Hustensaft als Fahrerlaubnisretter?, oder: So nicht!

entnommen openclipart.org

Im „Kessel Buntes“ heute zunächst eine Entscheidung des VG Neustadt zur Entziehung der Fahrerlaubnis, man könnte sie auch übrschreiben: Hustensaft als Fahrerlaubnisretter? Das VG sagt im im VG Neustadt/NW, Beschl. v. 23.08.2017 – 1 L 871/17.NW: Nein, wenn die „Einlassung“ nicht plausibel und nicht zeitnah kommt.

Nach dem Sachverhalt ist dem Antragsteller die Fahrerlaubnis entzogen worden, weil in seinem Blut im Zusamenhang mit einer Fahrt mit einem Pkw in einem Sachverständigengutachten geringe Spuren von Codein und Morphium nachgewiesen worden waren. Erstmals 9 Wochen nach dem Gutachten hatte der Antragsteller dann behauptet, einen in Deutschland rezeptpflichtigen codeinhaltigen Hustensaft in Frankreich auf Empfehlung eines Arztes und ohne Rezept erworben zu haben, da er kurz vor der Verkehrskontrolle an einer starken Bronchitis mit Verdacht auf Lungenentzündung gelitten habe. Einen Kaufbeleg konnte er nicht vorlegen. Trotz der angeblich schwerwiegenden Erkrankung hatte er auch in Deutschland keinen Arzt aufgesucht. Den Namen des empfehlenden Arztes wollte er nicht nennen.

Das VG sagt dazu:

Das weitere Vorbringen des Antragstellers im Eilverfahren, er habe auf ärztliches Anraten Codein eingenommen, wertet das Gericht nach der vorliegenden Erkenntnislage, wie auch der Antragsgegner, als Schutzbehauptung. Mithin ist hier nicht von einem Ausnahmefall auszugehen, wie ihn die Vorbemerkung Nr. 3 in der Anlage 4 vorsieht. Danach gelten die nachstehend vorgenommenen Bewertungen für den Regelfall. Kompensationen durch besondere menschliche Veranlagung, durch Gewöhnung, durch besondere Einstellung oder durch besondere Verhaltenssteuerungen und -umstellungen sind möglich. Ergeben sich im Einzelfall in dieser Hinsicht Zweifel, kann eine medizinisch-psychologische Begutachtung angezeigt sein.

Das in der Bundesrepublik Deutschland verschreibungspflichtige codeinhaltige Medikament „Euphon Syrup“ war in Frankreich bis zum 12. Juli 2017 frei verkäuflich. Wegen des massenhaften Missbrauchs, insbesondere durch junge Menschen, wurde seine Rezeptpflicht auch in Frankreich eingeführt. Es enthält ausweislich des Begleitzettels 100 mg Codein in 100 mL Sirup. Seine Internet-Bestellung war z.B. durch „Medicament Conseil“ auf 1 Flasche pro Monat begrenzt.

Bereits am 6. Dezember 2006 veröffentlichte Spiegel ONLINE den Artikel „Billige Drogen“ Teenager werden high mit Hustensaft, in dem beschrieben wird, wie Jugendliche den Hustensaft, der mit Dextromethorphan verwandten Wirkstoff zu den Opiaten Codein und Morphium aufweise, zu Halluzinationszwecken missbrauchen. Im Internet sind bei der Suche nach Hustensaft mit Codein vielfache Hinweise zur berauschenden Wirkung und deren Umgang sowie zur in Deutschland illegalen Beschaffung zu finden.

Angesichts dieses bekannten Missbrauchs und im Hinblick auf den illegalen Konsum von nicht ärztlich verschriebenen Präparaten in Deutschland, kann das Vorbringen des Antragstellers zu seinem Konsum nicht als substantiiert und plausibel anerkannt werden, sondern stellt sich als Schutzbehauptung dar. Da der Antragsteller aber für das Vorliegen eines nach Ziffer 9.1 der Anlage 4 zur FeV von der Regel abweichenden Zustands die Beweislast trägt, müsste sein Vorbringen im Eilverfahren substantiiert und überzeugend sein.

Nicht nachvollziehbar ist die Behauptung des Antragstellers, kurz vor dem 11. März 2017, dem Tag der Verkehrskontrolle, eine starke Bronchitis mit Verdacht auf Lungenentzündung gehabt zu haben. Denn er hat bei den von der Polizei festgestellten Ausfallerscheinungen nicht darauf hingewiesen, dass deren mögliche Ursache in der Bronchitis mit Verdacht auf Lungenentzündung liegen könne. Auch hat er bei oder nach der Verkehrskontrolle nicht unverzüglich mitgeteilt, Medikamente eingenommen zu haben. Selbst auf das Anhörungsschreiben vom 18. Mai 2017 hat er erst am 7. Juli 2017 die vier Monate zurückliegende Auffälligkeit bei der Verkehrskontrolle mit dem Konsum des Euphonsirups zu erklären versucht. Auch hat der anwaltlich vertretene Antragsteller weder dargelegt, was kurze Zeit vor der Verkehrskontrolle heißt (Tage oder Wochen) noch wer der Bekannte sei, der die Erkrankung bestätigen könne. Auch hat er den Arzt nicht benannt, der ihm zur Einnahme Codein geraten haben soll, auch hat sich der Antragsteller trotz des Verdachts auf Lungenentzündung nicht in ärztliche Behandlung begeben. Dies alles ist weder substantiiert noch nachvollziehbar vom Antragsteller im Eilverfahren erklärt worden, obwohl der Antragsgegner auf diese Ungereimtheiten bereits hingewiesen hat. Auch liegt nicht auf der Hand, warum der Antragsteller bei einem nicht offiziellen Arzttermin gewesen sein soll und auch nicht, warum aus diesem Grund der Name des Arztes nicht genannt werden könne.

Dieser Vortrag und somit die Angaben des Antragstellers insgesamt sind nicht plausibel (vgl. zu den strengen Anforderungen an einen schlüssigen Vortrag bei geltend gemachter „unbewusster“ Drogeneinnahme OVG RP, Beschluss vom 25. Januar 2012 – 10 B 11430/11.OVG und Beschluss vom 18. Februar 2015 – 10 B 10017/15.OVG –). Der toxikologische Gutachter des Instituts für Rechtsmedizin Mainz hat zwar darauf hingewiesen dass die im Blut nachgewiesenen Substanzen aus einem codeinhaltigen Hustensaft herrühren können, damit ist aber weder dessen ungesetzliche Einnahme (Codein ist ein Opiat) noch dessen Missbrauch zu Rauschzwecken ausgeschlossen. Auch die niedrige Konzentration entlastet den Antragsteller nicht, da die Einnahmewirkung mit der Zeit nachlässt und ebenso die Konzentration im Blut. Auch ist nicht maßgeblich, wie vom Prozessbevollmächtigten selbst dargelegt, dass das Ordnungswidrigkeitsverfahren nach § 170 StPO eingestellt wurde.

3 Gedanken zu „Hustensaft als Fahrerlaubnisretter?, oder: So nicht!

  1. -thh

    Dazu kommt, dass Codein ein Hustenstiller ist, d.h. den Hustenreiz dämpft und damit das Abhusten von Schleim vermindert. Als – einzige – Medikation bei einem Verdacht auf Lungenentzündung ist eine dahingehende ärztliche Empfehlung wenig schlüssig.

  2. In dubio pro reo

    Ich hab hier codeinhaltige Arzneimittel bei mir daheim. Einige davon sind so alt, die sind seit Jahren abgelaufen. Natürlich wirken sie immer noch einwandfrei, warum ich sie auch immer noch verwende – wenn nötig. Allerdings hab ich nicht mehr die geringste Ahnung, welcher Arzt sie mir verschrieben hat bzw. einige Präparate hab ich aus dem Ausland mitgebracht – was völlig legal ist, da alle Zollvorschriften stets eingehalten wurden.

    Wenn ich jetzt an einer Erkältung mit Reizhusten leide und abends Codein einnehme, werde ich morgens in eine Verkehrskontrolle auf jeden Fall Spuren von Codein und Morphin im Blut haben. Denn Codein wird in Morphin verstoffwechselt.
    D.h. ich könnte dadurch wegen einer Erkältung meine Fahrerlaubnis verlieren?! Ich dachte ich müsse der Polizei gegenüber keine Angaben machen? Was gehen die auch meine Gesundheitsbeschwerden und Arzneimitteleinnahmen an?
    Das Urteil ist in meinen Augen reine Willkür und absolut nicht nachzuvollziehen. Hat der Richter jemals etwas von „In dubio pro reo“ gehört?!

    Das Gutachten des „Prof. Dr. Dr.“ Rechtsmediziners enthält zudem einen groben Schnitzer.

    „Im Gutachten vom 28. April 2017 kam das Institut für Rechtsmedizin (Prof. Dr. Dr. …) zu dem Ergebnis, dass Codein in der Größe von 0,005 mg/L = 5 ng/mL und Spuren von Morphin (ca. 0,6 ng/mL) nachgewiesen worden seien. Es wurde weiter ausgeführt: Die Ergebnisse der toxikologischen Untersuchung belegten eine Aufnahme von Codein und Morphium. Morphium sei das Hauptalkaloid des Schlafmohns, Codein sei gleichfalls ein Opiumalkaloid. Therapeutisch werde Codein als hustenstillendes Arzneimittel bei starkem akutem und chronischem Husten eingesetzt. Im Körper werde ein Teil des Codeins in Morphin verstoffwechselt. Das zusätzlich im Blut nachgewiesene Morphin dürfte in Anbetracht der gegenüber dem Codein deutlich verringerten Blutkonzentration als Stoffwechselprodukt des Codeins vorliegen. In der Blutprobe sei lediglich eine geringe Codeinkonzentration festgestellt worden. Morphin habe sich im Spurenbereich befunden. Eine nennenswerte Beeinflussung durch die zentral dämpfend wirkenden Opiate Codein und Morphin zum Blutentnahmezeitpunkt seien nicht anzunehmen.“

    „Die Ergebnisse der toxikologischen Untersuchung belegten eine Aufnahme von Codein und Morphium.“

    Falsch. Codein wird in Morphin verstoffwechselt. Damit wurde einzig und allein die Aufnahme von Codein nachgewiesen.
    Dass Codein in Morphin verstoffwechselt wird und es sich bei den gefundenen Spuren von Morphin um einen Metaboliten handelt erwähnt der Gutachter, und widerspricht damit seiner Behauptung, die Aufnahme von Morphin sei nachgewiesen worden.
    Und ja, das spielt eine Rolle. Morphin ist immer BTM, Codein nicht – solange eine bestimmte Konzentration/Packungsgröße nicht überschritten wird.

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