Beschränkung der Telefonerlaubnis eines U-Haft-Gefangenen, oder: Einzelfallentscheidung

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Heute dann ein „Kessel Buntes“ am Dienstag.

Und da ist dann zunächst der OLG Karlsruhe, Beschl. v. 08.01.2019 – 2 Ws 365/18, den mir der Kollege Rinklin aus Freibrug übersandt hat. Das OLG entscheidet überdie Beschränkung einer Telefonerlaubnis durch die Justizvollzugsanstalt. Die Staatsanwaltschaft hatte dem Beschuldigten unter Angabe der jeweiligen Telefonnummern gestattet, „wöchentlich unter akustischer Überwachung auf seine Kosten für die Dauer von max. 15 Minuten“ mit insgesamt fünf benannten Personen (zwei Schwestern, seine Mutter, sein Sohn und die Kindesmutter) zu telefonieren. Die JVA teilt dann dem Verteidiger später mit, dass aufgrund der hohen Anzahl der Untersuchungsgefangenen, für die in einer Großzahl die Überwachung der Telefonate angeordnet sei, aus Kapazitäts- und Gleichbehandlungsgründen überwachte Telefonate in einem wöchentlichen Rhythmus für die Anstalt nicht leistbar seien, sondern lediglich 14-tägig stattfinden könnten. Für den Beschuldigten seien mittlerweile zahlreiche Personen für Telefongespräche zugelassen worden, so dass bereits 14-tägige Telefongespräche einen erheblichen Aufwand mit sich brächten und als ausreichend erachtet würden.

Darüber kommt es zum Streit, den das OLG Karlsruhe vorläufig zugunsten des Beschuldigten entschieden hat. Tenor der Entscheidung: So nicht:

„1. Nach § 20 Abs. 1 JVollzGB II Baden-Württemberg (im Folgenden JVoIIzGB II BW) kann Untersuchungsgefangenen gestattet werden, zu telefonieren. Über den Verweis in § 20 Abs. 2 Satz 1 JVoIIzGB II BW gelten dabei die für den Besuch geltenden Vor-schriften (§§ 12 ff. JVoIIzGB II BW) mit Ausnahme von § 12 Abs. 2 JVollzGB II BW entsprechend. Dementsprechend ist nach §§ 13, 20 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 JVoIIzG II BW der Anstaltsleiter oder die Anstaltsleiterin befugt, Telefongespräche zu untersagen (bzw. als mildere Maßnahme zu beschränken), wenn die Sicherheit und Ordnung der Anstalt ansonsten gefährdet ist (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 03.08.2012 ¬3 Ws 314/12, juris).

Die Gestattung von Telefonaten steht im (pflichtgemäßen) Ermessen der Anstalt und ist dementsprechend nur eingeschränkt auf die Einhaltung von Ermessensgrenzen gerichtlich überprüfbar (vgl. allgemein KK-StPO/Schultheis, 7. Aufl. 2013, StPO § 119a Rn. 9). Es liegt daher grundsätzlich im Ermessen der Vollzugsanstalt, welche Maßnahmen im Einzelnen angezeigt sind, um Telefonate der Untersuchungsgefangenen organisatorisch zu bewältigen und die Sicherheit und Ordnung der Anstalt aufrecht erhalten zu können. Die Vollzugsanstalt hat hierbei im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung — wie stets bei der Auslegung der Vorschriften des Untersuchungshaftrechts — allerdings dem Umstand Rechnung zu tragen, dass ein Untersuchungsgefangener noch nicht verurteilt ist und deswegen allein unvermeidbaren Beschränkungen unterworfen werden darf (vgl. zur Bedeutung der sog. Unschuldsvermutung im Untersuchungshaftvollzug nur BVerfG NStZ 1994, 52). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit muss daher den Vollzug der Untersuchungshaft in besonderem Maße prägen (BVerfG, Beschluss vom 17.10.2012 – 2 BvR 736/11, juris Rn. 24). Ebenso ist dem verfassungsrechtlichen Anspruch des Untersuchungsgefangenen auf den Schutz seiner Privatsphäre und seiner Familie Rechnung zu tragen (KG, Beschluss vom 27.06.2011 – 3 Ws 136/11, BeckRS 2011, 20094). § 12 Abs.1 Satz 2 JVollzG II BW sieht insoweit vor, dass der Kontakt zu Angehörigen gefördert wird. Diese Regelung ist Ausfluss des in Art. 6 Abs. 1 Satz 1 GG verfassungsrechtlich verbürgten besonderen Schutz der staatlichen Ordnung für Ehe und Familie (zu § 33 Abs. 2 UVoIIzG Berlin vgl. BGH, Beschluss vom 21.07.2014 — 2 BGs 255/14 -, juris; vgl. auch BeckOK Strafvollzug BW/Dorsch, 10. Ed. 1.10.2018, JVoIIzGB II BW § 12 Rn. 7 f.). Es bedarf daher einer besonders eingehenden, auch die Dauer der Untersuchungshaft und die persönliche Situation des jeweiligen Untersuchungsgefangenen berücksichtigenden Abwägung dessen, was einerseits dem Untersuchungsgefangenen gemessen an seinen grundrechtlichen Freiheiten an Beschränkungen und andererseits der Anstalt und dem für ihre angemessene Ausstattung verantwortlichen Staat an Aufwand zumutbar ist.

2. Nach diesen Maßstäben erweist sich die von der Justizvollzugsanstalt getroffene Entscheidung schon deshalb als ermessensfehlerhaft, weil eine auf den Einzelfall bezogene Ermessensentscheidung unter Berücksichtigung der persönlichen Situation des Untersuchungsgefangenen nicht getroffen wurde. Die Justizvollzugsanstalt hat, indem sie ihre ablehnende Entscheidung auf Kapazitäts- und Gleichbehandlungsgründe und die Anzahl der bei dem Antragsteller insgesamt genehmigten Telefonate gestützt hat, den Umstand, dass Telefonate mit Angehörigen (zur Reichweite des Begriffs des Angehörigen vgl. Dorsch aaO JVoIIzGB II BW § 12 Rn. 7 – 8.1) in Rede standen, nicht in den Blick genommen. Die erforderliche Prüfung, ob aus diesem Grunde im Einzelfall die Gestattung häufigerer Telefonate geboten war, ist daher unterblieben. Der pauschale und nicht durch Zahlenwerk untermauerte Hinweis auf die hohe Anzahl von Untersuchungsgefangenen, für die in einer Großzahl der Fälle“ die Überwachung angeordnet ist, genügt den Anforderungen jedenfalls nicht. Demgegenüber könnte in die Ermessenserwägung eingestellt werden, ob die Angehörigen neben den Telefonaten auch die Möglichkeit von Besuchen haben, was zumindest bei der Mutter und der Schwester der Fall sein dürfte (Telefonvorwahl von pp.).“

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