet. Ein Missbrauch kann insbesondere nicht damit begründet werden, dass der Richter den Zeugen ohne weitere Befragung entließ, nachdem er erfahren hatte, dass die Durchsuchung begonnen hatte. Denn damit war eine neue Prozesslage geschaffen, die eine neue Beurteilung der Frage bedingte, ob das Gericht den Zeugen tatsächlich noch benötigt.

d) In der Handhabung befremdlich, in der Sache aber unschädlich war schließlich, dass der Richter dem Zeugen den Staatsanwalt und dieser dann – als Ablösung – einen Wachtmeister zur Seite gestellt hat. Eine Ingewahrsamnahme des Zeugen war damit nicht verbunden. Ausweislich des Vermerks des Sitzungsstaatsanwalts und der Beschwerde hatte der Richter mit dem Staatsanwalt vor der Sitzungsunterbrechung kurz erörtert, ob der Zeuge kurzfristig in Gewahrsam genommen werden könne, dies dann aber verworfen. Dass der Zeuge gegebenenfalls mit Gewalt am Verlassen des Gerichtsgebäudes hätte gehindert werden sollen (was aber nach Maßgabe des § 231 Abs. 1 Satz 2 StPO möglich gewesen wäre, s.o. unter a), ist mithin nicht ersichtlich.

2. Demgegenüber beinhaltete die Untersagung, während der Unterbrechung der Hauptverhandlung zu telefonieren, eine gesonderte Beschwer, die bei späterem Urteilserlass nicht nochmals geprüft werden würde, sodass § 305 Satz 1 der Statthaftigkeit der Beschwerde (§ 304 Abs. 1, 2 StPO) nicht entgegenstand.

Allerdings ist die Beschwerde insoweit unbegründet. Zwar war entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft § 164 StPO als Rechtsgrundlage für die Maßnahme ihrem Wortlaut nach nicht einschlägig. Die Kammer folgt aber der Rechtsansicht, wonach während der Durchsuchung eine Telefonsperre auf der Grundlage einer Annexkompetenz zu § 105 StPO verhängt werden kann, jedenfalls solange nicht ein Telefonat mit dem eigenen Rechtsbeistand unterbunden wird und soweit dies zur Erreichung des Durchsuchungszwecks konkret erforderlich ist (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 26.06.1996 – 2 VAs 11/96, StraFo 1997, 13, 15; LR-StPO/Tsambikakis, 27. Aufl., § 105 Rn. 127; Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, StPO, 66. Aufl., § 105 Rn. 13; SSW-StPO/Hadamitzky, 5. Aufl., § 105 Rn. 38; MüKo-StPO/Hauschild, 2. Aufl., § 105 Rn. 31; Rengier, NStZ 1981, 373, 375 a.A. Burhoff, Hb.EV, 9. Aufl., Rn. 2014; Weisser, wistra 2014, 212 ff.). Letzteres war der Fall. Der Zeuge hatte die Auskunft aus rechtsfehlerhaften Erwägungen verweigert, die ihm die Geschäftsführerin seiner Steuerberater- und Rechtsanwalts-GmbH mitgegeben hat. Damit war offenkundig, dass die GmbH, die der Angeklagte wirksam von der Schweigepflicht entbunden hat (vgl. Kammer, Beschluss vom 08.05.2024 – 12 Qs 2/24, juris), hier unberechtigt „mauerte“, was auch eine zumindest abstrakte Gefährdung des Durchsuchungszwecks beinhaltete. Dass das Amtsgericht dem entgegenwirken musste, liegt auf der Hand.“

Ich sehe das mit der Telefonsperre anders 🙂 .

Zwang II: Gewinnbringender Anbau von BtM, oder: Fluchtgefahr beim Plantagenanbau

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Über den KG, Beschl. v. 30.04.2024 – 5 Ws 67/24 – hatte ich ja schon im Hinblick auf die Ausführungen zum Handeltreiben mit Cannabis und den Auswirkungen des neuen CannabisG/KCanG berichtet (vgl. hier: KCanG I: Handel mit „nicht geringer Menge“ strafbar?, oder: Einmal hopp, einmal topp zum neuen KCanG).

Das KG macht in dem Beschluss auch Ausführungen zu Haftfragen. Zunächst geht es um die Reichweite des Prüfungsumfangs bei der Haftbeschwerde der StA. Dazu der Leitsatz des KG, und zwar:

Auf eine Beschwerde der Staatsanwaltschaft, die sich gegen die Außervollzugsetzung eines Haftbefehls richtet, unterliegt nicht nur der angefochtene Haftverschonungsbeschluss, sondern auch der zugrunde liegende Haftbefehl der Überprüfung durch das Rechtsmittelgericht.

Und dann sagt das KG auch etwas zur Fluchtgefahr, nämlich:

„b) Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO). Diese ist gegeben, wenn bei Würdigung aller Umstände des Einzelfalles eine höhere Wahrscheinlichkeit für die Annahme spricht, der Beschuldigte werde sich – zumindest für eine gewisse Zeit – dem Strafverfahren entziehen, als für die Erwartung, er werde sich dem Verfahren zur Verfügung halten (vgl. KG, Beschluss vom 3. November 2011 – 4 Ws 96/11 –, juris Rn. 4). Das ist vorliegend der Fall.

aa) Der Angeschuldigte hat im Falle seiner Verurteilung mit einer mehrjährigen und nicht mehr aussetzungsfähigen Freiheitsstrafe zu rechnen, die ihm einen erheblichen Fluchtanreiz bietet. Der nach der gesetzlichen Neuregelung für den verbleibenden Tatvorwurf des bandenmäßigen Handeltreibens mit Cannabis in nicht geringer Menge (§ 34 Abs. 4 Nr. 3 KCanG) eröffnete Strafrahmen sieht Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren vor.

Tragfähige Anhaltspunkte für das Vorliegen eines minder schweren Falles sind auch unter Berücksichtigung der Stellungnahme der Verteidigung mit Schriftsatz vom 15. April 2024 nicht ersichtlich. Der Vortrag, dass der plantagenmäßige Anbau von Cannabis zukünftig genehmigungsfähig sei, rechtfertigt schon mit Blick darauf, dass dieser Teil der geplanten, aber noch nicht in Kraft getretenen Neureglung – gänzlich anders als in dem vorliegenden Fall – ausschließlich den Anbau durch nicht-gewinnorientierte Vereinigungen zum Eigenkonsum betrifft (§ 1 Nr. 13 KCanG, BT-Drs., a. a. O., S. 16 ff.), keine andere Bewertung. Auch dem Vorbringen, dass es sich bei den Bandenmitgliedern um enge Freunde oder Familienangehörige handele, kommt für die Annahme eines minder schweren Falles nach einer allein möglichen vorläufigen Bewertung keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Zwar kann es für die Annahme eines minder schweren Falles sprechen, wenn der Zusammenschluss der Beschuldigten primär auf ihrer persönlichen Verbundenheit beruht und nicht dem Bild der üblichen Bandenkriminalität entspricht, das der Gesetzgeber mit dem am 22. September 1992 in Kraft getretenen Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität (OrgKG) vor Augen hatte (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juni 2009 – 3 StR 171/09 –, juris Rn. 3; Maier in: Weber/Kornprobst/Maier, BtMG 6. Aufl., § 30 Rn. 302 ff., m. w. Nachw.). Eine derartige persönliche Beziehung ist nach dem vorliegenden Ermittlungsergebnis jedoch nur zwischen dem Angeschuldigten S. und der gesondert Verfolgten Pa., nicht aber im Verhältnis dieser beiden zu den übrigen Bandenmitgliedern oder zwischen diesen untereinander ersichtlich. Dass es sich bei der gesondert Verfolgten um die (nur für etwas mehr als eineinhalb Jahre mit ihm verheiratete) geschiedene Ehefrau des Angeschuldigten P. handelt, rechtfertigt keine andere Bewertung. Eine in ihrer Organisation nicht gemeingefährliche und daher für das Vorliegen eines minder schweren Falles streitende Bande liegt vorliegend zudem auch deshalb fern, da der Zusammenschluss offensichtlich in erster Linie der Erzielung erheblicher Gewinne diente (vgl. Maier, a. a. O.) und nicht einer persönlichen Verbundenheit (einzelner) Mitglieder geschuldet war.

Im Gegenteil wird strafschärfend insbesondere zu berücksichtigen sein, dass sich die Tat gleich auf drei Groß-(Plantagen) bezieht und die sichergestellte Menge Cannabis eine Wirkstoffmenge von knapp 7 Kilogramm THC enthält, welche den (weiter gültigen) Grenzwert der nicht geringen Menge um etwa das Neunhundertfache übersteigt. Auch wenn es im Hinblick auf das Verbot der Doppelverwertung (§ 46 Abs. 3 StGB) Bedenken begegnet, zudem das in der Beschwerdebegründung angeführte hohe Maß an professionellem und strukturiertem Vorgehen zu berücksichtigen – das eine bandenmäßigen Begehung regelmäßig kennzeichnen dürfte –, wenn sich allein dadurch die Gefährlichkeit der Tat nicht weiter erhöht (vgl. Maier, a. a. O., § 30 Rn. 332, m. w. Nachw.), teilt der Senat die Einschätzung der Staatsanwaltschaft, dass der – wenngleich bislang nicht einschlägig – erheblich vorbestrafte Angeschuldigte vorliegend eine deutlich über dem Mindestmaß von zwei Jahren anzusetzende mehrjährige Freiheitsstrafe zu erwarten hat, auf die nach § 51 Abs. 1 StGB bislang lediglich gut viereinhalb Monate Untersuchungshaft anzurechnen wären.

Nach der zum gegenwärtigen Zeitpunkt allein möglichen vorläufigen Bewertung durch den Senat ist die Aussetzung der Vollstreckung eines Strafrestes nach § 57 Abs. 1 StGB nicht konkret im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu erwarten (vgl. zu den Anforderungen an die Prognose nach § 57 StGB und zur Begründungstiefe insoweit z. B. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 29. Juli 2021 – 2 BvR 1195/21 –, juris Rn. 9, und stattgebender Kammerbeschluss vom 17. Januar 2013 – 2 BvR 2098/12 –, juris Rn. 47). Dem Angeschuldigten, der in der Vergangenheit – unter anderem wegen Totschlags und schweren Raubes in mehreren Fällen – zu Jugend- und Freiheitstrafe verurteilt worden ist und schon langjährig Strafhaft verbüßt hat, wird das sogenannte „Erstverbüßerprivileg“ nicht zugutekommen. Vielmehr sind mit Blick auf seine Delinquenzgeschichte, die das Bestehen ernstzunehmender persönlichkeitsimmanenter Rückfallrisiken nahelegt, an die nach § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB zu stellende Legalprognose vorliegend strenge Anforderungen anzulegen (vgl. Senat, Beschlüsse vom 13. Juli 2021 – 5 Ws 146/21 –, juris Rn. 12, und 9. September 2020 – 5 Ws 138-140/20 –, juris Rn. 8; jew. m. w. Nachw.). Zudem sind auch im Hinblick auf die Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit schon deshalb erhöhte Ansprüche an die Wahrscheinlichkeit zukünftiger Straffreiheit zu stellen, weil die vorliegende Tat den Bereich des bandenmäßigen Rauschmittelhandels betrifft (vgl. Senat, Beschlüsse vom 20. April 2023 – 5 Ws 48/23 –, 25. Mai 2020 – 5 Ws 55/20 – und 6. Juli 2006 – 5 Ws 273/06 –, juris Rn. 4 f.). Das Tatgeschehen ist durch eine gut organisierte Planung, arbeitsteiliges Zusammenwirken und stark profitorientiertes Handeln geprägt. Diese Umstände belegen eine erhöhte Gefährlichkeit des Angeschuldigten, zumal die Tat erkennbar nicht nur lebensphasischen, situativen Faktoren entsprang, sondern vor allem Ausdruck erheblicher, langjährig in Straftaten zutage getretener Persönlichkeitsdefizite sein dürfte (vgl. Senat, Beschluss vom 13. Juli 2021, a. a. O., Rn. 16, m. w. Nachw.). Ob die Anforderungen für eine Reststrafaussetzung später erfüllt sein werden, hängt maßgeblich von der weiteren Entwicklung des Angeschuldigten (im Vollzug) ab, die derzeit noch nicht absehbar ist.

bb) Dem danach gegebenen starken Fluchtanreiz stehen keine beruflichen oder sozialen Bindungen des Angeschuldigten gegenüber, die ihn entscheidend mindern. Der kinderlose Angeschuldigte, der auch sonst über keine gefestigten familiären Bindungen verfügt, wohnt nach den vorliegenden Erkenntnissen allein und ging jedenfalls in den vergangenen Jahren keiner legalen Beschäftigung nach. Zugleich muss angesichts dessen, dass er nach dem Ermittlungsergebnis maßgeblich an dem Betrieb von jedenfalls zwei (Groß-)Plantagen zum auf den Absatz gerichteten Anbau von Cannabispflanzen beteiligt war, davon ausgegangen werden, dass er gegenwärtig über beachtliche finanzielle Mittel oder noch nicht entdecktes Vermögen verfügt, die ihm ein Untertauchen – sei es auch nur innerhalb Deutschlands oder Berlins – ermöglichen oder zumindest erleichtern könnten. Zudem hat der Angeschuldigte zwischen 2016 und 2020 in Spanien gelebt, was zeigt, dass er befähigt ist, sein Leben für einen unbestimmten Zeitraum auch im Ausland zu führen, und nahelegt, dass er dort über potentiell fluchtbegünstigende Kontakte verfügt. Dass er beabsichtigen könnte, sich dem Strafverfahren dorthin zu entziehen, liegt vor diesem Hintergrund jedenfalls nicht fern. Im Falle eines tatsächlichen Untertauchens des Angeschuldigten im (europäischen) Ausland wäre sein Aufenthalt dort nur schwer ermittelbar. Aufgrund dieser dem Senat bekannten Lebensverhältnisse überwiegt bei der gebotenen Gesamtwürdigung die Wahrscheinlichkeit, dass sie den Angeschuldigten nicht davon abhalten werden, sich dem weiteren Verfahren zu entziehen.

c) In Anbetracht der gegenwärtig instabilen Lebensverhältnisse des Angeschuldigten kann der Fluchtgefahr auch nicht durch die vom Landgericht beschlossenen Ersatzmaßnahmen nach § 116 Abs. 1 StPO wirksam begegnet werden, da diese Maßnahmen vorliegend nicht mit der erforderlichen großen Wahrscheinlichkeit (vgl. Lind in: Löwe-Rosenberg, StPO 27. Auflage, § 116 Rn. 12; Krauß in: BeckOK StPO, 51. Edition 01.04.2024, § 116 Rn. 6, jeweils m. w. Nachw.) und damit hinreichend die Erwartung begründen, dass der Zweck der Untersuchungshaft auch durch sie erreicht werden kann und der Angeschuldigte sich dem Verfahren nicht entziehen wird. Dass er seine Ausweispapiere weisungsgemäß zur Akte gereicht hat, hindert ein mögliches Absetzen ins Ausland – insbesondere innerhalb des Schengen-Raums – ebenso wenig entscheidend wie die Anweisung, die Bundesrepublik nicht zu verlassen.

Dass der Angeschuldigte auch den übrigen ihm mit dem angefochtenen Beschluss erteilten Anweisungen bislang – soweit für den Senat ersichtlich – nachgekommen ist und die tatsächlich vorhandene Möglichkeit zur Flucht nicht genutzt hat, was im Rahmen der Haftfrage für ihn sprechen kann (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 8. April 2019 – 3 Ws 102/19 –, juris Rn. 25; Senat, Beschluss vom 12. Juni 2023 – 5 Ws 93/23 –, m. w. Nachw.), führt zu keinem anderen Ergebnis. Dieses Wohlverhalten über einen Zeitraum von erst wenigen Wochen lässt vor dem Hintergrund des vorliegend erheblichen Fluchtanreizes, der leicht löslichen Lebensverhältnisse des Angeschuldigten und der übrigen dargelegten Umstände, die es ihm erleichtern könnten, sich der weiteren Strafverfolgung zu entziehen, aus Sicht des Senats jedoch noch nicht den hinreichend sicheren Schluss zu, dass auf ihn auch in Zukunft Verlass sein wird. Nichts anderes folgt aus der erst am 25. März 2024 aufgenommenen Tätigkeit in einer Druckerei.“