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Disziplinarverfahren, oder: Aussage-gegen-Aussage und Zweifelssatz gelten

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Und die zweite „Samstags-Entscheidung“ kommt auch aus dem Verwaltungsrecht. Es ist das BVerwG, Urt. v. 22.11.2018 – 2 WD 14.18, zu dem ebenfalls die Überschrift „Strafrecht meets Verwaltungsrecht“ passen würde. Es geht nämlich um die Anwendung strafverfahrensrechtlicher Grundsätze im gerichtlichen Disziplinarverfahren gegen einen Angehörigen der Bundeswehr. Gegen den war durch das Truppendienstgerichts wegen eines Dienstvergehens ein Beförderungsverbot für die Dauer von 24 Monaten verhängt. Vorgeworfen worden ist ihm die Verwendung eines Dienst-Pkw zu privaten Zwecken. Der Soldat soll seine ehemalige Freundin R. mehrfach mit einem Dienst-Pkw abgeholt oder weggebracht haben. Das Truppendienstgericht hat die Verurteilung u.a. auf die Aussagen der Zeugin R. gestützt und die bestreitenden Einlassungen des Soldaten als widerlegt angesehen.

Der Soldat hat Berufung eingelegt. Er erstrebt vornehmlich einen Freispruch. Die Berufungsbegründung tritt der Beweiswürdigung des angegriffenen Urteils in allen Anschuldigungspunkten detailliert entgegen und erläutert, warum aus Sicht der Verteidigung die Belastungszeugin R. unglaubwürdig und keiner der Vorwürfe nachgewiesen sei. Keine der Einwände des Truppendienstgerichts gegen die Glaubhaftigkeit der Einlassung des Soldaten sei stichhaltig und entspreche dem Ergebnis der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung. Vielmehr seien die Erwägungen der Vorinstanz weitgehend spekulativ, realitätsfern und fern dem tatsächlichen Gehalt der Aussagen der angehörten Zeugen. Die Einlassungen des Soldaten seien in allen Verfahrensstadien konsequent geblieben, auch durch die Hauptverhandlung nicht widerlegt und würden durch die Angaben der Zeugen J., St. und Je. gestützt. Zudem lägen schwere Verfahrensfehler vor.

Das BVerwG hat frei gesprochen. In der Begründung des Freispruchs macht es (interessante) Ausführungen zur Anwendung des Zweifelssatzes und zur Aussage-gegen-Aussage-Konstellation:

„1. Nach § 123 Satz 3 in Verbindung mit § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO in Verbindung mit § 261 StPO hat das Gericht über das Ergebnis der Beweisaufnahme nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung zu entscheiden. Dabei kommt es allein darauf an, ob der Tatrichter die persönliche Überzeugung von einem bestimmten Sachverhalt erlangt hat oder nicht. Die für die Überführung eines Angeschuldigten erforderliche persönliche Gewissheit des Tatrichters erfordert ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, demgegenüber vernünftige Zweifel nicht mehr aufkommen. Zwar ist zur Überführung des angeschuldigten Soldaten keine „mathematische“ Gewissheit erforderlich. Der Beweis muss jedoch mit lückenlosen, nachvollziehbaren logischen Argumenten geführt sein. Die Beweiswürdigung muss auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsichtigen Tatsachengrundlage beruhen und erschöpfend sein (vgl. BVerwG, Urteile vom 10. März 2016 – 2 WD 8.15 – juris Rn. 19 f. m.w.N. und vom 3. Mai 2016 – 2 WD 15.15 – juris Rn. 16 ff.).

Dies gilt namentlich dann, wenn eine Ahndung auf der Grundlage der Aussage eines einzigen Zeugen erfolgen soll. Zwar ist das Tatgericht nicht grundsätzlich schon dann aufgrund des Zweifelssatzes an einer Verurteilung gehindert, wenn „Aussage gegen Aussage“ steht und außer der Aussage des einzigen Belastungszeugen keine weiteren belastenden Indizien vorliegen. Bei einer derartigen Sachlage muss allerdings die Aussage dieses Zeugen einer besonderen Glaubhaftigkeitsprüfung unterzogen werden. Hier ist eine lückenlose Ermittlung und anschließende Gesamtwürdigung der Indizien sowie aller anderen Umstände, welche die Entscheidung beeinflussen können, von besonderer Bedeutung. Das gilt insbesondere dann, wenn der einzige Belastungszeuge in der Verhandlung seine Vorwürfe ganz oder teilweise nicht mehr aufrechterhält, der anfänglichen Schilderung weiterer Taten nicht gefolgt wird oder sich – wie vorliegend – sogar die Unwahrheit eines Aussageteils herausstellt. Dann muss das Gericht regelmäßig auch außerhalb der Zeugenaussage liegende gewichtige Gründe ermitteln, die es ermöglichen, der Zeugenaussage dennoch zu glauben. Gelingt dies dem Gericht nicht, ist der Soldat nach dem Rechtsgrundsatz „in dubio pro reo“ freizustellen (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juli 1998 – 1 StR 94/98 – juris Rn. 15; OVG Koblenz, Urteil vom 7. März 2017 – 3 A 10699/16NVwZ-RR 2017, 974 Rn. 33 ff.).

2. Hiernach verbleiben nicht nur theoretische Zweifel daran, dass der Soldat die ihm vorgeworfenen Pflichtverletzungen begangen hat, sodass er in Ermangelung weiterer Aufklärungsmöglichkeiten nach dem Grundsatz in dubio pro reo freizusprechen ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. Dezember 2009 – 2 WD 36.09 – Buchholz 450.2 § 106 WDO 2002 Nr. 1 Rn. 14). Am Wahrheitsgehalt der Aussage der einzigen Belastungszeugin bestehen gravierende Zweifel, die auch nicht durch für die Richtigkeit der Aussage sprechende Umstände ausgeräumt werden konnten. Im Einzelnen:……“

Wissentliche Falschprotokollierung durch den Richter, oder: Aber so was von befangen

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So, heute ist Samstag und das schaue ich ja immer ein wenig über den Tellerrand. Und da fällt mein Blick als erstes auf eine VG-Entscheidung, die ganz gut auch zu meinem Ablehnungstag“ am vergangenen Dienstag gepasst hätte (vgl. hier: Ablehnung I: “Geheimabsprache” über „Aufklärungshilfe“, oder: Keine (geheime) Verständigung zu Lasten Dritter, oder Ablehnung II: Wie lange braucht beim AG Linz ein Ablehnungenantrag vom Eingang bis zum Richter?, oder: 90 Minuten sind nicht genug, sowie Ablehnung III: Ablehnungsgesuch wegen Prozessverschleppung, oder: Augen zu und durch). Es handelt sich um den VG Schleswig, Beschl. v. 29.11.2018 – 14 A 810/17, der Ablehnungsfragen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren behandelt.

Zum Sachverhalt: Ergangen ist der Beschluss in einem gegen einen ablehnende Asyl-Entscheidung. In dem hatte der Kläger einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe gestellt. Das VG stellt dann folgenden Sachverhalt fest.

„Am 03.09.2018 wurde die mündliche Verhandlung durchgeführt, in deren Rahmen der Kläger informatorisch angehört wurde. Nach Stellung des Klagantrags hat der Kläger durch seine Prozessbevollmächtigte den vorliegenden Antrag auf Ausschließung des Einzelrichters wegen Besorgnis der Befangenheit gestellt.

Dazu trägt der Kläger vor, der Richter habe über den Prozesskostenhilfeantrag entschieden, bevor er sich ein persönliches Bild von seinem Verfolgungsschicksal gemacht habe. Zudem sei der Richter nicht seinem Antrag aus der mündlichen Verhandlung nachgekommen, ein Protokoll zu führen. Schließlich liege ein Verfahrensfehler darin, dass der Richter im Rahmen der mündlichen Verhandlung lediglich die Niederschrift der Anhörung durch die Beklagte vorlese und ihn frage, ob er es so, wie es in der Niederschrift stehe, gesagt habe. Der Richter habe selbst keine Fragen zu dem Verfolgungsschicksal gestellt. Zudem sei das rechtliche Gehör verletzt, da keine Fälle bekannt seien, in denen der Richter am Verwaltungsgericht A. positiv entscheide.

In seiner dienstlichen Äußerung vom 05.09.2018 hat der Richter am Verwaltungsgericht A. vorgetragen, das Ablehnungsgesuch sei bereits unzulässig, da es nach Stellung des Klagantrags gestellt worden sei. Darüber hinaus sei keine Besorgnis der Befangenheit zu erkennen. Üblicherweise werde über Gesuche auf Prozesskostenhilfe vor der mündlichen Verhandlung entschieden. Ein Protokoll sei geführt worden und es ergebe sich aus dem Protokoll, dass auch Fragen von Seiten des Gerichts gestellt worden seien.

Nach Erhalt der Abschrift des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 03.09.2018 und der dienstlichen Äußerung des Richters am Verwaltungsgericht A. hat der Kläger durch seine Prozessbevollmächtigte erneut Stellung genommen. Er trägt vor, der Richter am Verwaltungsgericht A. protokolliere nicht. Dies könne auch durch ein nachgeschobenes Protokoll nicht geheilt werden. Zudem entspreche das Protokoll nicht der Wahrheit. Der Richter habe zu Beginn der Verhandlung erklärt, dass er einige Fragen stellen werde, die er lediglich mit „Ja“ oder „Nein“ zu beantworten habe. Es seien nur die Fragen aus der Anhörung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) vorgelesen worden.

Zu dieser Stellungnahme hat sich der Richter am Verwaltungsgericht A. am 01.10.2018 erneut geäußert. Er trägt vor, dass er stets das Anhörungsprotokoll des BAMF vorlese und frage, ob das Vorgelesene verstanden worden sei, ob es so richtig sei oder ob es Korrekturen gäbe. Daran schließe sich die Frage nach Ergänzungen an. Die Antworten dazu würden einschließlich eventueller Nachfragen protokolliert. Soweit die Prozessbevollmächtigte des Klägers wahrheitswidrig behaupte, das Protokoll vom 03.09.2018 entspreche nicht der Wahrheit, sei diesem Vorwurf nach Abschluss des Verfahrens strafrechtlich nachzugehen.

Der Kläger trägt weiter vor, dass das Protokoll angezweifelt werde hinsichtlich der Vermerke „v.?u.?g.“ und der Formulierung „Auf gerichtliche Nachfrage“. Es seien keine Fragen des Gerichts erfolgt. Vielmehr habe er selbst am Ende der Verhandlung „das letzte Wort“ erhalten und habe am Stück vorgetragen. Seine Antworten seien auch nicht vorgelesen und genehmigt worden.

Mit Schriftsatz vom 24.10.2018 hat der Dolmetscher des Verhandlungstermins vom 03.09.2018, Herr F., gegenüber dem Gericht erklärt, dass er sich auf Nachfrage des Richters am Verwaltungsgericht A. äußern wolle. Er erinnere sich noch sehr genau an die am 03.09.2018 verhandelten Asylverfahren. Der Richter habe, wie in jeder seiner Verhandlungen, nach Verlesung des Anhörungsprotokolls drei Fragen gestellt: „Haben Sie alles verstanden?“; „War das auch alles so richtig, wie es im Protokoll steht, oder ist etwas zu korrigieren?“; „Gibt es über das Vorgelesene hinaus etwas zu ergänzen?“. Er wisse genau, dass durch Herrn A. verschiedene Nachfragen erfolgt seien, dass der Richter nach jeder Antwort des Klägers etwas handschriftlich notiert habe, anschließend etwas vorgelesen habe und er das Vorgelesene für den Kläger zurückübersetzt habe. Herr A. habe danach den Kläger immer gefragt, ob das vom ihm – dem Richter A. – Vorgelesene so richtig sei, was der Kläger jeweils bejaht habe. Das gleiche Verfahren habe der Richter bei Nachfragen der Rechtsanwältin an den Kläger praktiziert.

Nachforschungen des Gerichts haben ergeben, dass die Erklärung des Dolmetschers vom 24.10.2018 durch den Richter am Verwaltungsgericht A. erstellt und dem Dolmetscher zur Unterschrift vorgelegt wurde.

Das Gericht hat zudem mehrere Terminsakten des Richters am Verwaltungsgericht A. aus dem Zeitraum vom 03.07.2018 bis zum 26.09.2018 eingesehen und die handschriftlichen Protokolle auf Abweichungen zu dem Protokoll dieses Verfahrens überprüft. Für das Ergebnis wird auf den Vermerk des Berichterstatters vom 05.11.2018 (Bl. 144 d.?A.) verwiesen.

Herr Richter am Verwaltungsgericht A. hat am 12.11.2018 (Bl. 159 d.?A.) eine weitere dienstliche Stellungnahme abgegeben. Er trägt darin vor, dass das Protokoll vom 03.09.2018 dem tatsächlichen Geschehen der mündlichen Verhandlung entspreche. Der Vortrag der Prozessbevollmächtigten des Klägers sei falsch.

Die Kammer hat am 26.11.2018 aufgrund ihres Beweisbeschlusses vom 06.11.2018 (Bl. 157 d.?A.) eine Beweisaufnahme durch Vernehmung der beiden in der Verhandlung am 03.09.2018 anwesenden Zeugen I. (Praktikantin der Prozessbevollmächtigten des Klägers) und F. (Dolmetscher) durchgeführt. Für das Beweisergebnis wird auf das Protokoll der Beweisaufnahme vom 26.11.2018 verwiesen.“

Und – was wohl nicht wundert: Das VG hat das Ablehnungsgesuch als begründet angesehen:

Die Besorgnis der Befangenheit liegt hier darin begründet, dass in das Protokoll zur mündlichen Verhandlung vom 03.09.2018 Vorgänge aufgenommen wurden, die tatsächlich nicht stattgefunden haben.

Grundsätzlich kann ein Ablehnungsgesuch nicht erfolgreich auf die Verfahrensweise oder Rechtsauffassung eines Richters gestützt werden. Es ist nicht Sinn und Zweck des Ablehnungsrechts, Handlungen des Gerichts in einem besonderen Instanzenzug zu überprüfen, um so die Unzufriedenheit der Parteien abzuarbeiten. Vielmehr geht es bei der Prüfung einer möglichen Befangenheit ausschließlich um eine mögliche Parteilichkeit des Richters und nicht um die inhaltliche Richtigkeit seiner Handlungen und Entscheidungen, deren Überprüfung allein den Rechtsmittelgerichten vorbehalten ist. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist indes dann geboten, wenn die Gestaltung des Verfahrens oder die Entscheidungen des Richters sich so weit von den anerkannten rechtlichen – insbesondere verfassungsrechtlichen – Grundsätzen entfernen, dass sie aus Sicht der Partei nicht mehr verständlich und offensichtlich unhaltbar erscheinen und dadurch den Eindruck einer willkürlichen oder doch jedenfalls sachfremden Einstellung des Richters erwecken. Dies ist anhand von objektiven Kriterien festzustellen (VGH München, Beschluss vom 04.02.2015 – 22 CS 15.33 –, juris Rn. 10; KG Berlin, Beschluss vom 08.06.2006 – 15 W 31/06 –, juris Rn. 7).

Derartig grobe Verfahrensverstöße sind im vorliegenden Fall gegeben. Eine wissentliche Protokollierung von nicht existenten Vorgängen im Rahmen der mündlichen Verhandlung erfüllt strafrechtlich den Tatbestand einer Falschbeurkundung im Amt nach § 348 Strafgesetzbuch (StGB) und stellt damit eine grobe Verletzung von Richteramtspflichten dar. Dies wiederum drängt bei der dadurch betroffenen Partei den Eindruck einer sachwidrigen auf Voreingenommenheit beruhenden Benachteiligung auf.

Die Kammer ist nach Durchführung der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass die in der Verhandlungsniederschrift vom 03.09.2018 durch den abgelehnten Richter am Verwaltungsgericht A. protokollierten Vorgänge „auf gerichtliche Nachfrage“ und „vorgelesen und genehmigt“ tatsächlich nicht erfolgt sind. Die Aussage der Zeugin I., im Rahmen ihres einmonatigen Praktikums an der Asylverhandlung am 03.09.2018 in A-Stadt teilgenommen zu haben und sich sicher zu sein, dass Nachfragen des Gerichts nicht erfolgt seien, ist glaubhaft. Es ist für das Gericht nachvollziehbar, dass sich die Zeugin noch an den Ablauf der Verhandlung am 03.09.2018 erinnern kann. Die Zeugin hat als Studentin der Rechtswissenschaft im Allgemeinen noch keine unüberschaubare Vielzahl von Gerichtsverhandlungen miterlebt. Sie gab an, im Rahmen ihres Praktikums an vier Asylverhandlungen teilgenommen zu haben. Plausibel erscheint für das Gericht daher auch die auf gerichtliche Nachfrage mehrfach wiederholte Aussage, sie könne sich noch an den Ablauf der Verhandlung am 03.09.2018 erinnern und daran, dass nach Verlesen des Anhörungsprotokolls des BAMF keine Nachfragen von Seiten des Gerichts erfolgt seien. Sie habe das mit den anderen Verhandlungen, die sie miterlebt habe, verglichen.

Dass nach Aussage des Zeugen F. in der Verhandlung am 03.09.2018, wie in jeder Verhandlung des Richters A., nach Verlesung der Fragen aus der Anhörungsniederschrift des BAMF drei Fragen an den Kläger gestellt worden seien – ob er alles verstanden habe, ob es Korrekturen gebe, ob es Ergänzungen gebe –, steht nicht im Widerspruch zur Aussage der Zeugin I.. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass der Zeuge F. erklärt hat, sich nicht positiv an den Termin erinnern zu können. Der Verhandlungsstil des abgelehnten Richters sei jedoch immer gleich und es wäre ihm aufgefallen, wenn etwas anders abgelaufen wäre. Zudem hat die Kammer in die Würdigung der Aussage des Zeugen F. einfließen lassen, dass diese Aussage durch die von dem abgelehnten Richter vorformulierte Erklärung beeinflusst war und nicht den vollen Wert einer unbeeinflussten Aussage haben kann.

Die Kammer geht nicht davon aus, dass die Falschprotokollierung ohne Wissen des abgelehnten Richters erfolgt ist. Dagegen sprechen erhebliche Indizien. Zum einen erwecken die handschriftlichen Notizen des Richters zum Termin vom 03.09.2018 den Eindruck, dass das Wort „gerichtliche“ vor „Nachfrage“ nachträglich eingefügt wurde. Zum anderen entstand durch die Beeinflussung des Zeugen F. der Anschein, der Richter wolle etwas verdecken.

Darüber hinaus ist durch die von Herrn Richter am Verwaltungsgericht A. für den Zeugen F. vorformulierte Erklärung ein neuer Ablehnungsgrund geschaffen worden. Durch dieses Verhalten hat der abgelehnte Richter objektiv auf einen Zeugen eingewirkt und damit einen objektiven Grund dafür geschaffen, an seiner Unvoreingenommenheit gegenüber dem Kläger zu zweifeln. Denn das durch das Vorfertigen der Erklärung gezeigte Verhalten des abgelehnten Richters trägt erheblich manipulative Züge. Dies genügt, um das Vertrauen in die Objektivität des Richters zu erschüttern.“

Deutliche – zutreffende – Worte.

Pflichti III: Mittäter eines Betruges?, oder: Waffengleichheit

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Etwas versöhnlicher stimmt dann die dritte Entscheidung des Tages, bei der es sich um den LG Duisburg, Beschl. v. 15.01.2019 – 31 Qs-119 Js 173/17-96/18 – handelt. Entschieden hat das LG in ihm die Thematik: Dauerbrenner Waffengleichheit:

„Der Beschwerdeführerin war gemäß § 140 Abs. 2 StPO ein Pflichtverteidiger beizuordnen.

Zwar begründet der bloße Umstand, dass ein Mitangeklagter einen Verteidiger hat, die Voraussetzungen des § 140 Abs. 2 StPO für sich allein nicht (KK-StPO/Laufhütte/Willnow, 7. Auflage 2013, § 140 Rn. 22 m. w. N., beck-online; OLG Köln, Beschluss vom 20.06.2012, 2 Ws 466/12, NStZ-RR 2012, 351, beck-online). In besonderen Konstellationen kann aber aus Gründen der Waffengleichheit die Beiordnung eines Pflichtverteidigers geboten sein, wenn der Mitangeklagte anwaltlich verteidigt wird, so etwa wenn die Angeklagten sich gegenseitig belasten bzw. die Möglichkeit gegenseitiger Belastungen besteht (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Auflage, § 140 Rn. 31 m. w. N.; OLG Köln, Beschluss vom 20.06.2012, 2 Ws 466/12, NStZ-RR 2012, 351, beck-online; MüKo-StPO/Thomas/Kämpfer, 1. Auflage 2014, § 140 Rn. 48, beck-online). In einem solchen Fall befände sich der unverteidigte Mitangeklagte dem anderen Mitangeklagten gegenüber in einer strukturellen Unterlegenheit, die es auszugleichen gilt.

So liegt der Fall hier. Die beiden Angeklagten werden jeweils beschuldigt, einen Betrug begangen zu haben, indem sie je zwei Verrechnungsschecks zur Gutschrift auf ihr Konto bei der Postbank eingereicht haben sollen, die sie als Begünstigte und das Konto der Finanzverwaltung Dinslaken als bezogenes Konto auswiesen. Die Angeklagten haben sich bislang nicht zur Sache eingelassen. Da beide verheiratet sind und nach den bisherigen Ermittlungsergebnissen Vollmacht für das Konto des jeweils anderen hatten, besteht jedenfalls die Möglichkeit, dass sie sich – sollten sie sich in der Hauptverhandlung einlassen – gegenseitig belasten könnten. Dem Angeklagten pp. ist ein Pflichtverteidiger bestellt worden. Die dadurch für die Beschwerdeführerin entstehende strukturelle Unterlegenheit war durch die Bestellung eines Pflichtverteidigers auch für sie auszugleichen. Die Beschwerdeführerin ist zwar derzeit nicht unverteidigt; sie hat einen Wahlverteidiger. Dies steht der beantragten Bestellung ihres bisherigen Wahlverteidigers als Pflichtverteidiger indes nicht entgegen. Voraussetzung einer Pflichtverteidigerbestellung ist zwar, dass der Angeklagte keinen Verteidiger hat. Ausreichend ist es insofern aber, wenn der Wahlverteidiger im Moment der Bestellung sein Wahlmandat niederlegt. In dem Beiordnungsantrag durch den bisherigen        Wahlverteidiger kann die Ankündigung einer solchen Mandatsniederlegung gesehen werden (vgl. MüKo-StPO/Thomas/Kämpfer, a. a. 0., § 141 Rn. 4 m. w. N., beck-online).“

Bundesländer zur Erweiterung der Pflichtverteidigung: So nicht, oder: Der Verteidiger als Feigenblatt?

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Auch im zweiten Posting des heutigen Tages stelle ich keine Entscheidung vor, sondern knüpfe an meinen Beitrag: “Brinkhaus fordert schnellere Strafverfahren”, oder: Wie ahnungslos darf man als CDU-Fraktionsvorsitzender eigentlich sein?“ an. Ja, knüpfe an, und ich sage/schreibe: Leider. Denn:

Zu dem Posting zur „StPO-Kenntnis des CDU-Fraktionsvorsitzenden passt ein Bericht bei „swp.de“ unter der Überschrift: „Bund und Länder streiten über Pflichtverteidiger„. Da geht es um die Umsetzung der PKH-Richtlinie der EU, der bis zum 29.05.2019 umgesetzt sein muss. Dazu hatte ja das BMJV den Referentenentwurf zum “Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung“ vorgelegt (vgl. hier: Gesetzesvorhaben II: U.a. Änderungen im Recht der Pflichtverteidigung, Verbot der Gesichtsverhüllung im Gericht, oder: Schafft die GroKo das (noch)?). Und wie nicht anders zu erwarten, kommt da Kritik von den Ländern. Das ist dann offenbar die Voraberfüllung der Forderung von Ralph Brinkhaus nach einem „Pakt für den Rechtsstaat zwischen Bund und Ländern„, allerdings nuir leider umgekehrt?

Wenn man den Bericht liest, ist man fassungslos.

Da liest man dann nämlich auch wieder: „Eine Umsetzung der Pläne würde „zu einer erheblichen Verlängerung der Dauer von Ermittlungs- und Strafverfahren führen“ und das Ziel einer Vereinfachung und Beschleunigung von Strafverfahren „konterkarieren“. Wer hat da von wem abgeschrieben, die Läner (vorab) bei Brinkhaus oder der bei ihnen?

Und da werden Mehrausgaben bei den Kosten für die Pflichtverteidigung von 2,6 Mio oder auch 4 Mio angeführt gegen die geplante – von der EU vorgegebene – Neuregelung. Hat man diese Mehrausgaben (?) eigentlich mal ins Verhältnis gesetzt zu den Gesamtausgaben eines Landeshaushaltes. Wenn ja, würde man wahrscheinlich über die Prozentzahl erstaunt sein.

Aber das allein macht noch nicht fassungslos. Das kommt erst mit der „Baden-Württembergs Justizminister Guido Wolf (CDU)“ zugeschriebenen Äußerung:

„Er [Baden-Württembergs Justizminister Guido Wolf (CDU)] fürchtet zudem, dass die Zahl der Geständnisse in frühen Ermittlungsverfahren stark zurückgehen werde. Erfahrungen aus der Praxis zeigten, dass Täter bei einer vorläufigen Festnahme nach frischer Tat gerade auch bei schwersten Straftaten oftmals zu einem umfassenden Geständnis bereit seien. Sofort bestellte Pflichtverteidiger würden aber vor Akteneinsicht „in aller Regel von einer Aussage abraten“, heißt es in der Stellungnahme.“

Das – lassen wir die Äußerungen eines Stuttgarter Oberstaatsanwalts zum Auslieferungsverfahren mal außen vor – muss man sich mal „auf der Zunge zergehen  lassen“: Ein (Landes)Justizminister kritisiert, dass Verteidiger/Rechtsanwälte vor Akteneinsicht (!) von Aussagen abraten und führt das dann auch noch als Argument gegen Änderungen im Recht der Pflichtverteidigerbestellung an. Das macht mich fassungslos. Denn an der Stelle sind dann schon elementare Rechte der Beschuldigten im Spiel und man fragt sich, welches Rechtsverständnis der Minister eigentlich vom Strafverfahren und den Regeln der StPO hat. Der Pflichtverteidiger soll nach Möglichkeit offenbar nur „Urteilsbegleiter“ sein, das berühmte „Feigenblatt“. Getreu dem Motto: Du hast/bekommst einen Verteidiger, aber wehe, wenn der sich rührt und dem Angeklagten zur Wahrnehmung seiner Rechte – hier des Schweigerechts – rät. Das ist nichts anderes als der „Verteidiger als eigenblatt“

Baden-Württembergs Justizminister Guido Wolf ist im Übrigen nicht allein, wie „schön“ für ihn. Die „Kollegen“ pflichten ihm bei. Leider auch – so jedenfalls der Bericht – der Hamburger Justizminister, den die „Grünen“ stellen. Na ja, wenn es ums Geld geht, sind sie alle gleich.

Man kann bei all dem nur hoffen, dass das BMJV hart bleibt und Frau Barley trotz Europawahl-Wahlkampf Zeit hat, sich um diese Dinge (auch) zu kümmern und es endlich zum „Durchbruch“ kommt. Aber wahrscheinlich stehen solche Fragen auf der Agenda ganz unten, denn damit kann man derzeit nicht bzw. kaum punkten. Was dann daraus wird, kann man sicherlich noch nicht absehen. Das Receht auf einen Pflichtverteidiger ist das eine, die Frage, wie man damit umgeht, wenn das Recht nicht beachtet wird, das andere. Und da wird sich in der Rechtsprechung des BGH und auch des BVerfG das ein oder andere ändern müssen. Stichwort: Abwägungslehre.

Was mich ein wenig beruhigt: Auf den Bericht auf „swp.de“ bin ich durch einen Richter hingewiesen worden. Der war genauso fassungslos wie ich. Wie gesagt: Das beruhigt. Aber nur ein wenig.

„Brinkhaus fordert schnellere Strafverfahren“, oder: Wie ahnungslos darf man als CDU-Fraktionsvorsitzender eigentlich sein?

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Die 4. KW. eröffne ich dann nicht mit einer Entscheidung, sondern mit einer (allgemeinen) Frage nämlich: „Wie ahnungslos darf man als CDU-Fraktionsvorsitzender eigentlich sein?“ Ja, das hatte ich schon mal ähnlich gefragt, und zwar im Mai 2017 mit der Frage: Widerruf der “Hoeneßbewährung”?, oder: Wie ahnungslos darf man als Justizminister eigentlich sein?„.

Damals ging es um die Bewährung von Uli Hoeneß und Äußerungen des bayerischen Justizministers, heute geht es um die/eine „Justizreform“, zu der sich der CDU-Fraktionsvorsitzende Ralph Brinkhaus gestern in der geäußert hat (vgl. hier in der „SZ“: Brinkhaus fordert schnellere Strafverfahren).

Da heißt es u.a.:

„Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus hat eine Reform der Strafprozessordnung gefordert, um schnellere Strafverfahren zu erreichen. „Das Vertrauen der Bürger in den Staat hängt davon ab, ob das Recht auch durchgesetzt wird“, sagte er Christdemokrat der Bild am Sonntag.

„Es fehlen Staatsanwälte, Richter und Justizpersonal. Die Dauer der Prozesse steigt weiter. Immer mehr Verfahren werden eingestellt. Nötig ist eine Reform der Strafprozessordnung zur Verfahrensbeschleunigung.“ Zwar hätten Angeklagte effektive Rechte zur Verteidigung, aber die Öffentlichkeit und die Opfer erwarteten, dass die Verteidigungsrechte nicht zur Prozessverschleppung genutzt werden könnten.

Konkret verlangt Brinkhaus, dass Befangenheitsanträge gegen Richter nicht mehr zu einer Verzögerung von Prozessen führen: „Es soll künftig bis zur Entscheidung über den Antrag weiter verhandelt werden können.“

In diesem Zusammenhang übte Brinkhaus auch Kritik an der Regierungspolitik der vergangenen Jahre: Wie gut der Föderalismus funktioniere, werde sich darin zeigen, ob Bund und Länder „die Fehlentwicklungen in der Justiz beseitigen“ könnten. Hier habe die Politik „lange nicht richtig hingeschaut“. Der Pakt für den Rechtsstaat zwischen Bund und Ländern müsse rasch kommen, forderte der CDU-Politiker. „Die Ur-Aufgabe des Staates ist es, seine Bürger vor Gewalt und Unrecht zu schützen. Dazu gehört eine starke Justiz.““

Was mich u.a. stört/erstaunt/ärgert ist der Satz: „Konkret verlangt Brinkhaus, dass Befangenheitsanträge gegen Richter nicht mehr zu einer Verzögerung von Prozessen führen: „Es soll künftig bis zur Entscheidung über den Antrag weiter verhandelt werden können.“, ja richtig gelesen: „Es soll künftig bis zur Entscheidung über den Antrag weiter verhandelt werden können.“ Da reibt man sich dann verwundert die Augen, sucht eine StPO, um sich zu vergewissern, und ist dann beruhigt, wenn man dort immer noch in § 29 Abs. 2 Satz 1 StPO liest:

„Wird ein Richter während der Hauptverhandlung abgelehnt und würde die Entscheidung über die Ablehnung (§§ 26a, 27) eine Unterbrechung der Hauptverhandlung erfordern, so kann diese so lange fortgesetzt werden, bis eine Entscheidung über die Ablehnung ohne Verzögerung der Hauptverhandlung möglich ist; über die Ablehnung ist spätestens bis zum Beginn des übernächsten Verhandlungstages und stets vor Beginn der Schlußvorträge zu entscheiden.“

Das hatte man also richtig in Erinnerung, denn das steht schon ziemlich lange in der StPO (vgl. dazu auch hier: Unterbrechung der Verhandlung nach Befangenheitsantrag vom Kollegen in der Strafakte). Da fragt man sich dann, wo eigentlich der CDU-Fraktionsvorsitzende nachschaut, wenn er nach einer „Reform der Strafprozessordnung“ ruft und den Grund für die zum Teil lange Verfahrensdauer dann gleich bei den Befangenheitsanträgen (offenbar der Verteidiger [?]) ausmacht. Oder die Frage: Was machen seine Referenten? Wo schauen die nach? Offenbar auch nicht in der geltenden StPO. Und/oder schaut man, wenn man mit „Bild am Sonntag“ spricht, erst recht nicht nach?

„Schön“ auch der Satz „Zwar hätten Angeklagte effektive Rechte zur Verteidigung, aber die Öffentlichkeit und die Opfer erwarteten, dass die Verteidigungsrechte nicht zur Prozessverschleppung genutzt werden könnten.“ Wie soll das bitte gehen? Verteidigungsrechte ja, aber nutzen/anwenden darf/soll der Angeklagte sie nicht? Also steht alles nur auf dem Papier?

Abschließende Frage: Wer schickt der CDU-Fraktion in Berlin einen aktuellen Gesetzestext der StPO? Dort scheint man ihn nötig zu haben. Vielleicht liest man den dort. Der „Bild am Sonntag“ würde ich keine schicken, dort wird man eh nicht drin lesen.