Archiv für den Monat: Februar 2020

Pflichti III: Pflichtverteidiger für einen Mitangeklagten, oder: Dagegen kann man sich nicht beschweren

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Und als letzte Entscheidung dann noch einmal einen Beschluss vom KG, das allmählich aus seinem „Internetschlaf“ erwacht. Entschieden hat das KG im KG, Beschl. v. 01.11.2019 – 2 Ws 165/19 – über die Beschwerde gegen die einen anderen Angeklagten betreffende Pflichtverteidigerbestellung. Das KG hat die Beschwerde als unzulässig angesehen:

„Gegen den Beschwerdeführer und sieben weitere Angeklagte wird derzeit vor dem Landgericht Berlin ein Verfahren wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln u. a. geführt.

Mit Schriftsatz vom 28. August 2019 beantragte der Verteidiger des rechtsmittelführenden Angeklagten B in der Hauptverhandlung unter anderem, die Bestellung der Pflichtverteidigerin des Mitangeklagten A, Rechtsanwältin C, aufzuheben. Zur Begründung führte er im Wesentlichen an, dass der im Ruhestand befindliche Oberstaatsanwalt D nach seinem Ausscheiden aus der Staatsanwaltschaft Berlin nunmehr als Rechtsanwalt in Bürogemeinschaft mit Rechtsanwältin C tätig sei. Eine Weiterführung der Verteidigung durch Rechtsanwältin C sei daher wegen Verstoßes gegen § 3 der Berufsordnung für Rechtsanwälte (BORA) ausgeschlossen.

Mit dem angegriffenen Beschluss hat die Vorsitzende der großen Strafkammer diesen Antrag zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Beschwerdeführer mit seinem Rechtsmittel.

II.

Die Beschwerde ist nach § 304 Abs. 1 StPO statthaft und insbesondere nicht durch § 305 Satz 1 StPO ausgeschlossen. Ebenso wie die Ablehnung der Bestellung eines Verteidigers (vgl. OLG Hamburg StraFo 2000, 383; OLG Brandenburg OLG-NL 2003, 261; Senat, Beschluss vom 28. Juni 2019 – 2 Ws 102/19 –, BeckRS 2019, 1954) entfaltet auch deren Aufrechterhaltung Rechtswirkungen, die über die bloße Vorbereitung des späteren Urteils hinausgehen.

Gleichwohl ist die Beschwerde unzulässig.

Es ist in der höchstrichterlichen und obergerichtlichen Rechtsprechung geklärt, dass Zulässigkeitsvoraussetzung eines jeden Rechtsmittels eine Beschwer ist (vgl. BGHSt 16, 374; 18, 327; Senat, Beschluss vom 24. September 2018 – 2 Ws 184/18 – mwN). Diese muss in einer unmittelbaren Beeinträchtigung der Rechte oder der schutzwürdigen Interessen des Beschwerdeführers bestehen (vgl. Zabeck in Karlsruher Kommentar, StPO 8. Aufl., § 304 Rn. 32; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 62. Aufl., vor § 296 Rn. 8, 9 mwN). Das Interesse der Allgemeinheit an einer gesetzmäßigen Rechtsprechung und inhaltlich richtigen Entscheidungen kann demgegenüber nur die Staatsanwaltschaft im Rechtsmittelwege durchsetzen (vgl. Jesse in Löwe-Rosenberg, StPO 26. Aufl., vor § 296 Rn. 51, 53).

Nach diesen Maßstäben ist eine unmittelbare Beeinträchtigung spezifischer Rechtspositionen des Beschwerdeführers nicht erkennbar.

Die verhandlungsstrategische Besserstellung anderer Verfahrensbeteiligter durch anwaltliche Vertretung ist vom Angeklagten grundsätzlich hinzunehmen. Dies gilt nicht nur für die Heranziehung von Nebenklägervertretern (vgl. hierzu: OLG Hamm, Beschlüsse vom 7. Februar 2006 – 4 Ws 48/06 – und vom 20. November 2007 – 3 Ws 656/07 –, juris; Kammergericht, Beschluss vom 19. Oktober 2016 – 3 Ws 548/16 –; Senat, Beschluss vom 24. September 2018 – 2 Ws 184/18 –), sondern ebenso für die Bestellung von Pflichtverteidigern für Mitangeklagte. Erst recht kann es daher zu keiner Beeinträchtigung schutzwürdiger Belange eines Angeklagten führen, wenn Mitangeklagte von ihren Verteidigern unter Verletzung berufsrechtlicher Regelungen für Anwälte vertreten und damit unter Umständen durch bestehende Interessenkonflikte der Verteidigung benachteiligt werden.

Zudem zielte der in der Hauptverhandlung vom Verteidiger des Beschwerdeführers gestellte Antrag auch vorrangig darauf ab, das „Vertrauen in die Rechtspflege“ zu schützen, „Interessenkollisionen einzudämmen“ und „normativem Misstrauen der Rechtsordnung“ entgegenzuwirken. Die Durchsetzung solcher abstrakten Werte der Rechtsgemeinschaft obliegt im strafprozessualen Beschwerdeverfahren – soweit erforderlich – ausschließlich der Staatsanwaltschaft.“

Ist zum alten Recht ergangen, dürfte aber auch für das neue Recht gelten.

Pflichti II: Pflichtverteidiger im Strafvollstreckungsverfahren, oder: Neues EV macht die Sache schwierig

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Die zweite Entscheidung kommt vom OLG Braunschweig. Das hat im OLG Braunschweig, Beschl. v. 17.12.2019 – 1 Ws 280/19 u.  287/19 – ebenfalls über die Beiordnung eines Pflichtverteidigers im Strafvollstreckungsverfahren entschieden., und zwar ebenfalls zugunsten des Verurteilten:

„2. Die Beschwerde des Verurteilten gegen die abgelehnte Pflichtverteidigerbeiordnung ist ebenfalls zulässig und hat auch in Sache Erfolg.

Zwar sind die Voraussetzungen des § 140 StPO im Vollstreckungsverfahren einschränkend zu beurteilen und die Strafvollstreckungskammer hat im Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung auch zutreffend die Beiordnung abgelehnt. Jedoch hat sich im weiteren Verfahren eine schwierige Sachlage ergeben.

Eine schwierige Sachlage besteht für den Verurteilten immer dann, wenn die Gefahr besteht, dass er seine Rechte ohne die Mitwirkung eines Verteidigers nicht mehr ausreichend wahrnehmen kann. Dies ist i.d.R. der Fall, wenn die einem Verteidiger vorbehaltene Akteneinsicht nach § 147 erforderlich wird (Julius/Schiemann in: Gercke/Julius/Temming/Zöller, Strafprozessordnung, 6. Aufl. 2019, § 140, Rn. 20).

Zur Vorbereitung ihrer — nunmehr durch den Senat aufgehobenen Entscheidung — hat die Strafvollstreckungskammer eine Abschrift der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Braunschweig vom 8. Oktober 2019 (806 Js 5810/19) zu den Akten genommen und ihre Entscheidung vom 4. November 2019 u.a. auch auf ein anhängiges Ermittlungsverfahren gegen den Verurteilten, dessen zugrundeliegender Sachverhalt sich aus jener Anklage ergebe, gestützt. Ein neues Ermittlungsverfahren kann, vor allem wenn es — wie hier — auf einem Verhalten des Verurteilten im Vollzug beruht, ein maßgeblicher Gesichtspunkt für die Prognoseentscheidung nach § 57 Abs. 1 StGB sein (Fischer, StGB, 66. Aufl., S 57, Rn. 15a), so dass die  Strafvollstreckungskammer bei der erneuten Entscheidung diesen Gesichtspunkt voraussichtlich erneut berücksichtigen wird. In diesem Zusammenhang wird die Strafvollstreckungskammer zu prüfen haben, ob eine Beiziehung der Akte 806 Js 5810/19 erforderlich ist, um die Umstände der erneuten Straftat sowie insbesondere die Beweislage zu klären. Akteneinsicht bliebe dann einem Verteidiger vorbehalten (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 26. Juli 2002, 2 Ws 349/02, Rn. 8, zitiert nach juris).

Dies gilt erst Recht vor dem Hintergrund, dass die JVA Wolfenbüttel, der Verurteilte selbst und auch die Strafvollstreckungskammer von der Staatsanwaltschaft Braunschweig auf entsprechende Nachfrage stets die Mitteilung erhalten haben, es sei kein Ermittlungsverfahren gegen den Verurteilten anhängig (vgl. BI. 123, 129, 137, 154 d. VH).“

Pflichti I: Pflichtverteidiger nach Vollverbüßung, oder: Führungsaufsicht mit zahlreichen Weisungen

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Heute dann ein „Pflichti-Tag“, den ich mit dem KG, Beschl. v. 31.01.2020 – 1 ARs 4/20 – eröffne. Den Beschluss hat mir der Kollege T. Elobied aus Berlin geschickt.

Das KG hatte über die Beiordnung eines  Pflichtverteidigers in einer Strafvollstreckungssache
wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland zu entscheiden. Bei dem Veurteilten stand/steht nach Vollverbüßung die Frage der Führungsaufsicht an. Das KG hat die Bestellung eines Pflichtverteidiger bejaht.

„Der Verurteilte verbüßt derzeit bis voraussichtlich 8. März 2020 aus dem Urteil des Senats vom 9. September 2015 eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren wegen mittäterschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland. Sein Antrag auf vorzeitige Entlassung nach § 57 StGB ist mit rechtskräftigem Beschluss des Senats vorn 9. März 2018 abgelehnt worden.

Mit der Entlassung aus, der Strafhaft nach vollständiger Verbüßung der Strafe aus dem Urteil des Senats tritt kraft Gesetzes nach § 68f Abs. 1 Satz 1 StGB Führungsaufsicht ein. Der Anhörungstermin nach § 463 Abs. 3 Satz 1, § 454 StPO ist auf den 13. Februar 2020 angesetzt. Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 16. Januar 2020. hat der Verurteilte beantragt, ihm Rechtsanwalt pp. als Pflichtverteidiger beizuordnen. Die Bundesanwaltschaft ist dem nicht entgegengetreten.

Dem Antrag war stattzugeben, dem Verurteilten ist wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage ein Pflichtverteidiger für diesen Abschnitt des Vollstreckungsverfahrens beizuordnen.

Zwar hat. der Gesetzgeber auch in der ab 13. Dezember 2019 geltenden Fassung des § 140 StPO keine Regelurig zur Pflichtverteidigung im VoIlstreckungsverfahren aufgenommen und auch die bereits bestehenden Regelungen im Bereich der Sicherungsverwahrung und der Unterbringung .in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht erweitert, dennoch kommt eine entsprechende Anwendung des § 140 Abs. 2 StPO weiterhin aus den bisherigen Gründen in Betracht, insbesondere bei der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage des Vollstreckungsverfahrens (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl., Rdnr: 33ff-zu § 140 StPO).

Obwohl ein Antrag des Verurteilten auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers für das Verfahren zur vorzeitigen Entlassung mit Beschluss vom 6. Februar 2018 abgelehnt worden ist, sind für das Verfahren zur Frage des Eintritts der Führungsaufsicht nach Vollverbüßung und der etwaigen Ausgestaltung dieser die Voraussetzungen einer Beiordnung erneut zu prüfen.

Die Prüfung, ob ein Entfallen der Maßregel nach § 68f Abs, 2 StPO in Betracht kommt, ist in hiesigem Verfahren, entsprechend der Prüfung einer vorzeitigen Entlassung nach § 57 StGB, aus den Gründen des Beschlusses vom 6. Februar 2018 nicht schwierig und gebietet auch nicht die Beiordnung eines Pflichtverteidigers.

Die Bundesanwaltschaft hat allerdings beantragt, dem Verurteilten eine Vielzahl von Weisungen nach § 68b Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 StGB zu erteilen, darunter Weisungen nach § 68b Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 3, 5, 7 bis 9 und 12 StGB und Weisungen, das Bundesland nicht ohne Erlaubnis der Führungsaufsichtsstelle zu verlassen, Arbeitsplatz- und Hausbesuche zu dulden,, bestimmte Umstände neben anderen Stellen auch dem Landeskriminalamt mitzuteilen und bestimmte Einrichtungen nicht zu besuchen.

Die Gesamtschau der beantragten Weisungen, die jedenfalls hohe Anforderungen an die Lebensführung des Verurteilten stellen dürfte, im Zusammenhang mit dem Grund der Verurteilung begründen die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage in diesem Vollstreckungsabschnitt, weshalb hier ausnahmsweise die Beiordnung eines Pflichtverteidigers geboten ist.“

Zutreffend.

OWi III: Verwerfung des Einspruchs des „entbundenen“ Betroffenen, oder: „Blöd oder faul“?

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Und wenn wir schon von Experten reden, dann haben wir hier beim AG Güstrow noch einen. Denn da hat ein Richter (am AG [?]) den Betroffenen vom Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden, (§ 73 Abs. 2 OWiG), dann aber mal eben schnell den Einspruch des Betroffenen nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen, als der Betroffene dann – entschuldigt !!!! – in der Hauptverhandlung nicht erscheint.

Dass die Rechtsbeschwerde ein „Selbstläufer“ ist, liegt auf der Hand. Die erledigt das OLG im OLG Rostock, Beschl. v. 04.11.2019 – 21 Ss OWi 286/19 (B) – mit links 🙂 :

„Auf die zulässig erhobene Verfahrensrüge  286/1des Betroffenen war das Urteil des Amtsgerichts Güstrow vom 20.08.2019 mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Güstrow zurückzuverweisen (§§ 79 Abs. 3 OWiG iVm § 349 Abs. 4 StPO). Das Amtsgericht hat den Betroffenen durch Beschluss vom 07.06.2019 von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen gemäß § 73 Abs. 2 OWiG entbunden (BI. 32 d.A.). Dennoch hat das Amtsgericht den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid durch Urteil vom 20.08.2019 mit der Begründung verworfen, er sei unentschuldigt zur Hauptverhandlung nicht erschienen. Zutreffend führt die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift vom 24.10.2019 aus, dass das Amtsgericht damit den Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.“

Wenn man es liest, fragt man sich – drastisch ausgedrückt: Blöd oder faul? „Blöd“ würde stimmen, wenn der Amtsrichter nicht weiß, dass das nicht geht, „faul“ würde stimmen, wenn er seine eigenen Akten nicht kennt. Ich weiß nicht, was schlimmer ist.

Außer der Reihe: Grenzwert für bedeutenden Schaden beim BayObLG, oder: Jedenfalls bei 1.903,89 EUR

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Ich hatte in der letzten Zeit ja einige Entscheidungen zum Grenzwert beim bedeutenden Schaden (§ 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB) vorgestellt. Gestern erst die falsche vom LG Darmstadt mit 1.300 EUR und dann neulich zwei des LG Nürnberg-Fürth, das die Grenze bei 2.500 EUR zieht.

Heute habe ich nun vom BayObLG den BayObLG, Beschl. v. 17.12.2019 – 204 StR 204/19 – erhalten, in dem über die Frage entschieden ist. Na ja wie OLGs eben so sind – so richtig auch nicht. Man zieht keine klare Grenze, sondern sagt: Fremdschaden für Reparaturkosten in Höhe von 1.903,89 € ist  jedenfalls ein bedeutender Schaden im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB dar, so dass ein Regelfall für die Entziehung der Fahrerlaubnis vorliegt; 2.500 EUR ist zu hoch:

„2. Die Revision ist unbegründet, denn das Amtsgericht hat die Maßregelanordnung rechtsfehlerfrei darauf gestützt, dass der bei dem Unfall verursachte Fremdschaden in Höhe von 1.903,89 € netto einen bedeutenden Schaden im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB darstellt, so dass ein Regelfall für die Entziehung der Fahrerlaubnis vorliegt.

a) Der Schadensbegriff des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB ist nach dem Normzweck des § 142 StGB zu bestimmen, der dem Interesse der Unfallbeteiligten an der Aufklärung der Unfallursachen zur Klarstellung der privatrechtlichen Verantwortlichkeit und damit an der Sicherung bzw. Abwehr zivilrechtlicher Ersatzansprüche dient (BGH, NStZ 2011, 215, juris Rn. 9 m.w.N.). Ob ein „bedeutender Schaden“ vorliegt, bemisst sich somit alleine nach wirtschaftlichen Kriterien und beurteilt sich nach der Höhe des Betrages, um den das Vermögen des Geschädigten als direkte Folge des Unfalls vermindert wird (OLG Hamm, NZV 2011, 356, juris Rn. 9 m.w.N.; StRR 2015, 112, juris Rn. 12; OLG Stuttgart, StRR 2018. Nr. 9, 22, juris Rn. 30). Das ist der Geldbetrag, der erforderlich ist, den Geschädigten so zu stellen, als wäre das schädigende Ereignis nicht eingetreten (BGH, NStZ 2011, 215, juris Rn. 9 m.w.N.).

b) Die Frage, welche Schadenspositionen dabei außer den Reparaturkosten zu berücksichtigen sind, wird in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich beurteilt, kann aber dahinstehen, da vorliegend allein die Reparaturkosten von 1.903,89 € ohne Mehrwertsteuer schon einen bedeutenden Schaden im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB darstellen.

aa) Der Gesetzgeber hat bewusst darauf verzichtet, für den Umfang des bedeutenden Schadens starre Schadensgrenzen festzulegen. Es handelt sich vielmehr um eine veränderliche Grenze, die als solche abhängig von der wirtschaftlichen Entwicklung, insbesondere der allgemeinen Preis- und Einkommensentwicklung ist (OLG Stuttgart, StRR 2018, Nr. 9, 22, juris Rn. 30).

(1)     Seit dem Jahr 2002 wird in gefestigter Rechtsprechung auch der Oberlandesgerichte die Wertgrenze, ab der von einem bedeutenden Schaden auszugehen ist, bei etwa 1.300 € gezogen (vgl. OLG Dresden, NJW 2005, 2633, juris Rn. 12; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.07.2013 – III-3 Ws 225/13, juris Rn. 6; OLG Hamburg, ZfS 2007, 409, juris Rn. 19; OLG Hamm, NZV 2011, 356 juris Rn. 9; Thüringer OLG, NStZ-RR 2005, 183, juris Rn. 5; LG Berlin, NStZ-RR 2007, 281, juris Rn. 9; LG Heidelberg, Beschluss vom 13.02.2006 – 2 Qs 9/06, juris Rn. 4; LG Paderborn, ZfS 2006, 112, juris Rn. 8; LG Wuppertal, DAR 2007, 660 juris Rn. 3; s.a. Fischer, StGB, 66. Aufl., § 69 Rn 29; LK-StGB/Geppert, 12. Aufl., § 69, Rn. 85; MüKo-StGB/Athing/von Heintschel-Heinegg, 3. Aufl., § 69 Rn. 71; Lackner/Kühl/Heger, StGB, 29. Aufl., § 69 Rn. 7; Dölling/ Duttge/König/Rössner, Gesamtes Strafrecht, 4. Aufl., § 69 StGB Rn. 8, jeweils mit einer Vielzahl weiterer Nachweise; Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, 2. Aufl., § 69 StGB Rn. 27: mindestens 1.300 €). Zum Teil wird diese Wertgrenze auch noch in jüngerer Zeit vertreten (vgl. OLG Hamm, StRR 2015, 112 juris Rn. 12; LG Mühlhausen, Beschluss vom 28.12. 2015 – 3 Qs 212/15, juris Rn. 27; LG Schwerin, Beschluss vom 21.10.2015 – 32 Qs 56/15, juris Rn. 4; AG Linz, DAR 2018, 41, juris Rn. 28).

(2)     Eine zunehmende Zahl von Beschwerde- und Berufungsgerichten nimmt jedoch inzwischen mit Rücksicht auf die allgemeinen Preissteigerungen einen bedeutenden Schaden im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB erst bei höheren Beträgen an und hält es aufgrund der allgemeinen Preisentwicklung unter Berufung auf den Verbraucherindex für angebracht, die Schadensgrenze erst bei 1.400,00 € (LG Frankfurt, StV 2009, 649, juris Rn. 11 und 23) bzw. 1.500 € beginnen zu lassen (vgl. etwa LG Braunschweig, DAR 2016, 596, juris Rn. 18; LG Dresden, DAR 2019, 527, juris Rn. 11 f.; LG Hamburg, VRR 2007, 403, juris Rn. 3, und DAR 2008, 219, juris Rn. 8; LG Lübeck, DV 2014, 130, juris Rn. 2; LG Offenburg, DV 2018, 85, juris Rn. 10; wohl auch AG Tiergarten, ZfS 2015, 589, juris Rn. 5; Schönke/Schröder/Kinzig, StGB, 30. Aufl.., § 69 Rn. 39 m.w.N.; weitere Nachweise zur Amts- und landgerichtlichen Rspr. bei Weiland in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 69 StGB, Rn. 53; zustimmend NK-StGB/Martin Böse, 5. Aufl., § 69 Rn. 13).

(3)     Vereinzelt wird die Wertgrenze in der jüngsten Rechtsprechung auch noch höher angesetzt, etwa auf 1.600,00 € (so LG Hanau, DV 2019, 68, juris Rn. 7; AG Stuttgart, Beschluss vom 08.08.2017 – 203 Cs 66 Js 36037/17 jug, juris Rn. 19 ff.; offen gelassen von OLG Stuttgart, StRR 2018, Nr. 9, 22, juris Rn. 30), da nach dem aktuell geltenden Verbraucherpreisindex für Deutschland mit dem Basisjahr 2010 der Wert von 1.300 € aus dem Jahre 2002 unter Zugrundelegung einer Preissteigungsrate von 25,73 % bis zum Jahr 2018 auf 1.634,49 € gestiegen sei (LG Hanau, a.a.O. juris Rn. 9).

(4)     In erheblichem Maße hiervon abweichend sprechen sich das Landgericht Nürnberg-Fürth, das schon seit dem Jahr 2008 eine Wertgrenze von 1.800 € für zutreffend hielt (Beschluss vom 11.04.2008 – 5 Qs 61/08 [unveröffentlicht]), ebenso wie bereits seit längerem das Landgericht Landshut nunmehr für deren Anhebung auf 2.500 € aus (Landgericht Nürnberg-Fürth, VD 2018, 276, juris Rn. 10, und StRR 2019, Nr. 1, 4, juris Rn. 7; LG Landshut, DAR 2013, 588, juris Rn. 9). Das Landgericht Landshut stellt etwa darauf ab, dass sich bei PKWs die Grenze zum bedeutenden Schaden im Sinne § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB infolge dort erheblich gestiegener Reparaturkosten und infolge bei den neuen Konstruktionen nicht immer oder insgesamt nach außen sichtbaren Schadensbildern erhöht hat. Zur einfacheren Abgrenzung der Bedeutungsschwere, die auch in die für den Täter erforderliche Erkennbarkeit der Schadenshöhe einfließt, könne deshalb die Grenze zum bedeutenden Schaden nunmehr bei circa 2.500 € für den PKW angesetzt werden, was aber keinen pauschalen Grenzwert darstelle und insbesondere eine Einzelfallbetrachtung nicht entbehrlich mache (LG Landshut, DAR 2013, 588, juris Rn. 9; zustimmend NK-StGB/Martin Böse, a.a.O., § 69 Rn. 13; MüKo-StVR/Kretschmer, 1. Aufl., § 69 StGB Rn. 49; als wenig überzeugend ablehnend Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, a.a.O., § 69 StGB Rn. 27).

(5)     Für eine Anhebung könnte sprechen, dass es sich bei der Wertgrenze für das Regelbeispiel des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB grundsätzlich um eine veränderliche Größe handelt, die maßgeblich von der Entwicklung der Preise und Einkommen abhängig ist. Hierbei mag die Orientierung an dem jährlich vom Statistischen Bundesamt berechneten und veröffentlichten Verbraucherindex ein Anhaltspunkt zu sein, um die Bestimmung vorzunehmen. Dies kann jedoch nicht allein ausschlaggebend sein, da ansonsten die Wertgrenze des bedeutenden Schadens jährlich oder in sogar noch kürzeren Zeiträumen jeweils neu festgesetzt werden müsste. Es verbietet sich daher eine schematische Anwendung. Vielmehr bedarf es der Betrachtung einer Mehrzahl von Kriterien, um die Annahme eines bedeutenden Schadens feststellen zu können. Insbesondere darf, da Rechtsgut der Vorschrift des § 142 StGB die Feststellung und Sicherung der durch einen Unfall entstandenen zivilrechtlichen Ansprüche ist, die allgemeine Einkommensentwicklung nicht außer Acht gelassen werden (OLG Stuttgart, StRR 2018, Nr. 9, 22, juris Rn. 30; MüKo-StGB/Athing/von Heintschel-Heinegg, a.a.O., § 69 Rn. 71 m.w.N.). Weiter ist bei der Festsetzung der Grenze des bedeutenden Schadens die Relation innerhalb der Regelbeispiele des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB zu berücksichtigen (OLG Düsseldorf, NZV 1991, 237, 238). Insgesamt ist zu beachten, dass aus verfassungsrechtlichen Gründen, insbesondere im Hinblick auf die Tatbestandsbestimmtheit, eine Anhebung der Wertgrenze nur bei einer grundlegenden Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse in Betracht komme (vgl. BGH, NStZ 2011, 215, juris Rn. 11 zur Wertgrenze des § 315b Abs. 1 StGB; OLG Stuttgart, StRR 2018, Nr. 9, 22, juris Rn. 30 zu § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB).

bb) Der vorliegende Fall gibt indes keinen Anlass, diese Frage abschließend zu entscheiden und eine neue Wertgrenze konkret festzulegen.

Der vorliegende Fremdschaden von 1.903,89 € (ohne Mehrwertsteuer) überschreitet sowohl die seit dem Jahr 2002 in gefestigter Rechtsprechung angenommene Wertgrenze von 1.300 € als auch die neuerdings von zahlreichen Land- und Amtsgerichten sowie beachtlichen Stimmen der Kommentarliteratur befürwortete Wertgrenze von 1.500 € erheblich und liegt auch nicht unerheblich über den in den vereinzelten landgerichtlichen Entscheidungen (soweit solche veröffentlicht bzw. zitiert wurden) für zutreffend gehaltenen Wertgrenzen von 1.600 € und 1.800 €.

Die im Verfahren über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis der Angeklagten durch die 5. Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth getroffene Entscheidung (Beschluss vom 05.11.2018 – 5 Qs 69/18), die in der Begründung im wesentlichen den veröffentlichten Beschlüssen dieser Strafkammer vom 28.08.2018 (5 Qs 58/18, VD 2018, 276) und vom 12.11.2018 (5 Qs 73/18, StRR 2019, Nr. 1, 4) entspricht, gibt keinen Anlass zur abschließenden Entscheidung über eine darüber hinausgehende Wertgrenze. Die 5. Strafkammer hatte bereits bisher von den sonst in der Rechtsprechung vertretenen Wertgrenzen nach oben abweichend einen bedeutenden Fremdschaden ab 1.800 € angenommen (vgl. etwa den unveröffentlichten Beschluss vom 11.04.2008 – 5 Qs 61/08). Sie hat nunmehr die Änderung des § 44 Abs. 1 StGB (im Beschluss wurde insoweit unzutreffend § 44 Abs. 1 StPO genannt) und damit die seit dem 24.08.2017 geschaffene Möglichkeit der Verhängung von Fahrverboten von bis zu sechs Monaten zum Anlass genommen, diese Wertgrenze nochmals deutlich auf 2.500 € netto anzuheben, und dies damit begründet, dass im Hinblick auf die in § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB angeordnete Gleichsetzung des bedeutenden Fremdschadens mit der Tötung bzw. nicht unerheblichen Verletzung eines Menschen einerseits und der wirtschaftlichen Entwicklung in den letzten zehn Jahren andererseits im Interesse der Rechtssicherheit, um eine wiederholte Anpassung um kleinere Beträge in kürzeren Zeitabständen möglichst zu vermeiden, eine großzügige Anpassung der Wertgrenze nach oben geboten sei. Sie hat hierbei die Entwicklung der Einkommen und der Kosten für die Beseitigung der Folgen von Verkehrsunfällen berücksichtigt und sich an einer groben Schätzung der wirtschaftlichen Entwicklung orientiert, die sich im Anstieg der Verbraucherpreise für die Wartung und Reparatur von Fahrzeugen in den Jahren von 2010 bis 2016 um 11,6 % ebenso widerspiegelt wie in der Steigerung des Reallohnindex von lediglich 7,8 %, und in den deutlichen Preissteigerungen für ein Standard-Bergungsfahrzeug zwischen den Jahren 2006 und 2016 von 35,5 % (vgl. LG Nürnberg-Fürth, VD 2018, 276, juris Rn. 10 und StRR 2019, Nr. 1, 4, juris Rn. 7).

Die vom Landgericht Nürnberg-Fürth zutreffend dargestellten Preisentwicklungen rechtfertigen auch im Zusammenhang mit den weiteren Erwägungen der 5. Strafkammer ungeachtet der Frage, ob die vom Landgericht bisher angenommene Wertgrenze von 1.800 € anzuerkennen ist, keinesfalls deren Anhebung auf 2.500 €. Soweit das Landgericht die Änderung des § 44 Abs. 1 StGB durch das Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens vom 17.08.2017 (BGBl. I 3202) zum Anlass für die Anhebung der Wertgrenze genommen hat, überzeugt dies nicht. Ziel dieser Neuregelung war es, die bisherigen Sanktionsmöglichkeiten durch Schaffung einer Sanktionsalternative für alle Straftaten zu erweitern (vgl. Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 18/11272, S. 14). Die Ausdehnung der Höchstfrist des Fahrverbots im Erwachsenenstrafrecht auf sechs Monate begründete der Gesetzgeber im Regierungsentwurf damit, dass dies einen für den Betroffenen noch hinreichend überschaubaren, seine Befolgungsbereitschaft noch nicht überstrapazierenden Zeitraum darstelle, eine solche Höchstfrist gleichzeitig lang genug wäre, um dem Gericht den mit der Öffnung für alle Straftaten erforderlichen erweiterten Bemessungsspielraum zu eröffnen und die von Teilen der Wissenschaft und Praxis wiederholt beklagte „Lücke“ zur mindestens sechs Monate währenden Entziehung der Fahrerlaubnis zu schließen (BT-Drucks. 18/11272, S. 17).

Hieraus lässt sich nicht ableiten, dass der Gesetzgeber mit der zeitlichen Ausdehnung des Fahrverbots auch nur mittelbar auf eine Steigerung der unfallbedingten Reparaturkosten reagieren wollte und demgemäß der „bedeutende Schaden“ im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB höher anzusetzen wäre als vor dieser Neuregelung.

Demgemäß kann sich der Senat einer Anhebung der Wertgrenze auf 2.500 € weder in der Begründung noch im Ergebnis anschließen.“

Entscheidudng läuft außerhalb des „normalen“ Programms.