Archiv der Kategorie: Strafrecht

Strafzumessung I: „Taten unter Observation…“, oder: Das allein ist kein Strafmilderungsgrund

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Und dann heute drei Strafzumessungsentscheidungen.

Zum Warmwerden hier zunächst der BGH, Beschl. v. 26.04.2023 – 5 StR 122/23 – mit folgenden „ergänzenden“ Ausführungen des BGH:

„Ergänzend bemerkt der Senat:

Soweit das Landgericht bei der Strafzumessung in den Fällen II.4 und II.5 strafmildernd berücksichtigt hat, „dass die Taten unter laufender Observation begangen wurden, so dass zumindest eine Einschreitemöglichkeit der Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft bestanden hätte“, erweist sich dies als rechtsfehlerhaft, da allein eine Observation und die deshalb denkbare Möglichkeit eines Einschreitens der Ermittlungsbehörden für sich genommen keinen Strafmilderungsgrund begründet (vgl. BGH, Urteile vom 7. Februar 2022 – 5 StR 542/20, NJW 2022, 1826, 1827 …; vom 22. Juni 2022 – 5 StR 9/22 und vom 6. Januar 2022 – 5 StR 2/21, NStZ-RR 2022, 140, 141). Zudem erklärt sich die Annahme des Landgerichts, die „Rechtsgutsgefährdung bezüglich des Eigentums der Restauranteigentümer“ sei hier „geringer als in unbeobachteten Fällen“, angesichts des Umstands, dass die den Tatort observierenden Polizeikräfte das Eindringen in die Räume der Restaurants in beiden Fällen nicht wahrgenommen hatten und der Angeklagte deswegen die Taten unbemerkt ausführen konnte, nicht im Ansatz. All dies beschwert ihn jedoch nicht.“

Corona I: „Judenstern“ mit „Ungeimpft“ bei FB, oder: (Keine) Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens?

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So, und heute dann seit längerem mal wieder „Corona-Entscheidungen“ bzw. Entscheidungen zu Fragen, die sich aus der Corona-Pandemie ergeben haben.

Zunächst das KG, Urt. v. 11.05.2023 – (4) 121 Ss 124/22 (164/22) – mit einem Sachverhalt, den man kennt. Das AG Tiergarten hat den  wegen Volksverhetzung (§ 130 Abs. 3 StGB) zu einer Geldstrafe verurteilt. Auf die hiergegen eingelegte Berufung des Angeklagten hin hat das LG das Urteil aufgehoben und den Angeklagten freigesprochen. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision. Die hatte keinen Erfolg.

Das KG geht von folgenden amtsgerichtlichen Feststellungen aus:

2. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:

„Am 12. März 2021 um 12.18 Uhr teilte der Angeklagte in B. auf seinem öffentlich einsehbaren Profil der Internet-Plattform Facebook den Post eines Bekannten. Dieser Post beinhaltete das Bild eines gelben Sterns, der in dieser Art in der Zeit des Nationalsozialismus zur Kennzeichnung von Juden verwendet wurde, mit der Inschrift „Nicht geimpft“ und der unmittelbar darüber plazierten Überschrift „Die Jagd auf Menschen kann nun wieder beginnen“. Den Post versah der Angeklagte zusätzlich mit dem Kommentar: „Ich bin dabei, einen Judenstern zu basteln und an meine Jacke zu stecken, wenn die indirekte Impfpflicht kommt!“

Der Beitrag wurde bei Facebock von Nutzern sowohl positiv als auch – überwiegend – negativ kommentiert, wobei die negativen Kommentare unter anderem auf die Unverhältnismäßigkeit des Vergleichs mit dem Holocaust und die damit verbundene Verharmlosung desselben hinwiesen.

Der Angeklagte, der jüdische Vorfahren hat, seit 2017 Mitglied der Deutsch-Israelischen Gesellschaft e.V. ist und im Jahr 2015 versuchte, zum Judentum zu konvertieren, wollte mit dem Post auf die Diskriminierung von Ungeimpften und Impfgegnern – wie ihm selbst – hinweisen und sich als Opfer der Coronapolitik der deutschen Bundesregierung darstellen.“

Hier der Leitsatz zu der KG-Entscheidung:

Die für jedermann zugängliche Veröffentlichung eines sogenannten „Judensterns“ mit dem Zusatz „Ungeimpft“ auf der Plattform Facebook ist zur Störung des öffentlichen Friedens jedenfalls dann nicht geeignet, wenn sie auf ein kritisches persönliches Umfeld trifft und sich aus ihrem übrigen Inhalt – hier der Ankündigung, sich einen „Judenstern“ zu „basteln“ – ergibt, dass sie nicht auf die Provokation unfriedlicher Reaktionen oder die Herabsetzung von Hemmschwellen gegen rechtsgutgefährdende Handlungen angelegt ist.

Verkehrsrecht III: Fahren ohne Haftpflichtversicherung, oder: Gebrauch des „bloßen“ Beifahrers

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Und dann hier noch eine Entscheidung des KG.

In dem Verfahren hatte das LG den Angeklagten wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit vorsätzlichem Gebrauch eines Fahrzeugs ohne Haftpflichtversicherungsvertrag, mit Urkundenfälschung, mit fahrlässiger Körperverletzung und mit unerlaubtem Entfernen vom Unfallort sowie eines weiteren Vergehens des vorsätzlichen Gebrauchs eines Fahrzeugs ohne Haftpflichtversicherungsvertrag in Tateinheit mit Urkundenfälschung schuldig gesprochen.

Dagegen die Revision des Angeklagten, die das KG mit dem KG, Beschl. v.27.02.2023 – 3 ORs 5/23 – 161 Ss 20/23  – nach § 349 Abs. 2 StPO verworfen hat.  Das KG merkt dazu an:

„Erläuternd bemerkt der Senat:

1. Die Umstellung des Schuldspruchs dient der Klarstellung.

2. Nachdem der Angeklagte sich in Bezug auf den fehlenden Versicherungsschutz glaubhaft geständig eingelassen hatte, waren genaue Feststellungen zum nicht bestehenden Versicherungsschutz erlässlich. Zwar verlangt die obergerichtliche Rechtsprechung in der Regel tatrichterliche Feststellungen, die es dem Revisionsgericht ermöglichen, das Erlöschen (oder die Nichtentstehung) des Versicherungsschutzes zivilrechtlich nachzuvollziehen (vgl. Senat StRR 2021, Nr. 10 [Volltext bei juris]; VRS 134, 15; Beschluss vom 5. Juni 2000 – 3 Ss 31/00 – [juris]; OLG Brandenburg, Beschluss vom 1. April 2020 – 1 Ss 24/20 [juris] –). Dies ist jedoch kein Selbstzweck, sondern wird dem Umstand gerecht, dass die Wirksamkeit eines Rücktritts bei versäumter Zahlung der Erstprämie (§ 37 VVG) oder einer Kündigung bei versäumter Zahlung der Folgeprämie (§ 38 VVG) vom (fast immer formlos veranlassten) Zugang beim Versicherungsnehmer abhängt. Äußert ein Angeklagter aber glaubhaft, er wisse um den fehlenden Versicherungsschutz, sind diese Feststellungen erlässlich.

3. Es ist sachlich-rechtlich nicht zu beanstanden, dass die Strafkammer darin den eigenständigen Gebrauch (§ 6 Abs. 1 Alt. 1 PflVG) eines nicht haftpflichtversicherten Fahrzeugs (und nicht nur dessen Gestatten i. S. d. § 6 Abs. 1 Alt. 2 PflVG) gesehen hat, dass der Angeklagte als Käufer und damit (im wirtschaftlichen und „materiellen“ Sinn) Halter des PKW (vgl. König in Hentschel/König/Dauer, StVR 45. Aufl., § 7 StVG Rn. 18 m. w. N.) im Wissen um die fehlende Haftpflichtversicherung und den Einsatz gefälschter Kennzeichen bei der Fahrt einer anderen Person Beifahrer war. Aus den Urteilsfeststellungen ergibt sich, dass der Angeklagte kraft Tatplanung und Kenntnis aller strafbarkeitsbegründenden Umstände die Tatherrschaft hatte und die Fahrt der Verfolgung seiner persönlichen Ziele diente, nämlich der Inbesitznahme des gekauften Fahrzeugs. Die Tathandlung ging damit über das Gestatten des Fahrzeuggebrauchs hinaus und stellte einen eigenständigen Gebrauch dar.

4. Unter demselben Gesichtspunkt des Gebrauchens einer unechten Urkunde (§ 267 Abs. 1 Alt. 3 StGB) hat der Angeklagte auch die Urkundenfälschung nicht nur als Teilnehmer, sondern täterschaftlich begangen.

5. Es dürfte höchstrichterlicher Rechtsprechung entsprechen, dass das Landgericht in dem das Unfallgeschehen einschließenden Teil der Fahrt (§§ 21 StVG, 1, 6 PflVG, 229, 267 StGB) sowie in der nach § 142 StGB strafbaren Weiterfahrt nur eine Tat im materiell-rechtlichen Sinn (§ 52 StGB) gesehen hat. Seit BGHSt 21, 203 ist zwar gefestigt anerkannt, dass der vom betrunken oder ohne Fahrerlaubnis fahrenden Täter verursachte und bemerkte Verkehrsunfall konkurrenzrechtlich eine Zäsur bildet: Fährt der Täter hiernach weiter, so handelt es sich um eine andere und neue Tat im sachlich-rechtlichen Sinn (§ 53 StGB). Diese Zäsurrechtsprechung wird aber nach neueren BGH-Judikaten von dem Grundsatz überlagert, dass das Herstellen und das Gebrauchen einer unechten Urkunde nicht nur eine tatbestandliche Handlungseinheit bilden, sondern dass im Falle unechter Kennzeichen das fortdauernde Gebrauchen der Urkunde sogar mehrere Fahrten zu einer Tat verklammert (vgl. BGH NZV 2019, 37 mit ähnlichem Sachverhalt wie hier).

Diese Rechtsprechung stößt zwar in der Literatur auf Widerspruch. So wird angemerkt, es erschließe sich nicht, „warum das zäsierende Element (also der Unfall) allein dadurch wieder überlagert werden soll, dass der Täter – womöglich bereits vor geraumer Zeit und ohne sich dessen noch bewusst zu sein – sein Fahrzeug mit einem `falschen´ Kennzeichen versehen hat“ (vgl. Klose, NZV 2023, 507 m. w. N.). Die hier angefochtene Entscheidung entspricht aber dieser neueren BGH-Rechtsprechung, so dass der Senat schon deshalb keinen Anlass zur Abänderung sieht. Auch begünstigt die durch die Strafkammer angenommene Handlungseinheit (§ 52 StGB) den Angeklagten, so dass er hierdurch nicht beschwert ist.

6. Auch gegen die Rechtsfolgen ist nichts zu erinnern. Namentlich die Versagung der Bewährung ist frei von Rechtsfehlern begründet.“

Verkehrsrecht II: Trunkenheitsfahrt mit E-Scooter, oder: Richtige Annahme des Grenzwertes von 1,1 ‰ ?

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Im zweiten Posting dann noch einmal etwas vom BGH zur Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter.

Das LG hatte den Angeklagten u.a. wegen Trunkenheit im Verkehr (§ 316 StGB)  verurteilt und eine isolierte Sperre für die Fahrerlaubnis erteilt. Nach den Feststellungen führte der Angeklagte einen E-Scooter „der Marke Ancheer“ im Rahmen einer „Probefahrt“ auf einem öffentlichen Geh- und Radweg. Eine ihm 75 Minuten nach Fahrtende entnommene Blutprobe ergab eine BAK von 1,29 ‰.

Der BGH hat mit dem BGH, Beschl. v. 13.04.2023 – 4 StR 439/22 – die Revision des Angeklagten verworfen. Dieser habe ein Kraftfahrzeug geführt, für das der Grenzwert von 1,1 ‰ gelte:

„Die Verurteilung wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr (§ 316 StGB) im Fall II.2. der Urteilsgründe ist rechtsfehlerfrei. Nach den Feststellungen führte der Angeklagte den zuvor entwendeten „E-Scooter der Marke Ancheer“ im Rahmen einer „Probefahrt“ auf einem öffentlichen Geh- und Radweg. Eine ihm ungefähr 75 Minuten nach Fahrtende entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 1,29 ‰. Im Ergebnis zu Recht hat das Landgericht allein aus diesem Wert, der mangels eines Nachtrunks auch für den Fahrtzeitraum mindestens zugrunde gelegt werden konnte, auf die – absolute – Fahruntüchtigkeit des Angeklagten geschlossen.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gilt der Grenzwert, von dem an eine absolute Fahruntüchtigkeit unwiderleglich indiziert ist, für alle Kraftfahrer (BGH, Beschluss vom 28. Juni 1990 – 4 StR 297/90, BGHSt 37, 89, 99 mwN), insbesondere auch für Fahrer von Krafträdern (BGH, Beschluss vom 14. März 1969 – 4 StR 183/68, BGHSt 22, 352, 360) einschließlich Fahrräder mit Hilfsmotor (Mofa) (BGH, Beschluss vom 29. Oktober 1981 – 4 StR 262/81, BGHSt 30, 251, 254). Ob an dieser pauschalen Betrachtung auch mit Blick auf die neu aufgekommene Fahrzeugklasse der Elektrokleinstfahrzeuge festgehalten werden kann, hat der Senat bisher offengelassen (BGH, Beschluss vom 2. März 2021 – 4 StR 366/20, NStZ 2021, 608).

Die Frage, die das Landgericht im Anschluss an die soweit ersichtlich einhellige obergerichtliche Rechtsprechung (KG Berlin, Beschluss vom 31. Mai 2022 – (3) 121 Ss 40/22 (13/22); KG Berlin, Urteil vom 10. Mai 2022 – (3) 121 Ss 67/21 (27/21), juris Rn. 16 ff.; OLG Hamburg, Urteil vom 16. März 2022 – 9 Rev 2/22, BeckRS 2022, 10351 Rn. 19; BayObLG, Beschluss vom 24. Juli 2020 ? 205 StRR 216/20) bejaht hat, bedarf auch hier keiner Entscheidung. Denn nach den Feststellungen handelte es sich bei dem vom Angeklagten geführten „E-Scooter“ nicht um ein Elektrokleinstfahrzeug. Dies ergibt sich, ohne dass es weiterer Feststellungen zu der technischen Beschaffenheit des Fahrzeugs bedurft hätte, bereits daraus, dass dieses eine Höchstgeschwindigkeit von 25 km/h erreichen konnte, wohingegen Elektrokleinstfahrzeuge gemäß § 1 Abs. 1 eKFV nur solche Kraftfahrzeuge mit elektrischem Antrieb sind, deren bauartbedingte Höchstgeschwindigkeit nicht weniger als 6 km/h und nicht mehr als 20 km/h beträgt. Da das Fahrzeug ausweislich der im Urteil in Bezug genommenen Lichtbilder keine Pedale aufwies, scheidet auch seine Klassifizierung als sog. „Pedelec“ und damit als Fahrrad des Straßenverkehrszulassungsrechts (§ 63a Abs. 2 StVZO) aus.

Im Ergebnis ist daher zweifelsfrei belegt, dass der Angeklagte ein Kraftfahrzeug führte, für das der Grenzwert von 1,1 ‰ Geltung beansprucht, und angesichts seiner festgestellten Blutalkoholkonzentration daher fahruntüchtig war.“

Dazu gibt es übrigens demnächst eine interessante Anmerkung des Kollegen Prof. RiLG. Dr. H. Neuhaus im VRR bzw. StRR. Lesenswert. Der Kollege wendet sich gegen die „automatische“ Erstreckung des Gutachtens des Bundesgesundheitsamts von 1966 auf den E-Scooter. Entscheidend für die Geltung der unwiderlegbaren Vermutung der Fahrunsicherheit ab 1,1 ‰ sei nicht, ob der Gesetz- oder Verordnungsgeber ein Fahrzeug als „Kraftfahrzeug“ einordne, sondern ob naturwissenschaftlich-medizinisches Erfahrungswissen darüber vorhanden sei, dass Führer solcher „neuen“ Fahrzeuge ab dieser Grenze absolut fahruntüchtig sind – gemessen an den Anforderungen, die an das sichere Führen solcher Fahrzeuge nach den für sie geltenden Regeln im Straßenverkehr zu stellen sind. Die Praxis prüfe das aber nicht…..

Verkehrsrecht I: Anforderungen an „Beinaheunfall“, oder: Kollisionsvermeidung duch starke Bremsung

Und heute dann mal – seit längerem – mal wieder – verkehrsrechtliche Entscheidungen.

Zunächst stelle ich – quasi zum Warmwerden – den BGH, Beschl. v. 02.02.203 – 4 StR 293/22 – vor. Thematk: Einer der verkehrsrechtlichen Dauerbrenner, nämlich die Frage nahc dem sog. Beinaheunfall bei § 315c StGB – Gefährdung des Straßenverkehrs.

Das LGte hat den Angeklagten wegen versuchten besonders schweren Raubes in Tatmehrheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs und mit verbotenem Kraftfahrzeugrennen verurteilt. Die Revision des Angeklagten hatte hinsichtlich der Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen § 315c StGB „Erfolg“:

„1. Der Schuldspruch wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 2 b), Abs. 3 Nr. 1 StGB im Fall B 2 der Urteilsgründe kann nicht bestehen bleiben, weil die Urteilsgründe nicht ergeben, dass durch den von dem Angeklagten eingeleiteten falschen Überholvorgang eine konkrete Gefährdung von Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremder Sachen von bedeutendem Wert herbeigeführt worden ist.

a) Nach den Feststellungen zu Fall B 2 der Urteilsgründe fuhr der Angeklagte auf die BAB 45 auf und beschleunigte sofort stark auf über 200 km/h, um sich einer Kontrolle durch ihn mit einem Streifenwagen verfolgende Polizeibeamte zu entziehen. Anschließend befuhr er über eine Strecke von mehr als 60 km die BAB 45, wobei er zum Zwecke der Flucht vor dem ihn durchgehend verfolgenden polizeilichen Einsatzfahrzeug stets versuchte, nach den konkreten Gegebenheiten die maximal mögliche Geschwindigkeit zu erreichen und entsprechend der Motorisierung seines Fahrzeugs und der konkreten Verkehrslage „alles aus seinem Fahrzeug herauszuholen“. Dabei überholte er, möglichst unter konstanter Beibehaltung einer Geschwindigkeit von über 200 km/h fahrend, mehrfach andere Verkehrsteilnehmer links und rechts, wobei er andere Fahrzeuge auch unter grober Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt bedrängte und zum Wechsel auf die rechte Spur nötigte. Im Verlauf der Fahrt musste er u.a. aufgrund einer Baustelle eine Fahrbahnverengung passieren, wobei an der konkreten Stelle eine Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h vorgeschrieben war. Der Angeklagte fuhr an dem stockenden Verkehr vorbei, indem er diesen unter Ausnutzung des Standstreifens rechtsseitig mit einer Geschwindigkeit von 160 km/h überholte. Am Ende des Standstreifens bremste er stark ab und „scherte abrupt und ruckartig“ in gefährlicher Fahrweise nach links vor einem anderen PKW ein. Das Fahrzeug musste „stark abbremsen“ um eine Kollision zu vermeiden.

Anschließend beschleunigte der Angeklagte wiederum stark und zog auf die rechte der nun getrennt verlaufenden Fahrspuren, welche er mit 140 km/h befuhr. Im weiteren Verlauf konnte er infolge der Einspurigkeit der Fahrbahn einen vor ihm fahrenden LKW nicht mehr überholen und fuhr trotz eingeleiteter Vollbremsung auf dessen Anhänger auf, wodurch an diesem ein Schaden in Höhe von 2.814,35 € entstand.

b) Diese Feststellungen tragen die Annahme des objektiven Tatbestandes der Gefährdung des Straßenverkehrs nicht. § 315c Abs. 1 StGB setzt in allen Tatvarianten eine konkrete Gefährdung von Leib oder Leben eines anderen oder fremder Sachen von bedeutendem Wert voraus. Dies ist nach gefestigter Rechtsprechung der Fall, wenn die Tathandlung über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus in eine kritische Situation geführt hat, in der – was nach allgemeiner Lebenserfahrung auf Grund einer objektiv nachträglichen Prognose zu beurteilen ist – die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache so stark beeinträchtigt wurde, dass es nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht. Erforderlich ist die Feststellung eines „Beinahe-Unfalls“, also eines Geschehens, bei dem ein unbeteiligter Beobachter zu der Einschätzung gelangt, es sei „noch einmal gut gegangen“ (st. Rspr.; vgl. zum Ganzen nur BGH, Beschluss vom 6. Juli 2021 – 4 StR 155/21, juris Rn. 5 mwN).

Hieran gemessen fehlt es an Feststellungen, die einen „Beinahe-Unfall“ in diesem Sinne belegen. Die Urteilsgründe sind auf die Wiedergabe der tatgerichtlichen Wertung beschränkt, dass eine Kollision nur durch eine starke Bremsung habe vermieden werden können. Es fehlt an Darlegungen zu den Abständen zwischen den Fahrzeugen, den von ihnen zum Zeitpunkt des Einscherens gefahrenen Geschwindigkeiten und zur Intensität der zur Vermeidung einer Kollision vorgenommenen Bremsung. Eine den obigen Anforderungen entsprechende kritische Verkehrssituation, in der eine eingetretene konkrete Gefahr durch eine Tathandlung des falschen Überholens nach § 315c Abs. 1 Nr. 2 b) StGB verursacht wurde, kann den Urteilsfeststellungen nicht entnommen werden.

c) Der Senat schließt aus, dass in einem zweiten Rechtsgang noch entsprechende Feststellungen getroffen werden können, und lässt die tateinheitlich erfolgte Verurteilung wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs daher entfallen. Damit verbleibt es im Fall B 2 bei der insoweit rechtsfehlerfreien Verurteilung wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens gemäß § 315d Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2, Abs. 4 StGB in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis.“

Hatte die Revision wirklich „Erfolg“? Na ja, denn: Es ist nur der Schuldspruch wegen § 315c StGB entfallen. Im Übrigen:

„2. Trotz der Änderung des Schuldspruchs kann die im Fall B 2 verhängte Einzelstrafe bestehen bleiben. Das Landgericht hat gegen den Angeklagten wegen dieser Tat eine Einzelstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verhängt, die es – rechtsfehlerfrei – gemäß § 52 Abs. 2 StGB dem Strafrahmen des § 315d Abs. 4 StGB entnommen hat. Angesichts der gewichtigen, in die Strafzumessungsbegründung der Strafkammer eingestellten strafschärfenden Umstände (erhebliche und auch einschlägige Vorstrafen; Tat unter laufender Führungsaufsicht begangen; verbotenes Kraftfahrzeugrennen mit Unfallfolge und über eine Distanz von mindestens 60 km) kann der Senat ausschließen, dass der rechtsfehlerhafte Schuldspruch nach § 315c Abs. 1 Nr. 2 b), Abs. 3 Nr. 1 StGB sich bei der Strafzumessung zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt hat.“

Ich bin immer erstaunt, was die Strafsenate so alles ausschließen können. Wenn man beim BGH ist, kann man das aber wahrscheinlich……