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SV III: Vergütung für ein anthropologisches Gutachten, oder: Einzelfallabhängige Vergütung des Sachverständigen

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Und als dritte Entscheidung dann noch ein Beschluss zum Sachverständigen, und zwar zu einer Vergütungsfrage. Es geht in dem OLG Braunschweig, Beschl. v. 14.08.2024 – 1 Ws 209/23 – um die Vergütung des Sachverständigen fü ein anthropologisches Vergleichsgutachten. Darum haben der Sachverständige und die Landeskasse gestritten. Die Höhe der Vergütung kann ja auch für den – verurteilten – Angeklagten, der die Kosten des Verfahrens zu tragen hat, relevant werden.

Hier zunächst der Leitsatz der OLG Entscheidung, und zwar:

Anthropologische Vergleichsgutachten sind rechtlich weder einem der in Teil 1 der Anlage 1 zu § 9 JVEG genannten Sachgebiete noch einer der in Teil 2 der Anlage 1 genannten Honorargruppen M1 bis M3 zuzuordnen. Die Vergütungsfestsetzung erfolgt anhand der im konkreten Einzelfall erbrachten sachverständigen Leistungen gemäß § 9 Abs. 2 JVEG.

Und zu § 9 Abs. 2 JVEG führt das OLG aus:

„2. Die Vergütungsfestsetzung richtet sich damit – wie von dem Landgericht grundsätzlich zutreffend angenommen – nach § 9 Abs. 2 JVEG. Das dem Landgericht danach eingeräumte Ermessen kann der Senat nur eingeschränkt überprüfen. Seiner Kontrolle unterliegt lediglich, ob die Voraussetzungen für eine Ermessensentscheidung vorlagen, ob von dem Ermessen Gebrauch gemacht wurde, ob alle wesentlichen Tatsachen berücksichtigt und die gebotenen Grenzen eingehalten wurden(vgl. BGH, Urteil vom 13. April 1994, XII ZR 168/92).Dem Beschwerdegericht ist es insbesondere verwehrt, sein eigenes Ermessen an die Stelle desjenigen des Tatrichters zu setzen (vgl. Bleutge in: BeckOK KostR, 44. Ed. 1. Januar 2024, JVEG § 4 Rn. 33; Binz in: Binz/Dorndörfer/Zimmermann, GKG, FamFG, JVEG, 5. Auflage, § 4 Rn. 17).

Vorliegend lässt sich dem angefochtenen Beschluss nicht entnehmen, ob das Landgericht von dem ihm zustehenden Ermessen Gebrauch gemacht hat. Vielmehr ist das Landgericht erkennbar davon ausgegangen, dass anthropologische Gutachten schematisch einer bestimmten Vergleichsgruppe zuzuordnen und aufgrund der von ihnen umfassten Tätigkeiten stets in Anlehnung an die Honorargruppe 16 der Anlage 1 zu § 9 JVEG zu vergüten seien. So befasst sich das Landgericht in dem angefochtenen Beschluss nicht im Einzelnen mit den konkret vom Gutachter erbrachten Tätigkeiten und deren Umfang und Schwierigkeit, sondern ordnet anthropologische Gutachten allgemein einer bestehenden Honorargruppe zu. Die Kammer hat somit erkennbar verkannt, dass die Vergütung in dem konkreten Einzelfall nach billigem Ermessen zu erfolgen hat, wobei zwar die Vergleichbarkeit mit einem Sachgebiet als Kriterium heranzuziehen ist, jedoch abhängig von den Umständen des konkreten Einzelfalles zu bewerten ist, welche Vergütung angemessen ist.

Eine einheitliche Vergütung für anthropologische Sachverständigengutachten ist bereits deshalb nicht möglich, da diesen Begutachtungen keine standardisierten Untersuchungsmethoden zugrunde liegen (BGH, Urteil vom 15. Februar 2005, 1 StR 91/04, juris, Rn. 16; Oberlandesgericht Braunschweig, Beschluss vom 5. Juli 2006, Ss 81/05, juris, Rn. 7; Oberlandesgericht Braunschweig, Beschluss vom 2. März 2007, Ss (OWi) 4/07, juris, Rn. 5; Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 16. Mai 2006, 1 Ss 106/06, juris, Rn. 15; Oberlandesgericht Bamberg, Beschluss vom 6. April 2010, 3 Ss OWi 378/10, juris, Rn. 12) und die von dem Sachverständigen zu erbringenden Leistungen von der jeweiligen Begutachtungsmaterie abhängen. Umfang und Schwierigkeit der anthropologischen Begutachtung können wesentlich voneinander abweichen und hiermit auch das für die Beantwortung der Gutachtenfrage im Einzelfall erforderliche Fachwissen. Es fehlt daher an der notwendigen Vergleichbarkeit der maßgeblichen Parameter, anhand derer diese in jedem Fall einem der in Teil 1 der Anlage 1 zu § 9 JVEG bestimmten Sachgebiet oder einer der dort in Teil 2 der Anlage genannten Honorargruppen M1 bis M3 zugeordnet werden könnten. Dies zeigt sich auch bereits daran, dass im Gesetzgebungsverfahren des Zweiten Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes kein gemeinsamer Markt für anthropologische Sachverständigengutachten gefunden werden konnte, anhand dessen die Ermittlung einer durchschnittlichen Preisgestaltung möglich gewesen wäre (vgl. BT-Drucks. 17/11471, S. 260, 355).

Soweit anthropologische Vergleichsgutachten der Identifikation von Personen dienen sollen, können diese Identitätsgutachten erhebliche Unterschiede zueinander aufweisen und deshalb nicht pauschal derselben Honorargruppe zugeordnet werden. Für die Beurteilung der Identitätswahrscheinlichkeit kommt es maßgeblich auf die Feststellung und den Abgleich individueller Merkmale eines Menschen an. Die Beurteilung dieser individuellen Merkmale unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls machen es erforderlich, dass der Sachverständige Fachkenntnisse aus dem Bereich der Biologie oder Medizin aufweist und zur Geltung bringen kann. Es kann im Einzelfall auch von Bedeutung sein, wie sich individuelle phänotypische Einzelmerkmale im Rahmen einer körperlichen Bewegung oder durch Einsatz äußerer Einwirkungen, wie etwa durch Masken oder maskenähnliche Objekte oder auch durch medizinische Veränderungen im Erscheinungsbild, verändern oder wie diese bewusst verfremdet oder entstellt werden können (OLG Frankfurt, Beschluss vom 9. Februar 2024, 2 Ws 40/23, juris, Rn. 15).

Im Wesentlichen kommt es für den Umfang, die Schwierigkeit und auch das erforderliche Fachwissen darauf an, was für ein Bilddokument vorliegt und ob es sich um ein Einzelbild, eine Bilderreihenfolge oder eine Videodatei handelt sowie auch maßgeblich auf die Qualität der Bilder und welche individuellen Merkmale auf diesen überhaupt mit welcher Sicherheit zu erkennen sind. Dies zeigt sich bereits daran, dass ein anthropologisches Gutachten in Ordnungswidrigkeitenverfahren zumeist lediglich einen Abgleich eines Lichtbildes und der hierauf erkennbaren individuellen Merkmale mit denjenigen einer bestimmten Person erfordert, während beispielsweise in dem vorliegenden Verfahren eine Videoaufnahme mit verschiedenen Einzelbildern auszuwerten und die dort aus verschiedenen Perspektiven erkennbaren individuellen Merkmale der abgebildeten Person mit denjenigen des Beschuldigten zu vergleichen waren.

Letztendlich obliegt es damit dem zur Entscheidung berufenen Gericht, die für die sachverständige Begutachtung angemessene Vergütung anhand der für diese in dem konkreten Einzelfall erforderlichen Tätigkeiten, des Umfang und der Schwierigkeit der Begutachtung unter wertendem Vergleich mit den für die Zuordnung zu einem der in Teil 1 der Anlage 1 zu § 9 JVEG bestimmten Sachgebiet oder auch die Eingruppierung in eine der in Teil 2 der genannten Anlage bestimmten Honorargruppe (M1 bis M3) maßgeblichen Anforderungen festzusetzen. So kann es sachgerecht sein, die Leistungen des anthropologischen Sachverständigen in einer einfachen Sache der Honorargruppe M1 und in einem umfangreichen Verfahren der Honorargruppe M3 zuzuordnen (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 9. Februar 2024, 2 Ws 40/23, juris, Rn. 16). Ebenso sind Fälle denkbar, in denen eine Zuordnung zu einem der in Teil 1 der Anlage 1 zu § 9 JVEG genannten Sachgebieten, und hier voraussichtlich dem Sachgebiet 16 (grafisches Gewerbe), gerechtfertigt sein kann, weil der Sachverständige Leistungen erbracht hat, die sich nicht in reiner Bildbearbeitung erschöpfen, sondern hinsichtlich der Komplexität und des Umfangs eine Vergleichbarkeit mit den u. a. von dem Begriff des grafischen Gewerbes erfassten Leistungen der Bildverarbeitung, des Designs, verschiedener Drucktechniken sowie Reproduktionen zu begründen vermag.

Da das Landgericht diese Einzelfallabhängigkeit der angemessenen Vergütung verkannt hat und sich dem angefochtenen Beschluss nicht entnehmen lässt, dass es sich dem ihm insoweit zukommenden Ermessen bewusst war, liegt ein einen Verfahrensfehler begründender Ermessensnichtgebrauch vor, der zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache zwingt.“

SV II: Reststrafaussetzung zur Bewährung durch StVK , oder: Mündliche Anhörung des SV erforderlich?

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Im zweiten Posting etwas zum Sachverständigen im Verfahren betreffend die Strafaussetzung zur Bewährung, und zwar den OLG Celle, Beschl. v. 29.04.2024 – 1 Ws 126/24.

Der Verurteilte wurde am 13.06.2022 wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Zwei Drittel der Strafe waren am 06.042024 vollstreckt, die Endstrafe ist auf den 07.042025 notiert. Die StVK hat zur Prüfung einer Aussetzung des Strafrestes nach § 57 Abs. 1 StGB ein Sachverständigengutachten eines Diplom-Psychologen eingeholt. Dieser hat – im Gegensatz zur Stellungnahme der JVA – eine vorzeitige Entlassung des Verurteilten im Ergebnis befürwortet. Zur mündlichen Anhörung des Verurteilten am 03.04.2024 wurde der Sachverständige zunächst geladen, nach Verzicht der Verteidigerin auf seine mündliche Anhörung aber wieder abgeladen. Im Anhörungstermin hat auch der Verurteilte selbst darauf verzichtet, den Sachverständigen mündlich zu hören.

Die StVK hat dann die Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung ausgesetzt. Dagegen die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft, die Erfolg hatte:

„Die gemäß §§ 454 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1, 311 StPO zulässige sofortige Beschwerde hat – jedenfalls vorläufig – Erfolg.

1. Die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer war bereits deswegen aufzuheben, weil sie an einem wesentlichen Verfahrensfehler leidet. Denn die Strafvollstreckungskammer hat zu Unrecht von einer mündlichen Anhörung des Sachverständigen abgesehen.

a) Gemäß § 454 Abs. 2 Satz 3 StPO ist im Falle der Einholung eines Prognosegutachtens vor einer Entscheidung über die Aussetzung des Restes einer Freiheitsstrafe zur Bewährung der Sachverständige mündlich anhören. Von der Anhörung darf gemäß § 454 Abs. 2 Satz 4 StPO nur abgesehen werden, wenn sowohl der Verurteilte und sein Verteidiger als auch die Staatsanwaltschaft darauf verzichten.

b) Die Voraussetzungen des § 454 Abs. 2 Satz 4 StPO lagen nicht vor, weil die Staatsanwaltschaft nicht auf die Sachverständigenanhörung verzichtet hat.

Die Strafvollstreckungskammer hat in ihrer Verfügung vom 6. Februar 2024, mit der die Akten der Staatsanwaltschaft zur Kenntnisnahme vom Gutachten übersandt wurden, auch nach einem Verzicht auf die mündliche Anhörung des Sachverständigen gefragt. Zu dieser Frage hat sich die Staatsanwaltschaft aber weder in ihrer Rücksendeverfügung vom 13. Februar 2024, mit der sie auf ihre frühere Stellungnahme Bezug nahm, noch später geäußert.

Ein konkludenter Verzicht der Staatsanwaltschaft liegt ebenfalls nicht vor. Das bloße Schweigen auf eine Zuschrift des Gerichts genügt für die Annahme eines Verzichts nicht, denn der Verzicht auf die mündliche Anhörung muss eindeutig erklärt werden (OLG Braunschweig, Beschluss vom 5. Oktober 2023 – 1 Ws 206/23 –, Rn. 9, juris, m. w. N.). Auch dem Umstand, dass die Staatsanwaltschaft nicht am Anhörungstermin teilgenommen hat, kann jedenfalls unter den vorliegenden Umständen eine solche eindeutige Erklärung nicht entnommen werden, weil der Staatsanwaltschaft aufgrund der Ladungsverfügung vom 27. Februar 2024 keine Terminsnachricht übersandt und sie auch über die spätere Abladung des Sachverständigen nicht informiert wurde.

c) Darüber hinaus begegnet das Absehen von einer mündlichen Anhörung des Sachverständigen im vorliegenden Fall auch unter dem Gesichtspunkt der gerichtlichen Aufklärungspflicht durchgreifenden Bedenken.

Die Pflicht zur bestmöglichen Aufklärung des Sachverhalts kann auch in Fällen, in denen der Sachverständige nicht gemäß § 454 Abs. 2 Satz 3 StPO mündlich zu hören ist, seine mündliche Anhörung erfordern (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 04.08.2015 – 1 Ws 319/15, beck-online). Denn die Anhörung dient nicht nur der Verwirklichung rechtlichen Gehörs, sondern soll vor allem die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer vorbereiten und ihre materielle Richtigkeit gewährleisten (vgl. OLG Braunschweig, a. a. O.). Die mündliche Erörterung eines solchen Gutachtens in Anwesenheit der Verfahrensbeteiligten gibt diesen Gelegenheit, das Sachverständigengutachten eingehend zu diskutieren, das Votum des Sachverständigen zu hinterfragen und zu dem Gutachten Stellung zu nehmen (OLG Braunschweig a. a. O.).

Angesichts der grundlegenden unterschiedlichen Prognosebeurteilungen der Justizvollzugsanstalt einerseits und des Sachverständigen andererseits wäre eine solche eingehende Erörterung des Gutachtens – unter Mitwirkung der Vollzugsanstalt (§ 454 Abs. 3 Satz 3 StPO) – im vorliegenden Fall geboten gewesen, nachdem die Justizvollzugsanstalt nach Vorlage seines Gutachtens noch eine ausführliche Stellungnahme abgegeben und darin ihre bisherige Beurteilung bekräftigt und vertiefend begründet hat.“

SV I: Sachverständigengutachten im Urteil, oder: Unterbringung in einer Entziehungsanstalt

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Und heute dann drei Entscheidungen zum Sachverständigen bzw. zu Sachverständigenfragen.

Ich beginne mit dem OLG Braunschweig, Beschl. v. 02.09.2024 – 1 ORs 24/24. Der verhält sich zur Unterbringung nach § 64 StGB nach neuem Recht. Insoweit hier nur mein Leitsatz:

Für die festzustellende Erfolgsaussicht nach § 64 Satz 2 StGB n.F. ist es nunmehr erforderlich, dass der Behandlungserfolg „aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte zu erwarten“ ist. Die Anforderungen an eine günstige Behandlungsprognose sind „moderat angehoben“ worden, indem nunmehr eine „Wahrscheinlichkeit höheren Grades“ gegeben sein muss; im Übrigen bleibt es dabei, dass die Beurteilung der Erfolgsaussicht im Rahmen einer Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit und aller sonstigen maßgebenden Umstände vorzunehmen ist.

Und zu der Sarstellung eines Sachverständigengutachtens im Urteil bekräftigt das OLG noch einmal die ständigen Rechtsprechung der Obergerichte in der Frage, nämlich:

Den Ausführungen des Landgerichts lässt sich indes die gebotene Auseinandersetzung mit den festgestellten prognoseungünstigen wie auch prognosegünstigen Faktoren nicht entnehmen.

„Das Landgericht hat insoweit der „grundsätzlich vorhandenen Therapiewilligkeit des Angeklagten“ als (einzigem) prognosegünstigen Umstand „insbesondere die zahlreichen erfolglosen Therapieversuche in den letzten Jahren“ sowie den Umstand, dass „selbst im hochstrukturierten Setting der stationären Therapie kein konkreter Behandlungserfolg habe erzielt werden können“ als gegen eine günstige Behandlungsprognose sprechenden Umstände gegenübergestellt. Im Übrigen hat die Kammer zu der fehlenden Erfolgsaussicht (nur) ausgeführt, dass nach den nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen, denen sich die Kammer nach eigener kritischer Würdigung anschließe, keine tatsächlich begründete Erwartung eines Behandlungserfolgs einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gern. § 64 StGB bestehe (UA S. 16). Schließt sich der Tatrichter – wie hier – den Ausführungen eines Sachverständigen an, müssen dessen wesentliche Anknüpfungspunkte und Darlegungen im Urteil so wiedergegeben werden, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 19. Januar 2017, 4 StR 595/16, juris, Rn. 8; vom 28. Januar 2016, 3 StR 521/15, juris, Rn. 4.; vom 27. Januar 2016, 2 StR 314/15, juris, Rn. 6; vom 17. Juni 2014, 4 StR 171/14, juris, Rn. 7). Daran fehlt es hier.“

 

 

Befangen III: Unsachliche dienstliche Stellungnahme, oder: Besorgnis der Befangenheit

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Im dritten Posting habe ich dann noch einen Beschluss aus einem Zivilverfahren. M.E. gelten die Ausführungen des OLG aber auch für vergleichbare/ähnliche Fälle im Straf- oder Bußgeldverfahren.

Bei dem Verfahren handelt es sich um ein Verfahren auf Räumung und Herausgabe einer gewerblich genutzten Immobilie. Nach zwischenzeitlichem Ruhen des Verfahrens war für den 12.01.2024 ein Verhandlungstermin anberaumt. Am 08.01.2024 beantragten die Klägervertreter eine Terminsaufhebung mit der Begründung und der anwaltlichen Versicherung, dass der alleinige Sachbearbeiter, Rechtsanwalt S., erkrankt sei. Daraufhin wurde der Termin um drei Monate verlegt. Der Beklagte selbst teilte in einem Schreiben vom 12.01.2024 dem Gericht mit, dass er bei der Kanzlei des Klägervertreters am Vormittag angerufen habe und ihm mitgeteilt worden sei, dass Rechtsanwalt S. gerade auf der zweiten Leitung telefoniere und danach gerne zurückrufen werde. Er frage sich, wie sich denn das mit dem Verlegungsgrund vereinbaren lasse. Das Schreiben endete mit dem folgenden Satz:

„Da Herr RA S. bei den laufenden Verfahren, nun schon mehr als 30-mal, irgendwelche Verhinderungsgründe dafür nannte, sehe ich mein Misstrauen gegenüber Herrn RA S. bestätigt und bitte um Aufklärung.“

Rechtsanwalt S. teilte daraufhin – auf entsprechende Aufforderung des Gerichts – mit, er sei am 12.01.2024 arbeitsunfähig krank gewesen. Er habe am 12.01.2024 lediglich zur Abholung einzelner Akten und zur Organisation seiner Vertretung die Kanzleiräume kurzzeitig betreten. Eine Terminswahrnehmung sei aber nicht möglich gewesen. Der Beklagte habe nicht mit seinem Sekretariat sondern mit der Auszubildenden Frau O. telefoniert, die ihm lediglich mitgeteilt habe, dass er – Rechtsanwalt S. – derzeit nicht zu sprechen sei. Hieran anschließend erstellte der zuständige Einzelrichter Richter pp. am 18.01.2024 folgende Verfügung:

„Aus hiesiger Sicht ist die Sache geklärt. Der Beklagte möge mit derartigen Unterstellungen künftig ein wenig zurückhaltender sein.“

Mit Anwaltsschriftsatz vom 10.04.2024 lehnte der Beklagte nun den Richter pp. wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Richter pp. hat sich zu dem Befangenheitsantrag in einer dienstlichen Stellungnahme vom 11.04.2024 geäußert, die mit folgendem Absatz endet:

„Meinem Eindruck nach geht es dem Beklagten, der den Antrag zwei Tage vor der mündlichen Verhandlung eingereicht hat, um Verfahrensverzögerung. Ich bin erstaunt, dass Herr Dr. R., den ich als fairen und vernünftigen Anwalt kennengelernt habe, sich in dieser Weise für den Beklagten einsetzt, anstatt in der Sache zu streiten. Der Befangenheitsantrag ist im Übrigen nicht der erste, den der Beklagte eingereicht hat. Der letzte hat sich gegen Frau B. gerichtet und war offensichtlich unbegründet.“

Das LG hat das Ablehnungsgesuch als unzulässig verworfen. Dagegen die sofortige Beschwerde, die beim OLG mit dem OLG Stuttgart, Beschl. v. 02.10.2024 – 13 W 20/24 – Erfolg hatte:

„2. Ausgehend hiervon liegt eine Besorgnis der Befangenheit hinsichtlich des Richters pp. in Folge des Inhalts dessen dienstlicher Stellungnahme vom 11.04.2024 vor.

a) Das Recht zur Richterablehnung ist ein nicht im Ermessen des Gerichts stehendes Verfahrensrecht, das seinen Grund in der verfassungsrechtlich verankerten richterlichen Neutralitätspflicht hat. Daher kann ein Richter, der die Ausübung dieses Rechts kritisiert, den Eindruck erwecken, nicht unparteiisch zu sein (OLG Köln v. 29.04.2013 – 20 W 30/13). Dabei kann offen bleiben, ob jegliche Kritik an einem Ablehnungsgesuch die Besorgnis der Befangenheit begründen kann (vgl. auch BGH v. 12.10.2011 – V ZR 8/10 – juris Rn. 11). Eine Partei wird bei vernünftiger Würdigung jedenfalls dann an der Unvoreingenommenheit zweifeln, wenn der abgelehnte Richter auf ein nicht ganz abwegiges Ablehnungsgesuch hin mit unsachlicher Kritik reagiert. In einem solchen Fall kommt eine negative Einstellung des Richters gegenüber der die Ablehnung beantragenden Partei zum Ausdruck, sodass diese zumindest Zweifel haben kann, ob andere Anträge mit der gebotenen Unvoreingenommenheit beschieden werden.

b) Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt. Denn der unter I. auszugsweise wiedergegebene Inhalt der dienstlichen Stellungnahme von Richter .pp. vom 11.04.2024 war aus der Sicht einer verständigen Prozesspartei in der Situation des Beklagten geeignet, berechtigte Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters ihm gegenüber aufkommen lassen.

aa) Das an die Verfügung des Einzelrichters vom 18.01.2024 anknüpfende Ablehnungsgesuch des Beklagten vom 10.04.2024 war bei verobjektivierter Betrachtung nicht ganz abwegig, was allerdings der oben unter I. auszugsweise wiedergegebene Inhalt der dienstlichen Stellungnahme des abgelehnten Richters suggeriert, indem dort mitgeteilt wird, dass es bei dem Befangenheitsgesuch des Beklagten dem Eindruck des Richters nach (nur) „um Verfahrensverzögerung“ gehe, dass er „erstaunt“ sei, dass sich dessen Rechtsanwalt „in dieser Weise für den Beklagten einsetzt, anstatt in der Sache zu streiten“, und indem noch hinzugefügt wird, dass der Beklagte schon mehrere Befangenheitsanträge eingereicht habe, wobei der letzte „offensichtlich unbegründet“ gewesen sei.

(1) Der Befangenheitsantrag des Beklagten vom 10.04.2024 war, anders als es das Landgericht gemeint hat, insbesondere nicht von vorneherein wegen Verfristung offensichtlich unzulässig, nachdem bis zum 10.04.2024 weder eine mündliche Verhandlung stattgefunden hatte noch eine Zustimmung zur Entscheidung im schriftlichen Verfahren vorlag, und nachdem die Frage, ob auch Anträge auf Aussetzung oder Ruhen des Verfahrens Anträge i.S.d. § 44 Abs. 4 S. 2 ZPO darstellen, jedenfalls nicht als abschließend geklärt angesehen werden kann (vgl. Vossler in BeckOK ZPO, Stand 01.07.2024, § 43 Rn. 5; Stockmann in Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl., § 43 Rn. 5).

(2) Nachvollziehbar ist auch, dass die Verfügung vom 18.01.2024 (insbesondere die darin enthaltene Formulierung „mit derartigen Unterstellungen“) von Beklagtenseite als eine Art Maßregelung und Vorwurf aufgefasst wurde.

(a) Soweit Richter pp. in der Verfügung zum Ausdruck gebracht hat, dass ihm die Ausführungen von Rechtsanwalt S. ausreichen, um die Sache als geklärt anzusehen und eine Verzögerungsabsicht zu verneinen, handelt es sich allerdings um eine vertretbare Würdigung. Zwar war Rechtsanwalt S. unstreitig trotz bescheinigter Arbeitsunfähigkeit am Terminstag beruflich tätig, und zwar nicht nur von zu Hause aus. Es ist aber offenkundig, dass die Teilnahme an einer mündlichen Verhandlung, deren Dauer man im Vorfeld nicht abschätzen kann, sehr viel mehr Kraft kosten kann als ein kurzer Besuch in der Kanzlei und die Bearbeitung von Akten im Homeoffice. Zudem waren am 12.01.2024 seit Stellen des Terminsverlegungsantrags drei Tage vergangen, sodass eine am 09.01.2024 noch nicht vorhersehbare Besserung eingetreten sein konnte. Auch soweit der Einzelrichter dann in der Verfügung noch eine gewisse Zurückhaltung anmahnt, vermag dies eine Besorgnis der Befangenheit nicht zu begründen. Es entspricht der allgemeinen Erfahrung, dass ein Zivilprozess für alle Beteiligten belastend sein kann, wenn seitens der Parteien eskaliert wird. Daher muss es einem Richter möglich sein, auf eine Partei auch einmal mahnend einzuwirken, um eine weitere Eskalation zu vermeiden.

(b) Indes ist zu berücksichtigen, dass der in der Verfügung enthaltene Vorwurf an den Beklagten, mit Unterstellungen zu arbeiten, in der konkreten Situation schon ein wenig hart war. So hat der Beklagte Herrn Rechtsanwalt S. zumindest nicht ausdrücklich vorgeworfen, die Krankheit vorgetäuscht zu haben. Vielmehr hat der Beklagte nur die Frage aufgeworfen, wie sich die von ihm geschilderten Tatsachen mit dem Verlegungsgrund vereinbaren ließen, und hat um eine weitere Aufklärung gebeten, was dann ja auch verfügt wurde. Zudem waren die Zweifel des Beklagten an der Arbeitsunfähigkeit auch nicht völlig unberechtigt, nachdem Rechtsanwalt S. ja am 12.01.2024 unstreitig Tätigkeiten entfaltet hat. Es konnte und kann auch nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass – wie klägerseits vorgetragen – die Sekretärin bzw. Auszubildende A.O. am 12.01.2024 zum Beklagten nur gesagt haben soll, dass der Klägervertreter nicht zu sprechen sei. Vielmehr schreibt die Sekretärin ausweislich der klägerseits vorgelegten Anlage 2 an den Klägervertreter, dass es der Beklagte später noch einmal versuchen werde. Danach hat Frau O. dem Beklagten jedenfalls nicht gesagt, dass es keinen Sinn ergebe, es am selben Tag noch einmal zu versuchen. Ausgehend hiervon konnten beim Beklagten schon Zweifel aufkommen, ob der Klägervertreter tatsächlich, wie mitgeteilt, krankheitsbedingt verhindert war, sodass es jedenfalls nicht abwegig war, dass der Beklagte zu der Auffassung gelangte, vom zuständigen Einzelrichter mit dessen Verfügung vom 18.01.2024 ungerecht behandelt worden zu sein und dies zum Anlass nahm, den Richter abzulehnen.

bb) Zudem stellt sich die Kritik von Richter pp. am Ablehnungsgesuch in der dienstlichen Stellungnahme vom 11.04.2024 auch als unsachlich dar. Zwar weist das Landgericht im Ansatz zu Recht darauf hin, dass es im vorliegenden Fall nicht nachvollziehbar ist, warum der Antrag erst mehr als zwei Monate nach Erhalt der Verfügung und zwei Tage vor der mündlichen Verhandlung gestellt wurde, sodass die Annahme der Absicht einer Verfahrensverzögerung nicht so fern liegt. Unsachlich ist es aber, soweit Richter pp.darauf hinweist, dass der Beklagte schon mehrere Befangenheitsanträge eingereicht habe und ein zuletzt gegen Frau B. gerichteter Befangenheitsantrag offensichtlich unbegründet gewesen sei. Diese Umstände stehen mit dem vorliegenden Sachverhalt in keinem Zusammenhang und erwecken daher auch bei vernünftiger Würdigung nachvollziehbar den Eindruck, dass hier eine negative Stimmung gegen den Beklagten erzeugt werden soll. Diese „Stimmungsmache“ wird noch dadurch verstärkt, dass der Einzelrichter sein Erstaunen darüber ausdrückt, dass der Beklagtenvertreter sich in dieser Weise für den Beklagten einsetzt. Indem Richter pp.dabei noch darauf hinweist, dass er den Beklagtenvertreter als fairen und vernünftigen Anwalt kennengelernt hat, bringt er sinngemäß zum Ausdruck, dass er das Ablehnungsgesuch weder als fair noch als vernünftig ansieht. Eine solche Bewertung steht einem abgelehnten Richter aber nicht zu. Hinzukommt noch, dass eine solche Aussage auch geeignet sein kann, den Beklagtenvertreter unter Druck zu setzen, nachdem dieser ein Interesse daran haben kann, seinen Ruf bei dem Vorsitzenden einer Kammer eines sich in der Nähe seines Kanzleisitzes befindenden Landgerichts nicht zu verspielen.“

Strafe III: Aufrechnung der JVA gegen Eigengeld, oder: Wirtschaftlich geringe Bedeutung des Anspruchs

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Und im dritten Posting mit dem OLG Celle, Beschl. v. 29.05.2024 – 1 Ws 128/24 (StrVollz) – etwas aus dem Strafvollzug, nämlich: Aufrechnung der JVA gegen das Eigengeld des Gefangenen.

Der Antragsteller befindet sich im Vollzug einer Freiheitsstrafe. Mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung wendet er sich gegen eine Entscheidung der Antragsgegnerin, mit einer Schadensersatzforderung von 265 EUR gegen sein Eigengeld aufzurechnen. Die Antragsgegnerin begründete diese Forderung damit, dass der Antragsteller einen Schrank in seinem Haftraum zur Anbringung von Regalbrettern angebohrt und dadurch das Anstaltseigentum beschädigt habe.

Die StVK hat den Antrag zurückgewiesen. Dagegen die Rechtsbeschwerde des Gefangenen, die Erfolg hatte:

„2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.

a) Die Strafvollstreckungskammer ist zu Recht davon ausgegangen, dass zur Überprüfung der Aufrechnung im gerichtlichen Verfahren gemäß § 109 ff. StVollzG im vorliegenden Fall zunächst das Bestehen des zivilrechtlichen Anspruchs der Antragsgegnerin zu prüfen ist.

Der Senat schließt sich insoweit der überwiegenden Auffassung in Rechtsprechung und Literatur an, wonach die Strafvollstreckungskammer gemäß § 120 Abs. 1 Satz 2 StVollzG i. V. m. § 262 StPO die Möglichkeit hat, entweder über die zivilrechtliche Forderung mitzuentscheiden oder das Verfahren bis zur Entscheidung durch ein Zivilgericht auszusetzen (OLG Naumburg, Beschluss vom 8. September 2015 – 1 Ws (RB) 91/15 –, juris; OLG München, Beschluss vom 17.03.1986 – 1 Ws 1026/85, beck-online; Schmidt-Clarner in: Burhoff/Kotz, Handbuch für die strafrechtliche Nachsorge, Teil C, Rn. 207; Arloth in: Arloth/Krä, 5. Aufl., StVollzG § 93 Rn. 5; Baier/Laubenthal in: Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, Strafvollzugsgesetze, 7. Aufl., 4. Kapitel, Abschnitt I, Rn. 115). Der Gegenansicht, wonach das Verfahren zwingend ausgesetzt und der Anstalt eine Frist zur Geltendmachung der Forderung vor dem Zivilgericht gesetzt werden muss (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 22. Mai 2014 – 1 Ws 83/14 –, juris;   KG, Beschluss vom 9. Mai 2003 – 5 Ws 135/03 Vollz –, juris; Bachmann in: Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel/Baier, Strafvollzugsgesetze, 13. Aufl., Kapitel P, Rn. 24), vermag der Senat bereits aufgrund des Wortlautes von § 262 Abs. 1 und 2 StPO nicht zu folgen. Auch dem Normzweck des § 262 Abs. 2 StPO, der gerade in der Verfahrensökonomie liegt (MüKoStPO/Bartel, 2. Aufl. 2024, StPO § 262 Rn. 2), würde eine Pflicht zur Aussetzung nicht gerecht werden, weil diese zu einer Aufspaltung und Verzögerung des Verfahrens führen würde. Demgegenüber ermöglicht die vom Senat im Einklang mit der vorherrschenden Ansicht vertretene Auffassung eine dem Normzweck entsprechende Ermessensausübung der Strafvollstreckungskammer, bei der die Verfahrensökonomie neben anderen möglicherweise berührten Interessen Berücksichtigung findet.

Einer ausdrücklichen Ausübung des Ermessens der Strafvollstreckungskammer über die Frage der Aussetzung entsprechend § 262 Abs. 2 StPO bedurfte es im vorliegenden Fall nicht. Ihr Ermessen war auf Null reduziert, weil eine Aussetzung zur Klärung des Falles durch ein Zivilgericht hier nicht in Betracht kam. Ist – wie im vorliegenden Fall – die wirtschaftliche Bedeutung des Anspruchs gering und der Sachverhalt einfach gelagert, bedürfte es besonderer Umstände, um das Interesse an einer konzentrierten Bearbeitung des Verfahrens durch die Strafvollstreckungskammer zurücktreten zu lassen. Solche liegen nicht vor.

b) Die Prüfung der zivilrechtlichen Forderung durch die Strafvollstreckungskammer hält rechtlicher Nachprüfung indes nicht stand, weil die Strafvollstreckungskammer keine eigenen Feststellungen zur Schadenshöhe getroffen hat.

Wenn die Strafvollstreckungskammer gemäß § 120 StVollzG i. V. m. § 262 Abs. 1 StPO über die zivilrechtliche Forderung mitentscheidet, muss sich ihre Prüfung sowohl auf den Grund als auch auf die Höhe der Forderung erstrecken (vgl. OLG Naumburg, Beschluss vom 8. September 2015 – 1 Ws (RB) 91/15 –, juris; OLG München, Beschluss vom 17.03.1986 – 1 Ws 1026/85, beck-online; OLG Stuttgart, Beschluss vom 19. Februar 2018 – V 4 Ws 424/17 –, juris). Wie stets im Verfahren nach §§ 109 ff. StVollzG gilt dabei der Untersuchungsgrundsatz. Das Gericht darf seiner Entscheidung nicht den Sachvortrag einer Seite ungeprüft zugrunde legen. Wenn die Vollzugsbehörde Tatsachen vorgetragen hat, die ihre Maßnahme gegenüber dem Gefangenen begründen sollen, muss das Gericht aufklären bzw. erwägen, ob sie zutreffen oder nicht, ehe es sie übernimmt (st. Rspr.; OLG Celle, Beschluss vom 8. September 2020 – 3 Ws 210/20 (MVollz) –, Rn. 19, juris, m. w. N.).

Diesen Anforderungen wird der angefochtene Beschluss nicht gerecht. Die Strafvollstreckungskammer hat darin zur Schadenshöhe lediglich mitgeteilt, dass der Fachbereich Finanzen und Versorgung eine Schadenshöhe von 265 Euro festgesetzt habe. Eine eigene Prüfung, ob diese Schadensbezifferung zutreffend ist, hat sie aber nicht erkennbar vorgenommen.

c) Angesichts des aufgezeigten Rechtsfehlers, der im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht geheilt werden kann, kann der Senat keine eigene Sachentscheidung treffen und hat die Sache zur neuen Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer zurückverwiesen (§ 119 Abs. 4 Satz 3 StVollzG).

Auf die erhobenen Verfahrensrügen kommt es daneben nicht mehr an. Deren Zulässigkeit begegnet erheblichen Zweifeln, weil sie sich im Wesentlichen auf ungeordnet in den Schriftsatz hineinkopierte Aktenbestandteile stützt und es nicht Aufgabe des Rechtsbeschwerdegerichtes ist, sich aus einem solchen ungeordneten Vortrag diejenigen Verfahrenstatsachen herauszusuchen, die zu der jeweiligen Rüge passen (vgl. BGH, Urteil vom 26. Oktober 2023 – 5 StR 257/23 –, juris).

Die Strafvollstreckungskammer wird bei ihrer neuen Entscheidung im Übirgen erneut Gelegenheit haben, die Vernehmung der vom Antragsteller benannten Zeugen zu erwägen. Der Senat weist insofern darauf hin, dass die im angefochtenen Beschluss dargelegte Begründung, mit der die Vernehmung der Zeugen abgelehnt wurde, lückenhaft erscheint. Denn die Beschädigung soll nach den Ausführungen der Strafvollstreckungskammer nicht sogleich nach Übergabe des Haftraumes, sondern erst nach mehreren Haftraumkontrollen vor dem 8. Mai 2023 erfolgt sein. Zu diesem Zeitpunkt könnten die Zeugen bereits auf demselben Flur untergebracht gewesen sein.“