StGB II: Messerattacke gegen „Penner“, „Hurensohn“ eher nicht, aber: Notwehr(exzess)?

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Schon etwas älter ist die zweite Entscheidung am heutigen Dienstag, nämlich der BGH, Beschl. v. 17.05.2018 – 3 StR 622/17. Auch er behandelt eine materiell-rechtliche Frage, nämlich: Ist eigentlich gegen Angriffe auf die durch die §§ 185 ff. StGB geschützte Ehre (tätliche) Notwehr, hier mit einem Messer, erlaubt.

Das LG Wuppertal hatte den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Dagegen die Revision des Nebenklägers, die zugunsten des Angeklagten – § 301 StPO nicht übersehen – Erfolg hatte.

Grundlage der BGH-Entscheidung waren folgende Feststellungen des LG:

„1. Nach den Feststellungen des Landgerichts lag der Angeklagte, der an einer paranoiden Schizophrenie leidet, mit dem Nebenkläger im Streit. Aufgrund seiner Todesdrohungen gegen den Angeklagten war gegen den Nebenkläger ein Strafbefehl ergangen; in deswegen gereizter Stimmung begegnete dieser in einem Parkhaus in S. zufällig dem Angeklagten. Der Nebenkläger baute sich in aggressiver Haltung vor dem Angeklagten auf, beleidigte diesen unter anderem als „Penner“ und „Hurensohn“ und erklärte, dass er den Angeklagten wegen Schwarzarbeit angezeigt habe. Dadurch geriet der Angeklagte, der sich vor dem körperlich überlegenen Nebenkläger fürchtete, in eine Stresssituation, die ihn vor dem Hintergrund seiner (unbehandelten) psychischen Erkrankung überforderte und zu einer erheblichen Beeinträchtigung seines Steuerungsvermögens führte. Um der Aggressivität des Nebenklägers zu begegnen, zog er ein Klappmesser mit einer Klingenlänge von etwa 7,5 cm, zeigte es diesem und steckte es aufgeklappt wieder in seine Kleidung zurück. Der Nebenkläger aktivierte daraufhin die Videofunktion seines Handys und forderte den Angeklagten wiederholt auf, das Messer noch einmal hervorzuholen; dabei provozierte er den Angeklagten „immer wieder“ mit „massiven“ Beleidigungen, die sich nun auch auf die Eltern des Angeklagten erstreckten. Als der Angeklagte versuchte, mit erhobenem Zeigefinger verbal zu erwidern, empfand er sich zunehmend überfordert und sprachlos; er verspürte Herzrasen und schwitzte. Schließlich zog der „mittlerweile in hohem Maße affektiv erregte Angeklagte“ als Reaktion auf die fortdauernden Beleidigungen (u.a.: „Penner“, „Hurensohn“, „Deine Mutter ist eine Hure“, „Dein Vater ist eine Hure“) das Klappmesser erneut hervor, stieß dem Nebenkläger so heftig gegen den Oberkörper, dass dieser mit dem Rücken gegen ein parkendes Auto fiel, und stach sodann mit wuchtigen ungezielten Stichen in Richtung des Nebenklägers, um ihn zu verletzen und die streitige Situation zu beenden. Dadurch fügte er dem Nebenkläger mehrere nicht lebensgefährliche Stich- bzw. Schnittverletzungen am Kopf, an dem zum Schutz erhobenen linken Unterarm und in der Höhe des rechten Schulterblattes zu. Als der Nebenkläger sich entwinden und flüchten konnte, setzte der Angeklagte ihm kurz nach und versuchte, ihm in den Rücken zu stechen, bevor er sodann freiwillig die weitere Verfolgung aufgab, während der Nebenkläger in etwa 20 Meter Entfernung vom Tatort unschlüssig stehen blieb.“

Der BGH beanstandet einen Erörterungsmangel, weil das LG-Urteil sich nicht mit der Frage befasst hat, ob der Angeklagte im Notwehrexzess (§ 33 StGB) handelte:

„a) Das Landgericht ist ersichtlich davon ausgegangen, dass es bereits an einer Notwehrlage fehlte. Dabei hat es rechtsfehlerhaft nicht bedacht, dass angesichts der massiven Beleidigungen ein die Notwehrlage begründender rechtswidriger Angriff des Nebenklägers auf die Ehre des Angeklagten in Betracht zu ziehen war; vielmehr hat es die Lage allein unter dem Aspekt eines – hier nicht bevorstehenden – Angriffs auf die körperliche Unversehrtheit des Angeklagten beurteilt. Damit hat sich die Strafkammer den Blick auf die Prüfung der Voraussetzungen eines intensiven Notwehrexzesses verstellt.

b) Die getroffenen Feststellungen belegen hinreichend, dass der Angeklagte zur Abwehr eines massiven gegenwärtigen rechtswidrigen Angriffs auf seine Ehre handelte. Diese darf als strafrechtlich geschütztes Rechtsgut (§§ 185 ff. StGB) grundsätzlich auch mit den Mitteln der Notwehr verteidigt werden (vgl. BGH, Urteil vom 14. Februar 1952 – 5 StR 1/52, BGHSt 3, 217, 218; Fischer, StGB, 65. Aufl., § 32 Rn. 8); dies gilt jedenfalls, soweit es sich – wie hier – nicht um nur geringfügige Behelligungen im sozialen Nahbereich, sozial tolerables Verhalten oder eine sonstige Bagatelle handelt (vgl. SSW-StGB/Rosenau, 3. Aufl., § 32 Rn. 7).

Zwar liegt es auf der Hand, dass die Messerattacke des Angeklagten jedenfalls die Grenzen der Gebotenheit des § 32 StGB überschritten hat. Denn zwischen der Art und dem Umfang der aus dem Angriff drohenden Verletzung und der mit der Verteidigung verbundenen Gefährdung und Beeinträchtigung des Angreifers besteht ein unerträgliches Missverhältnis (vgl. SSW-StGB/Rosenau, aaO § 32 Rn. 24 und 34 mwN). Vor dem Hintergrund der festgestellten psychischen Disposition und des affektiven Ausnahmezustands des Angeklagten bei der Tat hätte sich das Landgericht jedoch mit der Frage befassen müssen, ob der Angeklagte die Grenzen der Notwehr aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken überschritten hat. Denn nach den bisher getroffenen Feststellungen erscheinen sowohl ein Handeln des Angeklagten im Rahmen eines intensiven Notwehrexzesses, bei dem der Täter bei objektiv bestehender Notwehrlage die Grenzen der Erforderlichkeit oder Gebotenheit des § 32 StGB überschreitet, als auch ein hierfür zumindest mitursächlicher asthenischer Affekt nicht so fernliegend, als dass eine Auseinandersetzung damit entbehrlich erscheint. Die danach gebotene Prüfung des § 33 StGB hat das Landgericht versäumt.“

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