Archiv der Kategorie: Untersuchungshaft

Haft II: Zum Haftgrund der Wiederholungsgefahr, oder: 8,21 gr. Kokain reichen auch mit Waffen nicht

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Und dann als zweite Entscheidung noch einmal etwas zum Haftbefehl bei einem BtM-Delikt. es handelt sich um den LG Kiel, Beschl. v. 08.09.2023 – 7 KLs 593 Js 43392723. In dem Verfahren wirft die StA dem Angeschuldigten vor, am 13.07.2023 gegen 15:40 Uhr in seinem Zimmer in einer Wohnung in Kiel insgesamt 8,21 Gramm Kokain verwahrt zu haben und dabei griffbereit in unmittelbarer Nähe zu dem Betäubungsmittel ein Klappmesser, eine Machete und einen Baseballschläger vorgehalten zu haben. Bei dem in der Wohnung aufgefundenen Kokain ergab eine kriminaltechnische Untersuchung einen Wirkstoffgehalt von 92,1 %, sodass ein Nettowirkstoffgehalt von Kokain-Hydrochlorid in Höhe von 7,56 Gramm gegeben ist.

Deswegen ergeht Haftbefehl gegen den Angeschuldigten, und zwar auf der Grundlage des § 112a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StPO erlassen. Das LG hat auf die Beschwerde des Angeschuldigten aufgehoben:

„Nach Abwägung aller Gesichtspunkte durch die Kammer ist der Haftbefehl des Amtsgerichts Kiel vom 14.07.2023 aufzuheben, da die Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft gemäß § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO nicht gegeben sind.

Vorliegend ist zunächst festzustellen, dass § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG keine Katalogtat im Sinne des § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO ist. In § 112a Abs. 1 Nr. 1 und 2 StPO ist eine ab-schließende Aufzählung der in Betracht kommenden Anlasstaten enthalten.

Die Annahme eines redaktionellen Versehens des Gesetzgebers ist aus Sicht der Kammer fernliegend, da die Gesetzeshistorie des § 112a StPO, aber auch des § 112 StPO gegen die Annahme eines solchen redaktionellen Versehens sprechen. Der Gesetzgeber hatte zuletzt 2021 die Gelegenheit — bei Einführung des § 112 Abs. 3 StPO — ein etwaiges Redaktionsversehen zu berichtigen. Darüber hinaus gilt, dass die Annahme eines Redaktionsversehens umso fernliegender erscheint, je länger die Norm in Kraft ist. Bei einer Geltung von über 10 Jahren, ohne dass ein solches Redaktionsversehen überhaupt in der Literatur diskutiert worden ist, scheint die Annahme gerade mit Blick auf die verfassungsrechtlich gebotene enge Auslegung und restriktive Anwendung des § 112a StPO fernliegend (BVerfGE 19, 349). Im Übrigen zeigt auch die Quellenlage der einschlägigen Kommentarliteratur, dass dort keinerlei Nachweise sich finden lassen, dass der Gesetzgeber schlicht übersehen hätte, die Katalogtaten des § 112a Abs. 1 Nr. 1 und 2 StPO entsprechend um § 30a Abs. 2 BtMG zu erweitern (vgl. MüKo/StP0-Böhm , 2. Aufl. 2023, § 112a Rn. 21ff. m.w.N.).

Im Übrigen bestehen gegen die Annahme eines reinen Redaktionsversehens und damit einer erweiternden Auslegung der Haftgründe verfassungsrechtliche Bedenken, da die Vorschrift des § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO dazu dient, präventiv die Wiederholung von Straftaten durch den Beschuldigten zu verhindern, sodass insofern von dem Gesetzgeber in § 112a Abs. 1 Nr. 2 schon nur solche Straftaten in den Katalog aufgenommen worden sind die nicht nur schwerwiegend, sondern auch eine gewisse Wiederholungsneigung haben. Damit stellt § 112a StPO als vorbeugende Maßnahme zum Schutz der Rechtsgemeinschaft eine Ausnahme im System der StPO dar (MüKo/StP0-Böhm , 2. Aufl. 2023, § 112a Rn. 3). Demgemäß kommt vorliegend eine erweiternde Auslegung des Kataloges des § 112 Abs. 1 Nr. 2 StPO nicht in Betracht.

Die damit zugrundeliegende Tat nach § 29a Abs. 1 BtMG ist vorliegend jedoch nicht schwerwiegend im Sinne des § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO.

Die Anlasstat muss eine die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigende Tat sein. Die Tat muss einen zumindest überdurchschnittlichen Schweregrad aufweisen, wobei insbesondere der Unrechtsgehalt der Tat zu würdigen ist. Dabei gilt, dass jede einzelne konkrete Tat nach ihrem Erscheinungsbild nicht nur den Katalogstraftatbestand verwirklichen muss, sondern auch schwerwiegend sein muss. Die Prüfung bezieht sich daher nicht auf das verwirklichte Gesamtunrecht, sondern muss bezüglich der jeweiligen Einzeltat vorliegen (OLG Frankfurt/M, StV 2000, 209). Das ist dann der Fall, wenn die Straferwartung und die Tat in ihrer Begehung zumindest der mittleren bis oberen Kriminalität zuzuordnen ist (M/G-Schmitt, 66. Aufl. 2023, § 112a Rn. 9).

Das ist vorliegend bei dem aufgefundenen Betäubungsmittel — 7,56 Gramm netto Kokain-Hydrochlorid — nicht der Fall. Insofern braucht die Frage nicht entschieden zu werden, ob bei der Haftprüfung auch der Aspekt der Waffen Berücksichtigung finden kann. Selbst wenn man unterstellt, dass die Waffen — etwa auf Ebene der Strafzumessung bei der Beurteilung der Tatmodalitäten — Berücksichtigung finden würden (vgl. OLG Hamm Beschluss vom 20.11.2012 — 1 Ws 604/12 = BeckRS 2012, 24189), wäre die Tat immer noch nicht im mittleren bis oberen Bereich der Kriminalität anzusiedeln, da nicht zu erwarten ist, dass hierdurch die Rechtsordnung erheblich beeinträchtigt wird. Insofern ist der Verteidigung zuzustimmen, wenn der Verteidiger ausführt, dass angesichts der aufgefundenen Menge im ehemaligen Kinderzimmer des Angeschuldigten die Rechtsgemeinschaft nicht maßgeblich in ihrem Gefühl und Bedürfnis nach Sicherheit und Ordnung verkürzt wird.

Der Umstand, dass der Angeschuldigte unter einschlägiger laufender Bewährung steht die gegebenenfalls bei einer Verurteilung widerrufen werden könnten, lässt nicht den Schluss zu, dass die Tat hierdurch schwerwiegend wird (MüKo/StP0-Böhm, 2. Aufl. 2023, § 112a Rn. 40, OLG Hamm StV 2011, 291). Mit Blick auf die gebotene enge Auslegung des § 112a StPO und die Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts, die Tat in ihrer konkreten Ausprägung zu bewerten, ist es vorliegend nicht zulässig, die drohende Verbüßung der zur Bewährung ausgesetzten Strafe heranzuziehen, um die schwerwiegende Beeinträchtigung der Rechtsordnung zu begründen. Selbst wenn man unterstellt, dass die laufenden Bewährungsstrafen widerrufen würden, wäre vorliegend unter Berücksichtigung des minder schweren Falles nach § 30a Abs. 3 BtMG und der nach der Rechtsprechung geltenden Sperrwirkung des § 29a BtMG, welche nur noch eine Strafrahmenuntergrenze nach unten bewirkt (BGH 3 Str 469/19) nicht zu erwarten, dass eine Strafe im mittleren bis oberen Bereich aus-geurteilt werden würde. Hiergegen spricht maßgeblich die aufgefundene Menge, die Abfüllung in Konsumeinheiten und die räumliche Situation des Fundortes in geordneten Wohnverhältnissen im ehemaligen Kinderzimmer des Angeschuldigten.

Die aufgeworfenen Verhältnismäßigkeitserwägungen tragen den Erlass eines Haftbefehls nach § 112a StPO nicht. Die Untersuchungshaft nach § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO dient präventiv der Verhinderung weiterer erheblicher Straftaten des Angeschuldigten. Insofern geht es — wie die Verteidigung zutreffend anmerkt — nicht um Verfahrens- oder Vollstreckungssicherung. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung beim Haftgrund nach § 112a StPO hätte erwogen werden müssen, ob die verhängte Untersuchungshaft zur Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe nicht außer Verhältnis steht.“

Haft I: Haftbefehl wegen bandenmäßigem BtM-Handel, oder: Abwägung aller Umstände erforderlich

entnommen der Homepage der Kanzlei Hoenig, Berlin

Heute drei Entscheidungen aus dem U-Haft-Bereich.

Ich starte mit dem OLG Celle, Beschl. v. 07.09.2023 – 1 Ws 248/23 – zur Fluchtgefahr in einem BtM-Verfahren. Dem Angeschuldigten wird bandenmäßiger Handel unter Nutzung eines kryptierten Mobiltelefons der Firma EncroChat vorgeworfen. Konkret soll er an vier unterschiedlichen Tagen im April 2020 an einen gesondert Verfolgten Zeugen auf einem Parkplatz in I. S. zuvor vereinbarte Betäubungsmittelmengen gegen Bezahlung übergeben haben. Bei den Betäubungsmitteln soll es sich überwiegend um Marihuana im Bereich zwischen zwei und zehn Kilogramm zu einem Verkaufspreis von 4.800 EUR bis 5.400 EUR pro Kilo gehandelt haben. Des Weiteren sollen zwischen 200 g und 350 g Kokain zu 39 EUR pro Gramm und halluzinogene Pilze sowie LSD durch den Angeschuldigten übergeben worden sein. Insgesamt habe er dadurch einen Verkaufserlös von 115.510 EUR erlangt, wobei der weitere Verbleib des Geldes ungeklärt sei.

Deswegen ergeht gegen ihn ein auf Fluchtgefahr gestützter Haftbefehl, gegen den Haftbeschwerde eingelegt wird. Die hat beim OLG Erfolg:

„Die Beschwerde ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg……

2. Ungeachtet dessen liegt jedenfalls keine Fluchtgefahr (112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) vor.

a) Fluchtgefahr ist dann gegeben, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen bei Würdigung aller Umstände des Einzelfalles eine hohe Wahrscheinlichkeit für die Annahme spricht, der Beschuldigte werde sich – zumindest für eine gewisse Zeit (vgl. (Lind in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl. 2019, § 112 Voraussetzungen der Untersuchungshaft; Haftgründe) – dem Strafverfahren entziehen.

Bei der Prognoseentscheidung ist jede schematische Beurteilung anhand genereller Maßstäbe, insbesondere die Annahme, dass bei einer Straferwartung in bestimmter Höhe stets oder nie ein bedeutsamer Fluchtanreiz bestehe, unzulässig. Vielmehr können die zu erwartenden Rechtsfolgen allein eine Fluchtgefahr grundsätzlich nicht begründen. Denn sie sind lediglich der Ausgangspunkt für die Erwägung, ob ein aus der Straferwartung folgender Fluchtanreiz unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände zu der Annahme führt, der Beschuldigte werde diesem wahrscheinlich nachgeben und flüchtig werden (vgl. MüKoStPO/Böhm, 2. Aufl. 2023, StPO § 112 Rn. 52; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl. 2023, § 112 Rn. 23 m.w.N.).

Mithin sind die auf eine Flucht hindeutenden Umstände gegen diejenigen Tatsachen abzuwägen, die einer Flucht entgegenstehen.

Dabei geht die Kammer grundsätzlich zutreffend davon aus, dass je höher die konkrete Straferwartung ist, umso gewichtiger die den Fluchtanreiz mindernden Gesichtspunkte sein müssen. Bei der vorzunehmenden Gesamtwürdigung sind unter anderem die Persönlichkeit, die persönlichen Verhältnisse und das Vorleben des Beschuldigten, die Art und Schwere der ihm vorgeworfenen Tat, das Verhalten des Beschuldigten im bisherigen Ermittlungsverfahren wie auch in früheren Strafverfahren, drohende negative finanzielle oder soziale Folgen der vorgeworfenen Tat, aber auch allgemeine kriminalistische Erfahrungen und die Natur des verfahrensgegenständlichen Tatvorwurfs, soweit diese Rückschlüsse auf das Verhalten des Beschuldigten nahe legt – etwa bei Taten mit regelmäßigen Auslandskontakten oder in Fällen organisierter Kriminalität – zu berücksichtigen (vgl. MüKoStPO/Böhm, 2. Aufl. 2023, StPO § 112 Rn. 50 m.w.N.).

b) Unter Zugrundelegung dieses Prüfungsmaßstabs vermag der Senat vorliegend auch in Ansehung der von der Strafkammer hervorgehobenen und für eine Fluchtgefahr sprechenden Umstände – insbesondere die hohe Straferwartung aufgrund der Schwere der zur Last gelegten Taten – ein deutliches Überwiegen der für eine mögliche Flucht des Angeklagten sprechenden Gründe nicht zu erkennen.

So hatte der 32-jährige, bislang strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getretene Beschwerdeführer ausweislich der bisherigen Ermittlungsergebnisse ungeachtet seiner zwischenzeitlichen Einbindung in ein kriminelles Betäubungsmittelumfeld seinen Lebensmittelpunkt stets im Bereich K./S. und ist dort offenbar fest verwurzelt. Anhaltspunkte für soziale Bindungen außerhalb seines unmittelbaren Wohnumfeldes, insbesondere Auslandsbeziehungen sind nicht ersichtlich.

Ausweislich des bereits erwähnten Abschlussberichts sprechen die verfahrensgegenständlichen verdeckt geführten Maßnahmen dafür, dass der Beschwerdeführer nach Begehung der angeklagten Taten nicht weiter in den Betäubungsmittelhandel involviert war und sich aus unbekannten Gründen aus diesem zurückgezogen hatte.

Hinzu kommt, dass die vorgeworfenen Taten bereits geraume Zeit zurückliegen und „nur“ einen Zeitraum von einem knappen Monat umfassten. Auch die Nähe des Übergabeortes zum Wohnort des Beschwerdeführers spricht für eine eher lokale Einbindung und gegen weitreichende Kontakte zu einem überörtlichen Betäubungsmittelumfeld.

Die Bekundung des Zeugen H., wonach dem Beschwerdeführer eine hervorgehobene Rolle zugekommen sein soll, beruht allein auf dem Umstand, dass der Beschwerdeführer in den überwiegenden Fällen der vom Zeugen durchgeführten Betäubungsmittelankäufe zugegen gewesen sein soll.

Gegen eine Fluchtgefahr spricht aus Sicht des Senats ferner das bisherige Verhalten im Ermittlungsverfahren. So sind dem Verteidiger des Beschwerdeführers Ende des Jahres 2022 die Ermittlungsakten des zugrundeliegenden Verfahrens als auch des Parallelverfahrens 131 Js 18075/21 übermittelt worden. Trotz der zu diesem Zeitpunkt bereits in der Akte niedergelegten umfangreichen Ermittlungsergebnisse, insbesondere der Angaben des Zeugen H. im Rahmen seiner Vernehmung vom 24. August 2022, hat der Beschwerdeführer sich weiter an seiner Wohnanschrift aufgehalten, ohne dass Anhaltspunkte für die Vorbereitung einer Flucht zutage getreten sind.

Darüber hinaus war zu beachten, dass der Angeschuldigte über stabile familiäre Bindungen verfügt. Der Angeschuldigte lebt eigenen Angaben zufolge, die mit den diesbezüglichen Ermittlungsergebnissen übereinstimmen, seit dem 4. September 2020 in ehelicher Lebensgemeinschaft, aus welcher eine inzwischen jetzt zwei Monate alte Tochter hervorgegangen ist. Im Rahmen der Durchsuchung ist zudem bestätigt worden, dass der Beschwerdeführer über einen Handwerksbetrieb als Bautischler bzw. –schlosser verfügt.

Soweit die Kammer als Beleg für eine Fluchtgefahr erhebliche Mittel aus den Betäubungsmittelgeschäften und seines Handwerksbetriebs anführt, fehlt es an entsprechenden belastbaren Nachweisen.

Allein der Umstand, dass der Beschwerdeführer im Rahmen der ihm vorgeworfenen Taten Verkaufserlöse entgegengenommen haben soll, lässt noch nicht darauf schließen, dass und in welcher Höhe ihm auch ein Gewinn zugeflossen und noch vorhanden ist, zumal die Taten auch schon geraume Zeit zurückliegen. Die Ergebnisse der bei ihm durchgeführten Durchsuchung seiner Wohn- und Betriebsanschrift sprechen eher dafür, dass der Beschwerdeführer aktuell gerade nicht (mehr) über ein erhebliches Vermögen zu verfügen scheint, welches er für die Durchführung einer Flucht einsetzen könnte. Ausweislich des Abschlussberichts verfügt der Beschwerdeführer in Niedersachsen über kein Grundeigentum. Auch die Größe seines Betriebs spricht eher gegen eine erhebliche Einnahmequelle und daraus resultierendes Vermögen.

Bei dieser Sachlage fehlt es nach Auffassung des Senats an zureichenden Anhaltspunkten für die Annahme von Fluchtgefahr. Die Straferwartung allein rechtfertigt eine solche Annahme nicht. Da auch kein anderer Haftgrund ersichtlich ist, war der Haftbefehl des Landgerichts Stade vom 2. August 2023 aufzuheben.“

StPO III: Nach falscher Selbstbelastung in U-Haft, oder: Führt das zum Ausschluss der Haftentschädigung?

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Und zum Tages- – und Monatsschluss – dann noch eine Entscheidung, die nicht unmittelbar mit der StPO zu tun hat, sondern mit dem StrEG. Die Ausgangsproblematik liegt aber in der StPO, und zwar:

Der ehemalige Angeklagte wurde im Rahmen eines zunächst gegen andere Beschuldigte geführten Ermittlungsverfahrens am 17.02.2021 wegen des Verdachts des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge vorläufig festgenommen und befand sich seit dem 18.02.2021 in Untersuchungshaft, bis er im Oktober 2021 von deren weiterem Vollzug verschont wurde. Hintergrund der Verhaftung war u.a., dass im Rahmen einer Durchsuchung in der von dem ehemaligen Angeklagten mit seinem Bruder, einem Mitbeschuldigten des Ermittlungsverfahrens, gemeinsam bewohnten Wohnung sowie in einem Fahrzeug des Angeklagten Marihuana und an verschiedenen Orten deponiertes Bargeld aufgefunden worden war. Hinsichtlich der in seinem Fahrzeug befindlichen Menge von etwa zwei Kilogramm Marihuana äußerte der Angeklagte im Verlauf der Durchsuchung gegenüber einer Polizeibeamtin dass alles, was in seinem Fahrzeug sei, ihm gehöre.

In der Folgezeit hat die Staatsanwaltschaft gegen den Angeklagten und dessen Bruder Anklage wegen des Verdachts des Handeltreibens mit Btm in nicht geringer Menge auch hinsichtlich dieser Handelsmenge erhoben. Das LG hat den Angeklagten hiervon – wie auch in Bezug auf eine weitere Tat – mit Urteil vom 19.07.2022 freigesprochen. In diesem Rahmen hat es festgestellt, dass der Angeklagte wegen der erlittenen Untersuchungshaft für die Zeit ab dem 27.05.2021 bis zu der Aufhebung des Haftbefehls – auch soweit dieser im Oktober 2021 außer Vollzug gesetzt wurde – zu entschädigen sei. Für den Zeitraum vom 17.02.2021 bis zum 26.05.2021 hat sie demgegenüber eine Entschädigung versagt. Durch seine Angaben gegenüber der Polizeibeamten habe sich der Angeklagte wahrheitswidrig selbst belastet und die Strafverfolgungsmaßnahme jedenfalls grob fahrlässig verursacht.

Der ehemalige Angeklagte hat gegen diese Entscheidung sofortige Beschwerde eingelegt, mit der er begehrt, auch für den in diesem Zeitraum erlittenen Freiheitsentzug entschädigt zu werden. Zur Begründung trägt er vor, dass die gegenüber der Polizeibeamtin getätigten Angaben einem Verwertungsverbot unterlägen. Das Rechtsmittel hatte beim OLG Kölnmit de, OLG Köln, Beschl. v. 01.08.2023 – 2 Ws 654/22 – Erfolg:

„b) Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist eine Entschädigung nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Beschwerdeführer den in der Zeit vom 17.02.2021 bis zum 26.05.2021 erlittenen Freiheitsentzug gemäß § 5 Abs. 2 StrEG grob fahrlässig verursacht hatte.

aa) In rechtlicher Hinsicht gilt insoweit:

(1) Ein grob fahrlässiges Verhalten im Sinne von § 5 Abs. 2 StrEG liegt vor, wenn der Beschuldigte die Strafverfolgungsmaßnahme durch sein Verhalten herausgefordert hat. Er muss in ungewöhnlichem Maße die Sorgfalt außer Acht gelassen haben, die ein verständiger Mensch in gleicher Lage anwenden würde, um sich vor Schaden durch die Strafverfolgungsmaßnahme zu schützen (BGH, Beschluss vom 24. September 2009 – 3 StR 350/09 -, Rn. 4, juris). Ob eine derartige schuldhafte Verursachung vorliegt, ist ausschließlich nach zivilrechtlichen Zurechnungsgrundsätzen (§ 254 Abs. 1, §§ 276 bis 278 BGB) zu beurteilen (vgl. KG, Beschuss vom 11.01.2012 – 2 Ws 351/11, juris Rn. 5 mwN). Bei der Beurteilung der Frage, ob der Beschuldigte nach diesen Maßstäben Anlass zu der Strafverfolgungsmaßnahme gegeben hat, ist aufgrund des Ausnahmecharakters des § 5 Abs. 2 StrEG ein strenger Maßstab anzulegen (BGH, Beschluss vom 28.06.2022 – 2 StR 229/21, juris Rn. 20). Es reicht daher nicht aus, dass sich der Freigesprochene irgendwie verdächtig gemacht hat, vielmehr muss er durch eigenes Verhalten einen wesentlichen Ursachenbeitrag zur Begründung des für die Anordnung der Untersuchungshaft erforderlichen dringenden Tatverdachts geleistet haben (BGH, Beschluss vom 24.09.2009 – 3 StR 350/09, juris Rn. 4). In diesem Sinne liegt regelmäßig ein grob fahrlässiges Verhalten vor, wenn sich der Beschuldigte gegenüber den Ermittlungsbehörden wahrheitswidrig selbst belastet (vgl. Abramenko, NStZ 1998, 176, 177). Dies gilt umso mehr, je schwerer der Tatvorwurf ist.

(2) Liegt der entsprechenden Erklärung des Beschuldigten allerdings ein Verstoß gegen die strafprozessuale Belehrungspflicht gemäß § 136 Abs. 1, § 163a StPO zugrunde, rechtfertigt die Selbstbelastung nicht ohne weiteres den Vorwurf einer grob fahrlässigen Verursachung der Strafverfolgungsmaßnahme.

(a) Allerdings wird verbreitet – worauf sich auch das Landgericht bezogen hat – angenommen, dass es für die Feststellung eines grob fahrlässigen Verhaltens unerheblich sein soll, ob hinsichtlich der insoweit maßgeblichen Äußerungen des Beschuldigten ein strafprozessuales Verwertungsverbot wegen Verstoßes gegen die Pflicht zur Beschuldigtenbelehrung besteht, da sich ein solches nur auf den Nachweis des strafrechtlichen Schuldvorwurfes beziehe und die Grundlagen der verfahrensrechtlichen Stellung des Beschuldigten sichern solle. Für die im Rahmen des StrEG zu treffenden Annexentscheidungen könne dieses hingegen jedenfalls keine Fernwirkung dahin entfalten, dass von einem generellen Schweigen des Beschuldigten auszugehen wäre. Da es nicht um die Zuweisung strafrechtlicher Schuld, sondern die Zurechnung nach zivilrechtlichen Maßstäben gehe, liege auch kein Verstoß gegen die Unschuldsvermutung vor (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 09.07.1997 – 3 Ws 84/96, NStZ 1998, 211; OLG Rostock, Beschluss vom 08.11.2004 – I Ws 269/04, juris Rn. 18; OLG Koblenz, Beschluss vom 22.08.2005 – 2 Ws 507/05, Justizblatt Rh.-Pf. 2005, 223; Burhoff/Kotz, Hdb. für die strafrechtliche Nachsorge, Teil I Rn. 352; MAH Strafverteidigung/Kotz/Arnemann, 3. Aufl., § 29 Rn. 93; Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 6 Rn. 4; MüKoStPO/Kunz StrEG § 5 Rn. 65, § 6 Rn. 5).

(b) Diese Ansicht vermag jedenfalls in ihrer Pauschalität nicht zu überzeugen, soweit hiermit auch die Auffassung verbunden sein sollte, dass der Inhalt von unter Verstoß gegen die Belehrungspflicht zustande gekommenen Erklärungen im Rahmen von Entscheidungen über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen verwertbar sein soll.

(aa) Gemäß § 8 Abs. 1 StrEG ist die Entscheidung über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen dem Strafgericht zugewiesen. Hieraus folgt, dass sich dieses Verfahren nach den Vorschriften der Strafprozessordnung richtet. Bereits dies legt eine einheitliche Behandlung der strafprozessrechtlichen Beweisverwertungsverbote jedenfalls für diejenigen gerichtlich zu treffenden Endentscheidungen nahe, die – wie hier – eine dem Angeklagten belastende Wirkung entfalten können (vgl. Abramenko, NStZ 1998, 176, 177). Dies gilt umso mehr, als die Grundentscheidung über die Entschädigung des Beschuldigten bzw. freigesprochenen Angeklagten nach dem gesetzlichen Leitbild gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 StrEG in dem Urteil oder dem Beschluss, der das Verfahren abschließt, getroffen werden soll; sie ist insoweit Teil des Rechtsfolgenausspruchs (LR/Becker, StPO, 27. Aufl., § 244 Rn. 31). Wäre eine für den Schuld- und Strafausspruch unverwertbare Äußerung des Beschuldigten im Rahmen der Entscheidung nach § 8 Abs. 1 StrEG stets uneingeschränkt verwertbar, müsste sich die Amtsaufklärungspflicht des Gerichts (§ 244 Abs. 2 StPO) auch auf deren Inhalt erstrecken. Das Gericht wäre im Strafprozess daher selbst dann zur Aufklärung des Inhalts der Erklärung verpflichtet, wenn das Bestehen eines Verwertungsverbotes für den Schuld- und Strafausspruch bereits unzweifelhaft feststünde. Dies vermag nicht zu überzeugen.

(bb) Hierfür spricht auch der Zweck der Belehrungspflicht des § 136 Abs. 1 StPO. Das Gesetz setzt die Kenntnis über die Aussagefreiheit beim Bürger nicht voraus, sondern verlangt die ausdrückliche Aufklärung hierüber. Die Belehrungspflicht sichert die verfahrensrechtliche – verfassungsrechtlich garantierte – Stellung des Beschuldigten in elementarer Weise ab (vgl. BGH, Beschluss vom 27.02.1992 – 5 StR 190/91, BGHSt 38, 214, juris Rn. 13 ff.). Aufgrund dessen ist an die unterlassene Belehrung regelmäßig ein strafprozessuales Verwertungsverbot geknüpft (vgl. BGH aaO; LR/Gleß, StPO, 27. Aufl., § 136 Rn. 77). Soweit die verfahrensrechtliche Stellung des Beschuldigten betroffen ist, schützt die Belehrungspflicht den Beschuldigten zwar nicht davor, dass die Strafverfolgungsbehörden gleichwohl gegen ihn gerichtete Ermittlungs- und Strafverfolgungsmaßnahmen treffen. Sie sichert ihn aber (auch) davor, nicht unbedacht an derartigen Maßnahmen mitzuwirken. Gerade dies ist aber – unter anderem – zentraler Gegenstand bei der Frage des Bestehens von Ausschluss- bzw. Versagensgründen nach § 5 Abs. 2, § 6 Abs. 1 Nr. 1 StrEG. Insoweit ist im Übrigen auch in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannt, dass Äußerungen des Beschuldigten, denen ein Verstoß gegen die Pflicht zur Belehrung nach § 136 Abs. 1 Satz 2, § 163a Abs. 4 Satz 2 StPO vorangegangen ist, schon im Ermittlungsverfahren im Rahmen der Tatverdachtsprüfung nach § 112 Abs. 1 StPO einem von Amts wegen zu prüfenden Verwertungsverbot unterliegen (vgl. BGH, Beschluss vom 06.06.2019 – StB 14/19, NStZ 2019, 539, Rn. 25 ff.; s. zur Frage der Früh- bzw. Vorauswirkung von Beweisverwertungsverboten auch LR/Mavany, StPO 27. Aufl., § 152 Rn. 33; MüKoStPO/Kölbel StPO § 160 Rn. 37). Dies dient unter anderem auch dem Schutz des Beschuldigten vor auf nicht tragfähiger Grundlage beruhender Strafverfolgungsmaßnahmen und den hiermit einhergehenden Grundrechtseingriffen, die sich im Fall der Freiheitsentziehung überdies als besonders intensiv darstellen.

(cc) Auch materiellrechtlich vermag es nicht zu überzeugen, die trotz unterlassener Belehrung gemachten Angaben des Beschuldigten im Rahmen der Prüfung nach § 5 Abs. 2 StrEG stets inhaltlich zu dessen Nachteil zu berücksichtigen, indem sie als Anknüpfungspunkt für ein grob fahrlässiges Verhalten herangezogen werden. Maßstab für die Frage, ob eine grob fahrlässige Verursachung der Strafverfolgungsmaßnahme vorliegt, ist der objektive Maßstab eines verständigen Menschen in der Lage des Beschuldigten. Setzt das Gesetz die Kenntnis über die Aussagefreiheit beim Bürger aber – wie dargelegt – nicht voraus, so kann im Rahmen der gebotenen objektiven Betrachtung eine Selbstbelastung aber nicht ohne weiteres als die Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße außer Acht lassend angesehen werden.

(dd) Soweit in der Verwertung der unter Verstoß gegen die Belehrungspflicht zustande gekommenen Erklärung im Rahmen der nach § 8 Abs. 1 StrEG zu treffenden Grundentscheidung kein Verstoß gegen die Unschuldsvermutung gesehen wird, weil es bei den nach §§ 5, 6 StrEG bestehenden Ausschluss- und Versagungsgründen nur um eine Prüfung nach zivilrechtlichen Zurechnungsgrundsätzen gehe, ist dem insoweit zwar zuzustimmen. Gleichwohl vermag diese Erwägung allein noch nicht zu begründen, weshalb hinsichtlich der Feststellung des Schuldvorwurfs einem Verwertungsverbot unterliegende Äußerungen im Rahmen des Entschädigungsverfahrens nach dem StrEG verwertbar sind. Auch im Zivilprozess besteht insoweit kein uneingeschränktes Verwertungsgebot (vgl. BGH, Urteil vom 10.12.2002 – VI ZR 378/01, NJW 2003, 1123, 1124 f.).

bb) Nach diesen Maßstäben ist vorliegend nicht von einer grob fahrlässigen Verursachung der Anordnung der Untersuchungshaft durch den Beschwerdeführer auszugehen. Angesichts der fehlenden Verwertbarkeit des Inhalts seiner gegenüber der Zeugin D. gemachten Angaben lässt sich schon kein (weiterer) Beitrag des Beschwerdeführers feststellen, der für die Anordnung der Untersuchungshaft ursächlich geworden war. Gegen die Berücksichtigung des Verwertungsverbots spricht insoweit im Übrigen auch nicht, dass der Beschwerdeführer sich mit der einem Verwertungsverbot unterliegenden Äußerung möglicherweise – zum Schutz seines Bruders – wahrheitswidrig selbst belastet hatte. Der Senat entnimmt dem Urteil des Landgerichts insoweit zwar, dass dieses, auch wenn es den Beschwerdeführer hinsichtlich einer Beihilfe zum Handeltreiben nur mit Blick auf den Zweifelssatz freigesprochen hat, aufgrund der in der Hauptverhandlung durchgeführten Beweisaufnahme davon überzeugt gewesen ist, dass das im Fahrzeug des Beschwerdeführers aufgefundene Marihuana nicht diesem, sondern dem gesondert verfolgten C. E. gehört hatte. Es ist aber nicht ausschließen, dass der Beschwerdeführer, wäre er vor seiner Äußerung gegenüber der Zeugin D. ordnungsgemäß belehrt worden, geschwiegen hätte und gegen ihn mangels weiterer tragfähiger Beweismittel kein Haftbefehl ergangen wäre (vgl. zur Anwendung des Zweifelssatzes im Rahmen von § 5 Abs. 2 StrEG: KG, Beschluss vom 08.07.2021 – 5 Ws 104/21, juris Rn. 7 mwN).“

StPO I: 3 x BGH aus dem Ermittlungsverfahren, oder: Besuchserlaubnis, Leselaptop, Durchsuchung

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Zum Monatsende dann noch einmal-Entscheidungen. Da hat sich das ein oder andere angesammelt, dass ich heute mal „gebündelt“ vorstelle.

Es handelt sich zunächst um drei BGH-Entscheidungen aus dem Ermittlungsverfahren, und zwar:

Gemäß § 304 Abs. 5 StPO ist die Beschwerde gegen Verfügungen des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs nur eröffnet, wenn diese die Verhaftung, einstweilige Unterbringung, Bestellung eines Pflichtverteidigers oder deren Aufhebung, Beschlagnahme, Durchsuchung oder die in § 101 Abs. 1 StPO bezeichneten Maßnahmen betreffen. Unter „Verfügungen“ in diesem Sinne sind auch solche im Vorverfahren getroffenen Entscheidungen zu verstehen, die als Beschluss ergehen. Entscheidungen des Ermittlungsrichters über den Antrag auf Erteilung einer Besuchserlaubnis zum Zwecke eines Anbahnungsgesprächs sowie die Modalitäten der Besuchserlaubnis unterfallen diesem Katalog nicht. Insbesondere betreffen sie weder die Bestellung eines Pflichtverteidigers noch deren Aufhebung.

Die „Verhaftung“ i.S. des § 304 Abs. 5 StPO betrifft eine Entscheidung des Ermittlungsrichters nur, wenn damit unmittelbar entschieden wird, ob der Beschuldigte in Haft zu nehmen oder zu halten ist. Nicht mit der Beschwerde angreifbar sind dagegen Beschränkungen durch den Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs die – wie z.B. die Frage der Nutzung eines Leselaptops – dem Untersuchungsgefangenen im Hinblick auf den Zweck der Untersuchungshaft nach § 119 Abs. 1 StPO auferlegt werden und die sich lediglich auf die Art und Weise des Vollzugs erstrecken.

Für die Zulässigkeit einer regelmäßig in einem frühen Stadium der Ermittlungen in Betracht kommenden Durchsuchung genügt der über bloße Vermutungen hinausreichende, auf bestimmte tatsächliche Anhaltspunkte gestützte konkrete Verdacht, dass eine Straftat begangen worden ist und der Verdächtige als Täter oder Teilnehmer an dieser Tat in Betracht kommt. Eines hinreichenden oder gar dringenden Tatverdachts bedarf es – unbeschadet der Frage der Verhältnismäßigkeit – nicht. Ein solcher ausreichend konkreter Verdacht kann grundsätzlich auch durch ein Behördenzeugnis begründet werden, zumal die Durchsuchung dazu dienen kann, die Qualität der Angaben zu überprüfen, und nicht nur zur Belastung, sondern ebenso zur Entlastung des Beschuldigten beizutragen vermag.

Haft II: Drei Monate zwischen Eröffnungsreife und HV, oder: Mehr ist nicht nur „vorübergehende Überlastung“

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Im zweiten Posting etwas zum Beschleunigungsgrundsatz. Ergangen ist der OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 19.07.2023 – 1 Ws 225- 229/23 – in einem BtM-Verfahren, das sich gegen fünf Angeklagte richtet. Die haben sich seit dem 17. bzw. 19.11.2022 in Untersuchungshaft befunden..

Die StA hat am 14.04. 2023 Anklage zum LG Frankfurt am Main erhoben. Der Vorsitzende der zutsändigen Strafkammer zeigte dem Präsidium des LG Ende Mai 2023 die Überlastung der Kammer an und ersuchte das Präsidium, die Überlastung der Strafkammer festzustellen und das Verfahren auf eine andere Strafkammer zu übertragen. Das Präsidium des LG hat am 31.05. wurde die Überlastungsanzeige erörtert. Eine Überlastung wurde nicht festgestellt.

Die Strafkammer hat dann mit Beschlüssen vom 30. 06.2023 die Haftbefehle gegen die Angeklagten außer Vollzug. Zur Begründung führte sie aus, dass die Durchführung der Hauptverhandlung vor Januar 2024 nicht in Betracht komme und vor diesem Hintergrund der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die Außervollzugsetzung gebiete. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Staatsanwaltschaft. Die hatte keinen Erfolg. Das OLG hat die aufgehoben:

„Auf die Beschwerden der Staatsanwaltschaft, die gemäß § 301 StPO auch zugunsten der Angeschuldigten wirken, sind die Haftbefehle aufzuheben.

Die Aufrechterhaltung der Haftbefehle ist vorliegend nicht gerechtfertigt, weil das aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG und Art. 5 Abs. 3 Satz 1, 2. Halbsatz MRK folgende Beschleunigungsgebot verletzt ist. Das in Haftsachen geltende Gebot der besonderen Verfahrensbeschleunigung verlangt, dass die Strafverfolgungsbehörden und Gerichte von Anfang an alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen Schnelligkeit abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung über die einem Beschuldigten vorgeworfenen Taten herbeizuführen (vgl. nur BVerfG, BeckRS 2007, 33088). Liegt ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot vor, kann die Untersuchungshaft zur Durchführung eines geordneten Strafverfahrens und zur Sicherstellung der Strafvollstreckung nicht mehr als notwendig anerkannt werden. Selbst wenn noch keine vermeidbare Verzögerung vorliegt, aber bereits hinreichend deutlich absehbar ist, dass das Verfahren nicht mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung betrieben werden kann, ist von der Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft abzusehen (BVerfG, BeckRS 2007, 33088; OLG Stuttgart, NStZ-RR 2012, 62). Eine erst bevorstehende, aber zum Entscheidungszeitpunkt schon deutlich absehbare Verfahrensverzögerung steht einer bereits eingetretenen Verfahrensverzögerung gleich (BVerfG, Beck RS 2021, 1240 Rn. 39).

So liegt der Fall hier. Die Strafkammer hat in den angefochtenen Entscheidungen festgehalten, dass angesichts der Belastungssituation der Kammer die Hauptverhandlung nicht vor Januar 2024 beginnen könne. Zwischen Eröffnungsreife und Hauptverhandlung lägen mithin nicht drei Monate, wie dies üblicherweise der Fall sein soll, sondern rund sechs Monate. Damit verzögert sich das Verfahren absehbar um mindestens drei Monate, weshalb schon nicht von einer nur vorübergehenden Überlastung auszugehen ist. Die Verzögerung ist schließlich auch der Justiz anzulasten, was die Aufhebung und nicht die Außervollzugsetzung der Haftbefehle gebietet. Soweit die Staatsanwaltschaft rügt, die Kammer wähne sich trotz der anderslautenden Entscheidung des Präsidiums und auch zu Unrecht überlastet und könne bei gebotener Reduzierung der Sitzungstage in dem Verfahren … eine Terminierung im September 2023 ermöglichen, bedarf es keiner Entscheidung des Senats. Der Senat hat keine Möglichkeit, auf die Terminierung der Kammer Einfluss zu nehmen, geschweige denn, eine bestimmte Terminierung zu erzwingen. Umgekehrt, soweit die Kammer der Auffassung ist, das Präsidium habe eine Überlastung zu Unrecht nicht festgestellt, vermag der Senat auch keinen Einfluss auf die Gerichtsorganisation des Landgerichts zu nehmen. Es verbleibt dabei, dass ein Beginn der Hauptverhandlung vor Januar 2024 mit dem Beschleunigungsgebot nicht in Einklang zu bringen ist. Justizinterne Unstimmigkeiten zwischen dem Präsidium des Gerichts und der Kammer bzgl. deren Belastungssituation dürfen nicht zu Lasten der Angeschuldigten gehen. Die Angeschuldigten haben die absehbare Verzögerung keinesfalls zu vertreten.“