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SV II: Reststrafaussetzung zur Bewährung durch StVK , oder: Mündliche Anhörung des SV erforderlich?

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Im zweiten Posting etwas zum Sachverständigen im Verfahren betreffend die Strafaussetzung zur Bewährung, und zwar den OLG Celle, Beschl. v. 29.04.2024 – 1 Ws 126/24.

Der Verurteilte wurde am 13.06.2022 wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Zwei Drittel der Strafe waren am 06.042024 vollstreckt, die Endstrafe ist auf den 07.042025 notiert. Die StVK hat zur Prüfung einer Aussetzung des Strafrestes nach § 57 Abs. 1 StGB ein Sachverständigengutachten eines Diplom-Psychologen eingeholt. Dieser hat – im Gegensatz zur Stellungnahme der JVA – eine vorzeitige Entlassung des Verurteilten im Ergebnis befürwortet. Zur mündlichen Anhörung des Verurteilten am 03.04.2024 wurde der Sachverständige zunächst geladen, nach Verzicht der Verteidigerin auf seine mündliche Anhörung aber wieder abgeladen. Im Anhörungstermin hat auch der Verurteilte selbst darauf verzichtet, den Sachverständigen mündlich zu hören.

Die StVK hat dann die Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung ausgesetzt. Dagegen die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft, die Erfolg hatte:

„Die gemäß §§ 454 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1, 311 StPO zulässige sofortige Beschwerde hat – jedenfalls vorläufig – Erfolg.

1. Die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer war bereits deswegen aufzuheben, weil sie an einem wesentlichen Verfahrensfehler leidet. Denn die Strafvollstreckungskammer hat zu Unrecht von einer mündlichen Anhörung des Sachverständigen abgesehen.

a) Gemäß § 454 Abs. 2 Satz 3 StPO ist im Falle der Einholung eines Prognosegutachtens vor einer Entscheidung über die Aussetzung des Restes einer Freiheitsstrafe zur Bewährung der Sachverständige mündlich anhören. Von der Anhörung darf gemäß § 454 Abs. 2 Satz 4 StPO nur abgesehen werden, wenn sowohl der Verurteilte und sein Verteidiger als auch die Staatsanwaltschaft darauf verzichten.

b) Die Voraussetzungen des § 454 Abs. 2 Satz 4 StPO lagen nicht vor, weil die Staatsanwaltschaft nicht auf die Sachverständigenanhörung verzichtet hat.

Die Strafvollstreckungskammer hat in ihrer Verfügung vom 6. Februar 2024, mit der die Akten der Staatsanwaltschaft zur Kenntnisnahme vom Gutachten übersandt wurden, auch nach einem Verzicht auf die mündliche Anhörung des Sachverständigen gefragt. Zu dieser Frage hat sich die Staatsanwaltschaft aber weder in ihrer Rücksendeverfügung vom 13. Februar 2024, mit der sie auf ihre frühere Stellungnahme Bezug nahm, noch später geäußert.

Ein konkludenter Verzicht der Staatsanwaltschaft liegt ebenfalls nicht vor. Das bloße Schweigen auf eine Zuschrift des Gerichts genügt für die Annahme eines Verzichts nicht, denn der Verzicht auf die mündliche Anhörung muss eindeutig erklärt werden (OLG Braunschweig, Beschluss vom 5. Oktober 2023 – 1 Ws 206/23 –, Rn. 9, juris, m. w. N.). Auch dem Umstand, dass die Staatsanwaltschaft nicht am Anhörungstermin teilgenommen hat, kann jedenfalls unter den vorliegenden Umständen eine solche eindeutige Erklärung nicht entnommen werden, weil der Staatsanwaltschaft aufgrund der Ladungsverfügung vom 27. Februar 2024 keine Terminsnachricht übersandt und sie auch über die spätere Abladung des Sachverständigen nicht informiert wurde.

c) Darüber hinaus begegnet das Absehen von einer mündlichen Anhörung des Sachverständigen im vorliegenden Fall auch unter dem Gesichtspunkt der gerichtlichen Aufklärungspflicht durchgreifenden Bedenken.

Die Pflicht zur bestmöglichen Aufklärung des Sachverhalts kann auch in Fällen, in denen der Sachverständige nicht gemäß § 454 Abs. 2 Satz 3 StPO mündlich zu hören ist, seine mündliche Anhörung erfordern (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 04.08.2015 – 1 Ws 319/15, beck-online). Denn die Anhörung dient nicht nur der Verwirklichung rechtlichen Gehörs, sondern soll vor allem die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer vorbereiten und ihre materielle Richtigkeit gewährleisten (vgl. OLG Braunschweig, a. a. O.). Die mündliche Erörterung eines solchen Gutachtens in Anwesenheit der Verfahrensbeteiligten gibt diesen Gelegenheit, das Sachverständigengutachten eingehend zu diskutieren, das Votum des Sachverständigen zu hinterfragen und zu dem Gutachten Stellung zu nehmen (OLG Braunschweig a. a. O.).

Angesichts der grundlegenden unterschiedlichen Prognosebeurteilungen der Justizvollzugsanstalt einerseits und des Sachverständigen andererseits wäre eine solche eingehende Erörterung des Gutachtens – unter Mitwirkung der Vollzugsanstalt (§ 454 Abs. 3 Satz 3 StPO) – im vorliegenden Fall geboten gewesen, nachdem die Justizvollzugsanstalt nach Vorlage seines Gutachtens noch eine ausführliche Stellungnahme abgegeben und darin ihre bisherige Beurteilung bekräftigt und vertiefend begründet hat.“

SV I: Sachverständigengutachten im Urteil, oder: Unterbringung in einer Entziehungsanstalt

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Und heute dann drei Entscheidungen zum Sachverständigen bzw. zu Sachverständigenfragen.

Ich beginne mit dem OLG Braunschweig, Beschl. v. 02.09.2024 – 1 ORs 24/24. Der verhält sich zur Unterbringung nach § 64 StGB nach neuem Recht. Insoweit hier nur mein Leitsatz:

Für die festzustellende Erfolgsaussicht nach § 64 Satz 2 StGB n.F. ist es nunmehr erforderlich, dass der Behandlungserfolg „aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte zu erwarten“ ist. Die Anforderungen an eine günstige Behandlungsprognose sind „moderat angehoben“ worden, indem nunmehr eine „Wahrscheinlichkeit höheren Grades“ gegeben sein muss; im Übrigen bleibt es dabei, dass die Beurteilung der Erfolgsaussicht im Rahmen einer Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit und aller sonstigen maßgebenden Umstände vorzunehmen ist.

Und zu der Sarstellung eines Sachverständigengutachtens im Urteil bekräftigt das OLG noch einmal die ständigen Rechtsprechung der Obergerichte in der Frage, nämlich:

Den Ausführungen des Landgerichts lässt sich indes die gebotene Auseinandersetzung mit den festgestellten prognoseungünstigen wie auch prognosegünstigen Faktoren nicht entnehmen.

„Das Landgericht hat insoweit der „grundsätzlich vorhandenen Therapiewilligkeit des Angeklagten“ als (einzigem) prognosegünstigen Umstand „insbesondere die zahlreichen erfolglosen Therapieversuche in den letzten Jahren“ sowie den Umstand, dass „selbst im hochstrukturierten Setting der stationären Therapie kein konkreter Behandlungserfolg habe erzielt werden können“ als gegen eine günstige Behandlungsprognose sprechenden Umstände gegenübergestellt. Im Übrigen hat die Kammer zu der fehlenden Erfolgsaussicht (nur) ausgeführt, dass nach den nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen, denen sich die Kammer nach eigener kritischer Würdigung anschließe, keine tatsächlich begründete Erwartung eines Behandlungserfolgs einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gern. § 64 StGB bestehe (UA S. 16). Schließt sich der Tatrichter – wie hier – den Ausführungen eines Sachverständigen an, müssen dessen wesentliche Anknüpfungspunkte und Darlegungen im Urteil so wiedergegeben werden, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 19. Januar 2017, 4 StR 595/16, juris, Rn. 8; vom 28. Januar 2016, 3 StR 521/15, juris, Rn. 4.; vom 27. Januar 2016, 2 StR 314/15, juris, Rn. 6; vom 17. Juni 2014, 4 StR 171/14, juris, Rn. 7). Daran fehlt es hier.“

 

 

Befangen III: Unsachliche dienstliche Stellungnahme, oder: Besorgnis der Befangenheit

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Im dritten Posting habe ich dann noch einen Beschluss aus einem Zivilverfahren. M.E. gelten die Ausführungen des OLG aber auch für vergleichbare/ähnliche Fälle im Straf- oder Bußgeldverfahren.

Bei dem Verfahren handelt es sich um ein Verfahren auf Räumung und Herausgabe einer gewerblich genutzten Immobilie. Nach zwischenzeitlichem Ruhen des Verfahrens war für den 12.01.2024 ein Verhandlungstermin anberaumt. Am 08.01.2024 beantragten die Klägervertreter eine Terminsaufhebung mit der Begründung und der anwaltlichen Versicherung, dass der alleinige Sachbearbeiter, Rechtsanwalt S., erkrankt sei. Daraufhin wurde der Termin um drei Monate verlegt. Der Beklagte selbst teilte in einem Schreiben vom 12.01.2024 dem Gericht mit, dass er bei der Kanzlei des Klägervertreters am Vormittag angerufen habe und ihm mitgeteilt worden sei, dass Rechtsanwalt S. gerade auf der zweiten Leitung telefoniere und danach gerne zurückrufen werde. Er frage sich, wie sich denn das mit dem Verlegungsgrund vereinbaren lasse. Das Schreiben endete mit dem folgenden Satz:

„Da Herr RA S. bei den laufenden Verfahren, nun schon mehr als 30-mal, irgendwelche Verhinderungsgründe dafür nannte, sehe ich mein Misstrauen gegenüber Herrn RA S. bestätigt und bitte um Aufklärung.“

Rechtsanwalt S. teilte daraufhin – auf entsprechende Aufforderung des Gerichts – mit, er sei am 12.01.2024 arbeitsunfähig krank gewesen. Er habe am 12.01.2024 lediglich zur Abholung einzelner Akten und zur Organisation seiner Vertretung die Kanzleiräume kurzzeitig betreten. Eine Terminswahrnehmung sei aber nicht möglich gewesen. Der Beklagte habe nicht mit seinem Sekretariat sondern mit der Auszubildenden Frau O. telefoniert, die ihm lediglich mitgeteilt habe, dass er – Rechtsanwalt S. – derzeit nicht zu sprechen sei. Hieran anschließend erstellte der zuständige Einzelrichter Richter pp. am 18.01.2024 folgende Verfügung:

„Aus hiesiger Sicht ist die Sache geklärt. Der Beklagte möge mit derartigen Unterstellungen künftig ein wenig zurückhaltender sein.“

Mit Anwaltsschriftsatz vom 10.04.2024 lehnte der Beklagte nun den Richter pp. wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Richter pp. hat sich zu dem Befangenheitsantrag in einer dienstlichen Stellungnahme vom 11.04.2024 geäußert, die mit folgendem Absatz endet:

„Meinem Eindruck nach geht es dem Beklagten, der den Antrag zwei Tage vor der mündlichen Verhandlung eingereicht hat, um Verfahrensverzögerung. Ich bin erstaunt, dass Herr Dr. R., den ich als fairen und vernünftigen Anwalt kennengelernt habe, sich in dieser Weise für den Beklagten einsetzt, anstatt in der Sache zu streiten. Der Befangenheitsantrag ist im Übrigen nicht der erste, den der Beklagte eingereicht hat. Der letzte hat sich gegen Frau B. gerichtet und war offensichtlich unbegründet.“

Das LG hat das Ablehnungsgesuch als unzulässig verworfen. Dagegen die sofortige Beschwerde, die beim OLG mit dem OLG Stuttgart, Beschl. v. 02.10.2024 – 13 W 20/24 – Erfolg hatte:

„2. Ausgehend hiervon liegt eine Besorgnis der Befangenheit hinsichtlich des Richters pp. in Folge des Inhalts dessen dienstlicher Stellungnahme vom 11.04.2024 vor.

a) Das Recht zur Richterablehnung ist ein nicht im Ermessen des Gerichts stehendes Verfahrensrecht, das seinen Grund in der verfassungsrechtlich verankerten richterlichen Neutralitätspflicht hat. Daher kann ein Richter, der die Ausübung dieses Rechts kritisiert, den Eindruck erwecken, nicht unparteiisch zu sein (OLG Köln v. 29.04.2013 – 20 W 30/13). Dabei kann offen bleiben, ob jegliche Kritik an einem Ablehnungsgesuch die Besorgnis der Befangenheit begründen kann (vgl. auch BGH v. 12.10.2011 – V ZR 8/10 – juris Rn. 11). Eine Partei wird bei vernünftiger Würdigung jedenfalls dann an der Unvoreingenommenheit zweifeln, wenn der abgelehnte Richter auf ein nicht ganz abwegiges Ablehnungsgesuch hin mit unsachlicher Kritik reagiert. In einem solchen Fall kommt eine negative Einstellung des Richters gegenüber der die Ablehnung beantragenden Partei zum Ausdruck, sodass diese zumindest Zweifel haben kann, ob andere Anträge mit der gebotenen Unvoreingenommenheit beschieden werden.

b) Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt. Denn der unter I. auszugsweise wiedergegebene Inhalt der dienstlichen Stellungnahme von Richter .pp. vom 11.04.2024 war aus der Sicht einer verständigen Prozesspartei in der Situation des Beklagten geeignet, berechtigte Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters ihm gegenüber aufkommen lassen.

aa) Das an die Verfügung des Einzelrichters vom 18.01.2024 anknüpfende Ablehnungsgesuch des Beklagten vom 10.04.2024 war bei verobjektivierter Betrachtung nicht ganz abwegig, was allerdings der oben unter I. auszugsweise wiedergegebene Inhalt der dienstlichen Stellungnahme des abgelehnten Richters suggeriert, indem dort mitgeteilt wird, dass es bei dem Befangenheitsgesuch des Beklagten dem Eindruck des Richters nach (nur) „um Verfahrensverzögerung“ gehe, dass er „erstaunt“ sei, dass sich dessen Rechtsanwalt „in dieser Weise für den Beklagten einsetzt, anstatt in der Sache zu streiten“, und indem noch hinzugefügt wird, dass der Beklagte schon mehrere Befangenheitsanträge eingereicht habe, wobei der letzte „offensichtlich unbegründet“ gewesen sei.

(1) Der Befangenheitsantrag des Beklagten vom 10.04.2024 war, anders als es das Landgericht gemeint hat, insbesondere nicht von vorneherein wegen Verfristung offensichtlich unzulässig, nachdem bis zum 10.04.2024 weder eine mündliche Verhandlung stattgefunden hatte noch eine Zustimmung zur Entscheidung im schriftlichen Verfahren vorlag, und nachdem die Frage, ob auch Anträge auf Aussetzung oder Ruhen des Verfahrens Anträge i.S.d. § 44 Abs. 4 S. 2 ZPO darstellen, jedenfalls nicht als abschließend geklärt angesehen werden kann (vgl. Vossler in BeckOK ZPO, Stand 01.07.2024, § 43 Rn. 5; Stockmann in Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl., § 43 Rn. 5).

(2) Nachvollziehbar ist auch, dass die Verfügung vom 18.01.2024 (insbesondere die darin enthaltene Formulierung „mit derartigen Unterstellungen“) von Beklagtenseite als eine Art Maßregelung und Vorwurf aufgefasst wurde.

(a) Soweit Richter pp. in der Verfügung zum Ausdruck gebracht hat, dass ihm die Ausführungen von Rechtsanwalt S. ausreichen, um die Sache als geklärt anzusehen und eine Verzögerungsabsicht zu verneinen, handelt es sich allerdings um eine vertretbare Würdigung. Zwar war Rechtsanwalt S. unstreitig trotz bescheinigter Arbeitsunfähigkeit am Terminstag beruflich tätig, und zwar nicht nur von zu Hause aus. Es ist aber offenkundig, dass die Teilnahme an einer mündlichen Verhandlung, deren Dauer man im Vorfeld nicht abschätzen kann, sehr viel mehr Kraft kosten kann als ein kurzer Besuch in der Kanzlei und die Bearbeitung von Akten im Homeoffice. Zudem waren am 12.01.2024 seit Stellen des Terminsverlegungsantrags drei Tage vergangen, sodass eine am 09.01.2024 noch nicht vorhersehbare Besserung eingetreten sein konnte. Auch soweit der Einzelrichter dann in der Verfügung noch eine gewisse Zurückhaltung anmahnt, vermag dies eine Besorgnis der Befangenheit nicht zu begründen. Es entspricht der allgemeinen Erfahrung, dass ein Zivilprozess für alle Beteiligten belastend sein kann, wenn seitens der Parteien eskaliert wird. Daher muss es einem Richter möglich sein, auf eine Partei auch einmal mahnend einzuwirken, um eine weitere Eskalation zu vermeiden.

(b) Indes ist zu berücksichtigen, dass der in der Verfügung enthaltene Vorwurf an den Beklagten, mit Unterstellungen zu arbeiten, in der konkreten Situation schon ein wenig hart war. So hat der Beklagte Herrn Rechtsanwalt S. zumindest nicht ausdrücklich vorgeworfen, die Krankheit vorgetäuscht zu haben. Vielmehr hat der Beklagte nur die Frage aufgeworfen, wie sich die von ihm geschilderten Tatsachen mit dem Verlegungsgrund vereinbaren ließen, und hat um eine weitere Aufklärung gebeten, was dann ja auch verfügt wurde. Zudem waren die Zweifel des Beklagten an der Arbeitsunfähigkeit auch nicht völlig unberechtigt, nachdem Rechtsanwalt S. ja am 12.01.2024 unstreitig Tätigkeiten entfaltet hat. Es konnte und kann auch nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass – wie klägerseits vorgetragen – die Sekretärin bzw. Auszubildende A.O. am 12.01.2024 zum Beklagten nur gesagt haben soll, dass der Klägervertreter nicht zu sprechen sei. Vielmehr schreibt die Sekretärin ausweislich der klägerseits vorgelegten Anlage 2 an den Klägervertreter, dass es der Beklagte später noch einmal versuchen werde. Danach hat Frau O. dem Beklagten jedenfalls nicht gesagt, dass es keinen Sinn ergebe, es am selben Tag noch einmal zu versuchen. Ausgehend hiervon konnten beim Beklagten schon Zweifel aufkommen, ob der Klägervertreter tatsächlich, wie mitgeteilt, krankheitsbedingt verhindert war, sodass es jedenfalls nicht abwegig war, dass der Beklagte zu der Auffassung gelangte, vom zuständigen Einzelrichter mit dessen Verfügung vom 18.01.2024 ungerecht behandelt worden zu sein und dies zum Anlass nahm, den Richter abzulehnen.

bb) Zudem stellt sich die Kritik von Richter pp. am Ablehnungsgesuch in der dienstlichen Stellungnahme vom 11.04.2024 auch als unsachlich dar. Zwar weist das Landgericht im Ansatz zu Recht darauf hin, dass es im vorliegenden Fall nicht nachvollziehbar ist, warum der Antrag erst mehr als zwei Monate nach Erhalt der Verfügung und zwei Tage vor der mündlichen Verhandlung gestellt wurde, sodass die Annahme der Absicht einer Verfahrensverzögerung nicht so fern liegt. Unsachlich ist es aber, soweit Richter pp.darauf hinweist, dass der Beklagte schon mehrere Befangenheitsanträge eingereicht habe und ein zuletzt gegen Frau B. gerichteter Befangenheitsantrag offensichtlich unbegründet gewesen sei. Diese Umstände stehen mit dem vorliegenden Sachverhalt in keinem Zusammenhang und erwecken daher auch bei vernünftiger Würdigung nachvollziehbar den Eindruck, dass hier eine negative Stimmung gegen den Beklagten erzeugt werden soll. Diese „Stimmungsmache“ wird noch dadurch verstärkt, dass der Einzelrichter sein Erstaunen darüber ausdrückt, dass der Beklagtenvertreter sich in dieser Weise für den Beklagten einsetzt. Indem Richter pp.dabei noch darauf hinweist, dass er den Beklagtenvertreter als fairen und vernünftigen Anwalt kennengelernt hat, bringt er sinngemäß zum Ausdruck, dass er das Ablehnungsgesuch weder als fair noch als vernünftig ansieht. Eine solche Bewertung steht einem abgelehnten Richter aber nicht zu. Hinzukommt noch, dass eine solche Aussage auch geeignet sein kann, den Beklagtenvertreter unter Druck zu setzen, nachdem dieser ein Interesse daran haben kann, seinen Ruf bei dem Vorsitzenden einer Kammer eines sich in der Nähe seines Kanzleisitzes befindenden Landgerichts nicht zu verspielen.“

Befangen II: „Alter Wein in neuen Schläuchen“, oder: Bereits beschiedener Vortrag führt zur Unzulässigkeit

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Im zweiten Posting komme ich dann noch einmal auf den BGH, Beschl. v. 26.06.2024 – StB 35/24 – zurück. Über den hatte ich schon einmal wegen der vom BGH in der Entscheidung angesprochenen Pflichtverteidigungsfrage berichtet (vgl. Pflichti I: Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung, oder: Voraussetzungen für einen Sicherungsverteidiger).

Hier geht es jetzt um ein Ablehungsgesuch des Angeklagten. Dem wird der Vorwurfs der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung als Rädelsführer in Tateinheit mit Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens gemacht. Ein erstes Ablehnungsgesuch des Angeklagten vom 01.03.2024 anlässlich der Zwölfmonatshaftprüfung durch den BGH (AK 23/24) hatte der Angeklagte damit begründet, ihm sei in zwei vorangegangenen Haftfortdauerentscheidungen des Senats zu Unrecht angelastet worden, er habe die Erstürmung des Reichstagsgebäudes durch eine Zahlung von 50.000 EUR fördern wollen oder gefördert. Dieses Gesuch hat der BGH durch Beschluss vom 18.03.2024 als unbegründet zurückgewiesen.

Nun hat er im Beschwerdeverfahren gegen die Entscheidudng des OLG Frankfurt am Main, die Bestellung seines Pflichtverteidigers wegen eines zerstörten Vertrauensverhältnisse aufzuheben, den VorRiBGH sowie zwei RiBGH wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Zur Begründung hat er erneut ausgeführt, im Beschluss des BGH vom 20.03.2024 über die Fortdauer der Untersuchungshaft gegen den Beschwerdeführer (AK 23/24) werde ihm zu Unrecht angelastet, er habe die Erstürmung des Reichstagsgebäudes durch eine Zahlung von 50.000 EUR fördern wollen. Dass der Senat seine früheren Haftentscheidungen nicht korrigieren wolle, rechtfertige bei dem ihm die Besorgnis der Befangenheit der Richter.

Der BGH hat die Ablehnungsgesuche als unzulässig verworfen.

„1. a) Das Vorbringen des Beschwerdeführers ist zur Rechtfertigung eines Ablehnungsgesuchs völlig ungeeignet; ein solcher Fall steht dem gänzlichen Fehlen einer Begründung nach § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO gleich (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 3. Juni 2019 – 2 BvR 910/10, juris Rn. 10; vom 27. April 2007 – 2 BvR 1674/06, BVerfGK 11, 62, 73; BGH, Beschlüsse vom 31. Oktober 2023 – StB 30/23, juris Rn. 9 mwN; vom 24. Februar 2022 – RiZ 2/16, juris Rn. 2 ff.; vom 9. Juli 2015 – 1 StR 7/15, juris Rn. 15; vom 10. Juli 2014 – 3 StR 262/14, NStZ 2014, 725, 726 f.; vom 15. November 2012 – 3 StR 239/12, juris Rn. 5; vom 1. Februar 2005 – 4 StR 486/04, NStZ-RR 2005, 173, 174).

Bei der Prüfung, ob die für eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit gegebene Begründung in dem genannten Sinne völlig ungeeignet ist, muss allerdings Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG in den Blick genommen werden, weil von der richterlichen Beurteilung des Ablehnungsgesuchs als zulässig oder unzulässig die Zusammensetzung der Richterbank abhängt: Während im Regelfall des Verfahrens nach § 27 StPO der abgelehnte Richter nicht mitwirkt (§ 27 Abs. 1 aE StPO), scheidet er im Fall der Verwerfung als unzulässig nicht aus (§ 26a Abs. 2 Satz 1 StPO). Die Vorschrift des § 26a StPO ist deshalb eng auszulegen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 2. Juni 2005 – 2 BvR 625/01 und 2 BvR 638/01, NJW 2005, 3410, 3412; BGH, Beschluss vom 10. Juli 2014 – 3 StR 262/14, NStZ 2014, 725, 726 f.). Eine Begründung ist danach insbesondere dann nicht völlig ungeeignet, wenn der abgelehnte Richter zur Prüfung des Ablehnungsgesuchs sein eigenes Verhalten beurteilen und somit eine Entscheidung in eigener Sache treffen muss (BGH, Beschlüsse vom 25. April 2006 – 3 StR 429/05, NStZ 2006, 644, 645 mwN; vom 10. Juli 2014 – 3 StR 262/14, NStZ 2014, 725, 726 f.).

b) Ungeachtet dessen, ob oder gegebenenfalls inwieweit es zutrifft, dass der Angeklagte nicht an den Planungen zur Erstürmung des Reichstagsgebäudes beteiligt war (vgl. Beschluss des Senats vom 20. März 2024 – AK 23/24), liegt gemessen an den obigen Maßstäben eine völlig ungeeignete Begründung des Ablehnungsgesuchs vor. Der Beschwerdeführer hat vorgebracht, er halte die Haftfortdauerentscheidungen des Senats für falsch, an denen die abgelehnten Mitglieder mitgewirkt haben. Dieser Einwand ist – auch bei Anlegen eines strengen Maßstabes und zugleich wohlwollender Auslegung des Vorbringens des Beschwerdeführers – zur Begründung eines Ablehnungsgesuchs im vorliegenden Verfahren offensichtlich ungeeignet. Dies ergibt sich schon daraus, dass sich der Beschwerdeführer der Sache nach allein gegen die von den abgelehnten Richtern in den Entscheidungen vorgenommene Bewertung der Ermittlungsergebnisse und des hierauf beruhenden dringenden Tatverdachts wendet. Damit liefe das Verfahren der Richterablehnung der Sache nach auf eine Fehlerkontrolle hinaus, wozu es indes nicht dient (vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. Juni 2019 – 2 BvR 910/10, juris Rn. 15; BGH, Beschluss vom 24. Februar 2022 – RiZ 2/16, juris Rn. 10 mwN).

2. Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer lediglich ein im wesentlichen gleichlautendes Vorbringen wiederholt hat, über das der Senat in dem Verfahren AK 23/24 mit Beschluss vom 18. März 2024 bereits in der Sache entschieden hatte. Bringt ein Ablehnungsgesuch bereits beschiedenen Vortrag erneut vor, ist es schon aus diesem Grund offensichtlich unzulässig. Die Entscheidung hängt dann nur noch von einer formalen Prüfung ab, die kein erneutes Eingehen auf den Verfahrensgegenstand erfordert (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 19. Oktober 2021 – 1 BvR 854/21, BVerfGE 159, 147, 148; vom 20. Dezember 2021 – 1 BvR 1170/21, juris Rn. 9; BGH, Beschlüsse vom 24. Februar 2022 – RiZ 2/16, juris Rn. 7; vom 25. Juni 2020 – 4 StR 654/19, juris Rn. 2; vom 9. Juli 2015 – 1 StR 7/15, juris Rn. 12).

3. Einer dienstlichen Stellungnahme der abgelehnten Richter hat es bei dem Vorgehen nach § 26a StPO nicht bedurft. Denn sie sind gemäß § 26a Abs. 2 Satz 1 StPO bei der Entscheidung über das offensichtlich unzulässige Ablehnungsgesuch nicht ausgeschlossen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. Juni 2019 – 2 BvR 910/10, juris Rn. 16 mwN; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 26 Rn. 14).“

Befangen I: Wenn der Vorsitzende den Verteidiger linkt, oder: Absprachewidriges Vorgehen ==> Befangenheit

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Heute hier dann drei Entscheidungen zur Besorgnis der Befangenheit.

Den Start macht der BGH, Beschl. v. 04.06.2024 – 2 StR 51/23.

Folgender Sachverhalt: Das LG Bonn hat die beiden Angeklagten wegen versuchten und vollendeten Eingehungsbetrugs zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. von zwei Jahren und zehn Monaten. Während der Hauptverhandlung hatte sich ergeben, dass weitere Verhandlungstage notwendig sein würden. Der Verteidiger des einen Angeklagten hatte aber bereits einen knapp dreiwöchigen Auslandsurlaub gebucht. Er verabredete mit der Vorsitzenden, dass er während seiner Ferien eine Vertretung zur Wahrnehmung sog. Schiebetermine  schicken werde. Die Beteiligten waren sich darüber einig, dass keine Verfahrenshandlungen vorgenommen würden, die die Anwesenheit des eingearbeiteten Verteidigers erforderlich machen würden. Während seines Urlaubs setzte die Vorsitzende den Angeklagten aber – entgegen der Absprache – eine Frist zur Stellung weiterer Beweisanträge (§ 244 Abs. 6 StPO), die noch vor Rückkehr des Verteidigers ablief. Auch das Plädoyer der Staatsanwaltschaft sollte noch vor seiner Rückkehr gehalten werden.

Daraufhin lehnten beide Angeklagten die Vorsitzende Richterin wegen Befangenheit ab, da sie sich nicht an die Absprache gehalten hatte. Die Strafkammer wies beide Anträge zurück und hat verurteilt.

Der BGH hat das Urteil auf Urteil die Verfahrensrüge des Angeklagten mit dem urlaubenden Verteidig, der einen Verstoß gegen §§ 24 Abs. 1, 28 Abs. 2 Satz 2, § 338 Nr. 3 StPO geltend gemacht hatte, aufgehobem. .

Mich wundert die Aufhebung nicht, denn das Verhalten der Vorsitzenden begründet m.E. ohne weiteres die Besorgnis der Befangenheit. Ich verweise wegen der Einzelheiten auf den verlinkten Volltext, und zwar ab Seite 8.

Hier nur der Leitsatz, nämlich:

Haben sich der Vorsitzende und der Verteidiger darauf geeinigt, dass während des Urlaubs nur Schiebetermine stattfinden, ist die Annahme der Besorgnis der Befangenheit begründet, wenn der Vorsitzende dennoch die Frist für abschließende Beweisanträge in den Zeitraum während des Urlaubs des Verteidigers legt und/oder auch das Plädoyer der Staatsanwaltschaft in dem Zeitraum stattfinden lässt.