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OWi III: Alter Wein in neuen (Anwalts)Schläuchen, oder: OLG Brandenburg zu alter AG-Rechtsprechung

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Und dann habe ich hier noch eine Entscheidung des OLG Brandenburg, die mich etwas verwundert. Allerdings dieses Mal nicht wegen der Auffassung des OLG sondern wegen des Inhalts des Anwaltsvortrags, mit dem sich das OLG befasst. Ich weiß zwar nicht, was genau der Verteidiger vorgetragen hat, aber besonders aktuell kann es nicht gewesen sein.

Das OLG führt in dem OLG Brandenburg. Beschl. v. 23.09.2024 – 1 ORbs 242/24 – nämlich aus:

„Auf den Anwaltsschriftsatz vom 13. September 2024 ist ergänzend anzumerken, dass das Tatgericht die Ausführungen des Betroffenen im Anwaltsschriftsatz vom 26. Juni 2024 sehr wohl zur Kenntnis genommen und es sich in den Urteilsgründen auch mit maßgeblichen Aspekten der Verteidigungsschrift auseinander gesetzt hat (S. 5 ff. UA).

Entgegen der Auffassung des Betroffenen im Anwaltsschriftsatz vom 26. Juni 2024 musste sich dem Amtsgericht Brandenburg an der Havel eine Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung der pfälzischen Amtsgerichte, insbesondere der des Amtsgerichts Landstuhl vom 3. Mai 2012 (vgl. S. 2 Anwaltsschriftsatz), der die Entscheidung des Amtsgerichts Kaiserslautern vom 14. März 2012 (6270 Js 9741/11.1 OWi, abgedruckt in: ZfSchR 2012, 407 f.) voraufgegangen ist, nicht aufdrängen, da diese Gerichte die Einheitlichkeit der Rechtsprechung nicht tragen. Das gilt umso mehr als die Entscheidung des Amtsgerichts Kaiserslautern vom 14. März 2012 (6270 Js 9741/11.1 OWi, abgedruckt in: ZfSchR 2012, 407 f., dem sich das Amtsgericht Landstuhl angeschlossen hatte, vgl. Urteil vom 3. Mai 2012, 4286 Js 12300/10 OWi) durch das pfälzische Oberlandesgericht Zweibrücken mit Beschluss vom 19. Oktober 2012 (1 Ss Bs 12/12) längst aufgehoben worden ist, und zwar hinsichtlich des Aspektes, den die Verteidigung nun geltend zu machen sucht.

Hinsichtlich der in der Rechtsbeschwerdebegründung zitierten Entscheidung des Amtsgerichts Meißen vom 29. Mai 2015 (13 OWi 703 Js 21114/14, abgedr. bei juris) ist anzumerken, dass diese fehlerhaft ist. Die dort vertretene Auffassung, dass das Messverfahren eine zu geringe Anzahl an Messwerten generiere, um ein charakteristisches Helligkeitsprofil zu erstellen, beruht auf einem gravierenden Missverständnis bezüglich der Funktionsweise und Messwertbildung im genannten Verfahren. Nach der Stellungnahme der PTB vom 12. Januar 2016 geht das Amtsgericht Meißen fehlerhaft von der Annahme aus, die Sensoren würden ihren Erfassungsbereich nur etwa alle 10 Millisekunden abtasten. Tatsächlich bestehe – wie aufgrund der detaillierten Analysen der Funktionsweise der Messwertbildung worden war – ein zeitlicher Abstand zwischen den Abtastwerten von 10 Mikrosekunden. Daraus resultiere eine um den Faktor 1000 höhere Anzahl an Abtastwerten, die der Geschwindigkeitsmessung zugrunde liege, als in der Urteilsbegründung ausgeführt ist. Bezogen auf eine Strecke von 3,00 m ergäben sich damit nicht – wie vom Amtsgericht Meißen angenommen – 10 Abtastwerte, sondern vielmehr eine Anzahl von 10.800 Abtastwerten. Die Feststellung des Amtsgerichts Meißen, dass für die Ermittlung eines charakteristischen Helligkeitsprofils durch das streitgegenständliche Gerät zu wenige Abtastwerte ermittelt würden, ist vor diesem Hintergrund nicht haltbar. Damit ist dem tragenden Argument der Entscheidung des Amtsgerichts Meißen die Grundlage entzogen (vgl. dazu ausführlich OLG Oldenburg, Beschluss vom 18. April 2016, 2 Ss (OWi) 57/16, zit. n. juris, dort Rdnr. 14 ff.). Soweit mit Anwaltsschriftsatz vom 4. August 2024 die PTB-Stellungnahme bestritten wird, ist anzumerken, dass es sich um eine Ergänzung des antizipierten Sachverständigengutachtens der Bauartzulassung des Geschwindigkeitsmessgerätes handelt. Die Stellungnahme der VUT-Verkehr GmbH & Co. KG vom 26. Januar 2016 hat die PTB-Stellungnahme vom 12. Januar 2016 „vom reinen Zahlenwert her [als] zutreffend“ (dort S. 4) bestätigt, was der Entscheidung des Amtsgerichts Meißen die Grundlage entzieht (OLG Oldenburg a.a.O., Rdnr. 19 ff.).“

 

OWi II: Einsicht des Verteidigers in die Messreihe, oder: Fortbildung für die Verwaltungsbehörde durch das AG

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Als zweite Entscheidung hier der AG Köln, Beschl. v. 02.10.2024 – 815 OWi 103/24 (b). Er behandelt noch einmal das Akteneinsichtsrecht des Verteidigers im Bußgeldverfahren. Der ein oder andere wird sich dazu fragen: Was gibt es denn da Neues? Richtig, nichts. Auch hier „Alter Wein…“. Ich stelle den Beschluss aber trotzdem vor, und zwar weil er mal wieder zeigt, dass viele Ordnungsbehörden offenbar nicht zur Kenntnis nehmen wollen, dass der Verteidiger ein Akteneinsichtsrecht hat. Und das muss dann immer – was ja nun wirklich unnötig ist – vom AG bestätigt werden. So eben auch hier:

„Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist begründet, soweit die Herausgabe der gesamten Messreihe begehrt wird.

Dem Verteidiger ist auf Antrag die vollständige Messreihe zur Verfügung zu stellen. Ein entsprechender Anspruch ergibt sich aus § 46 OWiG in Verbindung mit § 147 StPO. Ohne die Herausgabe der entsprechenden Daten würde der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt. Wird ein standardisiertes Messverfahren eingesetzt, muss der Betroffene zur Verteidigung konkrete Einwendungen gegen die Messung vorbringen. Das standardisierte Messverfahren bewirkt in diesem Sinne eine Beweislastumkehr, da der Betroffene konkret die Richtigkeit der Messung entkräften muss. Dies ist ihm nicht möglich, wenn er keine vollständige Überprüfung der Messung durchführen kann, was wiederum voraussetzt, dass ihm alle vorhandenen Daten, insbesondere die gesamte Messreihe, zugänglich gemacht werden. Auch ist eine Begrenzung der herauszugebenden Datensätze, bspw. auf fünf oder acht weitere Messungen aus der Messreihe, nicht statthaft. Der Betroffene muss selbst die Messreihe sichten können, um entscheiden zu können, welche anderen Messungen er anführen möchte um die Fehler in seiner Messung belegen zu können. Eine Vorauswahl durch das Gericht, indem dem Betroffenen nur eine bestimmte Anzahl anderer Messungen oder nur Messungen an bestimmten Positionen der Messreihe zugänglich gemacht werden, würden eine weitere Einschränkung der Verteidigungsmöglichkeiten darstellen, da andere Messungen, ohne dass diese hätten geprüft werden können, von vorne herein aus der möglichen Beweisführung ausgenommen werden.

Die Stellungnahme der PTB vom 30.03.2020 ändert hieran nach Auffassung des Gerichts nichts. Soweit die PTB anführt, dass die gesamte Messreihe sehr lang sein könnte und daher praktisch nicht auswertbar sei, stellt dies keinen Grund gegen die Herausgabe dar. Die Auswertung, auch wenn sie ggf. lange dauert oder umfangreich ist, ist die Entscheidung des Betroffenen. Hinsichtlich der weiteren dort aufgeführten Punkte haben gerichtliche Sachverständige in der Vergangenheit die gesamte Messreihe untersucht und vorgetragen, diese zur Auswertung zu benötigen. Diese sachverständige Auskunft kann das Gericht mangels technischer Kenntnisse nicht überprüfen. Sie erscheint aber auch nicht von vorneherein unplausibel.

Gründe des Datenschutzes sprechen nicht gegen die Herausgabe, da die Interessen des Betroffenen ohne die Messreihe nicht gewahrt werden können und zudem die Möglichkeit besteht, die Messreihe zu anonymisieren. Die Daten werden zudem nur einem zur Verschwiegenheit verpflichteten Personenkreis (Rechtsanwalt und Sachverständiger) zur Verfügung gestellt. Letztlich handelt es sich um Daten, die durch die freiwillige Teilnahme am Straßenverkehr entstanden sind.

Diese Rechtsauffassung wird auch vom OLG Köln geteilt, Beschluss vom 30.05.2023, Az.: 111-1 RBs 288/22.“

OWi I: Dysfunktionales Absehen vom Fahrverbot, oder: Fahrverbot wegen Beharrlichkeit

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Heute dann ein paar OWi-Entscheidungen. Es ist nichts Besonderes, sondern dient der Vollständigkeit 🙂 .

Zunächst will ich hier zwei KG-Entscheidungen zum Fahrverbot vorstellen, und zwar.

Im KG, Beschl. v. KG 26.6.24, 3 ORbs 93/24 – hat das KG noch einmal zur Verhängung eines Fahrverbotes wegen beharrlicher Verletzung der Pflichten eines Kfz-Führers Stellung genommen. Und zwar:

1. Sind die Voraussetzungen für ein Regelfahrverbot nach der BKatV nicht gegeben, bedarf es näherer Feststellungen, ob die Anordnung eines Fahrverbotes dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht. Nur wenn die Beharrlichkeit der Pflichtverletzung von ähnlich starkem Gewicht wie in der ausdrücklich normierten Konstellation des § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV ist, kommt die Anordnung eines Fahrverbotes wegen der Vorahndungslage in Betracht. Denn nur dann wird es geboten sein, mit der Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme auf den Betroffenen gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. StVG i.V.m. § 4 Abs. 2 Satz 1 BKatV einzuwirken.

2. Daher bedarf es in den Urteilsgründen nähere Darlegung zum Zeitmoment (vgl. § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV), zur Anzahl, zur Tatschwere und zu den Rechtsfolgen früherer und noch verwertbarer Verkehrsverstöße und deren Vergleichbarkeit mit der verfahrensgegenständlichen Zuwiderhandlung.

Im KG, Beschl. v. 11.09.2424 – 3 ORbs 165/24 – 122 SsBs 25/24 – hat das KG sich dann zum sog. dysfunktionalem Absehen vom Fahrverbot geäußert. Die Entscheidung beweist mal wieder, dass das Absehen vom Fahrverbot dem Amtsrichter nicht leicht gemacht wird. Das KG hat seinem Beschluss folgende Leitsätze gegeben:

1. Möchte der Tatrichter vom Regelfahrverbot absehen, so muss sich aus den Urteilsgründen ergeben, dass er sich der gesetzlichen Indizwirkung der BKatV bewusst war.

2. Zur Bewertung einer Einlassung, der Betroffene habe sein Fahrzeug aus technischen Gründen beschleunigen müssen, um dessen Liegenbleiben zu verhindern

3. Aufgrund der Regelung des § 3 Abs. 1 BKatV ist es grundsätzlich fehlerhaft, die Herabsetzung der Regelgeldbuße damit zu begründen, der Betroffene habe keine Voreintragung im Fahrerlaubnisregister.

4. Dass der Betroffene seit 26 Jahren Inhaber einer Fahrerlaubnis ist, gibt nicht ohne Weiteres Anlass, die Regelgeldbuße herabzusetzen.

5. Die tatrichterliche Bewertung, durch eine Geschwindigkeitsüberschreitung (hier: innerorts um 42 km/h) werde die Verkehrssicherheit nicht beeinträchtigt, ist nicht nachvollziehbar.

6. Möchte der Tatrichter vom Regelfahrverbot absehen, weil dieses den Betroffenen aus familiären und beruflichen Gründen besonders hart treffe, so ist diese Bewertung mit Tatsachen zu belegen. Gehen diese auf die Einlassung des Betroffenen zurück, bedarf es einer kritischen Würdigung und gegebenenfalls Überprüfung.

7. Andeutungen, die Prozessökonomie hätte Anlass gegeben, die Regelgeldbuße herabzusetzen (hier von 800 auf 55 Euro) und vom Fahrverbot abzusehen, stellen keine tragfähige Grundlage für eine entsprechende Rechtsfolgenentscheidung dar.

Pflichti III: Bestellung im KCanG-Nachverfahren?, oder: Ja, Verfahrensfairness und kostenrechtliche Sicherheit

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Und dann habe ich hier noch den LG Neuruppin, Beschl. v. 22.07.2024 – 11 Kls 5/22 – der zur Bestellung eines Pflichtverteidigers im Nachverfahren über die anlässlich des teilweisen Inkrafttretens des KCanG zum 01.04.2024 nach Maßgabe der Art. 313 Abs. 3 Satz 3, 316p EGStGB gebotene Strafermäßigungsprüfung Stellung nimmt. Für mich ein für die Praxis wichtiger Beschluss. Vor allem, weil ich bisher zu der Frage noch keinen Beschluss kannte.

Das LG führt zu der Frage aus:

§ 143 Abs. 1 StPO bestimmt, dass die – wie vorliegend geschehen – im Erkenntnisverfahren erfolgte Bestellung eines Pflichtverteidigers auch für das in § 460 StPO geregelte Nachverfahren über die nachträgliche Bildung einer Gesamtstrafe fortwirkt. Ob eine derartige Erstreckung allerdings auch für das Nachverfahren über die anlässlich des teilweisen Inkrafttretens des Konsumcannabisgesetzes zum 01.04.2024 nach Maßgabe der Art. 313 Abs. 3 Satz 3, 316p EGStGB gebotene Strafermäßigungsprüfung gilt, erscheint mit Blick auf die fehlende Nennung des § 460 StPO in Art. 313 Abs. 5 EGStGB zumindest nicht unproblematisch. Da jedoch die Festsetzung von Freiheitsstrafen über einem Jahr nach den zu § 140 Abs. 2 StPO in der höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung entwickelten Maßstäben ohne Verteidigung des Verurteilten in der Sache offenkundig ausscheiden muss, erscheint es aus Gründen der Verfahrensfairness wie zugleich auch, der kostenrechtlichen Sicherheit für den im Erkenntnisverfahren bereits bestellten Pflichtverteidiger geboten, dessen Bestellung auch für das vorliegende besondere Nachverfahren – und sei es mit bloß deklaratorischer Wirkung – erneut ausdrücklich auszusprechen.“

Pflichti II: OLG bejaht rückwirkende Bestellung, oder: Beiordnungsgrund „Gesamtstrafe“

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Und als zweite Entscheidung dann noch eine weitere OLG-Entscheidung, nämlich der OLG Zweibrücken, Beschl. v. 11.09.2024 – 1 Ws 208/24 -, der sich noch einmal mit dem Beiordnungsgrund „Schwere der Rechtsfolge“ in den Gesamtstrafenfällen befasst und zur Zulässigkeit der Rückwirkung – ohne viel Worte 🙂 Stellung nimmt:

2. Die sofortige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Grundsätzlich ist eine rückwirkende Beiordnung eines Pflichtverteidigers möglich (OLG Bamberg (1. Strafsenat), Beschluss vom 29.04.2021 – 1 Ws 260/21, OLG Nürnberg, Beschluss vom 06.11.2020 – Ws 962/20, Ws 963/20; MüKo-StPO § 142 Rn. 14). Die rückwirkende Beiordnung eines Pflichtverteidigers (bezogen auf den Zeitpunkt der Antragsstellung) setzt jedoch voraus, dass die sachlichen Voraussetzungen für die Bestellung eines Pflichtverteidigers vorlagen und der Antrag auf Bestellung noch vor dem Abschluss des Verfahrens erfolgte (OLG Bamberg aaO.).

Vorliegend wurde der Antrag auf Beiordnung durch den Angeklagten zeitlich vor der (vorläufigen) Einstellung durch das Landgericht gestellt; jedoch lagen die Voraussetzungen für eine Beiordnung nach § 140 StPO nicht vor.

a) In dem Verfahren selbst liegen keine Umstände vor, die eine Verteidigung als notwendig erscheinen lassen. Die Schwere der angeklagten Tat begründet eine solche Notwendigkeit für sich genommen nicht. Maßgeblich für die Beurteilung ist vor allem die zu erwartende Rechtsfolgenentscheidung. Meist wird angenommen, dass die Erwartung von 1 Jahr Freiheitsstrafe die Grenze bildet, ab der regelmäßig Anlass zur Beiordnung besteht (Meyer-Goßner, StPO, § 140 Rn 23a mwN). Gegenstand des Verfahrens ist eine Unterhaltspflichtverletzung. Der Angeklagte wurde deswegen erstinstanzlich durch das Amtsgericht Speyer zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 40 EUR verurteilt. Da gegen das Urteil lediglich der Angeklagte Berufung eingelegt hatte, war eine härtere Strafe nach § 331 StPO ausgeschlossen.

b) Auch der Umstand, dass aus der Strafe im vorliegenden Verfahren und aus der Strafe, die in dem gesonderten Verfahren gegen den Angeklagten zu erwarten ist, voraussichtlich eine Gesamtstrafe von mehr als 1 Jahr zu bilden sein wird, rechtfertigt es nicht, wegen der Schwere der Tat einen Fall notwendiger Verteidigung i.S. von § 140 Abs. 2 StPO anzunehmen.

Die Vorschriften der StPO über die notwendige Verteidigung und die Bestellung eines Verteidigers stellen sich als Konkretisierung des Rechtsstaatsprinzips in seiner Ausgestaltung als Gebot fairer Verhandlungsführung dar. Der Beschuldigte muss die Möglichkeit haben, zur Wahrung seiner Rechte auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens Einfluss zu nehmen. Dazu gehört auch, dass ein Beschuldigter der die Kosten eines gewählten Verteidigers nicht aufzubringen vermag, in schwerwiegenden Fällen von Amts wegen und auf Staatskosten einen rechtskundigen Beistand (Verteidiger) erhält (BVerfG, Beschluss vom 19.10.1977 – 2 BvR 462/77 – juris Rn 31; Meyer-Goßner; StPO, § 140 Rn 1). Bei der Bewertung, ob ein solcher schwerwiegender Fall vorliegt, ist auch die Gesamtwirkung der Strafe zu berücksichtigen. Hierzu gehören auch sonstige schwerwiegende Nachteile, die der Angeklagte infolge der Verurteilung zu befürchten hat, wie etwa ein drohender Bewährungswiderruf. Nach verbreiteter Auffassung gehören hierzu auch weitere gegen den Angeklagten anhängige Strafverfahren, in denen es zu einer Gesamtstrafenbildung kommen kann (OLG Hamm, StV 2004, 586; KG, Beschluss vom 13.12.2018 – 3 Ws 290/18121 AR 260/18, KK-StPO/Willnow StPO § 140 Rn. 27, 27a).

Hierbei bedarf es allerdings einer gründlichen Prüfung des Einzelfalls, ob andere Verfahren und die Erwartung späterer Gesamtstrafenbildung das Gewicht des abzuurteilenden Falles tatsächlich so erhöhen, dass die Mitwirkung eines Verteidigers geboten ist (OLG Stuttgart, Beschluss vom 02.03.2012 – 2 Ws 37/12).

Diese Voraussetzungen liegen hier ersichtlich nicht vor. Das vorliegende Verfahren selbst bietet – wie dargelegt – kein Anlass zur Beiordnung eines Pflichtverteidigers. In dem weiteren Verfahren gegen den Angeklagten wird ihm der Vorwurf des bewaffneten Handeltreibens gemacht, wofür § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG eine Mindestfreiheitsstrafe von 5 Jahren vorsieht. Selbst bei Annahme eines minder schweren Falles läge der Strafrahmen nicht unter 1 Jahr Freiheitsstrafe. Die Einstellung des vorliegenden Verfahrens lag daher nahe, was von dem Angeklagten auch beantragt wurde. Selbst im Falle einer Gesamtstrafenbildung wäre lediglich eine geringfügige – für den Angeklagten nicht wesentlich ins Gewicht fallende – Erhöhung der in dem gesonderten Verfahren zu erwartende Strafe anzunehmen gewesen.

Zudem lagen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass durch eine im vorliegenden Verfahren gegebenenfalls zu verhängende Strafe im Rahmen einer späteren Gesamtstrafenbildung eine sonst mögliche Strafaussetzung zur Bewährung gefährdet werden könnte (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 06.01.2017, 4 Ws 212/16).“

Schön, dass sich das OLG zur Zulässigkeit der Rückwirkung äußert, obwohl es darauf ja gar nicht ankam.