Eine „Trunkenheitsfahrt“ ist nicht „sozialwidrig“, oder: Grundsicherung muss nicht zurückgezahlt werden

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Als zweite Entscheidung im „Kessel Buntes“ dann das LSG Niedersachsen-Bremen, Urt. v. 05.07.2018 – L 6 AS 80/17. Entschieden worden ist über einen vom sog. Grundsicherungsträger gegenüber dem Kläger, einem Kraftfahrer, geltend gemachten Anspruch auf Rückzahlung von Grundsicherungsleistungen. Die waren dem Kläger nach dem Verlust seines Arbeitsplatzes aufgrund einer Trunkenheitsfahrt gewährt worden. Das LSG sagt: Nein, der Kläger muss nichts zurückzahlen: Denn mit der Trunkenheitsfahrt, die zum Verlust des Führerscheins und nachgehend zum Verlust des Arbeitsplatzes führte, hat der Kläger seine Hilfebedürftigkeit nicht i.S.d. § 34 Abs 1 SGB II (in der bis zum 31. Juli 2016 geltenden Fassung) herbeigeführt. Die Trunkenheitsfahrt war nicht sozialwidrig:

„Entgegen den Grundsätzen des SGB II und damit „sozialwidrig“ verhält sich der Betroffene, wenn es ihm aus eigener Kraft möglich (gewesen) wäre, die Hilfebedürftigkeit abzuwenden und sein Verhalten diesen Möglichkeiten zuwiderläuft. Das Tatbestandsmerkmal des „sozialwidrigen Verhaltens“ umfasst nach der Rechtsprechung des BSG (SozR 4-4200 § 34 Nr 2 Rn 20 f) nur ein Verhalten, das (1) in seiner Handlungstendenz auf die Einschränkung bzw den Wegfall der Erwerbsfähigkeit oder der Erwerbsmöglichkeit oder (2) die Herbeiführung von Hilfebedürftigkeit bzw der Leistungserbringung gerichtet war bzw hiermit in „innerem Zusammenhang“ stand oder (3) ein spezifischer Bezug zu anderen nach den Wertungen des SGB II zu missbilligenden Verhaltensweisen bestand.  Für die Annahme eines sozialwidrigen Verhaltens ist zudem erforderlich, dass die Existenzgrundlage durch das maßgebliche Verhalten selbst unmittelbar beeinträchtigt wird oder wegfällt.

Das BSG hat eine Sozialwidrigkeit verneint bei Straftaten (räuberischer Diebstahl in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und versuchter Vergewaltigung – B 4 AS 39/12 R, vorsätzliches Handeln mit Betäubungsmitteln – B 14 AS 55/12 R), die absehbar zu einer Inhaftierung und damit zum Wegfall von Erwerbsmöglichkeiten führen. Denn der Vorwurf der Sozialwidrigkeit sei nicht in der Strafbarkeit einer Handlung, sondern darin begründet, dass der Betreffende – im Hinblick auf die von der Solidargemeinschaft aufzubringenden Mittel der Grundsicherung für Arbeitsuchende – in zu missbilligender Weise sich selbst oder die mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen in die Lage gebracht hat, Leistungen nach dem SGB II in Anspruch nehmen zu müssen. Dagegen sei in den entschiedenen Fällen die berufliche Existenzgrundlage durch das strafbare Verhalten nicht unmittelbar beeinträchtigt worden oder weggefallen.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist das Verhalten des Klägers zwar als rechtlich in höchstem Maße zu missbilligende Tat zu werten, nicht jedoch als sozialwidrig iSd § 34 SGB II einzustufen:

Es liegen keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass die Handlungstendenz des Klägers darauf gerichtet war, seine berufliche Existenzgrundlage zu vernichten und damit zu Lasten öffentlicher Kassen hilfebedürftig iSd SGB II zu werden. Für diese Annahme besteht kein Grund. Der Kläger war seit 2012 als Kraftfahrer beim selben Arbeitgeber beschäftigt und hatte dort zu Beginn des Jahres 2014 eine Festanstellung sowie eine Gehaltserhöhung erhalten, weil der Arbeitgeber mit seinen Leistungen zufrieden war.

Es bestand auch kein spezifischer Bezug zu anderen nach den Wertungen des SGB II zu missbilligenden Verhaltensweisen…..“

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