„diese Hauptverhandlung glich einem „Musikantenstadl“ – Beleidigung?

entnommen wikimedia.org
Author: Gerhard Marcks

Heute dann mal ein Tag des BVerfG. Und den eröffne ich mit der „Musikantenstadl“-Entscheidung; passt zu meinem derzeitigen Bayern-Aufenthalt. Es handelt sich um den BVerfG, Beschl. v. 06.06.2017 – 1 BvR 180/17.

Die Verfassungsbeschwerde richtete sich gegen eine Verurteilung wegen Beleidigung gem. § 185 StGB. Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt im Ruhestand. Im Jahr 2014, als er noch beruflich aktiv war, war er Verteidiger eines wegen Unfallflucht Angeklagten, der zunächst vom AG verurteilt wurde. In der zweiten Instanz wurde das Verfahren auf Kosten der Staatskasse gemäß § 153 Abs. 2 StPO eingestellt. Da sein Antrag auf Kostenerstattung für dieses Verfahren trotz mehrfacher Mahnungen zwei Monate lang nicht beschieden wurde, wandte der Beschwerdeführer sich an den die Dienstaufsicht innehabenden Präsidenten des LG. In seinem Schreiben beschwerte er sich über die schleppende Bearbeitung des Kostenfestsetzungsantrags und schilderte sodann ausführlich, warum der Prozess seiner Meinung nach seitens des zuständigen Richters schlecht geführt worden sei. U.a. erklärte er: „„Der Verlauf der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht P. glich dann schon dem, was ich als ,Musikantenstadl‘ bezeichnen möchte. Kein vernünftiges Eigenargument auf Seiten des Richters, aber eine ,Gesamtsicht der Dinge‘. Es wird mir ein ewiges Rätsel bleiben, wie es möglich ist, dass aus nicht einem einzigen stichhaltigen Argument eine ,stichhaltige Gesamtsicht‘ zusammengenäht – halt besser: zusammengeschustert – wird. (…)“.

Der Präsident des LG stellte – ich verkneife mir das „natürlich“ – Strafantrag. Das AG hat den Kollegen wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je 30 € verurteilt. Der Vergleich der mündlichen Verhandlung mit einem „Musikantenstadl“ sei geeignet, den zuständigen Richter in seiner Ehre zu kränken. Die richterliche Tätigkeit werde damit gegenüber dem zur Dienstaufsicht und Beurteilung der Leistungen des Richters berufenen Landgerichtspräsidenten einer Veranstaltung der Volksbelustigung gleichgestellt. Das LG hat
die Berufung gem. § 313 Abs. 1 StGB nicht zur Entscheidung angenommen. Das BVerfG hat aber die Verfassungsbeschwerde angenommen:

„a) Die inkriminierte Äußerung fällt in den Schutzbereich des Grundrechts auf Meinungsfreiheit. Sie ist durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens und des Meinens geprägt und deshalb als Werturteil anzusehen. Die polemische oder verletzende Formulierung einer Aussage entzieht diese grundsätzlich nicht dem Schutzbereich des Grundrechts (vgl. BVerfGE 54, 129 <138 f.>; 93, 266 <289>; stRspr).

b) Das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gilt allerdings nicht vorbehaltlos, sondern findet nach Art. 5 Abs. 2 GG seine Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, namentlich in dem der hier angegriffenen Verurteilung zugrunde liegenden § 185 StGB (vgl. BVerfGE 93, 266 <290 ff.>). Auslegung und Anwendung der Strafvorschriften ist grundsätzlich Sache der Strafgerichte. Das Bundesverfassungsgericht ist auf die Klärung beschränkt, ob das Strafgericht die wertsetzende Bedeutung des Freiheitsrechts verkannt hat (vgl. BVerfGE 7, 198 <208 f.>; 93, 266 <292>; stRspr). Steht ein Äußerungsdelikt in Frage, so verlangt Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG eine Gewichtung der Beeinträchtigung, die der Meinungsfreiheit des sich Äußernden einerseits und der persönlichen Ehre des von der Äußerung Betroffenen andererseits droht (vgl. BVerfGE 7, 198 <212>; 93, 266 <293>; stRspr). Handelt es sich bei der Äußerung um eine Stellungnahme in einem gerichtlichen Verfahren, die der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung dient, so sind bei der Anwendung des § 193 StGB auch die Auswirkungen des Rechtsstaatsprinzips zu berücksichtigen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 11. April 1991 – 2 BvR 963/90 -, NJW 1991, S. 2074 <2075>; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 28. März 2000 – 2 BvR 1392/96 -, NJW 2000, S. 3196 <3197>). Das Recht, Maßnahmen der öffentlichen Gewalt ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen auch scharf kritisieren zu können, gehört zum Kernbereich der Meinungsfreiheit, weshalb deren Gewicht insofern besonders hoch zu veranschlagen ist (vgl. BVerfGE 93, 266 <293>). Die Meinungsfreiheit erlaubt es insbesondere nicht, den Beschwerdeführer auf das zur Kritik am Rechtsstaat Erforderliche zu beschränken und ihm damit ein Recht auf polemische Zuspitzung abzusprechen.

c) Diese verfassungsrechtlichen Anforderungen erfüllen die angegriffenen Entscheidungen nicht.

aa) Das Amtsgericht hat zwar geprüft, ob die Äußerung durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen (§ 193 StGB) gedeckt sein könnte. Indem es argumentiert, das Strafverfahren sei zu jenem Zeitpunkt bereits abgeschlossen gewesen und daher eine Rechtfertigung der darauf bezogenen Äußerung ausgeschlossen, verkennt es jedoch die Reichweite der Meinungsfreiheit. Zum einen deckt diese auch die Kritik bereits abgeschlossener Strafverfahren. Zum anderen übersieht das Gericht, dass das Kostenfestsetzungsverfahren durchaus mit dem vorhergehenden Erkenntnisverfahren in Zusammenhang steht. Der Beschwerdeführer verbindet seine Kritik an der schleppenden Bearbeitung seines Kostenfestsetzungsantrags mit Ausführungen zu den aus seiner Sicht schon in der mündlichen Verhandlung zu verzeichnenden Schwächen, um seinem Anliegen Nachdruck zu verleihen. Überdies hat das Amtsgericht bei der Abwägung auch nicht hinreichend berücksichtigt, dass die Äußerung nicht öffentlich, sondern in einer allein an den Präsidenten des Landgerichts adressierten Dienstaufsichtsbeschwerde gefallen ist, so dass der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Richters nur eine geringe Außenwirkung entfaltet hat.“

Für mich ist schon der Strafantrag unverständlich.

7 Gedanken zu „„diese Hauptverhandlung glich einem „Musikantenstadl“ – Beleidigung?

  1. Ergebniskosmetik

    Auch ohne den § 193 StGB wäre es keine Beleidigung gewesen, da es sich bei der Äußerung ersichtlich um eine (polemische) Auseinandersetzung in der Sache handelte und somit nach st. Rspr. des BVerfG der Meinungsfreiheit gegenüber dem Persönlichkeitsrecht Vorzug zu geben ist. Erschreckend, dass Amtsgericht und Landgericht Gera offensichtlich kein Äußerungsrecht können.

  2. Max

    Der Strafantrag lässt sich u.U. noch einigermaßen nachvollziehen (nicht: rechtfertigen), nämlich dann, wenn die beteiligten Personen nicht gut aufeinander zu sprechen sind und der PräsLG auch sonst sehr dünnhäutig ist und – ähnlich wie in einem Nachbarschaftsstreit – jedes Wort auf die Goldwaage gelegt wird, dann ist man mit einem Strafantrag schnell dabei. Schlechter Stil, keine Frage. Aber dass das Ganze dann noch die Staatsanwaltschaft, den Strafrichter und nicht zuletzt die kleine Strafkammer passiert ist eigentlich die größere Katastrophe. Ein Jurastudent im 2. oder 3. Semester hätte das sicher objektiver einschätzen können, als die bis dahin beteiligten Volljuristen. Umso schöner, dass die Verfassungsrichter ein Augenmaß bewahrt haben.

  3. Miraculix

    Ich bin ja immer wieder froh daß wir ein BVerfG haben. Aber woher solche Leute eine Zulassung als Richter haben bleibt mir schleierhaft.

  4. Klaus

    Das erinnert mich an einen 7 Jahre alten BLOG-Eintrag von Ra. Andreas Fischer über den Sinn und Unsinn von Dienstaufsichtsbeschwerden: http://rechtsanwalt-andreas-fischer.de/2010/04/08/uber-sinn-und-unsinn-der-dienstaufsichtsbeschwerde/

    Darin wird auch schon erwähnt, dass gerne eine Strafanzeige wegen Beleidigung bei den Beschwerdeführern eingeleitet wird.

    Ich habe auch schon Berichte von mehreren Fällen gelesen, wo das der Fall gewesen sein soll. Das Problem wird sein, dass es kaum eine Handhabe gegen diese Praxis gibt. Am Ende wird für dieses Theater ja niemand zur Verantwortung gezogen.

    Insgesamt müsste man eher überlegen, ob die Beleidigung als Straftat (!) überhaupt noch in unsere Zeit passt. Letztlich handelt es sich ja tatsächlich eher um die viel beschworene „Beamtenbeleidigung“ eine Obrigkeitsstaat, da eine öffentliches Interesse praktisch nur bei Amtspersonen bejaht wird und ansonsten auf den privaten Klageweg verwiesen wird. Und wenn sie dann auch noch hauptsächlich dafür missbraucht wird die Bürger zu gängeln, die sich beschweren, dann sollte man sie schleunigst ganz abschaffen.

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