Archiv der Kategorie: Strafrecht

Corona I: BGH-Schlussstrich zur Impfpassfälschung, oder: Impfpassfälschung auch Urkundenfälschung

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Und heute dann mal wieder ein „Corona-Tag“, allerdings nicht mit neuen Problemen, sondern mit Naxhträge = Entscheidungen zu Fragen, die die Öffentlichkeit während der Hochzeit der Pandemie beschäftigt haben und/oder zu Nachwirkungen.

Zunächst hier dann noch das BGH, Urt. v. 10.11.2022 – 5 StR 283/22 – zur Frage der Strafbarkeit der Impfpassfälschung nach altem Recht. Ich erinnere: Unter Geltung des „alten Rechts“ ist ja heftig darum gestritten worden, ob das Fälschen von Gesundheitszeugnissen nach § 277 StGB a.F. zur (einfachen) Urkundenfälschung nach § 267 StGB im Verhältnis sog. privilegierender Spezialität steht Auch ich hatte dazu ja einige Beiträge zu Entscheidungen, vgl. z.B. Corona I: Wieder Vorlage des gefälschten Impfpasses, oder: Wann kommt dazu etwas vom BGH? oder Corona II: Nochmals Fälschung von Impfausweisen pp, oder: Doch keine Sperrwirkung zu § 267 StGB.

Und dann hatte sich ja auch der BGH im November 2022 mit der Frage befasst. Grundlage war ein Urteil des LG Hamburg, das den Angeklagten frei gesprochen hatte. Das LG war von folgenden Feststellungen ausgegangen:

„Der Angeklagte entschloss sich, im August 2021 in H. eigenhändig Impfausweise mit Eintragungen zu angeblichen Impfungen gegen das SARS-CoV-2-Virus anzufertigen oder bereits bestehende Impfausweise mit solchen Eintragungen zu ergänzen, um die Impfausweise gegen Bezahlung anderen Personen zu überlassen. Hiermit sollte den Abnehmern ermöglicht werden, mittels der Impfausweise Schutzimpfungen nachzuweisen, um in Apotheken digitale Impfzertifikate zu erlangen oder aufgrund der COVID-19-Pandemie bestehende Zugangsbeschränkungen für Ungeimpfte, etwa in der Gastronomie, zu umgehen. Der Angeklagte beabsichtigte, sich durch diese Geschäfte eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang zu verschaffen.

In Umsetzung seines Plans fertigte er zwischen dem 25. August und dem 9. September 2021 Impfausweise dadurch an, dass er entweder unausgefüllte Impfausweisvordrucke auf der Vorderseite mit den Personalien der angeblich geimpften Personen beschriftete oder bereits mit Personalien beschriftete Impfausweise verwendete, um dann jeweils auf den inneren Seiten des Impfausweises angebliche Impfungen einzutragen. Hierzu vermerkte er die vermeintlichen Daten für Erst- und Zweitimpfungen gegen das SARS-CoV-2-Virus handschriftlich und versah die Eintragungen jeweils in derselben Zeile mit selbst gedruckten Aufklebern des angeblich verwendeten Impfstoffs „Comirnaty“ einschließlich fiktiver Chargennummern sowie mit dem Stempel „Landkreis H., Impfzentrum B., R. Straße 27, B.“. Auf dem Stempel unterschrieb er jeweils mit einem nachgeahmten oder erfundenen Namenszug, um hierdurch den Eindruck zu erwecken, die betreffende Unterschrift sei von einem Arzt des Impfzentrums geleistet worden.

Der Angeklagte führte insgesamt neun Bestellungen zur Herstellung gefälschter Impfbescheinigungen aus, wobei er teils mehrere Dokumente erstellte, etwa wenn ein Abnehmer nicht nur für sich, sondern auch für Angehörige gefälschte Impfdokumente bestellt hatte.

Während in den Anklagefällen 2 bis 9 die vom Angeklagten gefertigten Impfbescheinigungen an die Abnehmer übergeben wurden, konnten im Anklagefall 11 die bereits fertiggestellten Dokumente beim Angeklagten sichergestellt werden. Außerdem wurden bei ihm 188 Impfausweisvordrucke, weitere 203 mit Chargennummernaufklebern versehene Impfpassvordrucke, ein Etikettendruckgerät sowie der vorbenannte Stempel mit den Daten „Impfzentrum B.“ gefunden. Zudem wurden 33.100 Euro sichergestellt, die nach den Wertungen des Landgerichts nicht aus Betäubungsmittelgeschäften stammen und deren Herkunft aus Impfausweisgeschäften „naheliegt“.“

Das LG hatte aus rechtlichen Gründen freigesprochen, weil der Angeklagte durch das Erstellen unzutreffender Impfbescheinigungen keinen Straftatbestand erfüllt habe.

Der BGH hat das anders gesehen. Er verneint zwar mit dem LG eine Strafbarkeit wegen Fälschung von Gesundheitszeugnissen gemäß § 277 StGB a.F. Es fehle an der Verwirklichung des zweiten Teilakts der Tathandlung. Denn anders als für den Tatbestand der Urkundenfälschung genüge es nicht, dass die Urkunde in der Absicht hergestellt wird, sie später zur Täuschung im Rechtsverkehr zu gebrauchen. Vielmehr verlangt der Tatbestand des § 277 StGB a.F .den Gebrauch der Urkunde. Hinzu tritt, dass nicht der Gebrauch im allgemeinen Rechtsverkehr von der Vorschrift erfasst wird, sondern nur der Gebrauch zur Täuschung von Behörden oder Versicherungsgesellschaften. An diesen – den Tatbestand des § 277 StGB a.F. entscheidend von denjenigen des § 267 StGB abhebenden Voraussetzungen – fehle es.

Aber: Der BGH verneint die vom LG angenommene Spezialität mit privilegierendem Charakter des § 277 StGB a.F. gegenüber § 267 StGB. Die bestehe nicht. Vielmehr handele es sich um zwei Tatbestände, die verschieden geartete Begehungsweisen erfassen, aber gemeinsame Unrechtselemente aufweisen, so dass es zu einer im Strafgesetzbuch nicht ungewöhnlichen Überschneidung der Anwendungsbereiche kommt. Die Anwendbarkeit des einen Tatbestands schließe die Anwendbarkeit des anderen deswegen nicht aus.

So viel muss aus dem umfangreich begründeten Urteil reichen. Wer mehr lesen möchte/muss, der verlinkte Volltext steht dafür zur Verfügung.

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StGB III: Der Besitz kinderpornografischer Inhalte, oder: Auffinden allein im Browser-Cache kein Besitzwille

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Und zum Tagesschluss dann noch der AG Pforzheim, Beschl. v. 27.03.2023 – 2 Ls 31 Js 24/22 -, der sich zum Besitzwillen beim Besitz kinderpornografischer Inhalte (§ 184b StGB) äußert.

Die Staatsanwaltschaft legt dem Angeklagten einen Verstoß gegen § 184b StGB zur Last. Das AG hat die Eröffnung des Hauptverfahrens aus tatsächlichen Gründen abgelehnt:

„Es besteht kein hinreichender Tatverdacht. Zwar ist der objektive Tatbestand des Besitzes kinderpornografischer Inhalte gemäß § 184b StGB erfüllt, wenn sich entsprechende Dateien wie vorliegend im Browser-Cache des sichergestellten Mobiltelefons befunden haben. Allerdings ist nach aktuellem Verfahrensstand unwahrscheinlich, dass dem Angeschuldigten insoweit Vorsatz nachgewiesen werden kann, ohne dass weitere Ermittlungsansätze ersichtlich wären.

Der Angeschuldigte lässt sich mittels Verteidigerschriftsatz vom 13.03.2023 im Wesentlichen dahingehend ein, er habe das Mobiltelefon gebraucht erworben, nie inkriminierte Dateien heruntergeladen oder einschlägige Webseiten aufgerufen und weder einzelne Dateien aus dem Browser-Cache gelöscht oder diesen „geleert“. Dies lässt sich nicht widerlegen.

Auch wenn der Vortrag, das Mobiltelefon gebraucht erworben zu haben, bislang unsubstantiiert ist, ließe sich dieser ohne Weiteres derart ergänzen, dass er zwar plausibel erscheint aber nicht überprüft werden kann und folglich bei der Urteilsfindung – in dubio pro reo – als wahr unterstellt werden muss.

Hiervon ausgehend, könnte sich ein strafbares Verhalten daher allenfalls aus der späteren Bildung eines Vorsatzes zum Besitz der inkriminierten Dateien ergeben. Dafür müsste der Angeschuldigten zu irgendeinem Zeitpunkt des Besitzes zumindest einen bedingten (vgl. BGH 19.08.2015, 5 StR 275/15) Besitzwillen gebildet haben. Dafür gibt es allerdings keine hinreichen den Indizien, insbesondere wurden weder eine Vielzahl an Dateien an unterschiedlichen Speicherorten festgestellt noch kann ein Aufruf der Dateien aus dem Cache nachgewiesen werden. Selbst wenn im Rahmen der Beweisaufnahme ein späteres Löschen der Dateien durch den Angeschuldigten in der Zeit zwischen Rückgabe des Mobiltelefons und seiner erneuten Beschlagnahme mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden könnte, würde dies nicht genügen, denn es könnte – auch wenn er sich bislang so nicht eingelassen hat – weder ausgeschlossen werden, dass der Angeschuldigte die Dateien erst nach Rückgabe des Mobiltelefons entdeckt, aufgerufen und dann sofort gelöscht hat (was straflos wäre: vgl. Schönke/Schröder/Eisele, 30. Aufl. 2019, StGB § 184b Rn 39-41 m.w.N.) noch dass er den Cache „geleert“ hat ohne seinen Inhalt zur Kenntnis zu nehmen.

Die Eröffnung des Verfahrens war daher gem. § 204 Abs. 1 StPO aus tatsächlichen Gründen abzulehnen.“

StGB II: Filmen des Poliziebeamten beim Einsatz, oder: Wenn der Polizeibeamte seine Bodycam einschaltet

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Im zweiten Posting dann mal wieder eine Entscheidung zur Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes (§ 201 StGB)  mit einer ganz interessanten Sachverhaltsvariante. Das LG Hanau geht nämlich im LG Hanau, Beschl. v. 20.04.2023 – 1 Qs 23/22 -, in dem es die Beschlagnahme eines Mobiltelefons aufgehoben hat, von folgendem Sachverhalt aus:

Im Rahmen einer Verkehrskontrolle einen mit drei männlichen Personen besetzten Fahrzeuges, in dem sich der Beschuldigte befand, kamm es zu einer Diskussion mit den Polizeibeamten. Im Verlauf dieser Diskussion startete der eine POK mit seiner dienstlich mitgeführten „Body-Cam“ eine Ton- und Videoaufnahme, nachdem er diese gegenüber dem Beschuldigten angekündigt hatte. Daraufhin begann der Beschuldigte seinerseits, den Beamten und dessen weitere Anordnungen mit seinem – beschwerdegegenständlichen – Mobiltelefon zu filmen, wobei nach dem Stand der Ermittlungen unklar ist, ob tatsächlich eine erfolgreiche Aufnahme erfolgte.

Der Polizeibeamte forderte den Beschulidgten auf, das Filmen mit seinem Mobiltelefon zu unterlassen, da er sich strafbar mache und ihm sonst das Mobiltelefon abgenommen würde. Er erklärte ihnen daraufhin, dass sich das angefertigte Video „schon in der Cloud“ befinden würde. Die Beamten nahmen sodann telefonisch Kontakt zu dem Bereitschaftsstaatsanwalt auf, woraufhin dieser die Sicherstellung des Mobiltelefons anordnete. Der Beschuldigte händigte sein Mobiltelefon nach mehrfacher Aufforderung an die Polizeibeamten aus und forderte von den Beamten eine richterliche Entscheidung.

Das AG hat die erfolgte Beschlagnahme des Mobiltelefons bestätigt und sich dabei auf § 201 Abs. 1 Nr. 1 StG. Dagegen die Beschwerde, die beim LG Erfolg hatte:

„Die Beschwerde ist auch begründet. Die als Bestätigung der polizeilichen Beschlagnahme zu verstehende Anordnung der Beschlagnahme des Mobiltelefons und der Silikonhülle auf den Widerspruch des Beschwerdeführers durch das Amtsgericht war rechtsfehlerhaft, weil die gesetzlichen Voraussetzungen der §§ 94, 98 Abs. 2 S. 1 StPO nicht vorliegen. Es fehlt nach geltender Gesetzeslage an einem Anfangsverdacht für strafbares Verhalten des Beschwerdeführers. Denn es besteht auch auf der Grundlage des von dem Beschwerdeführer eingeräumten Sachverhaltes kein Verdacht dafür, dass der Beschwerdeführer unbefugt das nichtöffentlich gesprochene Wort der Polizeibeamten während der Kontrolle auf einen Tonträger aufgenommen hat oder dies versuchte (§ 201 Abs. 1, Abs. 4 StGB). Zwar hat der Beschwerdeführer in diesem Sinne eine taugliche Tathandlung vorgenommen, weil er nach eigenem Bekunden eine solche Aufnahme mittels der Speichertechnologie seines Mobiltelefons hergestellt und auf einem sog. Cloudspeicher abgelegt hat.

Allerdings hat er damit nicht das nichtöffentlich gesprochene Wort des Polizeibeamten aufgenommen. Nach bisherigem Verständnis in Rechtsprechung und Literatur gilt eine Äußerung als nichtöffentlich i.S.d. § 201 Abs. 1 StGB, wenn sie nicht für einen größeren, nach Zahl und Individualität unbestimmten oder nicht durch persönliche oder sachliche Beziehungen miteinander verbundenen Personenkreis bestimmt oder unmittelbar verstehbar ist (OLG Frankfurt a.M., NJW 1977, 1547; OLG Düsseldorf, Urteil vom 04.11.2022 – 3 RVs 28/22, BeckRS 2022, 31267; Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/Kargl, 5. Aufl. 2017, § 201 Rn. 8; Schönke/Schröder/Eisele, 30. Aufl. 2019, § 201 Rn. 6; MüKoStGB/Graf, 4. Aufl. 2021, § 201 Rn. 14; Fischer, 69. Aufl. 2022, § 201 Rn. 3; Lackner/Kühl/Heger/Heger, 30. Aufl. 2023, § 201 Rn. 2; BeckOK StGB/Heuchemer, 56. Ed. 1.2.2023, StGB § 201 Rn. 4 m.w.N.). Bei polizeilichen Personenkontrollen wird einschränkend keine Nichtöffentlichkeit angenommen, wenn die Kontrolle im Rahmen von Demonstrationen mit zahlreichen umstehenden Personen erfolgt (vgl. Ullenboom, Das Filmen von Polizeieinsätzen als Verletzung der Vertraulichkeit des Worts?, NJW 2019, 3108, 3110). Zum Teil wird eine den objektiven Tatbestand noch weiter einschränkende Auslegung als „faktische Öffentlichkeit“ bei Personenkontrollen auch dann angenommen, wenn mit einer Kenntnisnahme durch Dritte gerechnet werden muss, beispielsweise also dann, wenn der betroffene Polizeibeamte sich lautstark äußert und daher anzunehmen sei, dass mehrere umstehende Personen das gesprochene Wort hören können (so: LG Kassel, Beschluss vom 23.09.2019 – 2 Qs 111/19, BeckRS 2019, 38252; LG Hamburg, Beschluss vom 21.12.2021 – 610 Qs 37/21 jug., BeckRS 2021, 44380). Noch enger meinen das Oberlandesgericht Zweibrücken (Beschluss vom 30.06.2022 – 1 OLG 2 Ss 62/21, NJW 2022, 3300), das Landgericht Aachen (Beschluss vom 19.08.2020 – 60 Qs 34/20, BeckRS 2020, 43645) sowie das Oberlandesgericht Düsseldorf (Urteil vom 04.11.2022 – 3 RVs 28/22, BeckRS 2022, 31267) eine faktische Öffentlichkeit bereits dann annehmen zu müssen, wenn der äußernde Polizeibeamte in Anbetracht der konkreten Äußerungsumstände allein damit habe rechnen müssen, dass unbeteiligte dritte Personen die Äußerungen mithören könnten.

Selbst gemessen an diesen engen Anforderungen waren die Äußerungen des Polizeibeamten pp. im Ausgangspunkt nichtöffentlich und deshalb für eine Täterschaft des Beschwerdeführers geeignet. Denn die Kontroll- und Gesprächssituation mit Personen, die sich nachts um 00.40 Uhr in einem Fahrzeug befinden und mit denen zwei Polizeibeamte durch die geöffneten Türen oder Fenster kommunizieren, ist selbst für einen zufällig passierenden Fußgänger gerade einmal in Gesprächsfetzen inhaltlich verfolgbar, solange er sich nicht in unmittelbarer Nähe dazu stellt, um aktiv mitzuhören. Diese Begrenztheit des Personenkreises ist allen Beteiligten einer solchen nächtlichen Fahrzeug- und Personenkontrolle auch bewusst. Das war bei der verfahrensgegenständlichen Kontrolle nicht anders.

Es kann für die weitere rechtliche Bewertung offen bleiben, inwieweit das Gespräch seinen nichtöffentlichen Charakter bereits allgemein dadurch verlor, dass es sich um eine polizeiliche Maßnahme handelte (eine Anwendbarkeit des § 201 StGB auf dienstliche Verlautbarungen von Polizeibeamten im Allgemeinen zumindest infrage stellend: LG Aachen, Beschluss vom 19.08.2020 – 60 Qs 34/20, BeckRS 2020, 43645 unter Verweis auf Roggan, Zur Strafbarkeit des Filmens von Polizeieinsätzen – Überlegungen zur Auslegung des Tatbestands von § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB – Zugleich Anmerkung zu LG Kassel, Beschl. v. 23.09.2019 – 2 Qs 111/19, StV 2020, 161 und LG München I, Urt. v. 11.02.2019 – 25 Ns 116 Js 165870/17, StV 2020, 321 -, StV 2020, 328). Das Landgericht Osnabrück (Beschluss vom 24.09.2021 – 10 Qs/120 Js 32757/21 – 49/21, BeckRS 2021, 28838) geht davon aus, dass ein Amtsträger, dessen Handeln rechtlich gebunden ist und als solches einer rechtlichen Überprüfung unterliegt, keines Schutzes der Unbefangenheit bedürfe. Nach der überwiegenden Auffassung in Rechtsprechung und Kommentarliteratur sollen jedoch auch polizeiliche Kontrollen grundsätzlich dem Schutzbereich des § 201 StGB unterfallen (so etwa LG Kassel, Beschluss vom 23.09.2019 – 2 Qs 111/19, BeckRS 2019, 38252; MüKoStGB/Graf, 4. Aufl. 2021, § 201 Rn. 17a; ausführlich bereits OLG Frankfurt a.M., NJW 1977, 1547).

Die nähere Prüfung erübrigt sich deshalb, weil das Gespräch zwischen POK pp. und dem Beschwerdeführer – vergleichbar mit der Fallgruppe einer faktischen Öffentlichkeit – spätestens in dem Moment nicht mehr nichtöffentlich war, als der Beamte – zuvor angekündigt – seine dienstlich gelieferte Body-Cam anschaltete und damit seinerseits das Gespräch zu Beweiszwecken auf ein Speichermedium aufnahm. Wie sich der Einsatz einer polizeilich genutzten Body-Cam auf die Tatbestandsmäßigkeit der Norm auswirkt, ist in der Rechtsprechung bislang nicht entschieden und in der Literatur nur am Rande diskutiert worden. Eine solche Gesprächssituation nimmt nach Auffassung der Kammer gemessen an Wortlaut, Entstehungsgeschichte und insbesondere dem Strafzweck des § 201 StGB nicht mehr an dessen Schutz teil.

Schutzgut bzw. Normzweck des § 201 StGB ist der Schutz der Privatsphäre sowie das Recht auf Bestimmung der Reichweite einer Äußerung sowie die Wahrung der Unbefangenheit des gesprochenen Wortes (Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/Kargl, 5. Aufl. 2017, § 201 Rn. 2 m.w.N.; MüKoStGB/Graf, 4. Aufl. 2021, § 201 Rn. 2 unter Verweis auf die Gesetzesmaterialien; Fischer, 69. Aufl. 2022, § 201 Rn. 3 sowie BeckOK StGB/Heuchemer, 55. Ed. 1.11.2022, StGB § 201 Rn. 1 jeweils mit Verweis u.a. auf BVerfG, Beschluss vom 31.01.1973 – 2 BvR 454/71, NJW 1973, 891 sowie auf BGH, Urteil vom 14.06.1960 – 1 StR 683/59, NJW 1960, 1580). Beruflich und persönlich gesprochene Worte sind gleichermaßen geschützt, weshalb die amtliche Überschrift „Vertraulichkeit“ als zu eng angesehen wird (vgl. Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/Kargl, 5. Aufl. 2017, § 201 Rn. 3; OLG Karlsruhe, Urteil vom 09.11.1978 – 2 Ss 241/78, NJW 1979, 1513). Zur Veranschaulichung des Schutzzwecks wird angeführt, dass dasjenige, was als flüchtige Lebensäußerung gemeint war, nicht „in eine jederzeit reproduzierbare Tonkonserve verwandelt“ werden dürfe (so u.a. MüKoStGB/Graf, 4. Aufl. 2021, StGB § 201 Rn. 2, Schönke/Schröder/Eisele, 30. Aufl. 2019, StGB § 201 Rn. 2 und Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/Kargl, 5. Aufl. 2017, § 201 Rn. 2 jeweils unter Berufung auf Gallas, ZStW 75, 16). Auch bei Betrachtung des systematischen Zusammenhanges mit Abs. 2 Nr. 1 der Bestimmung (Abhörgerät) und der Entstehungsgeschichte derselben tritt hervor, dass die Vorschrift die bei ihrem Inkrafttreten noch neuen und deshalb oft unbemerkten technischen Möglichkeiten der Tonaufnahme einhegen und dazu die heimliche Aufnahme vertraulicher Worte im engen Kreis als wesentliches Merkmal von Freiheitsstandards demokratischer Staaten verhindern wollte.

Hier liegt der Fall umgekehrt. Die den Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Anspruch nehmenden Äußerungen stammen gerade von einem Polizeibeamten, der diese nicht nur im hoheitlichen Kontext abgibt, sondern gleichzeitig noch deren bestimmungsgemäße Aufnahme auf gesetzlicher Grundlage herbeiführt. Er rechnet dabei damit, dass die dem Beschwerdeführer mitgeteilte und für etwaige Ermittlungsakten dauerhaft gesicherte Aufnahme zur Folge hat, dass die Worte der Polizeibeamten gerade nicht mehr unbefangen erfolgen können, wie dies bei einer flüchtigen und gerade nicht „reproduzierbar konservierten“ Aussage der Fall ist (vgl. am Rande auch LG Aachen, Beschluss vom 19.08.2020 – 60 Qs 34/20, BeckRS 2020, 43645 unter Verweis auf Roggan, Zur Strafbarkeit des Filmens von Polizeieinsätzen – Überlegungen zur Auslegung des Tatbestands von § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB – Zugleich Anmerkung zu LG Kassel, Beschl. v. 23.09.2019 – 2 Qs 111/19, StV 2020, 161 und LG München I, Urt. v. 11.02.2019 – 25 Ns 116 Js 165870/17, StV 2020, 321 -, StV 2020, 328; Reuschel, Audioaufnahme von polizeilicher Personalienfeststellung, NJW 2022, 3300, 3303). Der betroffene Polizeibeamte wusste im vorliegenden Fall, dass seine Worte zu einem späteren Zeitpunkt von weiteren Ermittlungsbeamten oder einem Gericht abgehört werden können und strebte diese Wirkung der Natur der gewählten Maßnahme entsprechend an, was er als Beweissicherungszweck vor dem Anschalten des Kameragerätes auch ankündigte. In einem solchen Fall liegt nicht unbefangenes Reden auf der Hand, sondern vielmehr das Bemühen um höchst konzentrierte, präzise auf die Ausfüllung des rechtlichen Rahmens abgestimmte Kommunikation. An dieser Bewertung der Unbefangenheit ändert es nichts, dass es der Beamte ist, der über den Beginn und die Dauer der Tonaufnahme entscheidet und mit seiner Anstellungskörperschaft über die weitere Nutzung entscheidet.

Die Kammer sieht sich neben dem Normzweck auch unter dem verfassungsrechtlichen Gesichtspunkt der Bestimmtheit strafrechtlicher Gesetze zu einer normzweckentsprechenden Beschränkung veranlasst. Verlangt wird danach, dass strafrechtliche Normen derart klar sind, dass jedermann vorhersehen kann, welches Verhalten verboten und mit Strafe bedroht ist (BVerfG, Beschluss vom 23.06.2010 – 2 BvR 2559/08 –, juris). Außerdem sollen die wesentlichen Entscheidungen über Strafbarkeit und Strafe bei der Legislative liegen und nicht eigeninitiativ durch Exekutive oder Judikative getroffen werden (Dürig/Herzog/Scholz/Remmert, 99. EL September 2022, GG Art. 103 Abs. 2 Rn. 77) Bedenken ergeben sich bereits bei den übrigen Fällen der faktischen Öffentlichkeit daraus, dass letztlich vom einzelfallbedingten Zufall abhängt, ob eine Kenntnisnahme oder deren Möglichkeit durch Unbeteiligte stattfindet (ähnlich Klefisch, jurisPR-StrafR 6/2021 Anm. 4; Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/Kargl, 5. Aufl. 2017, § 201 Rn. 9). Entscheidend treten bei dem Einsatz von Body-Cams Anhaltspunkte für die Annahme hinzu, dass der Bürger sich in einem immer weitergehend von Handybild- und -tonaufnahmen beherrschten Alltag dazu berechtigt sieht, für ihn bedeutsame Ereignisse zu filmen – wenn auch nicht stets verbreiten zu dürfen. Dabei stehen das Interesse der Bürger daran, Polizeiarbeit transparent dokumentieren zu dürfen auf der einen Seite und das Interesse der Polizeibeamten an einer nicht durch das Filmen gestörter Arbeit auf der anderen Seite in einem Spannungsverhältnis. Das polizeiliche Interesse am Unterlassen der Anfertigung von Aufnahmen kann dabei insbesondere vor dem Hintergrund der Gefahr von möglichen ausschnittweisen und aus dem Zusammenhang gelösten Veröffentlichung entsprechender Aufnahmen durchaus denkbar sein, zumal allein die Besorgnis einer solchen Veröffentlichung noch nicht der Regelung des § 33 KUrhG unterfällt. Diesen Interessenwiderstreit zu lösen obliegt indes nicht mehr rechtsfortbildend den Strafgerichten im Wege einer mit dem Bestimmtheitsgrundsatz und dem Schutzzweck der Norm in Widerstreit tretenden Auslegung des Begriffs der Nichtöffentlichkeit. Die konkret bestimmte Androhung von Strafe für die Aufnahme polizeilicher Maßnahmen oder der Verzicht darauf ist deshalb de lege ferenda unter Bewertung der in der Praxis vorgefundenen Phänomene und der widerstreitenden Interessen Sache des Gesetzgebers.

Gemessen an dieser gebotenen normzweckentsprechenden Beschränkung des Tatbestandsmerkmals der Nichtöffentlichkeit kommt es nicht mehr darauf an, ob die Aufnahme aus den soeben beschriebenen Wertungen befugt erfolgte, was etwa im Fall des Vorliegens eines Einverständnisses des aufgenommenen Beamten mit Einschalten der Body-Cam (vgl. allgemein zum Einverständnis i.R.d. § 201 StGB Schönke/Schröder/Eisele, 30. Aufl. 2019, § 201 Rn. 29) oder bei Vorliegen einer Notwehrsituation oder eines rechtfertigenden Notstands denkbar ist (vgl. LG Aachen, Beschluss vom 19.08.2020 – 60 Qs 34/20, BeckRS 2020, 43645 unter Verweis auf Ullenboom, Das Filmen von Polizeieinsätzen als Verletzung der Vertraulichkeit des Worts?, NJW 2019, 3108, 3111). Vorliegend ist allenfalls eine Rechtfertigung über § 34 StGB in Betracht zu ziehen, wobei im Rahmen der dort gebotenen Rechtsgüterabwägung das Persönlichkeitsrecht des aufgenommenen Polizeibeamten dem Beweisinteresse der aufnehmenden Person gegenüberzustellen wäre, sofern überhaupt aufgrund konkreter Anhaltspunkte für ein rechtswidriges polizeiliches Handeln von dem Vorliegen einer Gefahr i.S.d. § 34 StGB ausgegangen werden darf (vgl. Ullenboom, Das Filmen von Polizeieinsätzen als Verletzung der Vertraulichkeit des Worts?, NJW 2019, 3108, 3111; Rennicke, Polizeiliches Einschreiten gegen Filmaufnahmen unter Berücksichtigung der DS-GVO, NJW 2022, 8, 13; LG Aachen, Beschluss vom 19.08.2020 – 60 Qs 34/20, BeckRS 2020, 43645; OLG Zweibrücken Beschluss vom 30.06.2022 – 1 OLG 2 Ss 62/21, NJW 2022, 3300).

Eine Strafbarkeit gem. § 33 KUrhG ist nicht gegeben, da der Beschwerdeführer die Videoaufnahme nicht öffentlich zur Schau gestellt hat. Die Ermittlungen bieten keine Anhaltspunkte dafür, dass eine etwaige Tonaufnahme in sozialen Medien weitergeleitet wurde. Sollte die Aufnahme tatsächlich in den Cloud-Speicher hochgeladen worden sein – was der Beschwerdeführer abstreitet (Bl. 14 d. A.) –, stellt dies kein öffentliches Zurschaustellen i.S.d. § 33 Abs. 1 KUrhG dar, da es sich bei der mutmaßlich verwendeten Cloud um einen privaten, nicht öffentlich einsehbaren Cloud-Speicher handelt. Eine Strafbarkeit nach § 201a Abs. 1 Nr. 2 lit. a) StGB durch Herstellen von Bildaufnahmen scheidet von vornherein aus, da dem Einsatz der Polizeibeamten keine Befassung mit hilflosen Personen zugrunde lag, die von dem Beschwerdeführer gefilmt wurden.“

StGB I: Angriffe auf Gendern und Homosexualität, oder: Auch ein Pastor darf nicht alles sagen

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Ich mache heute dann einen StGB-Tag, und zwar mit drei ein wenig ungewöhnlichen Entscheidungen, zumindest nichts, was man so täglich liest.

Die Berichterstattung eröffne ich mit dem OLG Bremen, Urt. v. 23.02.2023 – 1 Ss 48/22. Das OLG hat in der Entscheidung umfangreich zur Volksverhetzung (§ 130 StGB) Stellung genommen.Vorgworfen worden ist dem Angeklagten, einem Pastor, ein Eheseminar vor etwa 30 Ehepaaren in seiner Gemeinde gehalten und die Audio-Datei des Eheseminars auf einer Internetplattform online eingestellt habe, wobei er sich wie folgt über Gender und Homosexuelle geäußert habe:

„Der ganze Genderdreck ist ein Angriff auf Gottes Schöpfungsordnung, ist zutiefst teuflisch und satanisch.“

„Ich komme nochmal später drauf, Homosexualität, dass das alles Degenerationsformen von Gesellschaft sind, die ihre Ursache darin haben, in der Gottlosigkeit.“

„Diese Homo-Lobby, dieses teuflische, kommt immer stärker, immer massiver, drängt immer mehr hinein. Das ist so sukzessive, die fressen immer ein Ding, immer mehr weg.“

„Echt, überall laufen diese Verbrecher rum, von diesem Christopher-Street-Day.“

Das AG hat den Pastor zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Das LG hat das Urteil aufgehoben und den Angeklagten aus rechtlichen Gründen freigesprochen.Wegen weiterer tatsächlicher Feststellungen verweise ich auf den verlinkten Volltext.

Das LG hat seine Entscheidung, dass der Angeklagte aus rechtlichen Gründen freizusprechen war, auf den Grundsatz der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung gestützt, dass in Bezug auf Äußerungsdelikte eine Strafbarkeit bei mehrdeutigen Äußerungen nur angenommen werden kann, wenn andere straflose Deutungsmöglichkeiten mit nachvollziehbaren und tragfähigen Gründen auszuschließen sind. Unter Berücksichtigung des Schutzes des Grundrechts der Religionsfreiheit aus Art. 4 GG hat das LG hinsichtlich sämtlicher der dem Angeklagten vorgeworfenen Äußerungen angenommen, dass bei einer umfassenden Gesamtwürdigung ihres Inhalts und des inhaltlichen und situativen Kontextes der Tatbestand einer Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2 StGB nicht erfüllt sei, da solche naheliegenden straflosen Auslegungsvarianten bestünden und jedenfalls nicht mit einer tragfähigen Begründung auszuschließen seien. Bezüglich der Äußerung „Verbrecher von diesem Christopher Street Day“ hat das LG zudem bereits verneint, dass damit ein abgrenzbarer Bevölkerungsteil im Sinne des § 130 Abs. 1 StGB bezeichnet würde.

Das sieht das OLG anders und hat den Freispruch aufgehoben und zurückverwiesen. Ich stelle hier jetzt nicht die gesamte Begründung des OLG ein, sondern beschränke mich auf die (amtlichen) Leitsätze, nämlich:

    1. Auch bei religiös motivierten Äußerungen muss der Schutz aus den Grundrechten der Religionsfreiheit und der Meinungsäußerungsfreiheit zwingend zurücktreten, wenn durch diese Äußerungen die Menschenwürde anderer angegriffen wird, da die Menschenwürde als Wurzel aller Grundrechte mit keinem Einzelgrundrecht abwägungsfähig ist (Anschluss an BVerfGE 93, 266).
    2. Die aktiven Teilnehmer der Christopher Street Day-Umzüge können als abgrenzbarer Teil der Bevölkerung im Sinne des § 130 Abs. 1 StGB Angriffsobjekt einer Volksverhetzung sein.
    3. Bei Meinungsäußerungsdelikten müssen die Urteilsgründe, um dem Revisionsgericht eine Nachprüfung der Entscheidung des Tatgerichts zu ermöglichen, den festgestellten konkreten Wortlaut der vorgeworfenen Äußerung wiedergeben, da dieser den Ausgangspunkt für deren Auslegung darstellt. Dieses Erfordernis der Wiedergabe des konkreten Wortlauts gilt auch für Äußerungen im Kontext der vorgeworfenen Äußerung, wenn das Tatgericht diese Kontextpassagen für die Auslegung der vorgeworfenen Äußerung heranzieht oder wenn es nach dem vom Tatgericht wiedergegebenen Gehalt dieser Passagen nahegelegen hätte, auch diese Passagen hierzu heranzuziehen.

Verkehrsrecht III: Tanken, ohne bezahlen zu wollen, oder: Diebstahl oder Betrug?

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Und dann zum Tagesschluss der BGH, Beschl. v. 08.11.2022 – 5 StR 318/22. Schon etwas älter, aber ich bin erst jetzt auf ihn gestoßen.

Wie gesagt: Heute Entscheidungen mit „verkehrsrechtlichem Einschlag“. Da passt dann auch die, und zwar wegen der Ausführungen des BGH zur Abgrenzung von Betrug und Diebstahl beim Tanken, ohne bezahlen zu wollen. Ja, ja, ich weiß…… 🙂 .

Das LG hat den Angeklagten wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung und wegen Diebstahls verurteilt. Der BGH hat die dagegen eingelegte Revision nach § 349 Abs. 2 StPO verworfen, aber den Schuldspruch geändert:

„1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

a) Der Angeklagte fuhr am Abend des 11. Januar 2019 gemeinsam mit den zwei gesondert Verfolgten K. und M. an eine Autobahntankstelle. Sie hatten verabredet, den Pkw zu betanken, ohne den Kraftstoff zu bezahlen, und die Tankstelle unter Verwendung eines Messers zu überfallen. Der Angeklagte ließ die beiden gesondert Verfolgten im Bereich der Toiletten aussteigen. Danach fuhr er zu einer nur wenige Meter entfernten Zapfsäule und tankte um 20 Uhr für 56,24 Euro, wobei er den Kopf gesenkt hielt und sich bemühte, sein Gesicht verdeckt zu halten; zuvor hatte er das Kennzeichen abgedeckt. Der Tankstellenmitarbeiter D. bemerkte den Tankvorgang nicht.

b) Nach der Beendigung des Tankvorgangs stellte der Angeklagte das Auto um 20.02 Uhr fluchtbereit vor den Toiletten ab und betrat nur wenige Sekunden später gemeinsam mit K.  und M. den Verkaufsraum der Tankstelle. Der Angeklagte stellte sich an den Kassentresen, sodass der Tankstellenmitarbeiter annahm, einen zahlungswilligen Kunden vor sich zu haben. Tatsächlich diente dieses Vorgehen der Umsetzung des Überfallplans. Der Angeklagte lenkte D.  nun mit einer Frage nach Zigaretten ab. Der gesondert Verfolgte K. nutzte dies aus, um hinter den Verkaufstresen zu gehen und dem Tankstellenmitarbeiter ein Messer an den Hals zu halten. Auf Aufforderung des Angeklagten und der gesondert Verfolgten öffnete D.  die Kasse, aus der M. 650 Euro entnahm. Anschließend flüchteten sie mit dem Auto des Angeklagten. Die Beute teilten sie untereinander auf.

2. Auf Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen bedarf der Schuldspruch der Korrektur.

a) Der Generalbundesanwalt hat mit Recht darauf hingewiesen, dass derjenige, dessen Bestreben beim Tanken von Anfang an darauf gerichtet ist, das Benzin an sich zu bringen, ohne den Kaufpreis zu entrichten, sich nicht – wie vom Landgericht angenommen – des Diebstahls (oder der Unterschlagung), sondern des Betruges gemäß § 263 StGB schuldig macht. Wird der unter Vorspiegelung der Zahlungsbereitschaft durchgeführte Tankvorgang – wie hier – nicht vom Tankstellenpersonal bemerkt, ist der Täter wegen versuchten Betruges zu verurteilen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. Januar 2012 – 4 StR 632/11, NJW 2012, 1092 f.; vom 9. März 2021 – 6 StR 74/21). Seine Bemühungen, unentdeckt zu bleiben, ändern an dieser rechtlichen Beurteilung nichts.

b) Zutreffend haben sowohl der Generalbundesanwalt als auch der Beschwerdeführer ausgeführt, dass sich der Angeklagte nach dem für die rechtliche Bewertung des vermögensschädigenden Verhaltens maßgeblichen äußeren Erscheinungsbild nicht wegen einer besonders schweren räuberischen Erpressung strafbar gemacht hat; er ist stattdessen des besonders schweren Raubes nach § 249 Abs. 1, § 250 Abs. 2 Nr. 1, § 25 Abs. 2 StGB schuldig (vgl. BGH, Urteile vom 22. Oktober 2009 – 3 StR 372/09, NStZ-RR 2010, 46, 48; vom 12. August 2021 – 3 StR 474/20).

c) Schließlich hat der Generalbundesanwalt zu Recht durchgreifende Bedenken gegen die konkurrenzrechtliche Beurteilung des Landgerichts geltend gemacht. Der Tankvorgang und der Raubüberfall auf die Tankstelle beruhten auf einem einheitlichen Tatentschluss und spielten sich binnen drei Minuten am selben, lediglich einige Quadratmeter umfassenden Ort ab. Die Handlungen des Angeklagten gingen ohne Zäsur ineinander über. Bei natürlicher Betrachtungsweise stellt sich das gesamte Tätigwerden des Angeklagten auch aus der Sicht eines Dritten als ein einheitlich zusammengefasstes Tun dar (sogenannte natürliche Handlungseinheit) und steht daher im Verhältnis der Tateinheit im Sinne von § 52 StGB zueinander (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 10. Juli 2017 – GSSt 4/17, BGHSt 63, 1, 6).

d) Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend ab. Die Vorschrift des § 265 StPO steht nicht entgegen, weil der Angeklagte sich nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.“

Aber – natürlich:

„3. Der Senat schließt aus, dass das Landgericht bei zutreffender rechtlicher Bewertung eine niedrigere Gesamtfreiheitsstrafe verhängt hätte (§ 337 StPO). Die Einsatzstrafe hätte es ebenfalls im Strafrahmen des § 250 Abs. 2 StGB finden müssen. Die Änderung der konkurrenzrechtlichen Bewertung führt zwar zum Wegfall der gesondert verhängten Einzelfreiheitsstrafe von drei Monaten. Angesichts der Einsatzstrafe von fünf Jahren sowie der einbezogenen Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten ist es auszuschließen, dass das Landgericht bei zutreffender Rechtsanwendung eine geringere Gesamtfreiheitsstrafe festgesetzt hätte, zumal die unterschiedliche rechtliche Beurteilung des Konkurrenzverhältnisses bei wie hier unverändertem Schuldumfang kein maßgebliches Kriterium für die Strafbemessung ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. Dezember 2012 – 2 StR 294/12; vom 21. März 2019 – 3 StR 458/18, NStZ 2020, 232, 233).“