Archiv der Kategorie: Urteil

Strafzumessung II: Bewährungsentscheidung, oder: „Die Angeklagte hat keine Unrechtseinsicht gezeigt….“

© ferkelraggae – Fotolia.com

Als zweite Entscheidung stelle ich den BGH, Beschl. v. 02.06.2021 – 6 StR 224/21 – vor. Das LG hat die Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von „18 Monaten“ verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich die Angeklagte mit ihrer Revision, die hinsichtlich des Strafausspruchs Erfolg hatte:

„2.a) Der Strafausspruch bedarf insoweit der Berichtigung, als das Landgericht eine Freiheitsstrafe von „18 Monaten“ anstelle einer solchen von einem Jahr und sechs Monaten verhängt hat. Gemäß § 39 StGB sind Freiheitsstrafen ab einer Dauer von einem Jahr grundsätzlich nach vollen Monaten und Jahren zu bemessen.

b) Die Entscheidung des Landgerichts, die Vollstreckung der Freiheitsstrafe nicht zur Bewährung auszusetzen, hält rechtlicher Prüfung nicht stand.

Es hat zur Begründung der nach seiner Auffassung ungünstigen Kriminalprognose im Sinne von § 56 Abs. 1 StGB in rechtsfehlerhafter Weise unter anderem darauf abgestellt, dass die Angeklagte keine Unrechtseinsicht gezeigt, sondern die verfahrensgegenständliche Tat als Unfall dargestellt habe. Fehlende Unrechtseinsicht durfte nicht zum Nachteil der die Tat bestreitenden Angeklagten gewertet werden; denn auch im Rahmen des § 56 StGB darf einem Angeklagten ein die Grenzen des Zulässigen nicht überschreitendes Verteidigungsverhalten nicht angelastet werden (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. Januar 2016 ‒ 4 StR 521/15 ; vom 20. April 1999 ‒ 4 StR 111/99 , NStZ-RR 1999, 358; vom 20. Februar 1998 ‒ 2 StR 14/98 ,StV 1998, 482).

Der Senat vermag nicht auszuschließen, dass das Landgericht zu einer günstigeren Prognose gelangt wäre, wenn es die fehlende Unrechtseinsicht außer Acht gelassen hätte.“

Im Übrigen: Wahrscheinlich ein „Eigentor“, denn:

„Auch die Nichtanordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ( § 64 StGB ) begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.2

Die Revision war also insoweit nicht beschränkt. Warum nicht? Ich kann mir nicht vorstellen, dass Ziel der Revision die Unterbringung war.

 

Strafzumessung I: Ein besonders schwerer Fall, oder: Die Rolle von Straferschwerungsgründen

© beermedia.de -Fotolia.com

Ich habe schon länger keine Entscheidunge mehr zu Strafzumessungsfragen vorgestellt. Das hole ich heute nach.

Ich starte mit dem BGH, Beschl. v. 08.06.2021 – 5 StR 151/21. Das LG hatte den Angeklagten ‒ unter Freisprechung im Übrigen ‒ wegen Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Dagegen die Revision, die hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs Erfolg hatte:

„Der Strafausspruch hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

Das Landgericht hat einen unbenannten besonders schweren Fall der Nötigung angenommen und die Strafe daher dem Strafrahmen des § 240 Abs. 4 Satz 1 StGB entnommen. Es hat dies rechtsfehlerfrei damit begründet, dass der Angeklagte die Nebenklägerin in Todesangst versetzt und hierdurch nachhaltig traumatisiert hat. Bei der Strafzumessung im engeren Sinn hat die Strafkammer diesen Umstand neben weiteren „ergänzend“ herangezogenen Gesichtspunkten nochmals strafschärfend berücksichtigt.

Dies begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Denn es ist nicht zulässig, Umstände, die bei der Strafrahmenwahl einen besonders schweren Fall begründet haben, mit ihrem vollen Gewicht bei der konkreten Strafzumessung schärfend zu berücksichtigen. Das gilt nicht nur für die Modalitäten, die ein Regelbeispiel darstellen, sondern auch für Straferschwerungsgründe, die in ihrem Schweregrad als den Regelbeispielen gleichwertig angesehen werden (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Juni 1997 ‒ 2 StR 244/97 , BGHR StGB § 50 Strafhöhenbemessung 6 ; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 701)…..“

Verkehrsrecht III: Straßenverkehrsgefährdung, oder: Die fremde Sache vom „bedeutenden Wert“ im Urteil

© 3dkombinat – Fotolia.de

Und zum Abschluss des Tages dann noch ein Beschluss des OLG Hamm, und zwar der OLG Hamm, Beschl. v. 20.05.2021 – 4 RVs 48/21, ein Klassiker, nämlich zur Frage der Urteilsgründe hinsichtlich der konkreten Gefährdung einer fremden Sache von bedeutendem Wert.

Da reicht der Leitsatz:

Um eine konkrete Gefährdung einer fremden Sache von bedeutendem Wert i. S. v. § 315c StGB bejahen zu können, bedarf es bestimmter Angaben zum Wert der Sache und zur Höhe des drohenden Schadens, berechnet anhand der am Marktwert zu messenden Wertminderung.

JGG II: Wenn der JGH-Bericht nicht im Urteil auftaucht, oder: Sachrüge oder Verfahrensrüge?

© Gerhard Seybert – Fotolia.com

Die zweite Entscheidung des Tages stammt vom OLG Celle. Das hat im OLG Celle, Beschl. v. 28.05.2021 – 2 Ss 38/21 – zur Frage Stellung genommen, ob es einen sachlich-rechtlichen Mangel des Urteils darstellt, wenn in den Urteilsgründen die  Stellungnahme der Jugendgerichtshilfe nicht mitgeteilt wird. Falls ja, müsste das ggf. auf die Sachrüge hin beachtet werden, falls nicht, müsste ggf. eine Verfahrensrüge erhoben werden. Das OLG hat die Frage verneint:

„Der Erörterung bedarf insoweit lediglich folgendes: Ob bei der Verurteilung eines Heranwach-senden Jugendrecht anzuwenden ist, weil er – wie im vorliegenden Fall vom Landgericht angenommen – zum Tatzeitpunkt noch einem Jugendlichen gleichstand, ist im Wesentlichen Tatfrage. Dem Jugendgericht steht bei der Beurteilung der Reife des Heranwachsenden grundsätzlich ein erheblicher Ermessensspielraum zu (BGH, Urt. v. 09.08.2001 – 1 StR 211/11 – juris; OLG Celle, Beschl. v. 26.06.2012 – 32 Ss 78/12 – juris). Um dem Revisionsgericht die Überprüfung der getroffenen Entscheidung zu ermöglichen, müssen die für die Entwicklung des Heranwach-senden maßgeblichen tatsächlichen Umstände und die hieraus gezogenen rechtlichen Schluss-folgerungen dargelegt und in einer Gesamtschau gewürdigt werden (Senat, Beschluss vom 20. September 2019, Az.: 2 Ss 112/19). Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil ge-recht, wenngleich es an der Mitteilung des Inhalts der Stellungnahme der Jugendgerichtshilfe in der Berufungsverhandlung fehlt. Letzterer Umstand und seine rechtlichen Folgen werden von der Rechtsprechung unterschiedlich bewertet. Teilweise wird die fehlende Mitteilung bereits auf die allgemeine Sachrüge hin berücksichtigt (vgl. BGH, Beschluss vom 15. März 2011 – 5 StR 35/11 –, juris; KG Berlin, Beschluss vom 23. August 2012 – (4) 121 Ss 170/12 (202/12) -, juris). Allerdings handelte es sich in den diesen Entscheidungen zugrunde liegenden Fällen um mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbare Sachverhalte: Bei der angeführten Entscheidung des Bundesgerichtshofs war in den Gründen des angefochtenen Urteils lediglich ausgeführt worden, dass die Vertreterin der Jugendgerichtshilfe in der Hauptverhandlung zur Frage etwaiger Reifeverzögerungen des Angeklagten eine von der Beurteilung des Tatgerichts abweichende Einschätzung abgegeben hatte, ohne dass den Urteilsgründen die von ihr vorgetragenen Argumente und eine Auseinandersetzung mit diesen zu entnehmen war. In der zitierten Entscheidung des Kammergerichts waren in dem zugrundeliegenden Urteil keine ausreichenden Feststellungen zur Entwicklung des Angeklagten getroffen worden, was als sachlich-rechtlicher Mangel gewertet wurde. Für die Annahme solcher Mängel der vorgenannten Art ist vorliegend indes angesichts der umfassenden Darlegung und sorgfältigen Würdigung der von der Jugendkammer zur Begründung der Anwendung von Jugendrecht auf den Angeklagten angeführten Gesichtspunkte sowie mangels Anhaltspunkten für gegenteilige Erkenntnisse oder Ausführungen der Jugendgerichtshilfe kein Raum gegeben.

In Fällen der vorliegenden Art, in denen in den Gründen des angefochtenen Urteils die für die Beurteilung des Vorliegens von Reifeverzögerungen maßgeblichen tatsächlichen Umstände der Entwicklung des Angeklagten sowie die hieran anknüpfenden rechtlichen Erwägungen des Tatgerichts dargelegt worden sind und es lediglich an der Mitteilung der Stellungnahme der Jugendgerichtshilfe fehlt, ist die unterbliebene Mitteilung nicht als sachlich-rechtlicher Mangel an-gesehen worden (vgl. BGH, NStZ-RR 1999, 26; OLG Hamm, Beschl. v. 25.11.2004 – 2 Ss 413/04 –, juris). Es handele sich vielmehr um einen Verfahrensmangel, der nur mit einer den Anforderungen von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden Verfahrensrüge der Verletzung der gerichtlichen Amtsaufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO geltend gemacht werden könne (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 01. Juli 1998 – 1 StR 182/98, NStZ-RR 1999, 26; OLG Hamm, Be-schluss vom 25. November 2004 – 2 Ss 413/04 -, juris). Dies wird mit dem allgemein geltenden Grundsatz begründet, dass allein die fehlende Erwähnung eines erhobenen Beweises nicht belege, dass das Ergebnis dieser Beweiserhebung nicht in die Überzeugungsbildung eingeflossen sei, was für die Stellungnahme der Jugendgerichtshilfe in der Hauptverhandlung entsprechend gelte (vgl. BGH aaO). Dieser Auffassung schließt sich der Senat an. Eine entsprechende Verfahrensrüge ist im vorliegenden Fall durch den Angeklagten nicht erhoben worden.“

OWi I: Fahreridentifizierung anhand eines Lichtbildes, oder: Bezugnahme auf CD nicht zulässig

entnommen wikimedia.org

Heute dann ein Tag mit OWi-Entscheidungen. Allerdings – darauf hatte ich neulich schon hingewiesen: So richtige „Knaller-Entscheidungen“ gibt es derzeit nicht. Im OWi-Bereich ist es verhältnismäßig ruhig.

Hier als erstes dann der OLG Hamm, Beschl. v. 17.06.2021 – 4 RBs 141/21. Der bringt aber auch nichts Neues, sondern bestätigt nur noch einmal, was ständige Rechtsprechung ist:  Es kann nicht gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG auf ein bei den Akten befindliches elektronisches Speichermedium Bezug genommen werden:.

„Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht (§ 79 Abs. 6 OWiG). Zu einer Zurückverweisung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts bestand kein Anlass.

Die Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils weist einen auf die Sachrüge hin beachtlichen Rechtsfehler zu Lasten des Betroffenen auf. Die Urteilsgründe müssen so gefasst sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht prüfen kann, ob das Belegfoto überhaupt geeignet ist, die Identifizierung einer Person zu ermöglichen. Diese Forderung kann der Tatrichter dadurch erfüllen, dass er in den Urteilsgründen auf ein in der Akte befindliches Foto gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG Bezug nimmt. Aufgrund der Bezugnahme wird das Lichtbild zum Bestandteil der Urteilsgründe. Das Rechtsmittelgericht kann die Abbildung aus eigener Anschauung würdigen und ist daher auch in der Lage zu beurteilen, ob es als Grundlage einer Identifizierung tauglich ist. Macht der Tatrichter von der Möglichkeit des § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO Gebrauch, so sind darüberhinausgehende Ausführungen zur Beschreibung des abgebildeten Fahrzeugführers entbehrlich (OLG Brandenburg, Beschl. v. 25.02.2020 – (1 B) 53 Ss-OWi 8/20 (11/20) -juris m.w.N.). Eine Bezugnahme gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG ist allerdings auf ein (bei den Akten befindliches) elektronisches Speichermedium nicht angängig, sondern allenfalls auf Ausdrucke von Bildern, die sich auf diesem befinden (vgl. nur BGH NJW 2012, 244; OLG Bamberg, Beschl. v. 19.07.2017 – 3 Ss OWi 836/17 – juris; OLG Hamm, Beschl. v. 04.02.2019 – III-4 RBs 17/19 -juris).

Es kann dahinstehen, ob das Amtsgericht hier mit der bloßen Erwähnung von Blattzahlen bzgl. zweier Messfotos und der Erwähnung des „auf CD befindlichen Lichtbildes“ überhaupt eine Bezugnahme in dem o.g. Sinne vorgenommen hat (vgl. insoweit nur: OLG Hamm, Beschl. v. 23.03.2017 – III-4 RVs 30/17 -juris m.w.N.). Jedenfalls bzgl. des „auf CD befindlichen Messfotos“ – von dem unklar bleibt, ob es mit einem der erwähnten Bilder auf Bl. 13 und 61 d.A. identisch ist -, auf welches das Amtsgericht seine Überzeugungsbildung „insbesondere“ stützt, liegt nach ständiger Rechtsprechung (s.o.) keine zulässige Bezugnahme vor. Da das Amtsgericht das Lichtbild selbst als bloß „von mittlerer Qualität“ bezeichnet, hätte es daher dann näherer Ausführungen zu seinem Inhalt, insbesondere auch zur Schärfe, Beleuchtungsverhältnissen u. ä. bedurft, um eine Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht zu ermöglichen.“