Archiv für den Monat: Februar 2023

Ich habe da mal eine Frage: Erhalten beide Verteidiger die Verfahrensgebühr für die Revisionsbegründung?

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Und dann noch die Gebührenfrage, und zwar heute:

„Moin,

für Ihren Gebührenfreitag:

A hat zwei Pflichtverteidiger X und Y. Gegen das Urteil des LG legt nur Y Revision ein – nicht X. X wird auch nicht entpflichtet.

X und Y begründen in jeweils getrennten Schriftsätzen auf Wunsch des A fristgerecht die durch Y eingelegte Revision.

Verdient X die Gebühr für das Revisionsverfahren? Ich meine – auch nach Lektüre des Burhoff/Volpert – ja, denn die bloße Einlegung gehört ohnehin zur Tatsacheninstanz und X ist nach wie vor beigeordnet.

Es gibt jedoch einige Kollegen, die sehen das anders und meinen X wäre „raus“. Was stimmt?“

Was verdient der „Vertreter“ des Pflichtverteidigers?, oder: Wird er „fürstlich entlohnt“?

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Im zweiten Posting geht es u.a. auch um die Vernehmungstermingebühr, und zwar im Zusammenhnag mit der Frage: Welche Gebühren entstehen für den Verteidiger, der nur für einen Hafttermin beigeordnet worden ist. Ist das nur eine Einzeltätigkeit oder ist das voller Auftrag mit der Folge, dass nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG abgerechnet wird.

Dazu habe ich hier jetzt drei Entscheidungen: Zwei machen es richtig, eine macht es falsch.

Zunächst die beiden richtigen, nämlich der OLG Karlsruhe, Beschl. v. 09.02.2023 – 2 Ws 13/23 – und der LG Tübingen, Beschl. v. 06.02.2023 – 9 Qs 25/23.

Hier die Leitsätze:

    1. Der Vergütungsanspruch des Verteidigers, der anstelle des verhinderten Pflichtverteidigers für einen Hauptverhandlungstermin, einen Haftprüfungstermin oder den Termin zur Haftbefehlseröffnung als Verteidiger des Beschuldigten/Angeklagten bestellt worden ist, beschränkt sich nicht nur auf die Terminsgebühren, sondern umfasst alle durch die anwaltliche Tätigkeit im Einzelfall verwirklichten Gebührentatbestände des Teils 4 Abschnitt 1 VV RVG.
    2. Der Haftzuschlag nach Vorbem. 4 Abs. 4 VV RVG entsteht auch dann, wenn der Beschuldigte zunächst nur vorläufig festgenommen wurde.

Auch der notwendige Verteidiger, der nur für einen Tag bzw. Termin bestellt ist, ist für diesen begrenzten Zeitraum umfassend mit der Wahrnehmung der Verteidigerrechte und -pflichten betraut. Daher kommt auch angesichts einer zeitlichen Begrenzung der Beiordnung eine gebührenrechtliche Einstufung der Tätigkeit als Einzeltätigkeit nicht in Betracht.

Ich zitiere wegen der Begründung aus den überzeugenden Ausführungen des OLG Karlsruhe – so habe ich übrigens schon immer argumentiert:

„b) Nach anderer, vom Senat für zutreffend erachteter Auffassung, beschränkt sich der Vergütungsanspruch des Verteidigers, der anstelle des verhinderten Pflichtverteidigers für einen Hauptverhandlungstermin, einen Haftprüfungstermin oder den Termin zur Haftbefehlseröffnung als Verteidiger des Beschuldigten/Angeklagten bestellt worden ist, nicht auf die Terminsgebühren, sondern umfasst alle durch die anwaltliche Tätigkeit im Einzelfall verwirklichten Gebührentatbestände des Teils 4 Abschnitt 1 des Vergütungsverzeichnisses in Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG (vgl. OLG Karlsruhe NJW 2008, 2935; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29.10.2008 – 1 Ws 318/08 -, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 23.03.2006 – 3 Ws 586/05 -, juris; OLG Köln, Beschluss vom 26.03.2010 – 2 Ws 129/10 -, BeckRS 2010, 16664; OLG Bamberg, NStZ-RR 2011, 223; OLG München, a.a.O.; OLG Nürnberg, a.a.O.; OLG Saarbrücken, a.a.O.; OLG Jena, Beschluss vom 14.04.2021 – (S) AR 62/20 -, BeckRS 2021, 9651).

Denn dem anstelle des verhinderten Pflichtverteidigers für einen gerichtlichen Termin beigeordneten Verteidiger ist für den in der Beiordnung bezeichneten Verfahrensabschnitt die Verteidigung ohne jede inhaltliche Beschränkung mit sämtlichen Verteidigerrechten und -pflichten übertragen. Eine Beiordnung eines Verteidigers lediglich als „Vertreter“ des bereits bestellten Verteidigers sieht die StPO nicht vor. Dies folgt bereits daraus, dass der bestellte Verteidiger eine Untervollmacht für die Verteidigung des Angeklagten einem anderen Rechtsanwalt nicht erteilen kann, auch nicht mit Zustimmung des Gerichts, weil die Bestellung zum Verteidiger auf seine Person beschränkt ist (vgl. BGH StV 1981, 393; StV 2011, 650 und Beschluss vom 15.01.2014 – 4 StR 346/13 -, juris). Eine solche Vertretung in der Verteidigung ist nur dem entweder amtlich (§ 53 Abs. 2 Satz 3 BRAO) oder vom Verteidiger selbst (§ 53 Abs. 2 Satz 1 oder 2 BRAO) bestellten allgemeinen Vertreter des Pflichtverteidigers möglich (BGH, Beschluss vom 15.01.2014, a.a.O.). Durch die Beiordnung eines Verteidigers für die Wahrnehmung eines Termins anstelle des verhinderten Pflichtverteidigers wird vielmehr ein eigenständiges, öffentlich-rechtliches Beiordnungs-verhältnis begründet, aufgrund dessen der bestellte Verteidiger während der Dauer seiner Bestellung die Verteidigung des Angeklagten umfassend und eigenverantwortlich wahrzunehmen hat. Eine solche umfassende, eigenverantwortliche Verteidigung setzt auch eine Einarbeitung in den Fall voraus, ohne die eine sachgerechte Verteidigung nicht möglich ist. Gerade für diese erstmalige Einarbeitung in den Rechtsfall entsteht aber die Grundgebühr. Eine Unterscheidung danach, welchen Aufwand diese Einarbeitung im Einzelfall erfordert (so das OLG Stuttgart, Beschluss vom 03.02.2011 – 4 Ws 195,10 -, NJOZ 2012, 213) verbietet sich schon deshalb, weil es sich bei den Gebühren des Pflichtverteidigers nach Anlage 1 Teil 4 Abschnitt 1 zu § 2 Abs. 2 RVG um Festgebühren handelt, die grundsätzlich unabhängig von dem im Einzelfall erforderlichen Aufwand anfallen. Der Anspruch des wegen Verhinderung des zuvor bestellten Verteidigers (zeitlich beschränkt) bestellten weiteren Verteidigers scheitert auch nicht daran, dass die Gebühr aus VV Nr. 4100/4101 pro Rechtsfall nur einmal entsteht und auf Seiten des ursprünglich bestellten Pflichtverteidigers bereits entstanden ist; denn die Einmaligkeit der Gebühr pro Rechtsfall ist aus-schließlich personen- und nicht verfahrensbezogen zu verstehen (vgl. Knaudt in BeckOK RVG, a.a.O. RVG VV Vorbemerkung, Rn. 20). Auch im Falle eines Pflichtverteidigerwechsels nach § 143a StPO steht die Grundgebühr sowohl dem zunächst bestellten Pflichtverteidiger als auch dem an seiner Stelle bestellten neuen Pflichtverteidiger zu.

A.A. ist der OLG Stuttgart, Beschl. v. 23.01.2023 – 4 Ws 13/23 – mit folgendem Leitsatz:

Der einem Beschuldigten für die Haftprüfung beigeordnete Rechtsanwalt verdient nur eine Gebühr für eine Einzeltätigkeit.

Anzumerken ist Folgendes:

OLG Karlsruhe und LG Tübingen machen es es richtig, OLG Stuttgart falsch. Dazu ist nichts weiter zu sagen. Als Verteidiger muss man dann darauf achten, alle Gebühren geltend zu machen, also auch die Verfahrensgebühr, da die nach der Anm. zur Nr. 4100 VV RVG immer neben der Grundgebühr entsteht. Also auch in diesen Fällen.

Ob es sich dann aber schon – wie das LG Tübingen meint – „vorliegend um eine „geradezu fürstliche und vom Gesetzgeber sicher nicht gewollte Honorierung der Tätigkeit des Rechtsanwalts“ handelt, ist in meinen Augen mehr als zweifelhaft. Ich frage mich bei solchen Formulierungen auch immer, was das soll? Denn, wenn das dort entscheidende Mitglied der Strafkammer, der Pflichtverteidiger werde „geradezu fürstlich entlohnt“, dann ist ihm zu erwidern, dass gerade die Frage der ausreichenden Honorierung des Pflichtverteidigers höchst fraglich und sicherlich nicht unter Berücksichtigung der Festbetragsgebühren „fürstlich“ ist. Im Übrigen hätte es dem Mitglied der Strafkammer ja frei gestanden, als Rechtsanwalt/Verteidiger tätig zu werden. M.E. sind solche Formulierungen daher mehr als überflüssig.

Bringen zwei Hafttermine zwei Terminsgebühren?, oder: Das AG macht es günstig, aber leider falsch

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Heute dann RVG, und zwar nur Entscheidungen zur Vernehmungsterminsgebühr Nr. 4102 VV RVG. Die Vorschrift spielt ja in der Praxis vor allem in Haftsachen eine erhebliche Rolle.

Ich beginne mit dem AG Leipzig, Beschl. v. 10.02.2023 – ER 10 282 Gs 5006/22. Die Entscheidung ist zwar für den Kollegen Zünbül, der sie mir geschickt hat, erfreulich, weil für ihn günstig, aber die Entscheidung ist falsch. Und darüber gibt es nichts zu diskutieren.

In dem Verfahren wegen versuchten Totschlags ist der Kollege dem Beschuldigten, der sich ab dem 29.10.2022 nicht auf freien Fuß befunden hat, am 30.10.2022 als Pflichtverteidiger  beigeordnet worden. Der Kollege hat dann als Pflichtverteidiger an zwei Haftterminen am 30.10.2022 und am 11.11.2022 teilgenommen. Für diese Teilnahmen hat er zwei Vernehmungsterminsgebühren abgerechnet, die vom Kostenbeamten nicht festgesetzt worden sind. Auf die Erinnerung des Pflichtverteidigers hat das AG die beiden Terminsgebühren jedoch festgesetzt:

„Der Festsetzung liegt der Kostenantrag des Verteidigers vom 06.01.2023 zugrunde. Entgegen der Ansicht des Kostenbeamten und der Bezirksrevisorin geht das Gericht davon aus, dass vorliegend, wie vom Verteidiger beantragt worden sind, 2 Termingebühren für die Termine vom 30.10.2022 und 11.11.2022 entstanden sind. Zwar sieht VV 4102 vor, dass der Verteidiger für die ersten 3 Termine aus diesem Katalog die Gebühr nur einmal erhält. Vorliegend greift dies jedoch nicht durch, denn die Termine betreffen einmal eine Haftvorführung und einmal eine Haftprüfung. Die Termine haben unterschiedliche Rechtsgrundlagen, §§ 128, 114a, 115 StPO bzw. 117 ff StPO und sind vorliegend vor unterschiedlichen Richtern erfolgt, namentlich am 30.10.2022 vor dem Bereitschaftsrichter am Amtsgericht Leipzig, am 11.11.2022 vor dem Unterzeichner. Darüber hinaus ist festzustellen, dass die Zusammenlegung der Gebühren für die mündliche Haftprüfung und die Haftvorführung schon deswegen nicht angezeigt sind, da die Verfahrenssituation jeweils eine andere ist, mithin ein anderer Verfahrensabschnitt vorliegt, der den Gebührentatbestand neu entstehen lässt. Bei der Haftvorführung hat der Beschuldigte und auch sein Verteidiger in der Regel keinerlei Akteneinsicht und vorliegend nur beschränkte Möglichkeiten, sich gegen den Vorwurf im Haftbefehlsantrag zu verteidigen. Aus diesem Grunde ist die Möglichkeit der Möglichkeit der mündlichen Haftprüfung geschaffen worden. Die erfolgt in der Regel nach Akteneinsicht und nach entsprechender Festlegung einer Verteidigungsstrategie zwischen Verteidiger und Beschuldigten. Dies gewährleistet das grund-gesetzlich vorgesehene faire Verfahren. Insoweit ist es auch notwendig die Leistungen des Verteidigers entsprechend abzugelten.“

Wie gesagt: Falsch, aber so richtig, wenn man davon ausgeht, dass die beiden Termine beide (noch) im vorbereitenden Verfahren stattgefunden haben, wofür einiges spricht. Entgegen der Ansicht des AG greift dann nämlich die Beschränkung der Vernehmungsterminsgebühr aus Anm. Satz 2 zur Nr. 4102 VV RVG (eingehend zur Vernehmungstermisgebühr Nr. 4102 VV RVG Burhoff AGS 2022, 241). Nach dieser Anmerkung entsteht die (Vernehmungs)Terminsgebühr im vorbereitenden Verfahren und in jedem Rechtszug für die Teilnahme an jeweils bis zu drei Terminen nur einmal. Diese Beschränkung auf eine Terminsgebühr Nr. 4102 VV RVG/vorbereitendes Verfahren für jeweils drei Termine ist völlig unabhängig davon, ob und welche Rechtsgrundlagen die Termine hatten, bei welchem Richter sie stattgefunden haben und ob die Verfahrenssituation eine andere ist. Entscheidend ist allein, dass es sich um bis zu drei Termine aus dem Katalog des Nr. 4102 VV RVG gehandelt hat. Was das AG hier entschieden hat, ist daher nichts anderes als „gerichtliche Rechtsschöpfung“ gewesen. Zwar ist der vom AG angeführte Zwecke für seine Entscheidung nicht von der Hand zu weisen. Der hat jedoch im Gesetz keinen Niederschlag gefunden. Denn leider ist ja der gemeinsame Vorschlag von DAV und BRAK zum Wegfall der Beschränkung in S. 2 der Anmerkung zur Nr. 4102 VV RVG (vgl. dazu Hansens RVGreport 2018, 202, 204) vom KostRÄG 2021 nicht umgesetzt worden.

Also wieder mal das AG als Gesetzgeber.

Einziehunng III: Wert des Erlangten beim Mietbetrug, oder: Geschuldete Miete ja, Kaution nein.

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Und als dritte Entscheidung zur Problematik „Einziehung“ dann hier noch der OLG Zweibrücken, Beschl. v. 09.01.2023 – 1 OLG 2 Ss 37/22 – zur Bestimmung des Wertes des Erlangten beim Mietbetrug (§ 73c StGB).

Der Angeklagte ist vom AG u.a. wegen Betrugs verurteilt worden. Zudem wurde eine Einziehungsentscheidung getroffen. Dagegen die Berufung des Angeklagten, die nur geringen Erfolg hatte:

„Die zulässige Revision führt zu dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg, im Übrigen ist sie unbegründet.

1. Die Entscheidung über die Einziehung von Wertersatz hält der rechtlichen Nachprüfung nicht in vollem Umfang stand.

a) Gemäß § 73 Abs. 1 StGB ordnet das Gericht die Einziehung an, wenn der Täter durch eine rechtswidrige Tat oder für diese etwas erlangt hat. Erlangt hat der Angeklagte durch den Betrug die Nutzungsmöglichkeit der Wohnung. Deren Gegenwert stellt gemäß § 535 Abs. 1 und 2 BGB die Mietzahlung dar. Soweit sich der Angeklagte eigene Aufwendung dadurch erspart hat, dass er in den Monaten Juni, Juli und Oktober 2020 den geschuldeten Mietzins in Höhe von 1.000 € überhaupt nicht, im Mai 2020 nur in Höhe von 600 € und im August 2020 in Höhe von 800 € gezahlt hat, hat er durch die Tat etwas erlangt. Insoweit ist der Wert dieser Taterträge gemäß §§ 73, 73c StGB einzuziehen.

b) Die Einziehung eines darüber hinausgehenden Betrages in Höhe von 937,42 € wird von den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Urteils nicht gedeckt. Die Kaution, die der Angeklagte ebenfalls nur zu einem Bruchteil gezahlt hatte, stellt keinen finanziellen Gegenwert für die Nutzung der Wohnung dar. Sie dient allein der Sicherung künftiger Ansprüche des Vermieters aus dem Mietverhältnis und dessen Abwicklung (Hau/Poseck/Zehelein in BeckOK BGB, 64. Ed., § 535 Rn. 181). Zwar kann ein Vermieter auf Zahlung der Kaution klagen, solange ein Sicherungsbedürfnis besteht (Hau/Poseck/Wiederhold in BeckOK BGB 64. Ed., § 551 Rn. 37). Nach Beendigung des Mietverhältnisses ist sie aber grundsätzlich zurückzuzahlen. Dem Angeklagten ist daher durch die Tat kein Vermögenswert in Höhe des nicht gezahlten Kautionsbetrages zugeflossen.

2. Darüber hinaus war die gesamtschuldnerische Haftung des Angeklagten anzuordnen.

Nach den Feststellungen haben der Angeklagte und seine gesondert verfolgte Ehefrau die Nutzungsmöglichkeit der Wohnung gemeinsam erlangt. Soweit die Strafkammer nicht aufzuklären vermochte, ob die Ehefrau von Anfang an in der Absicht handelte, sich in Höhe ersparter Mietzahlungen zu bereichern, konnte sie die Entscheidung über die Gesamtschuldnerschaft nicht durch den Zusatz „ggf.“ im Tenor offen lassen. Es ist vielmehr eine eindeutige Aufnahme einer gesamtschuldnerischen Haftung in den Tenor erforderlich, weil der Staat durch die Anordnung der Wertersatzeinziehung nicht nur einen Zahlungsanspruch erwirbt, sondern diesen gemäß § 459g Abs. 2 StPO vollstrecken kann (BGH, Beschlüsse vom 23.11.2011 – 4 StR 516/11, NStZ 2012, 382, 383; vom 12.03.2018 – 4 StR 57/18, juris Rn. 3).

3. Der Senat ändert den Einziehungsausspruch in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO selbst. Durch die Reduzierung des Einziehungsbetrags ist jede Beschwer des Angeklagten ausgeschlossen. Auch die Anordnung der gesamtschuldnerischen Haftung beschwert den Angeklagten nicht. Sie begründet zudem weder einen Anspruch des Fiskus gegen die gesondert Verfolgte noch begünstigt sie diese oder den Angeklagten. Die Kennzeichnung als Gesamtschuld hat vornehmlich Warnfunktion für die staatlichen Vollstreckungsbehörden, Einziehungsbeträge nicht mehrfach zu vollstrecken. Sofern tatsächlich keine Ansprüche gegen andere Personen bestehen sollten, geht die Feststellung der gesamtschuldnerischen Haftung ins Leere (BGH, Urteil vom 28.07.2021 – 1 StR 519/20, juris Rn. 142; BGH, Beschluss vom 23.11.2011 – 4 StR 516/11, NStZ 2012, 382, 383). Der namentlichen Benennung des anderen Gesamtschuldners in der Beschlussformel bedarf es nicht (BGH, Beschlüsse vom 06.09.2022 – 3 StR 241/22, juris Rn. 4; vom 07.06.2022 – 4 StR 31/22, juris Rn. 3; jeweils mwN).“

Einziehung II: Einziehung eines Erbbaurechts, oder: Das Erbbaurecht als Tatmittel in einem „Plantagenfall“

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Im zweiten Posting komme ich dann noch einmal auf den BGH, Beschl. v. 24.11.2022 – 4 StR 263/22– zurück. Den hatte ich ja schon vorgestellt wegen der verfahrensrechtlichen Fragen, nämlich: Ablehnung eines Beweisantrages auf Vernehmung eines sog. Auslandszeugen (vgl. StPO II: BGH zur Vernehmung eines Auslandszeugen, oder: Beweisantrag zur Erforschung der Wahrheit?). Der Schluss behandelt aber auch eine materiell-rechtliche Frage in Zusammenhang mit der Einziehung eines Erbbaurechts.

Zunächst zur Erinnerungs noch einmal der Sachverhalt der Entscheidung: Das LG hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und seine Ehefrau wegen Beihilfe verurteilt. Nach den Feststellungen des LG hatte die Ehefrau ein Erbbaurecht an einer unbewohnten Doppelhaushälfte erworben, damit ihr Ehemann dort in Absprache mit ihr eine Cannabisplantage anlegen konnte. Durch zwei Ernten habe der Ehemann insgesamt 279.000 EUR eingenommen. Die Revision der Angeklagten hatte mit der Verfahrensrüge Erfolg (dazu StPO II: BGH zur Vernehmung eines Auslandszeugen, oder: Beweisantrag zur Erforschung der Wahrheit?.

Das LG hatte aber (auch) das Erbbaurecht als Tatmittel eingezogen. Auch dazu hat der BGH Stellung genommen. Iinsoweit hatte die Revision keinen Erfolg.

Die Einziehung des der angeklagten Ehefrau zustehenden Erbbaurechts als Tatmittel sei – so der BGH – aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Das LG habe die Einziehung rechtsfehlerfrei auf § 74 Abs. 1 StGB gestützt:

„1. Das Erbbaurecht als Recht an einem Grundstück (vgl. näher zu seiner Rechtsnatur OLG München, Beschluss vom 30. August 2018 – 34 Wx 67/18, FGPrax 2019, 6; Heinemann in MüKo-BGB, 8. Aufl., § 1 ErbbauRG Rn. 4 f.; Ingenstau/Hustedt, ErbbauRG, 12. Aufl., § 1 Rn. 5 ff., § 12 Rn. 3 ff.; Nagel, ErbbauRG, 1. Aufl., § 1 Rn. 108 ff., § 12 Rn. 6 ff.), ist ein taugliches Einziehungsobjekt. Denn als Gegenstände im Sinne des § 74 Abs. 1 StGB können außer Sachen, deren Einziehung Volleigentum des Täters oder Teilnehmers an ihnen voraussetzt (vgl. § 74 Abs. 3 StGB: „gehören“; bereits zu § 40 Abs. 2 Nr. 1 aF BGH, Beschluss vom 28. September 1971 – 1 StR 261/71, BGHSt 24, 222, 225; vgl. auch Lohse in LK-StGB, 13. Aufl., § 74 Rn. 31 ff. mwN, auch zur Gegenauffassung), auch Rechte eingezogen werden, wie sich aus dem systematischen Zusammenhang der Vorschrift (vgl. § 74 Abs. 3 StGB: „zustehen“, § 75 Abs. 1 StGB) und ihrer Entstehungsgeschichte (vgl. BT-Drucks. V/1319, S. 53 zu § 40 StGB aF; ausführlich Lohse in LK-StGB, 13. Aufl., vor § 73 Rn. 4 ff.) ergibt (st. Rspr.; vgl. zuletzt BGH, Beschluss vom 9. März 2021 – 6 StR 48/21).

2. Das Erbbaurecht ist zur Begehung der Tat, an der die Angeklagte L.   K.       beteiligt war, gebraucht worden und damit Tatmittel im Sinne des § 74 Abs. 1 StGB.

a) Zur Begehung einer Tat gebraucht worden oder bestimmt gewesen ist allerdings nicht jeder Gegenstand, der zu der Tat irgendeine räumliche oder zeitliche Verbindung hat. Die Benutzung eines Gegenstandes nur bei Gelegenheit der Begehung einer Straftat reicht nicht aus. Erforderlich ist darüber hinaus, dass sein Gebrauch gezielt die Verwirklichung des deliktischen Vorhabens fördert bzw. nach der Planung des Täters fördern soll (BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2004 – 2 StR 362/04; Beschluss vom 9. Juli 2002 – 3 StR 165/02; vgl. Heine in SSW-StGB, 5. Aufl., § 74 Rn. 79; Burr, NStZ 2006, 226, 227). Diese Voraussetzung wird zunächst – in tatsächlicher Hinsicht – durch das Haus ebenso wie durch das – allerdings nicht im Eigentum der Angeklagten stehende – Grundstück erfüllt, da es ausschließlich zum Betrieb der Cannabis-Plantage vorgesehen war und der Tatplan des Indoor-Anbaus von Cannabis nur in geeigneten Räumen umgesetzt werden konnte (vgl. zur Einziehung von Grundstücken, auf denen Cannabis-Plantagen errichtet worden sind, bereits BGH, Beschluss vom 9. Oktober 2018 – 4 StR 318/18; Beschluss vom 31. März 2016 – 2 StR 243/15; anders OLG Köln, Beschluss vom 16. September 2005 – 2 Ws 336/05, NStZ 2006, 225 zur Einziehung eines Grundstücks, das zur Veranstaltung unerlaubter Glücksspiele genutzt worden ist).

b) Das Landgericht hat dennoch zutreffend nicht das Haus als Sache eingezogen. Dieses steht zwar im Eigentum der Angeklagten L.    K.      als Erbbauberechtigter an dem Grundstück, und zwar nach der im Schrifttum ganz überwiegend vertretenen Auffassung selbst dann, wenn das Gebäude schon vor der Entstehung des Erbbaurechts errichtet worden sein sollte (vgl. nur Heinemann in MüKo-BGB, 8. Aufl., § 12 ErbbauRG Rn. 7; Rapp in Staudinger, BGB, Neubearb. 2017, § 12 ErbbauRG Rn. 11, jew. mwN). Es unterliegt gleichwohl nicht der Sacheinziehung. Denn das Gebäude ist gemäß § 12 Abs. 1 ErbbauRG wesentlicher Bestandteil des Erbbaurechts und daher nicht sonderrechtsfähig, so dass eine gesonderte Übertragung des Eigentums an ihm und damit auch ein Übergang desselben auf den Staat nach § 75 Abs. 1 StGB nicht möglich ist (vgl. Heinemann, aaO).

c) Zu Recht hat das Landgericht daher stattdessen das Erbbaurecht der Angeklagten an dem Grundstück eingezogen. Denn das für die Cannabis-Plantage benutzte Haus war infolge seiner Eigenschaft als wesentlicher Bestandteil des Erbbaurechts so eng mit diesem verknüpft, dass sich der Gebrauch des Hauses zugleich als Gebrauch des Erbbaurechts im Sinne von § 74 Abs. 1 StGB darstellte.

aa) Der diesem Ergebnis entgegenstehenden Auffassung, Tatobjekt sei bei tatsächlichem Einsatz einer Sache allein diese selbst und nicht ein an ihr bestehendes Recht (vgl. in diesem Sinn zum Anwartschaftsrecht Meyer, JR 1972, 385, 386 [krit. Anm. zu BGH, Beschluss vom 28. September 1971 – 1 StR 261/71, BGHSt 24, 222]; Saliger in NK-StGB, 5. Aufl., § 74 Rn. 25) – hier also außer dem rechtlich unselbständigen Gebäude allenfalls noch das Grundstück, welches aber im Eigentum eines tatunbeteiligten Dritten steht (§ 74 Abs. 3 StGB) ?, vermag der Senat nicht zu folgen. Es entspricht vielmehr der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, von der abzuweichen kein Anlass besteht, dass jedenfalls solche dinglichen Rechte, die an der zur Tatbegehung (körperlich) verwendeten Sache bestehen und dabei dem Volleigentum (§ 903 BGB) rechtlich angenähert sind, statt der Sache als Tatobjekte eingezogen werden können (vgl. zum Anwartschaftsrechts an einer beweglichen Sache BGH, Urteil vom 24. August 1972 – 4 StR 308/72, BGHSt 25, 10, 11 f. [zu § 40 StGB aF]; Urteil vom 27. August 1998 – 4 StR 307/98, NStZ-RR 1999, 11; zum Miteigentumsanteil BGH, Beschluss vom 28. Mai 1991 – 1 StR 731/90, NStZ 1991, 496; vgl. auch OLG Karlsruhe, Beschluss vom 19. Oktober 1973 – 1 Ws 177/73, NJW 1974, 709, 711 [zu § 40a StGB aF]). Die Rechtfertigung hierfür liegt darin, dass derartige Rechte ihrem Inhaber eine Herrschaft über die Sache vermitteln, die derjenigen des Eigentümers – jedenfalls im Hinblick auf die Möglichkeit des deliktischen Einsatzes der Sache – nicht wesentlich nachsteht. Infolgedessen bildet eine solche Rechtsposition des Täters oder Teilnehmers an der Sache mit dieser eine dem Volleigentum angenäherte „innere Einheit“, die sich einziehungsrechtlich dahin auswirkt, dass neben der tatsächlich für die Tatbegehung gebrauchten Sache auch das an ihr bestehende Recht als tatverstrickt anzusehen ist (so [zum Miteigentum] OLG Karlsruhe, aaO; K. Schäfer in FS Dreher, 1977, S. 283, 303 [zum Anwartschaftsrecht]).

bb) Das Erbbaurecht der Angeklagten an dem Grundstück, auf welchem das Plantagengebäude steht, ist ein derartiges Recht. Es steht rechtlich der Sache selbst, d.h. dem Volleigentum an dem Grundstück, in sehr weitem Umfang gleich (§ 11 Abs. 1 ErbbauRG) und wird daher zutreffend als grundstücksgleiches Recht, gar als Grundstück im Rechtssinne, qualifiziert (vgl. Toussaint in BeckOGK-BGB, Stand 1. September 2022, § 1 ErbbauRG Rn. 73; Rapp in Staudinger, BGB, Neubearb. 2017, § 11 ErbbauRG Rn. 2). Gerade in der typischen und auch hier gegebenen Fallgestaltung, in der das Erbbaurecht an einem bebauten Grundstück besteht, vermittelt es dem Berechtigten, der gleichzeitig Eigentümer des Gebäudes ist, eine (bezüglich des deliktischen Gebrauchs) dem Eigentümer des Grundstücks wenigstens nicht unterlegene Herrschaftsgewalt an demselben. Es wäre daher auch wertungsmäßig nicht einzusehen, einen Erbbauberechtigten gegenüber einem dieselbe Sache für eine Straftat gebrauchenden Volleigentümer zu privilegieren, indem jenem sein Recht belassen, es diesem aber entzogen würde (so – zum Anwartschaftsrecht – bereits BGH, Urteil vom 24. August 1972 – 4 StR 308/72, BGHSt 25, 10, 12).

3. Das Landgericht hat auch sein Ermessen ausgeübt und die Verhältnismäßigkeit der Einziehung gemäß § 74f Abs. 1 StGB rechtsfehlerfrei bejaht.“