Archiv für den Monat: Mai 2021

Strafzumessung III: Geschätze Vermögensverhältnisse, oder: Bitte doch die BaFin um Hilfe/Auskunft

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Und als dritte Entscheidung stelle ich dann zum Tagesschluss noch den OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27.04.2021 – 2 RVs 11/21 – vor.Verurteilt worden isz der Angeklagte wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 25 EUR. Auf die Sprungrevision des Angeklagten hat das OLG im Strafausspruch aufgehoben:

„Das Amtsgericht hat eine Tagessatzhöhe von 25 Euro zugrunde gelegt, ohne Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Angeklagten, der hierzu keine Angaben gemacht hat, zu treffen. Es kann nicht nachvollzogen werden, wie das Amtsgericht diesen Betrag ermittelt hat.

Zwar können die Einkünfte des Angeklagten, sein Vermögen und andere Grundlagen für die Bemessung eines Tagessatzes geschätzt werden (§ 40 Abs. 3 StGB). Jedoch setzt eine Schätzung die konkrete Feststellung der Schätzungsgrundlagen und deren überprüfbare Darstellung in den Urteilsgründen voraus (vgl. BVerfG NStZ-RR 2015, 335; OLG Hamm StraFo 2001, 19; KG Berlin BeckRS 2016, 2914; OLG Zweibrücken ZfSch 2017, 649). Daran fehlt es hier. Soweit der Angeklagte im Urteilsrubrum als „Selbständiger“ bezeichnet worden ist, kommt dem schon mangels Angabe des Berufszweiges keine Aussagekraft zu. Auch ist nicht ersichtlich, worauf diese berufliche Einordnung beruht. Abgesehen davon sind Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Angeklagten in den Urteilsgründen zu treffen.

Da es sich bei der Bestimmung der Tagessatzhöhe um einen abtrennbaren Teil des Strafausspruchs handelt, führt der Rechtsfehler nur insoweit zur Urteilsaufhebung und Zurückverweisung (vgl. BGH NStZ 1986, 547; BeckOK StPO/Wiedner, 39. Edition 2021, § 353 Rdn. 23).“

Insoweit nichts Weltbewegend Neues aus dem Rheinland. Aber: Interessant dann die „Handreichungen“ des OLG zur „Vorbereitung der neuen Hauptverhandlung“. Da zeigt das OLG dem AG einen Weg, weist der Senat auf Folgendes hin:

„Zur Aufklärung der wirtschaftlichen Verhältnisse eines Angeklagten, der hierzu keine Angaben macht, können in zwei Schritten Finanzermittlungen durchgeführt werden.

Zunächst kann die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) um Auskunft über die Kontostammdaten des Angeklagten ersucht werden (§ 24c Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 KWG). Ein solches Auskunftsersuchen ist nicht an eine bestimmte Schwere der zu verfolgenden Straftat gebunden und auch in Fällen nur leichter Kriminalität zulässig (vgl. OLG Stuttgart NStZ 2016, 48; BeckOK StPO/Sackreuther, 39. Edition 2021, § 161 Rdn. 5; Erb in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl. 2018, § 161 Rdn. 39). Denn der Gesetzgeber hat davon abgesehen, die durch § 24c Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 KWG eröffnete Auskunftsmöglichkeit auf bestimmte Katalogtaten zu beschränken. Vielmehr gelten die allgemeinen Regeln der §§ 152 Abs. 2, 160 StPO. Danach genügen zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Straftat (vgl. BT-Drucksache 14/8017, S. 123).

Das Auskunftsersuchen kann nach Anklageerhebung durch das mit der Sache befasste Gericht gestellt werden (vgl. BGH NJW 1981, 1052; OLG Stuttgart NStZ 2016, 48).

Nach Erhalt der Auskunft zu den Kontostammdaten können die betreffenden Kreditinstitute um Auskunft zu den dort geführten Konten des Angeklagten ersucht werden. Dies geschieht in der Praxis in der Weise, dass die Kreditinstitute in dem Auskunftsersuchen darauf hingewiesen werden, dass durch die Erteilung einer schriftlichen Auskunft (nebst Übersendung von Ablichtungen der zugehörigen Unterlagen) die Durchsuchung der Geschäftsräume oder die Zeugenvernehmung von Mitarbeitern abgewendet werden kann.

Um einen aussagekräftigen Überblick über die Einkünfte des Angeklagten zu erhalten, sollte sich die Auskunft zu Girokonten auf die Buchungen ca. des letzten Jahres erstrecken.

Die Auskunftsersuchen an die BaFin und die kontoführenden Kreditinstitute wären verhältnismäßig. Andere hinreichenden Erfolg versprechende Ermittlungsmaßnahmen stehen hier nicht zur Verfügung. So scheidet bei einem beruflich Selbständigen eine Befragung des Arbeitgebers zu Lohn- und Gehaltszahlungen aus.

Die Finanzermittlungen wären entbehrlich, wenn der Angeklagte rechtzeitig vor der neuen Hauptverhandlung schriftsätzlich konkrete Angaben zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen machen würde.“

Der letzte Satz musste m.E. nicht sein. Der Angeklagte wird die „Drohkulisse“ auch so verstanden haben.

Strafzumessung II: Mehrere Missbrauchstaten, oder: Die seelischen Schäden des geschädigten Kindes

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Die zweite Entscheidung, der BGH, Beschl. v. 08.10.2020 – 6 StR 307/20 – ist dann schon etwas älter. Gegenstand der Entscheidung ist ein Urteil des LG Rostock, durch das der Angeklagte wegen Missbrauchstaten nach § 176a StGB zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt worden ist. Dagegen die Revision, die hinsichtlich der Strafausspruchs Erfolg hatte:

„1. Der Strafausspruch hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Zwar nimmt der Senat die Ausführungen der Strafkammer zum Nichtvorliegen des minder schweren Falls noch hin. Durchgreifend rechtsfehlerhaft ist aber, dass die Strafkammer strafschärfend gewertet hat, es könne „nicht ausgeschlossen werden, dass das geschädigte Kind infolge der sexuellen Übergriffe seelische Schäden erlitten hat“. Diese Ausführungen lassen besorgen, dass die Strafkammer den Zweifelssatz nicht beachtet hat, der uneingeschränkt auch für strafzumessungsrelevante Tatsachen gilt. Kann das Gericht keine sicheren Feststellungen über die Folgen der Tat treffen, darf sich dies nicht zulasten des Angeklagten auswirken (vgl. BGH, Beschlüsse vom 30. Juli 2019 – 4 StR 194/19 , NStZ 2020, 345; vom 20. August 2003 – 2 StR 285/03 , NStZ-RR 2004, 41, 42).

2. Der Senat kann nicht völlig ausschließen, dass die ohnehin sehr milden Strafen von dem aufgezeigten Rechtsfehler beeinflusst worden sind. ….. „

Strafzumessung I: Körperverletzung mit Todesfolge, oder: Direkter Vorsatz strafschärfend?

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Ich habe seit längerem keine Strafzumessungsentscheidungen mehr vorgestellt. Heute kommen dann mal wieder drei.

Und an erster Stelle steht der BGH, Beschl. v. 24.03.2021 – 4 StR 20/21. Das LG hat den Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt. Dagegen die Revision, die hinsichtlich des Strafausspruchs Erfolg hatte:

„Der Strafausspruch hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

Das Landgericht hat bei der Strafrahmenwahl und der Strafzumessung im engeren Sinne isoliert strafschärfend gewertet, dass der Angeklagte „mit direktem Vorsatz“ handelte. Der Tatbestand der Körperverletzung mit Todesfolge (§§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1, 227 StGB) setzt vorsätzliches Handeln im Hinblick auf die Verwirklichung des Grundtatbestandes der Körperverletzung voraus. Die isolierte strafschärfende Wertung von dolus directus (Wissentlichkeit) verstößt ungeachtet der Frage, ob direkt vorsätzliches Handeln als (normativer) Regelfall (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. Oktober 2015 – 5 StR 355/15, NStZ-RR 2016, 8; vom 1. Dezember 1989 – 2 StR 555/89, BGHR StGB § 46 Abs. 3 Tötungsvorsatz 3; jeweils für § 212 StGB; ablehnend BGH, Beschluss vom 7. Juni 2017 – 4 ARs 22/16, NStZ-RR 2017, 238) oder als typischer Fall der Tatbestandsverwirklichung (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. April 1987 – GSSt 1/86, BGHSt 34, 345, 351; vom 25. Februar 1997 – 4 StR 409/96 Rn. 8; vom 23. Oktober 1992 – 2 StR 483/92, StV 1993, 72 und vom 8. Februar 1978 – 3 StR 425/77 Rn. 3) anzusehen ist, gegen § 46 Abs. 3 StGB (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2015 – 5 StR 355/15, NStZ-RR 2016, 8; Urteil vom 14. August 2008 – 4 StR 223/08, NStZ 2008, 624 und Beschluss vom 17. September 1990 – 3 StR 313/90, BGHR StGB § 46 Abs. 3 Tötungsvorsatz 4).

Auch unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs der Urteilsgründe vermag der Senat die im Rahmen der Strafzumessung im engeren Sinne isoliert hervorgehobene strafschärfende Erwägung, dass der Angeklagte die Körperverletzungshandlung – das heftige Schütteln des Säuglings – mit direktem Vorsatz beging, nicht dahin zu verstehen, dass das Tatgericht mit dieser Wendung lediglich die konkrete Tatausführung näher umschrieben hat.

Der Senat vermag ein Beruhen des Strafausspruchs auf diesem Rechtsfehler nicht auszuschließen.“

StPO III: Wenn vom AG an das LG verwiesen wird, oder: In der Regel Bindungswirkung

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Und zum Tagesschluss dann noch der OLG Hamm, Beschl. v. 16.03.2021 – 4 (s) Sbd I – 3/21 – zur Bindungswirkung einer Verweisung nach § 270 StPO vom AG an das LG.

Das AG hatte an das LG verwiesen, weil es in einem bei ihm anhängigen Verfahren von einem versuchten Tötungsdelikt ausgegangen ist. Dabei bleibt es – sagt das OLG:

„2. Das Landgericht – Jugendkammer – Essen ist für die Verhandlung und Entscheidung der vorliegenden Sache zuständig.

a) Das Landgericht Essen ist aufgrund des Verweisungsbeschlusses des Amtsgerichts Bottrop nach § 270 StPO zuständig, da die Sache aufgrund des Beschlusses unmittelbar bei ihm rechtshängig geworden ist und es daher an diesen gebunden ist (zu vgl. Senatsbeschluss vom 23.02.2017 – 4 (s) Sbd I – 1/17 m.w.N.).

b) Die Bindungswirkung entfällt nicht bei formeller oder materieller Fehlerhaftigkeit des Verweisungsbeschlusses, sondern erst dann, wenn der Verweisungsbeschluss willkürlich ist, also die Verweisung mit Grundsätzen rechtsstaatlicher Ordnung, insbesondere dem des gesetzlichen Richters, in offensichtlichem Widerspruch steht, d.h., wenn sie widersprüchlich, unverständlich oder offensichtlich unhaltbar ist (zu vgl. BGH, Beschluss vom 19. Februar 2009 – 3 StR 439/08 -, m.w.N., zitiert nach juris). Die Willkür kann insbesondere darin begründet liegen, dass das verweisende Gericht die Bedeutung und Tragweite der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des gesetzlichen Richters grundlegend verkannt hat oder wenn das Gericht die Sache ohne Vernehmung des Angeklagten und Beweisaufnahme – also bei gegenüber dem Eröffnungszeitpunkt unverändertem Tatsachen stand – verweist und es sich nicht um einen Fall der sog. „korrigierenden Verweisung“ handelt (zu vgl. Senatsbeschluss vom 23.02.2017 – 4 (s) Sbd I – 1/17 m.w.N.). Ein solcher Verstoß gegen das Willkürverbot liegt bei gerichtlichen Entscheidungen nicht schon dann vor, wenn die Rechtsanwendung Fehler enthält, sondern erst dann, wenn die Entscheidung bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht (zu vgl. BVerfG Beschl. v. 23.3.2020 – 2 BvR 1615/16, BeckRS 2020, 7407 Rn. 43, beck-online).

c) Die vom Amtsgericht Bottrop ausgesprochene Verweisung kann unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe nicht als willkürlich angesehen werden, da die Umstände, die die Annahme eines versuchten Tötungsdeliktes und damit die Zuständigkeit des Landgerichts nach § 41 Abs. 1 Nr. 1 JGG i.V.m. § 74 Abs. 2 GVG begründen können, von ihm nicht lediglich vermutet werden.

Das Amtsgericht ist nach durchgeführter Beweisaufnahme insbesondere nach der Vernehmung des Geschädigten D zu der Erkenntnis gelangt, dass im Hinblick auf die Gefährlichkeit der Gewaltanwendung – die objektiv durch die eingetretene Schädelfraktur belegt wird – ein mindestens bedingter Tötungsvorsatz anzunehmen ist. Bedingt vorsätzlich handelt, wer den Eintritt des Todes als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und dies billigt oder sich um des erstrebten Ziels Willen zumindest mit dem Eintritt des Todes abfindet (Willenselement), mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein (zu vgl. BGH, Urteil vom 15.01.2020 – 2 StR 304/19, beck-online; BGH, Beschluss vom 30. Juli 2019 – 2 StR 122/19, juris Rn. 15; Urteil vom 24. April 2019 – 2 StR 377/18, juris Rn. 11; BGH, Urteile vom 27. Juli 2017 – 3 StR 172/17, NStZ 2018, 37; vom 11. Oktober 2016 – 1 StR 248/16, NStZ 2017, 25; vom 14. August 2014 – 4 StR 163/14, NStZ 2015, 266, 267, jew. mwN). Gemessen an diesen Maßstäben, erweist sich die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes nach der begonnenen Beweisaufnahme unter Berücksichtigung des persönlichen Eindrucks des Geschädigten nicht als bloße Vermutung.

Soweit das Amtsgericht zudem aufgrund der Angaben des Zeugen D zu der Erkenntnis gelangt ist, ein strafbefreiender Rücktritt sei aufgrund des Eintreffens der Polizei nicht mehr möglich gewesen, so stellt dies gleichsam eine auf sachfremden Erwägungen beruhende Annahme nicht dar. Verfestigt sich in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht der hinreichende Tatverdacht eines in die Zuständigkeit des Landgerichts fallenden Verbrechens, so ist die Sache an die zuständige Schwurgerichts bzw. Jugendkammer zu verweisen (zu vgl. OLG Oldenburg, Urteil vom 26.02.1996, – Ss 486/95, Beck online).“

Diesen zutreffenden Ausführungen schließt der Senat sich nach eigener Prüfung an.“

 

StPO II: Anfangsverdacht im „KiPo-Verfahren“?, oder: Reichen Nacktbilder auf dem Smartphone?

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Die zweite Entscheidung zur StPO kommt dann heute vom LG Duisburg. Das hat im LG Duisburg, Beschl. v. 16.04.2021 – 36 Qs 24/21 – zur Rechtmäßigkeit einer Durchsuchung in einem sog. „KiPo-Verfahren“ Stellung genommen.

Beim Beschuldigten war durchsucht worden. Der Durchsuchungsanordnung lag die Strafanzeige einer Ladenbesitzerin zugrunde, die in Minden im Jahr 2019 ein Geschäft für Gebrauchtwaren betrieben hat. Diese kannte den Beschuldigten als Stammkunden. Sie gab bei der Anzeigeerstattung im November 2019 an, der Beschuldigte habe ihr Anfang Mai 2019 Urlaubsfotos zeigen wollen. Dabei habe er versehentlich eine falsche Datei auf seinem Smartphone angeklickt. Die Zeugin habe so sehen können, dass der Beschuldigte Bilder von nackten Jungen auf seinem Telefon gespeichert habe. Das Alter dieser nackten Jungen schätzte sie auf ca. 7 bis 10 Jahre. Sexuelle Handlungen habe sie nicht sehen können. Weitere Angaben dazu, was genau auf den Fotos zu sehen war, machte sie nicht. Der Beschuldigte sei auch nachdem er bemerkt habe, dass er offensichtlich den falschen Ordner geöffnet hatte, ganz ruhig geblieben und habe sich „nichts anmerken lassen“. Dieser Vorfall habe sie in der Folge länger beschäftigt. Sie habe sich jedoch erst jetzt — sechs Monate später — aufgrund der in der Presse publizierten Vorfälle von Kinderpornographie entschlossen, zur Polizei zu gehen.

Auf dieser Grundlage hat das AG die Durchsuchung angeordnet, und zwar irrtümlich zunächst bei einem Cousin des Beschuldigten und dann bei ihm. Beweismittel wurden nicht gefunden.

Die Beschwerde des Beschuldigten mit dem Rechtsschutzziel der Feststellung der Rechtswidrigkeit der richterlichen Durchsuchungsanordnung hatte Erfolg:

„2. Die Beschwerde ist auch begründet. Die Voraussetzungen für eine richterliche Durchsuchungsanordnung waren nicht gegeben.

Für die Zulässigkeit einer regelmäßig in einem frühen Stadium der Ermittlung in Betracht kommenden Durchsuchung gemäß § 102 StPO reicht der auf bestimmte tatsächliche Anhaltspunkte gestützte konkrete Verdacht aus, dass eine Straftat begangen worden ist und der Verdächtige als Täter oder Teilnehmer in Betracht kommt (BGH, Beschluss vom 13. Oktober 1999, Az. StB 7/99, StB 8/99; zitiert nach juris; Köhler in Meyer-Goßner/Schmitt, 62. Auflage [2019], § 102, Rn. 2). Ein erhöhter Verdachtsgrad ist nicht erforderlich. Mit der Garantie der Unverletzlichkeit der Wohnung durch Artikel 13 Abs. 1 GG erfährt die räumlichen Lebenssphäre des Einzelnen allerdings einen besonderen grundrechtlichen Schutz. Das Gewicht des Eingriffs verlangt daher Verdachtsgründe, die über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen (BVerfG, Beschluss vom 13. März 2014, Az. 2 BvR 974/12; zitiert nach juris).

Im vorliegenden Fall fehlt es jedoch bereits an tatsächlichen Anhaltspunkten für einen solchen konkreten Verdacht, dass eine Straftat, etwa der Besitz von kinderpornographischen Inhalten gemäß § 184 b Abs. 3 StGB, begangen worden ist. Lediglich die Tatsache, dass der Beschuldigte Fotos von nackten Jungen auf seinem Smartphone gespeichert hat, reicht hierfür nicht aus, zumal sexuelle Handlungen offenbar auch nicht zu sehen waren. Ob ein Fall des sog. „Posens“ gem. § 184 b Abs. 1 Nr. 1b) StGB vorliegt oder eine sexuell aufreizende Wiedergabe der unbekleideten Genitalien eines Kindes gemäß § 184 b Abs. 1 Nr. 1 lit. c) StGB kann anhand der rudimentären Angaben der Zeugin nicht beurteilt werden.

Ein Anfangsverdacht kann zwar grundsätzlich auch aus legalem Verhalten erwachsen, falls weitere Umstände hinzutreten (BVerfG, Beschluss vom 15. August 2014, Az. 2 13vR 969/14, Rn. 38 m.w.N.; LG Regensburg, Beschluss vom 10. Oktober 2014, Az. 2 Qs 41/14; alle zitiert nach juris; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, 62. Auflage [2019], § 152, Rn. 4a). Ein solcher Umstand kann unter anderem in einem kriminalistischen Erfahrungssatz liegen. Erforderlich ist jedoch insoweit, dass der kriminalistische Erfahrungssatz im Rahmen des Ermittlungsverfahrens bezogen auf das jeweilige Delikt hinreichend konkretisiert ist —sei es durch die eigene forensische Erfahrung der Kammer oder durch sich aus den Ermittlungen ergebene Umständen (LG Limburg, Beschluss vom 3. Februar 2015, Az. 1 QS 160/14, Rn. 9; zitiert nach juris).

Aber auch solche weiteren Umstände sind vorliegend nicht ersichtlich. Der Beschuldigte hat auf die — vermeintlich ungewollte — Offenbarung der Fotos gegenüber der Zeugin nicht auffällig reagiert. Vielmehr teilte die Zeugin mit, der Beschuldigte habe sich „nichts anmerken lassen“ und sei ganz ruhig geblieben.

Unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes wären auch vor dem Hintergrund der zwischen „Entdeckung“ der Fotos auf dem Smartphone des Beschuldigten und der mit der Beschwerde angegriffenen Durchsuchungsanordnung liegenden beträchtlichen Zeitspanne noch andere, weniger einschneidende — den Ermittlungszweck auch nicht gefährdende — Maßnahmen zur Erhärtung bzw. zum Erreichen eines höheren Verdachtsgrades zu ergreifen gewesen (siehe dazu BVerfG 11. Februar 2015, Az. 2 BvR 1694/14, Rn. 23; zitiert nach juris). So wäre eine Nachvernehmung der Zeugin denkbar gewesen über den genauen Inhalt und die Anzahl der fraglichen Fotos oder die Einholung behördlicher Auskünfte zu den persönlichen Verhältnissen des Beschuldigten.“