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Vollzug I: Verlobtenlangzeitbesuch am Wochenende, oder: Ablehnung nur wegen Hausordnung reicht nicht

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In die neue Woche starte ich mit zwei Entscheidungen zum Vollzug. Beide kommen vom OLG Naumburg. In der einen hat das OLG das LG Stendal „zur Ordnung gerufen“, in der anderen die JVA Burg.

Ich beginne mit dem OLG Naumburg, Beschl. v. 26.08.2024 – 1 Ws 366/24 RB-Vollzug. Es geht um das Besuchsrecht bzw. einen Langzeitbesuch der Verlobten eines Strafgefangenen.

Der Strafgefangene verbüßt seit dem 30.05.2023 eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sieben Monaten wegen Verstoßes gegen die Abgabenordnung u. a.. Das Strafende ist auf den 17. September 2026 notiert. Nachdem die JVA dem Antragsteller am 12.02.2024 die Eignung zur Durchführung von Langzeitbesuchen mit seiner Verlobten zugesprochen hatte, beantragte der Antragsteller schriftlich die Durchführung eines Langzeitbesuchs seiner Verlobten und bat um einen Termin am Wochenende. Die Antragstellerin lehnte die Durchführung eines Termins für einen Langzeitbesuch an einem Wochenende ab, da am Wochenende die Durchführung von Langzeitbesuchen nicht vorgesehen sei.

Dagegen wandte sich der Antragsteller an das LG. Die StVK hat den Antrag auf gerichtliche Entscheidung als unbegründet zurückgewiesen. Das OLG hat dann das LG/die StVKkkk „zur Ordnung gerufen“:

„2. Die Rechtsbeschwerde hat mit der Sachrüge Erfolg.

Die Strafvollstreckungskammer geht allerdings zutreffend davon aus, dass sich – bei hier grundsätzlicher Gestattung von Langzeitbesuchen der Verlobten des Antragstellers durch die Antragstellerin nach § 33 Abs. 5 JVollzG I LSA – unmittelbar aus dem Gesetz kein Anspruch auf eine bestimmte Besuchszeit ergibt. Vielmehr gehört die Ausgestaltung der Besuchsregelung zu der der Anstalt übertragenen Organisationsbefugnis, wobei allgemeine Regelungen zu Besuchszeiten gemäß § 113 Abs. 2 Nr. 1 JVollzGB I LSA in der Hausordnung zu treffen sind (vgl. zur Sicherungsverwahrung OLG Karlsruhe, Beschluss vom 6. April 2016 – 2 Ws 68/16 –, Rn. 9, zitiert nach juris). Bereits dabei sind berechtigte organisatorische Belange der Anstalt in einen Ausgleich mit den Interessen der Gefangenen im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben zu bringen. Nach diesen Vorgaben getroffene Regelungen bilden die Grundlage für die Entscheidung über im Einzelfall gestellte Anträge auf Zulassung von Besuch, denen außerhalb der durch die Hausordnung festgelegten Zeiten allenfalls ausnahmsweise zu entsprechen sein wird (OLG Karlsruhe a. a. O.). Dies enthebt den Anstaltsleiter indes nicht von der Verpflichtung, einen solchen Antrag im Einzelfall zu bescheiden und dabei das ihm im Rahmen der Organisationsbefugnis eingeräumte Ermessen unter Berücksichtigung berechtigter Interessen des Antragstellers auszuüben (OLG Karlsruhe a. a. O.; KG Berlin, Beschluss vom 30. März 2000 – 5 Ws 146/00 Vollz –, Rn. 10, zitiert nach juris).

Die gerichtliche Überprüfung der Ausgestaltung des Besuchsrechts in dem durch die gesetzlichen Bestimmungen vorgegebenen Rahmen ist – wie allgemein beim Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung – darauf beschränkt, ob von einem zutreffend und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen wurde, von dem eingeräumten Ermessen Gebrauch gemacht und dabei eine Abwägung der organisatorischen Belange der Anstalt mit den berechtigten Interessen des Gefangenen vorgenommen wurde (OLG Karlsruhe a. a. O. Rn. 10; s. a. Arloth/Krä, StVollzG, 5. Auflage § 115 Rn. 15).

Dabei ist in der obergerichtlichen und höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannt, dass bei der Ausfüllung des ihr in Bezug auf Besuche eingeräumten Ermessens die Justizvollzugsanstalt insbesondere Bedeutung und Tragweite des Grundrechts aus Art. 6 Abs. 1 GG zu berücksichtigen hat (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 31. Mai 2021 – 5 Ws 64/21 Vollz –, Rn. 15, OLG Zweibrücken, Beschluss vom 28. September 2020 – 1 Ws 183/20 Vollz –, Rn. 13, jeweils zitiert nach juris, OLG Karlsruhe a. a. O Rn. 9). Aus der aus Art. 6 Abs. 1 GG abzuleitenden Schutzpflicht des Staates für Ehe und Familie kann sich ein Anspruch auf Besuch von Familienangehörigen auch außerhalb der allgemeinen Besuchstage ergeben (OLG Karlsruhe a. a. O.; s. a. BVerfG, Kammerbeschluss vom 25. Juli 1994 – 2 BvR 806/94 –, Rn. 19, zitiert nach juris). Die grundrechtlichen Ansprüche aus Art. 6 Abs. 1 GG strahlen in gewissem Ausmaß auch auf das der Ehe vorgelagerte Verlöbnis aus, auch wenn sie verfassungsrechtlich nicht zu gleichermaßen weitgehenden Schutzmaßnahmen verpflichten (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 28. September 2020 – 1 Ws 183/20 Vollz –, Rn. 13, zitiert nach juris).

Den sich daraus ergebenden Anforderungen wird die Entscheidung der Antragsgegnerin zur Versagung von Langzeitbesuchen am Wochenende nicht gerecht. Es wurde bereits keine auf den Einzelfall bezogene Ermessenentscheidung unter Berücksichtigung der von dem Antragsteller vorgebrachten besonderen Umstände getroffen. Vielmehr wurde ersichtlich lediglich auf die in der Hausordnung allgemein geregelten Besuchszeiten abgestellt, ohne dass die Antragsgegnerin, wie es nach dem oben Gesagten geboten gewesen wäre, geprüft hätte, ob der Umstand, dass die Verlobte des Gefangenen zu den in nach der Hausordnung vorgesehenen Zeiten für Langzeitbesuche beruflich verhindert ist, auch bei Berücksichtigung berechtigter organisatorischer Belange der Anstalt nicht eine Ausnahme von den allgemeinen Besuchszeiten zulässt. Dies ist jedenfalls nicht von vornherein völlig auszuschließen.“

KCanG III: Nochmals die „nicht geringe Menge“, oder: Freigrenzen und Strafzumessung

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Und dann noch das OLG Schleswig, Urt. v.  26.08.2024 – 1 ORs 4 SRs 37/24. Das verhält sich zu zwei Fragen, nämlich einmla zur „nicht geringen Menge“ und zur Frage der Freigrenzen für Mengen und wie damit umzugehen ist.

Zur nicht geringen Menge bringt die Entscheidung nichts Neues, sondern wiederholt nur die Rechtsprechung des BGH.

Zu den Freigrenzen und zur Strafzumessung führt das OLG dann aus:

„2.  Diese Rechtsprechung bezieht sich allerdings im Ausgangspunkt auf solche Tathandlungen, die auch nach der seit dem 1. April 2024 geltenden Gesetzeslage uneingeschränkt – wenn auch unter abgesenkten Strafrahmen gegenüber den Strafvorschriften des BtMG – strafbar sind. In Fällen, die nach der neuen Rechtslage auch straflos sein können und erst mit erreichen von gesetzlich normierten Mengen strafbewehrt sind (§ 34 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 KCanG) ist eine differenzierte Betrachtung geboten:

a) Der 6. Strafsenat des Bundesgerichtshofs vertritt die Auffassung, dass in diesen Fällen dem gesetzgeberischen Ziel der Entkriminalisierung dadurch Rechnung zu tragen ist, dass der legale Besitz bis zu den gesetzlich festgelegten Mengen nicht straferschwerend berücksichtigt werden darf, wenn diese insgesamt durch eine darüber hinausgehende Besitzmenge überschritten werden (BGH, Beschluss vom 30. April 2024 – 6 StR 536/23 –, juris, dort Rn. 27ff.; so auch: Patzak/Fabricius, Betäubungsmittelgesetz, 11. Auflage 204, § 34 KCanG Rn.23; AG Bautzen, Beschluss vom 27. Mai 2024 – 47 Gs 409/24 –, juris). Bei der Ermittlung einer nicht geringen Menge müssten hiernach also die legal besessenen Mengen bzw. Pflanzen ausgenommen werden.

b) Dem hat sich der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs angeschlossen. Danach handelt es sich bei den in § 34 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 12 KCanG normierten Einschränkungen zwar um Freigrenzen mit der Folge, dass bei deren Überschreiten die Handlung hinsichtlich des gesamten besessenen, angebauten oder erworbenen Cannabis strafbewehrt ist und das Cannabis als Bezugsgegenstand auch vollständig der Einziehung nach § 37 KCanG, § 74 Abs. 2 StGB unterliegt (BGH, Beschluss vom 12. Juni 2024 – 1 StR 105/24 – juris, dort Rn. 20ff.).

Für dieses Verständnis sei zunächst der Wortlaut des § 34 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 12 KCanG heranzuziehen, denn die Formulierung „mehr als“ … … „besitzt“, „anbaut“ oder „erwirbt“ bedeute lediglich, dass eine Strafbarkeit nur dann in Betracht komme, wenn die jeweils genannte Menge überschritten sei. Dass die „erlaubten“ Mengen in jedem Fall aus der Strafbarkeit ausgenommen sein sollen, ergebe sich hieraus nicht. Aus der Bezugnahme auf § 2 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 12 KCanG folge nichts Anderes, da nach § 2 KCanG der Umgang mit Cannabis grundsätzlich verboten sei.

Auch die Systematik des Konsumcannabisgesetzes und der Wille des Gesetzgebers sprächen hierfür; insbesondere führe die Entscheidung des Gesetzgebers, bestimmte Besitzmengen in §§ 3, 4 KCanG von dem in § 2 KCanG normierten Verbot des Umgangs mit Cannabis auszunehmen, zu keiner anderen Bewertung. Der Normgeber habe in §§ 3, 4 KCanG infolge einer „geänderten Risikobewertung“ von Cannabis für Erwachsene den Besitz bestimmter Mengen zum Eigenkonsum von dem grundsätzlichen Umgangsverbot des § 2 KCanG ausgenommen (BT-Drucks. 20/8704, S. 93). Zwar teile die Gesetzesbegründung nicht mit, von welchen Erwägungen sich der Gesetzgeber bei der Festlegung der Mengen konkret habe leiten lassen. Angesichts dessen, dass das Konsumcannabisgesetz nach seiner Präambel einen verbesserten Gesundheitsschutz und die Stärkung eines „verantwortungsvolle[n] Umgang[s] mit Cannabis“ (vgl. BT-Drucks. 20/8704, S. 1) zum Ziel habe, sei jedoch davon auszugehen, dass sich die festgesetzten Mengen hieran orientieren und das äußerste Maß dessen darstellen, was mit Blick auf die – auch aus der Sicht des Gesetzgebers (vgl. BT-Drucks. 20/8704, S. 1) – grundsätzlich weiterhin gegebene Gefährlichkeit von Cannabis vor dem Hintergrund des Gesundheitsschutzes der Bevölkerung noch verantwortet werden kann. Dies bedeute, dass der Gesetzgeber den gleichzeitigen Besitz größerer als in §§ 3, 4 KCanG genannter Mengen als gefährlich angesehen und daher verboten habe (vgl. dazu BT-Drucks. 20/8704, S. 131: „erst bei Überschreiten … … strafbar“). Da die Straftatbestände des § 34 KCanG der Durchsetzung der gesetzgeberischen Wertungen – mithin auch dem strikten Verbot, mehr als die in §§ 3, 4 KCanG genannten Mengen zu besitzen – dienen sollen, seien die Regelungen des § 34 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 12 KCanG als Freigrenzen zu verstehen.

Allerdings sei auf der Strafzumessungsebene der geänderten Bewertung des Umgangs mit Cannabis durch den Gesetzgeber Rechnung zu tragen, denn die Wertung des Normgebers, den Besitz von Cannabis zum Eigenkonsum in einem bestimmten Maß zu erlauben und damit einhergehend den Besitz, Anbau und Erwerb zum Eigenkonsum nur bei Überschreiten bestimmter Grenzen unter Strafe zu stellen, wirke sich auf den Schuldumfang aus. Die in § 34 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 12 KCanG genannten Freigrenzen seien daher innerhalb der Straftatbestände des Besitzes, Anbaus und Erwerbs von Cannabis (§ 34 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 12 KCanG) bei der Bemessung der Strafe zu berücksichtigen (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO).

Auch dieser Auffassung tritt der Senat bei. Bei Überschreitung der zulässigen Gesamtmenge ist der gesamte Besitz strafbewehrt und unterliegt deshalb der Beschlagnahme und Einziehung; der Entkriminalisierung ist allein auf der Rechtsfolgenseite Rechnung zu tragen.

c) Im vorliegenden Fall bedeutet dies bei der Strafrahmenwahl, dass ausgehend von den sechs Cannabis-Pflanzen, die bei dem Angeklagten gefunden wurden, nur drei Pflanzen die Annahme einer nicht geringen Menge begründen könnten, und die drei Pflanzen, die er legal hätte besitzen dürfen, wenn er die legale Besitzmenge nicht insgesamt überschritten hätte, bei der Berechnung außer Betracht zu bleiben haben. Ist es – wie vorliegend – zu einer Gesamtbeschlagnahme gekommen, wäre daher Voraussetzung für den Nachweis einer nicht geringen Menge des illegalen Cannabis-Besitzes, dass eine sichere Tatsachengrundlage derartige Feststellungen (noch) ermöglicht. So liegt es hier. Aufgrund der konkreten tatsächlichen Feststellungen des Schöffengerichts, dass die Pflanzen „etwa 2 Wochen vor der Ernte standen“, geht der Senat davon aus, dass es sich um in Wuchs und Wirkstoffgehalt vergleichbare Cannabispflanzen gehandelt hat, diese mithin auch einen vergleichbaren Wirkstoffgehalt hatten. Bei dieser Tatsachengrundlage kann trotz der rechtmäßigen Gesamtbeschlagnahme unter Berücksichtigung der Freigrenzen im Rahmen der Strafzumessung eine nicht geringe Menge hinsichtlich des illegalen Cannabis-Besitzes festgestellt werden, denn die der Freigrenze unterliegenden Besitzmengen können bei der Berechnung der nicht geringen Menge herausgerechnet werden. Ausgehend von den Feststellungen des Amtsgerichts enthielten drei der Pflanzen, die der Angeklagte besessen hat, insgesamt 18,75 Gramm des Wirkstoffes THC, so dass die nicht geringe Menge um mehr als das Doppelte überschritten war. Selbst wenn hiervon zugunsten des Angeklagten ein Abschlag von 10 % aufgrund der nicht ganz auszuschließenden Qualitätsdivergenz der Pflanzen in Abzug gebracht würde, beliefe sich die bereinigte Wirkstoffmenge immer noch auf 16, 87 Gramm THC. (vgl. hierzu: BGH, Beschluss vom 24. April 2024 – 4 StR 50/24 –, juris Rn. 18).

3. Das Schöffengericht hat daher seiner Entscheidung einen falschen Strafrahmen zugrunde gelegt. Auf diesem Rechtsfehler beruht das Urteil zugunsten des Angeklagten auch, weil nicht auszuschließen ist, dass eine andere Schöffenabteilung des Amtsgerichts unter Anwendung des höheren Strafrahmens des § 34 Abs. 3 KCanG nach neuer Hauptverhandlung im Rechtsfolgenausspruch auf eine höhere Strafe erkennen wird, insbesondere von einer Anwendung des § 59 StGB möglicherweise absieht. Es war daher auf das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft zuungunsten des Angeklagten im tenorierten Umfang aufzuheben. Da sich allein die Strafrahmenwahl als rechtsfehlerhaft erweist, haben die dem Strafausspruch zugrundeliegenden Feststellungen Bestand (§ 353 Abs. 2 StPO) und können in der neuen Hauptverhandlung ggf. ergänzt werden.“

 

KCanG II: Neufestsetzung der Strafe nach dem KCanG, oder: Geringere Strafe, Urteilsfeststellungen, JGG

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Und im zweiten Posting dann drei OLG-Emtscheidungen zur Neufestsetzung der Strafe. Das ist der Bereich, in dem derzeit bei den OLG „die Musik spielt“. Ich stelle aber auch hier nur die Leitsätze vor, und zwar:

1. Allein der Umstand, dass das Handeltreiben mit Marihuana in nicht geringer Menge nach § 34 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 Nr. 4 KCanG im Vergleich zu § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG mit einer geringeren Strafe bedroht ist, führt nicht zu einer nachträglichen Strafmilderung nach Art. 316p, 313 Abs. 3 und Abs. 4 EGStGB.

2. Die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung des Art. 313 Abs. 3 und Abs. 4 EGStGB liegen nicht vor.

1. Für die Entscheidung nach Art. 316p i.V.m. Art. 313 Abs. 5 EGStGB über einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der auf die Neufestsetzung von Strafen abzielt, besteht nicht eine Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer, sondern des Gerichts des ersten Rechtszugs.

2. Art. 313 Abs. 3 EGStGB regelt – schon mit Blick auf den ausdrücklichen Verweis auf § 73 StGB a.F., der Vorgängernorm des § 52 StGB, den der Gesetzgeber des Art. 316p EGStGB erklärtermaßen im Blick hatte (vgl. BT-Drs. 20/8704, S. 155) – Fälle der tateinheitlichen Verwirklichung mehrerer Tatbestände, wobei der einen dieser Tatbestände ausfüllende Sachverhalt als solcher nach neuer Rechtslage nicht mehr gesondert sanktionsbedroht ist.

1. Die Feststellung, ob eine Tat im Sinne des Art. 313 Abs. 1 Satz 1 EGStGB nicht mehr strafbar ist, ist allein anhand der Urteilsfeststellungen zu treffen.

2. Steht nach den Urteilsfeststellungen die fehlende Strafbarkeit einer einer Einheitsjugendstrafe zugrundeliegenden Tat nach neuem Recht nicht fest, ist eine Neufestsetzung der Einheitsjugendstrafe nach Art. 313 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. Art. 313 Abs. 4 Satz 1 EGStGB, § 66 JGG nicht veranlasst.

Dolmetscher II: Übersetzer im Vollstreckungsverfahren, oder: Es gelten die allgemeinen Regeln

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In der zweiten Entscheidung, die ich vorstelle, geht es um Zuziehung eines Dolmetschers im Strafvollstreckungsverfahren. Folgender Sachverhalt:

Der Verurteilte ist litauischer Staatsangehöriger und der deutschen Sprache nicht mächtig. Er verbüßte eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren. Die bedingte Entlassung zum Zweidrittelzeitpunkt lehnte die Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 07.12.2022 ab.

Diesem Beschluss war am 30.11.2022 die mündliche Anhörung des Verurteilten vorausgegangen. Den Termin hatte die Strafvollstreckungskammer mit dem Verteidiger abgestimmt. Der Verteidiger hatte angekündigt, einen Dolmetscher mitbringen zu wollen. Es war insoweit vereinbart worden, dass die Staatskasse die anteiligen Kosten für den Dolmetscher übernehme, sofern dieser auch zu der gerichtlichen Anhörung hinzugezogen werde. Die Dolmetscherleistungen, die die mündliche Anhörung des Verurteilten betrafen, wurden gegenüber dem Gericht geltend gemacht und durch die Staatskasse beglichen.

Gestritten wird nun noch um weitere Auslagen in Höhe von 361,24 EUR. Diese betreffen die Dolmetscherkosten für das im Vorfeld der Anhörung geführte Gespräch zwischen dem Verurteilten und seinem Verteidiger. Die Strafvollstreckungskammer insoweit hat den Festsetzungsantrag abgelehnt. Dagegen hat der Verteidiger für den Verurteilten sofortige Beschwerde eingelegt. Diese hatte beim OLG mit dem OLG Koblenz, Beschl. v. 30.08.2024 – 2 Ws 413/23 – Erfolg:

„c) …. Die angegriffene Entscheidung erweist sich indes in der Sache im Wesentlichen als fehlerhaft.

aa) Die Kammer ist noch zutreffend davon ausgegangen, dass sich ein Anspruch auf Erstattung der Dolmetscherkosten für das Vorgespräch mit dem Verteidiger mangels Ver-handlung nicht aus § 185 GVG herleiten lassen kann.

bb) Auch aus § 187 GVG lässt sich ein Anspruch auf Erstattung der Dolmetscherkosten für ein Verteidigergespräch nicht ableiten, da die Vorschrift nur regelt, unter welchen Voraussetzungen das Gericht verpflichtet ist, einen Dolmetscher für den Verurteilten heranzuziehen. Hier geht es indes um die Erstattungsfähigkeit derjenigen Kosten, die dadurch entstanden sind, dass der Verteidiger für das Mandantengespräch mit dem Verurteilten einen Dolmetscher hinzugezogen hat.

cc) Ein Anspruch auf Erstattung der Dolmetscherkosten ergibt sich auch nicht aus Art. 6 Abs. 3 lit e) EMRK. Nach dieser Vorschrift hat jede angeklagte Person das Recht, unentgeltliche Unterstützung durch einen Dolmetscher zu erhalten, wenn sie die Verhandlungssprache des Gerichts nicht versteht oder spricht. Die Vorschrift, die als Berechtigten die „angeklagte Person“ benennt, ist auf das Strafvollstreckungsverfahren nicht anwendbar (OLG Karlsruhe, 2 Ws 300/19 v. 2.9.2019, BeckRS 2019, 44105 Rn. 9 m.w.N.; BeckOK StPO/Valerius, 52. Ed. 1.7.2024, EMRK Art. 6 Rn. 2; Karpenstein/Mayer/Meyer, 3. Aufl. 2022, EMRK Art. 6 Rn. 37).

dd) Ein Anspruch auf Erstattung der Dolmetscherkosten für das Gespräch mit dem Verteidiger, das die Anhörung vor der Entscheidung über eine Reststrafenaussetzung zur Bewährung vorbereiten soll, ergibt sich aber unmittelbar aus Art. 3 Abs. 3 GG.

Jeder Ausländer hat im Verfahren vor Gerichten der Bundesrepublik Deutschland dieselben prozessualen Grundrechte und denselben Anspruch auf ein rechtsstaatliches Verfahren wie jeder Deutsche. Das Recht auf ein faires Verfahren verbietet es, den der deutschen Sprache nicht oder nicht hinreichend mächtigen Angeklagten zu einem unverstandenen Objekt des Verfahrens herabzuwürdigen; er muss in die Lage versetzt werden, die ihn betreffenden wesentlichen Verfahrensvorgänge zu verstehen und sich im Verfahren verständlich machen zu können (BVerfG, 2 BI« 2032/01 v. 27.8.2003, NJW 2004, 50).

Art. 3 Abs. 3 GG verbietet jede Diskriminierung wegen der Sprache oder anderer dort auf-geführter Merkmale. Die Norm verstärkt den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, indem sie der dem Gesetzgeber darin eingeräumten Gestaltungsfreiheit engere Grenzen zieht. Die in Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG genannten Merkmale dürfen grundsätzlich weder unmittelbar noch mittelbar als Anknüpfungspunkt für eine rechtliche Ungleichbehandlung herangezogen werden. Dem Beschuldigten, der die Gerichtssprache nicht versteht oder sich nicht in ihr ausdrücken kann, dürfen daher keine Nachteile im Vergleich zu einem dieser Sprache kundigen Beschuldigten entstehen. Dementsprechend ist für das Ermittlungs- und Erkenntnisverfahren in Ausfüllung dieser Maßstäbe anerkannt, dass der fremdsprachige Angeklagte zum Ausgleich seiner sprachbedingten Nachteile in jedem Verfahrensstadium einen Dolmetscher hinzuziehen darf und ihm die Dolmetscherkosten für die erforderlichen Mandantengespräche nicht nur mit dem Pflichtverteidiger, sondern auch mit einem Wahlverteidiger zu ersetzen sind (BGH, 3 StR 6/00 v. 26.10.2000, NJW 2001, 309; OLG Karlsruhe 2 Ws 305/09 v. 9.9.2009, BeckRS 2009, 139810 Rn. 4 Hilger in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2010, § 464a, Rn. 9). Die unentgeltliche Beistandsleistung eines Dolmetschers auch für die vorbereitenden Gespräche mit dem Verteidiger ist unabdingbar, da eine wirksame Verteidigung und damit ein faires Verfahren ohne vorbereitende Verteidigergespräche kaum denkbar sind (BVerfG, a.a.O.). Das mit den zusätzlichen Dolmetscher-kosten erhöhte Kostenrisiko soll den Verurteilten auch nicht an der Zuziehung eines Verteidigers hindern (BVerfG, a.a.O.; Brandenburgisches Oberlandesgericht, 1 Ws 83/05 v. 27.7.2005, BeckRS 2005, 30360540).

Diese Grundsätze finden auch auf den vorliegenden Fall Anwendung, bei dem es im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens um die Vorbereitung der Entscheidung über die bedingte Entlassung nach § 57 Abs. 1 StGB geht. Auch hier verbietet sich gerade in Anbetracht der unmittelbaren Grundrechtsrelevanz (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) der anstehenden Entscheidung, bei der es um die Frage geht, ob der Verurteilte zum Halb- oder Zweidrittelzeitpunkt auf freien Fuß gelangt, einen fremdsprachigen Verurteilten im Verhältnis zu einem der deutschen Sprache mächtigen Verurteilten auf Grund seiner fehlenden Sprachkenntnisse ungleich zu behandeln (LG Dresden, 3 Qs 11/19 v. 8.4.2019, Rn. 28, juris; LG Kassel, 3 StVK 62/12 v. 29.1.2019, juris).

Dies gilt auch für das vorbereitende Gespräch mit seinem Verteidiger. Würde man einem fremdsprachigen Verurteilten die Erstattung von Dolmetscherkosten für dieses Gespräch mit seinem Verteidiger verweigern, so stünde er schlechter als ein deutschsprachiger. Beiden stünde zwar gleichermaßen das in § 137 Abs. 1 StPO normierte Recht zu, sich in jeder Lage des Verfahrens – wozu insoweit auch das Strafvollstreckungsverfahren gehört (KK-StPO/Willnow, 9. Aufl. 2023, StPO § 137 Rn. 2 m.w.N.; BeckOK StPO/Wessing, 52. Ed. 1.7.2024, StPO § 137 Rn. 2) – des Beistandes eines Verteidigers zu bedienen. Dabei muss ein Verurteilter – soll dieses Recht nicht leerlaufen – die Möglichkeit haben, sich in Vorbereitung der Anhörung mit dem Verteidiger zu besprechen. Dem deutschsprachigen Verurteilten ist dies möglich, ohne dass ihm zusätzliche Kosten durch Dolmetscherleistungen entstehen. Der Verurteilte, der der deutschen Sprache nicht mächtig ist, kann dieses Gespräch nur führen, wenn er einen Dolmetscher hinzuzieht, was mit weiteren Kosten verbunden ist. Würden man nunmehr dem der deutschen Sprache nicht mächtigen Verurteilten die Erstattung dieser Kosten verweigern, würde er allein auf Grund seiner Sprache schlechter gestellt sein, als ein deutschsprachiger Verurteilter, ohne dass ein sachlicher Grund vorläge (so auch Volpert in Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 3. Auflage 2021, 7. Strafvollstreckung Rn. 54).

Um eine solche Ungleichbehandlung zu vermeiden, ist dem Verurteilten, der der deutschen Sprache nicht mächtig ist, jedenfalls im Verfahren über die Reststrafenaussetzung nach § 57 StGB ein Anspruch auf Erstattung der Kosten für die Hinzuziehung eines Dolmetschers zu dem die Anhörung vorbereitenden Gespräch mit dem Verteidiger zuzuerkennen (so auch LG Dresden, a.a.O.). Die Inanspruchnahme eines Dolmetschers für Mandantengespräche durch einen Verteidiger ist nicht von der vorherigen Bewilligung durch das Tatgericht abhängig (OLG Karlsruhe, a.a.O.; BVerfG, a.a.O.).

Dementsprechend kann der Verurteilte hier dem Grunde nach Ausgleichung der verfahrens-gegenständlichen Auslagen verlangen.

d) Bedenken gegen die in Ansatz gebrachten Kosten der Höhe nach bestehen in Bezug auf die Einzelpositionen nicht, zumal die geltend gemachten Dolmetscher- und Fahrkosten den JVEG-Sätzen entsprechen.

……“

Reise II: Reisekrankenversicherung und Kreditkarte, oder: Mann zahlt nur seine Reise, Frau wird krank

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Und im zweiten „Reiseposting“ dann etwas zur Reisekrankenversicherung, und zwar zur Definition des Versicherungsfalls bei einer als Nebenprodukt eines Kreditkartenvertrages abgeschlossenen Reisekrankenversicherung

Folgender Sachverhalt: Der Kläger verlangt von der Beklagten Versicherungsleistungen aus einer Auslandsreisekrankenversicherung, die mit einem Kreditkartenvertrag des Klägers verbunden ist. Der Kläger ist Inhaber einer sogenannten „Platinum Card“ des Kreditkartenunternehmens A. und versicherte Person aus einem zwischen dem Kreditkartenunternehmen und der Beklagten bestehenden Versicherungsvertrag. Nach den Versicherungsbedingungen der „A. Platinum Card“ wird Versicherungsschutz aus einer Auslandsreise-Krankenversicherung ausweislich der Überschrift in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen („AVB“) zum Abschnitt III nur in Verbindung mit einem Karteneinsatz gewährt und nur für die Dauer von max. 120 Tagen je Reise.

In den AVB ist in Abschnitt 10 u.a. geregelt, was „Reise“ bedeutet: „Eine mit Ihrer A. Platinum Card gezahlte Reise außerhalb ihres Heimatlandes oder eine mit ihrer A. Platinum Card bezahlte Reise innerhalb ihres Heimatlandes, die einen Flug oder mindestens eine zuvor gebuchte Übernachtung außerhalb ihres Heims einschließt.“ „„Sie/Ihr/Ihrer“ bedeutet: „Alle A. Platinum Card Inhaber und deren Familien sowie deren Zusatzkarteninhaber und deren Familien.“ „Familie“ bedeutet: „Ihr Partner/Gatte, verheiratet oder unverheiratet, an der gleichen Adresse wie Sie gemeldet, und Kinder unter 25 Jahren, die rechtlich von ihnen abhängig sind, einschließlich Stiefkinder, Pflegekinder oder Adoptivkinder.“

In den Allgemeinen Versicherungsbedingungen ist der Auslandsreise-Krankenversicherungsschutz in einem Abschnitt geregelt, der wie folgt überschrieben und eingeleitet ist: „III. Platinum Card Reise-Versicherungsleistungen – Gültig nur mit Karteneinsatz, bis 120 Tage je Reise – Auslandsreise-Krankenversicherung – gültig nur mit Karteneinsatz, bis 120 Tage je Reise- Versicherer ist IPA. Alle Platinum Card Inhaber einschließlich der Zusatzkarteninhaber und ihrer Familien müssen während der mit Ihrer A. Platinum Card gezahlten Reise unter 80 Jahre sein, um ärztliche Hilfe und Kostenersatz zu erhalten (…).

Der Kläger, der gemeinsam mit seiner Ehefrau und dem minderjährigen Kind von Deutschland aus eine Flugreise in die USA über Bremen, München, Denver, San Diego, San Francisco am 27.7.2021 sowie zurück von San Diego über Francisco, München nach Bremen am 24. und 25.8.2021 antrat, buchte hierfür seinen eigenen Flug über seine A. Platinum Card separat. Die Flüge für die gleichzeitig mitreisenden Familienangehörigen, die Ehefrau des Klägers und das minderjährige Kind, wurden nicht unter Verwendung der klägerischen Kreditkarte, sondern jener seiner Ehefrau bezahlt.

Während der Reise erkrankte die Ehefrau des Klägers plötzlich und schwer und musste mit akuten heftigen Bauchschmerzen stationär in ein Krankenhaus aufgenommen werden, wo noch gleichentags operativ eine Gallenblasen-Entfernung durchgeführt wurde. Für die Behandlung stellte der Krankenhausträger der Ehefrau des Klägers einen Betrag von 31.992,52 US-Dollar in Rechnung, welchen der Kläger und seine Ehefrau (zunächst) aus eigenen Mitteln beglichen. Es ist weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich, dass irgendwelche Reiseleistungen für die Ehefrau des Klägers mit der Kreditkarte des Klägers bezahlt wurden.

Nachdem der Kläger nach Rückkehr von der Reise die (zunächst) vorgestreckten Behandlungskosten bei der früheren Beklagten, der A. A. Deutschland GmbH, eingereicht hatte, lehnte diese eine Leistung mit der Begründung ab, ein Versicherungsfall nach den insoweit maßgeblichen Bedingungen läge nicht vor, die Behandlungskosten der Ehefrau des Klägers seien nicht vom Versicherungsschutz umfasst. Die daraufhin erhobene Klage hat das LG abgewiesen. Dagegen wendet sich die Berufung des Klägers. Das OLG ist der Überzeugung, dass die Berufung offensichtlich unbegründet ist und daher keine Aussicht auf Erfolg hat (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO). Es hat dem Kläger deshalb im OLG Bremen, Beschl. v. 21.8.2024 – 3 U 46/23 – anheim gegeben, zu prüfen, ob das Rechtsmittel nicht zurückgenommen wird:

„Das Landgericht hat die Klage im Ergebnis zurecht insgesamt abgewiesen. Das Berufungsvorbringen des Klägers rechtfertigt keine andere Beurteilung.

Ein Deckungsanspruch des Klägers aus dem zwischen dem Kreditkarteninstitut und der Beklagten geschlossenen Versicherungsvertrag besteht nicht, da es bereits – wie es das Landgericht festgestellt hat – am Vorliegen eines Versicherungsfalles fehlt.

Unter I. auf Seite 9 der Versicherungsbedingungen ist Reise unter der Überschrift „Allgemeine Definitionen für Reise-Versicherungen“ wie folgt definiert:

„Reise“ bedeutet: Eine mit Ihrer A. Plantinum Card gezahlte Reise außerhalb Ihres Heimatlandes oder eine mit Ihrer A. Plantinum Card gezahlte Reise innerhalb Ihres Heimatlandes, die einen Flug oder mindestens eine zuvor gebuchte Übernachtung außerhalb Ihres Heims einschließt.“

Nach den A. Plantinum Card Versicherungsbedingungen (Anlage B1, Bl. 20 ff. d.A.) Ziffer III. Nr. 1 1.1 besteht u.a. folgende Leistung des (Gruppen-) Versicherungsvertrages: „Notwendige medizinische, chirurgische und Krankenhauskosten, die sich daraus ergeben, dass Sie während Ihrer Reise krank oder verletzt werden.“

Der so definierte Versicherungsfall liegt nicht vor. In der Person des Klägers fehlt es an einer Erkrankung oder Verletzung. In der Person der Ehefrau des Klägers lag zwar eine Erkrankung vor, aber diese trat nicht während einer bedingungsgemäßen Reise auf, da die Reise der Ehefrau unstreitig nicht mit der A. Plantinum Card des Klägers bezahlt worden ist.

Die Bedingungen zur Definition des Versicherungsfalles sind gemäß § 307 Abs. 3 S. 1 BGB einer AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle entzogen (vgl. BGH, Urteil vom 26.03.2014 – IV ZR 422/12, NJW 2014, 2038, Rn. 34). Sie sind auch weder intransparent i.S.v. § 307 Abs. 3 S. 2, Abs. 1 S. 2 BGB noch überraschend nach § 305c Abs. 1 BGB.

Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. Liegt – wie hier – ein Gruppenversicherungsvertrag vor, so kommt es daneben auch auf die Verständnismöglichkeiten durchschnittlicher Versicherter und ihre Interessen an (vgl. BGH, Urteil vom 10. Dezember 2014 – IV ZR 289/13, VersR 2015, 318 Rn. 22 m.w.N.; BGH, Urteil vom 10. Juli 2024 – IV ZR 129/23, BeckRS 2024, 19898 Rn. 15, beck-online). In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (BGH, NJW 2022, 872 = VersR 2022, 312 Rn. 10; stRspr).

Auf der Grundlage dieses Maßstabs legen die zitierten Klauseln die von der Beklagten geschuldete Leistung fest. Danach soll ein Versicherungsfall nur vorliegen, wenn die Reise (-Leistung) unter Verwendung der Kreditkarte bezahlt wurde. Diese Einschränkung ist weder überraschend noch intransparent. Ersteres wäre allenfalls dann anzunehmen, wenn die Bezahlung der Reise mit einer Kreditkarte Bestandteil der Bedingungen eines direkten Versicherungsvertrages ohne Kreditkartenzusammenhang wäre. Dies ist vorliegend indes nicht der Fall. Es handelt sich bei der hier in Rede stehenden Reisekrankenversicherung um ein Nebenprodukt eines Kreditkartenvertrages. Die angebotenen Versicherungsleistungen sollen (auch) einen Anreiz zur Verwendung der Kreditkarte darstellen. Die Versicherungsbedingungen benennen daher Versicherungsleistungen mit und ohne Karteneinsatz. Für die hier in Rede stehende Reisekrankenversicherung ist der so genannte Karteneinsatz mehrfach als Voraussetzung in den Versicherungsbedingungen genannt und andererseits klar unter I. auf Seite 9 der Versicherungsbedingungen definiert.

Ein anderes Verständnis der Versicherungsbedingungen wird dem im Bürgerlichen Recht geltenden Grundsatz der Privatautonomie nicht gerecht. Danach ist es den Vertragsparteien – vorbehaltlich einer Abweichung von gesetzlichen Regelungen – freigestellt, Leistung und Gegenleistung zu bestimmen (vgl. BGH, NJW 2001, 1132 unter A II 1 a Rn. 20; BGH NJW 2018, 534, Rn. 15). Dies gilt auch für den vom Versicherer gewährten Versicherungsschutz und damit ebenfalls für die versicherten Ereignisse. Hier ist für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer erkennbar, dass die Beklagte nicht schon bei jeder Reise, sondern nur bei einer Reise, die mit der Kreditkarte bezahlt wurde, (Kranken-) Versicherungsschutz gewährt. Dass bereits die Teilnahme an einer bedingungsgemäßen Reise (hier nur die Reise des Klägers selbst) einen Versicherungsschutz für die Teilnehmer, hier die Ehefrau, begründen soll, lässt sich den Bedingungen nicht entnehmen.

Fehlt es somit am Vorliegen eines Versicherungsfalles, bedarf es keiner weiteren Ausführungen dazu, ob die Ehefrau des Klägers versicherte Person nach den Versicherungsbedingungen ist. Ebenso kann die Frage dahingestellt bleiben, ob etwaige Leistungsansprüche auch deswegen ausgeschlossen sind, da es sich jedenfalls nicht um Kosten handelt, die vom Arzt des Assistance-Service-Erbringers genehmigt worden sind (vgl. Ziffer III, 2., Nr. 2.1 der Versicherungsbedingungen). Insgesamt hat das Landgericht die Klage daher zurecht vollständig als unbegründet abgewiesen.“